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Ausgabe:

1922

Spalte:

317

Autor/Hrsg.:

Boll, Franz

Titel/Untertitel:

Die Sonne im Glauben u. in der Weltanschauung der alten Völker 1922

Rezensent:

Haas, Hans

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3i7

Theologjfche Literaturzeitung 1922 Nr. 14.

Boll, Prof. Dr. Franz: Die Sonne Im Glauben u. In der Weltan-

fchauung der alten Völker. (Aftronomifche Schriften des Bundes der
Sternfreunde) (24 S. u. 8 Taf.) 8». Stuttgart, Franckh'fche Verlagshdlg.
Ein fog. „dankbares" Thema für einen populär-wiffenfchaftlichen
Vortrag. Für Geift, Gemüt und (18 Abbild.) wohl auch fchon für der
Hörer Auge etwas. Die Primitiven am Anfang, am Schluffe Goethe,
ihr Gegenpol, dazwifchen die großen Kulturvölker des Altertums mit
ihren Vorftellungen: Babylonier, Ägypter, Griechen, der Sol invictus
der Römer, die Sonne der Gerechtigkeit des Weihnachtsfeftes. Natürlich
, daß fich ein fchr viel mehr zu dem Gegenftande fagen, daß fich
wie von dem fclbftverftändlich nicht überfehenen vierten Amenophis fo
z. B. auch von Akbar reden, wie an Goethes letztes Gefpräch mit
Eckermann (das von dem eben genannten Großmogul antezipiert ift)
fo an die Schlußfzene in Ibfens „Gefpenftern" erinnern ließe ufw.
uff. Die Perfer nur eben geftreift, die Amaterafu der alten Shinto-
mythologic nicht einmal erwähnt. Auch vom Rigveda nichts. In
eine, auch in anderthalbe Stunde — und länger hält dem Redner, auch
wenn er Lichtbilder vorführt, fo ein Auditorium nicht füll — läßt fich
nicht alles zwängen.

Leipzig. IL Haas.

Dal man, Guftaf: Orte und Wege Jehl. (Beiträge zur Förderung
chriftl. Theologie.) (XV, 370 S. m. 11 Abb. und
S Plänen.) 8°. Gütersloh, C. Bertelsmann 1919.
Desgl. zweite Aufl. Mit 40 Abb. u. PI. (VIII,321 S.)
gr. 8°. 1921. M. 65—; geb. M. 80—.

Die Befchäftigung mit diefem Buche hat mir den
Verfuch ins Gedächtnis gerufen, der 1898 gemacht
wurde, den geographifchen Stoff des Lebens Jefu auf
Karten darzuftellen. Ich meine das Werk von J. M.
Wellner, k. k. Notar in Neugedein (Böhmen), Fünfundzwanzig
Karten von Paläftina enthaltend alle in den vier
heiligen Evangelien angedeuteten Wege unferes Herrn
Jefu Chrifti (Prag, Fr. Rivnäc, 1898). Wellner hat, foviel
fich erkennen läßt, Paläftina niemals mit eigenen Augen
gefehen. Er hat in der Heimat mit bewundernswertem
Fleiß und nicht geringen Oplern aus Büchern zufammen-
gelefen, was er als brauchbar für feinen Zweck erkannte.
Aber er war leider nicht in der Lage, den großen Stoff
nach wiffenfehaftlichen Grundfätzen zu bewältigen; auch
verftand er es nicht, ihn gefchickt und anfehaulich auf
Karten darzuftellen. Sein Atlas hat daher wenig Beachtung
gefunden, und das dazu gehörige „Textwerk"
fcheint niemals gedruckt worden zu fein. Dalman hat
dagegen als „Geograph des Lebens Jefu" den richtigen
Weg eingefchlagen, die verfchiedenartigen und nicht
feiten recht fchwierigen Fragen in einem Buche zu be-
fprechen, deffen Inhalt fo wertvoll ift, daß er als eine
fehr erfreuliche Bereicherung unferes bisherigen Wiffens
bezeichnet werden darf.

Was die Anordnung des Stoffes betrifft, fo fchließt fich D. an den
k'efchichtlichen Gang der Erzählung in den Evangelien an. Er beginnt
mit Bethlehem und Nazareth (S. 1 — 74), befpricht dann die Taufftätte
jm Jordan (S. 75—95) und widmet 7 Abfchnitte der Wirkfamkeit Jefu
in Galiläa (S. 95—202). In Abfchnitt XI werden die Wege von Galiläa
nach Judäa behandelt (S. 203—231), und in den letzten 7 Abschnitten
(S. 232—352) ift von Jericho, fowie von den bekannten Stätten am
Glberge und in Jerufalcm die Rede. Dein Texte find 16 Abbildungen
DeiRegeben, darunter 5 Zeichnungen Dalmans, die fämtlich Jerufalem
betreffen. Am Schluffe des Buches finden fich mehrere Regifter fowie
Berichtigungen und Nachträge.

