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Ausgabe:

1922 Nr. 14

Spalte:

329-331

Autor/Hrsg.:

Bohlin, Torsten

Titel/Untertitel:

Sören Kierkegaards ethiska åskådning, med färskild hänsyn till begreppet “den enskilde”. (Sören Kierkegaards ethische Anschauung, mit besonderer Berücksichtigung des Begriffes “der

Rezensent:

Tiedje, Th.

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329

Theologifche Literaturzeitung 1922 Nr. 14.

330

Phaedon, Gaftmahl und Staat entwickelt fie zunächst
den Kernpunkt der plat. Philofophie, das Streben nach
einem unbedingten Wiffen, das feine eigentliche Schwungkraft
vom Sittlichen her erhält und den Charakter eines
unerreichten Zieles trägt, und fucht dann gleich das
Verhältnis der Gedanken Kants zu diefen Momenten feft-
zuftellen, wobei fie die wefentliche Differenz zwifchen
Piaton und Kant darin findet, daß Piaton das Ziel als
unerreicht, Kant aber als unerreichbar hinftellt. Den
vereinheitlichenden Grundgedanken der piaton. Philofophie
verfolgt der Verf. fodann fowohl in den jenen Werken vorangegangenen
ethifchen Dialogen als auch in den Späteren,
Theätet, Parmenides, Sophiftes und Timäus, auch hier
überall Parallelen bei Kant auffuchend und vergleichend.
Ob diefe Vergleiche immer das Rechte treffen, ob wirklich
Piatons Ethik großartiger, weitblickender und umfallender
ift als die Kantifche (99), ob wirklich die Einheit
alles Wiffens bei Kant .gelegentlich' als Aufgabe
erfcheint, während es bei Piaton ,mit verzehrender Leiden-
fchaft zum Leitgedanken der ganzen Philofophie' wird
(123) u. a. mehr, kann hier nicht entfchieden werden.
Es würde fich bei der Gründlichkeit des Verfaffers und
feiner eingehenden Kenntnis der beiden Philofophen auch
nicht in der hier gebotenen Kürze machen laffen. Aber
als höchft bedenklich muß doch der Satz erfcheinen, mit
dem der Verfaffer die rekapitulierenden Worte feiner
Arbeit fchließt: ,Um PL zu verftehen, muß man Kantifche
Denkfchulung durchgemacht haben; um Kant zu
erleben, muß man in Piatons Geiftesart zu Haufe fein'.
Königsberg i. Pr. Goedeckemeyer.

Bohl in, Torften: Sören Kierkegaards ethiska äskädning,

med färskild hänsyn tili begreppet „den enskilde".
(Sören Kierkegaards ethilche Anfchauung mit befonderer
Berücksichtigung des Begriffes „der Einzelne") (314 S.)
Stockholm, Diakosnistyreles bokförlag, 1918, geh.
7 Kr.

In diefer akademischen Abhandlung, die der Erwerbung
der theologifchen Doktorwürde gedient hat, bietet
uns der Dozent der Theologie in Uppfala eine wertvolle
Bereicherung der neueren Kierkegaardlitteratur.

K. ift immer homo religiosus, auch wenn er feine
ethifchen Anfchauungen entwickelt. Seine Gedanken
haben ftets letzlich die praktifch-religiöfe Abzweckung,
dem Chriftentum feine eigene uud felbftändige Lebens-
fphäre zu erkämpfen. Wohl hält fich B. ftreng an feine
felbftgefetzte Aufgabe, eine fyftematifch-hiftorifche Dar-
ftellung der ethifchen Anfchauungen Kierkegaards zu
geben, und erklärt er mit Recht, daß eine eingehende
Klarlegung der Chriftentumsauffaffung Ks. in ihrer Ge-
famtheit außerhalb des Rahmes feiner Aufgabe liegt.
Aber dennoch erliegt auch er dem Zwange, dem fich
wohl keiner entziehen kann, der fich mit Treue in die
Gedankenwelt diefes Schwerblütigen Grüblers verfenkt.
Zuletzt muß man fich doch immer wieder mit dem be-
ftimmenden religiöfen Motiv Ks. auseinanderfetzen.

K. ift eben ganz und gar religiös eingeftellt. Das
zeigt fich in feinem Gegenfatz gegen die Romantik,
als deren gehaltvoller Vertiefer er, der ironifche Spötter,
anzufprechen ift, und in feinem Kampfe gegen das fpe-
kulative Syftem Hegels, deffen philofophifche Denkkategorien
feinem eigenen Denken nicht ganz fremd find. In
diefem Kampfe ift es ihm ftets um das chrifthche Per-
fönlichkeitsleben zu tun, das fich durch den fchranken-
lofen Subjektivismus des Romantikers in lauter Stimmungen
verflüchtigt und durch die Hegelfche Spekulation objektiviert
und feiner ethifchen Innerlichkeit beraubt wird.
Auch der Einfluß des Sokrates auf Ks. Denken wird
letzlich dadurch überwunden, daß die fokratifchen Denkkategorien
in den Dienft des Chriftentums geftellt werden.
So dient auch die indirekte Darftellungsform Kierkegaards
dem praktischen Zweck, den Lefer durch die
Darstellung der verfchiedenen Lebensanfchauungen zur

