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Ausgabe:

1922 Nr. 14

Spalte:

332-333

Autor/Hrsg.:

Thurnwald, Rich.

Titel/Untertitel:

Entstehung von Staat und Familie 1922

Rezensent:

Titius, Arthur

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Theologifche Literaturzeitung 1922 Nr. 14.

332

— — In feiner kleineren Studie: Sören Kierkegaard och
nutida religiöft tänkande (Sören Kierkegaard und das
heutige religiöfe Denken, derfelbe Verlag), 1919,
geh. 4,7s Kr., 130 S.

kommt B. in dem einleitenden Kapitel: Ks. Einfluß
im 1800 Jahrhundert, nach einer Überficht über die vor-
nehmlichften Vertreter und Bearbeiter der Gedankenwelt
Ks. zu dem Schluß, daß K. gerade auf das Geiftes-
leben der Gegenwart größeren Einfluß ausüben wird.

In dem 2. Kapitel: Was bedeutet Ks. Satz: „die
Subjektivität ift die Wahrheit"? tritt B. in eine fcharffinnige
Auseinanderfetzung mit der Beurteilung Ks. ein, welche
der fchwedifche Profeffor Torgny Segerstedt ihm in feinen
Schritten „Das religiöfe Wahrheitsproblem" und „Alte
und neue Religiofität" zu Teil werden läßt. Segerftedt
beurteilt K. von modern religiös-pfychologifchen Gefichts-
punkten aus und fieht in K. die Religion der Subjektivität
in konfequent zugefpitzter Form hervortreten.

Dem hält Bohlin entgegen: Das Subjektivitätsprinzip
ift für K. immer das entfcheidende religiöfe Wahrheitsprinzip
. Aber es enthält für K. keinen Gegenfatz gegen
die Objektivität der Religion, fofern man darunter eine
vom Menfchen unabhängige metaphyfifche Wirklichkeit
verfteht. K. ift kein Subjektivift im modernen Sinne.
Einen Subjektivismus ohne Beziehung zu einer meta-
phyfifchen Wirklichkeit der Religion würde K. durchaus
als Irreligiofität abgewielen haben. Das perfönliche Gottesverhältnis
enthält fowohl Transzendenz als Immanenz.
Durch die Vertiefung der Immanenz erreicht der Menfch
die Transzendenz. Deshalb geht Ks. Streben darauf
aus, die Immanenz der Religion fo zu durchdringen,
daß Gewißheit über die Religion als Offenbarung gewonnen
wird. Einen anderen Weg zur Gewißheit über
die Wirklichkeit der Religion gibt es nicht. Gegen die
objektive Wahrheit der kirchlichen Dogmatik erhebt K.
keinen Widerfpruch. Aber die Unperfönlichkeit in diefer
Objektivität bekämpft er. Diefe wird durch den kirchlichen
Intellektualismus hineingetragen, der den Schwerpunkt
der Religion nicht in die Perfönlichkeit felbft,
fondern in den Gedanken und die Reflexion, in eine Summe
von Lehrfätzen verlegt.

Ein drittes Kapitel, das Ks. Lehre vom Paradoxen
darfteilt, erfreut fleh nicht befonderer Klarheit. Doch
mag dies wohl an K. felbft liegen.

Göteborg. Th. Tiedje.

Archiv für Religionspfychologie, hrsg. vonPfr.Dr.W.Stählin.

2. u. 3. Bd. (IV, 311 S.) 8°. Tübingen, J. C. B.

Mohr 1921. M. 90 —; geb. M. 100 —

Nach unfäglichen Schwierigkeiten — der erfte Halbband
follte im Herbft I914 erfcheinen — hat Stählin das
Werk veröffentlichen können. Es enthält 1. Abhandlungen
, 2. Materialien und Diskuffionen, 3. Berichte und
Befprechungen; weiterhin kleine Anzeigen, eingelaufene
Bücher, Zeitfchriftenfchau. Einen erheblichen Raum
nimmt die an vielen Stellen wiederkehrende Diskuffion
der richtigen Methoden ein. Über ,methodifche Selbft-
beobachtung' fpricht Behn, gut orientierend vom allgemeinen
pfychologifchen Standpunkt, aber nicht eben
ertragreich für die Religionspfychologie. Denn mit feinen
Methoden kann man etwa das .Behalten feft eingeprägter
Formeln', ihr Ablefen und Auswendigfagen oder die
,Denkarbeit beim Verftehen eines fchwierigen Dogmas'
prüfen, aber man bleibt damit noch allzufehr bei Äußerlichkeiten
flehen. Daß man aber doch mehr in die Tiefe
des religiöfen Erlebniffes einzudringen vermag, zeigt
Wunderle's Bericht über die Ergebniffe einer Umfrage
,Zur Pfychologle der Reue'. Irgend etwas Abfchließen-
des ift, wie er felbft fagt, nicht geboten, nicht einmal die
Ergebniffe der Umfrage konnten infolge Raummangels
ausgefchöpft werden. Aber wer fleh die Mühe nimmt,
den fehr forgfältig ausgearbeiteten Fragebogen und
die Antworten durchzufeilen, wird, meine ich, urteilen

müffen, daß man auf diefem Wege, wenn er mit Vorficht
verfolgt wird, eine Strecke weiterkommen kann.
Auch Geyer's Beitrag ,zur Pfychologie der Predigtvorbereitung
' bietet lehrreiches, vorerft leider unverarbeitetes
Material; indes mag es beffer fein, daß ein Unbeteiligter
fleh an die Bearbeitung macht. Über ,Wefen und Ur-
fprung der Magie' entwickelt C. Clemen in forgfältiger
Auseinanderfetzung mit andern Auffaffungen und unter
ausgiebiger Verwendung des reichen Materials feine
wohlerwogene Anficht; zwifchen .reiner Magie' und
Religion werde fleh eine Grenze kaum ziehen laffen; dagegen
feien Kult und Magie gegenfätzliche Größen. Daß
auch der letztern Behauptung, fo richtig fie im wefent-
lichen ift, fleh beftimmte Inftanzen entgegenftellen laffen,
ift gewiß C. nicht unbekannt. An ein zentrales Problem
rührt Stählin, der in Auseinanderfetzung mit Wobber-
min ,die Wahrheitsfrage in der Religionspfychologie' behandelt
; er ftimmt zu, daß die Religionspfychologie den
Wahrheitsanfpruch der Religion in der Mannigfaltigkeit
feiner pfychifchen Verwirklichung zu unter-
fuchen habe und entwirft eine Skizze der hier fleh etwa
ergebenden Aufgaben und Ergebniffe, die bei aller Vorläufigkeit
gründlich und lehrreich ift. Aus dem fonftigen
Inhalt fei das Referat über ,eine religionspfychologifche
Schule' (Henri Bois in Montauban) von Bergner und die
reichhaltige Zeitfchriftenfchau, in der aus äußern Gründen
die ausländifchen Zeitfchriften leider noch faft ganz fehlen,
hervorgehoben. Für die Zukunft ftellt Stählin Unter-
fuchungen über die Bedeutung der phänomenologifchen
Philofophie, fowie der experimentellen Pfychologie für
die Religionspfychologie, fowie die Durchforfchung von
Biographien und Autobiographien in Ausficht; es wäre
leicht, noch andre Wünfche zu äußern. Hoffen wir/daß
es ihm gelingen wird, das Archiv am Leben zu erhalten
und den Wert der Religionspfychologie durch anerkannt
bedeutende Unterfuchungen zur Geltung zu bringen.
Berlin. Titius.

Revue d'Histoire et de Philosophie religieuses. 1921 Heft 1. (93 s.)

gr. 8°. .Straßburg, Seminaire Protestant, Fr. Münch.

pro Jahr Fr. 25 —

Das Heft (teilt fich dar als die erde Nummer einer neuen Zcit-
fchrift, die von Gliedern der proteftaniifch-theologifchen Fakultät an
der nunmehr franzöfifchen Straßburger Univerfität herausgegeben wird,
darunter folchen, die, wie P. Lobftein (inzwifchen verftoiben), früher
der deutfehen Straßburger Univerfität oder, wie Baldenfpergcr, vormals
der deutfehen Gießener Univerfität angehört haben.

Den Inhalt bilden: eine Ausfprache von L. Monod über Wahrheit
und Freiheit; ein Bericht von Rudolf Reuß über die Gründung der
ehemaligen .Revue de Strasbourg' durch feinen Vater, den berühmten
Eduard Reuß; ein Referat von E. Vernn-il über Troeltfchs Religions-
philofophie; eine Einführung von A. Cauffe in das Studium der jüdi-
fchen Weishcitslehre; eine Betrachtung von P. Lobftein über den Kirchenbegriff
.

Gießen. E. W. Mayer.

Thurnwald. Privatdozent Dr. Rieh.: Entftehung von Staat und

Familie. (8 S.) Lex. 8°. Mannheim, J. Bensheimer 1921.

M. 3 —.

Auf Grund feiner Reifeerfahrungen aus der Südfee konftruiert
Thurnwald drei Typen der primitiven Gefellfchaft. Der erfte durch
das papuanifche Element vertreten, zeigt eine kleine aber homogene
politifche Einheit von demokratifchem Charakter, deren Leitung in der
Hand der Alten liegt; beim melanefifchen Typus ift auf Grund von
Wanderungen und Raubzügen die Homogenität der politifchen Einheit
geftört; erbliche Häuptlinge treten aus der Zahl der Alten hervor, und
der perfönliche Reichtum beginnt eine Rolle zu fpielen. Der dritte,
mikro- und polyncfifche Typus zeigt ftreng ariftokratifch gegliederte,
überaus kompliziert gebaute Staatengebilde, die ganz gut als Vorläufer
der altorientalifchen Staaten in der Frühzeit Ägyptens und Babylons
gelten könnten. Jedem diefer Typen entfpricht eine befondere Ordnung
der Familie und Ehe, der Siedlung, der Wirtfchaft, des Handels und
der gekirnten Lebensgeftaltung. Ob diefe Typen auseinander hervorgehen
, muß dahingeftellt bleiben: daß die Gciftesverfaffung, aus der fie
hervorgehen, einen logifchen Zufammcnhang zeigt, ift deutlich. Im
Innern noch völlig ungeordnete Gefellfchaften, fog. Horden, kennen
wir unter den jetzt lebenden Primitiven kaum mehr, überhaupt kann
man nach unferer heutigen Kenntnis nicht mehr von einer amorphen
und promiskucn Gefellfchaft ausgehen. Den lehrreichen Ausführungen
Ts. kann man nur zuftimmen; betonen möchte ich, daß die