Selbsterkenntnis zu führen, in welcher Lebensfphäre er
heimifch ift, und ihn vor die Wahl zu (teilen, für welche
der durch die Pfeudonymen dargestellten Lebensanfchauungen
er fich entscheiden will, und auch diefe werden von
K. in den Lebensftadien bis zur Unwirklichkeit abgegrenzt
aus dempraktifch-religiöfenlntereffe, denLeferanzufpornen,
aus der allgemeinen Religiofität zu der Spezifiken christlichen
Religiofität zu gelangen.

In den Stadien, den anfehaulichen Formen des Per-
fönlichkeitslebens kommt die Freude der qualitativen
Dialektik Ks. an der Analyfe zu ihrer vollen Auswirkung.
Lieber verzichtet er auf die pfychologifche Kontinuität
des Perfönlichkeitslebens, als daß er Sich dem Verdachte
ausfetzt, fich auf eine harmonisierende Synthefe
des Ungleichartigen nach Hegelfcher quantitativer Dialektik
einzulaffen. Der „Sprung" Stellt diefen Verzicht
dar, denn diefe Schlechthin unerklärbare Kategorie des
Überganges von einer Lebensfphäre in die andere dient
eher der fcharfen Abgrenzung der einzelnen Sphären von
einander, als daß Sie den Ubergang für das Denken
und Wollen mildern Soll. Der „Sprung" ift das irrationale
Moment in dem ethifchen Dafein. Durch ihn
wird das ethifche Leben ganz und gar Aktivität (cf.
Herrmann) in ausdrücklichem Gegenfatz zu dem Kaufali-
tätszufammenhang der mit Notwendigkeit gefchehenden
Entwicklung. Der Kaufalitätszufammenhang hat auf dem
Gebiet des geiftigen Lebens keine Geltung. Hier
kommt für die Kontinuität allein der teleologische Gedanke
in Frage. Das ethifche Perfönlichkeitsleben ift ein
Stetiges Streben auf das zeXog der Ewigkeit hin.

In dem Begriff „der Einzelne" konzentriert Sich die
ganze Lebens- und Weltanfchauung Kierkegaards auf
charakteriftifche Weife. „Der Einzelne" ift der Zentralbegriff
für feine ethifch-religiöfe Anfchauung. In diefer
Kategorie protestiert er gegen dieldee der Socialität, welche
das Individuum erdrückt und in der er die Wurzel zu der
Auflöfung und Charakterlosigkeit feiner Zeit fieht. Eine
Errettung aus diefer ift nur dadurch möglich, daß die
Individualitätskategorie ganz zu ihrem Rechte kommt.
In diefem Zufammenhang, der fich namentlich mit den
religiöfen Schriften Ks. befchäftigt, wird auch deutlich
herausgearbeitet, wie Kierkegaards zugespitzter religiöfer
Individualismus und feine abftrakt metaphyfifche Gottes-
anfehauung die Verwirklichung einer religiöfen Gemein-
fchaftsbildung und eines wirklich perfönlichen Gottesver-
hältniffes in demfelben Maße unmöglich machen, als feine
Auffaffung von „dem Einzelnen" im Leben durchgeführt
wird.

B. will K. fo zeichnen, wie er ift, und nicht, wie er
ihn fieht oder beurteilt. Das veranlaßt ihn, von der
Frage auszugehen, ob K. mit feinen Pfeudonymen zu
identifizieren ift oder nicht, eine Frage, die er mit Hinweis
auf Anfchauungen aus den felbftbiographifchen
Tagebüchern, die wir z. T. auch durch die Pfeudonymen*
vertreten finden, bedingt zu bejahen geneigt ift. Das
führt ihn auch in häufige gründliche Auseinandersetzungen
mit den namhaftesten Vertretern der Kierkegaardliteratur,
vor allem Höffding, dem er nebft andern mit überzeugenden
Gründen den Vorwurf macht, daß Sie K. allzu
Sehr von ihrem eigenen philofophifchen Standpunkt aus
beurteilen, der von der Pofition Ks. radikal verfchieden
fei. Endlich wird die oben ausgesprochene Abficht des
Verfaffers durch eine reiche Fülle von Hinweifen auf
Stellen aus Ks. Schriften erhärtet, durch die der Verfaffer
faft jedes feiner Urteile belegt. Durch diefe
Hinweife bietet B. jedem Kierkegaardfreunde eine willkommene
Hilfe zum Eindringen in das Verftändnis der
Gedankenwelt diefes in felbfterwählter Vereinfamung fich
zergrübelnden Geiftes.

Das einzige, was man an diefem reichen Buch bedauern
möchte, ift der Umftand, daß es m. W. bisher
nicht durch eine deutfehe Überfetzung einem größeren
Kreife in Deutfchland zugänglich gemacht ift.