D. verfügt in hervorragendem Grade über die wiffenfehaftlichen
Mittel, die zur Lölung diefer Aufgabe notwendig
find. Was die Kenntnis des heiligen Landes angeht
, f0 fchöpft er auf Grund eigener Beobachtungen
und Forfchungen, die er während eines dreizehnjährigen
Aufenthalts in Jerufalem angefleht hat, in beneidenswerter
Weife aus dem Vollen. Die Nachrichten des fpäteren
Judentums find ihm im gleichen Maße zugänglich wie
die Angaben der Kirchenväter und der Pilgerfchriften.
Wo es fich um alte Bauten handelt, wie in Bethlehem,
Jerufalem und den altjüdifchen Synagogen, zeigt er fich
mit archäologifchSn Fragen wohl vertraut. Er verlieht
es, mit dem verichiedenen Wert der uns überlieferten Angaben
zu rechnen. Er Hellt das Zeugnis der örtlichen
Tradition der alten Kirche des Landes nicht auf die
gleiche Stufe wie die Vermutungen der Kreuzfahrer und I

der Franziskaner und fchätzt die Ausfagen der alten
rabbinifchen Literatur mit Vorficht (S. XIV). Sein Verfahren
ift nicht, die einzelnen Orte und Wege getrennt
für fich zu behandeln, fondern er bemüht fich, jeden Ort
in das ganze Paläftina hineinzuverfetzen und im Zu-
fammenhang mit ihm betrachten zu lehren. Unter diefem
Gefichtspunkt wollen fchon die Kapitelüberfchriften ver-
ftanden fein. Daß die einzelnen Abfchnitte nach An-
fchaulichkeit und Stimmung verfchieden ausgefallen find
läßt fich nicht anders erwarten. Man denke nur an den
Gegenfatz zwifchen Galiläa (S. 96fr.) und Jerufalem (S.
264fr.)! Die Mehrzahl der Lefer wird fich lieber durch
die Fluren um Kapernaum führen laffen als durch die
Gaffen und Gebäude Jerufalems.

Einige einfache Beispiele mögen zeigen, in welcher
Weife D. feine Unterfuchungen geführt hat. Als Ort
der „Bergpredigt" Mt. 5, 1; Mk. 3, 13; Lk. 6, 12 pflegt
man fich einen einzelnen Berg zu denken. Einen folchen
gibt es nun in der Umgebung von Kapernaum, wo wir
doch fuchen müffen, nicht. Es kann für diefe und ähnliche
Angaben in den Evangelien nur „das mit Bafalt-
blöcken überfäte Ödland" nördlich von Kapernaum in
Betracht kommen. Daher ift das griechifche Wort ogog
mit „Bergland" oder „Gebirge" zu überfetzen, und die
„wüfte Stätte" Mk. 1, 35; Lk. 4, 42 muß von derfelben
Gegend verftanden werden. (S. 151 ff.). Nach Lk. 4, 29
wird man fich Nazareth auf der Höhe eines Berges liegend
denken, der irgendwo fteil abfiel. Dazu paßt weder
die Lage des heutigen Nazareth noch die vermutliche
Lage des Ortes zur Zeit Jefu. In Nazareth felbft hat
man fchon um 800 nach C'hr. die Lc. 4 gemeinte Stätte
im Süden des Ortes in größerer Entfernung gezeigt, heute
2 km weit an dem Abfall des Berglandes zur Ebene Jesreel.
Da diefe Annahme mit Recht als unzuläffig gilt, fo fchließt
D.: „Entweder entfpricht die Porm der Erzählung nicht
genau dem örtlichen Sachverhalt, oder in der Sache felbft
liegt ein Irrtum" (S. 69). Andere Beifpiele, auf die hier
nicht eingegangen werden kann, bieten größere Schwierigkeiten
dar; die angeführten mögen genügen, um das Ziel
und die Art der Unterfuchungen D.'s zu kennzeichen,
nämlich ob und wie die Angaben des Schriftftellers und
der Ort fich decken. Im Allgemeinen kommt D. zu dem
Ergebnis, daß fich bei Mt. und Joh. nur wenig Anftöße
finden, daß bei Mk. und Lk. mehr zu beanftanden ift,
wenn auch das Wefentliche der evangelifchen PJrzählung
„überall feinem Orte entfpricht und öfters mit ihm in
untrennbarer Verbindung fleht" (S. Xllf.). In feiner Darfteilung
behält D. flets die Beziehung zur Perfon Jefu
im Auge und bemüht fich, den Lefer mit Jefus denken
und empfinden zu laffen. Den gefchichtlichen Wert
der Erzählungen feftzuftellen, betrachtet er nicht als feine
Aufgabe; er befchränkt fich darauf, das „örtliche Material"
für die Erzählungen darzubieten. —

Die zweite Auflage (1921) zählt zwar 50 Seiten weniger
als die erfte; aber fie darf als eine vermehrte bezeichnet
werden, weil der Druck enger und das Format größer
ift. Das Vorwort der erften Auflage ift zu einem einleitenden
Kapitel „das Land Jefu" umgeftaltet worden.
Der Verfaffer hat außerdem eine große Anzahl von Zu-
fätzen hinzugefügt, von kleinen Sätzen an bis zu größeren
Abfchnitten, deren wichtigfte im Vorwort aufgezählt
find. Eine Anzahl von Versehen, die ich mir für die
erfte Auflage angemerkt hatte, find berichtigt worden.
Ich erwähne hier nur, daß der S. 248b erwähnte Teich
von mir nicht 1878, fondern 188I ausgegraben wurde,
und daß die in meiner Ausgabe der Madebakarte (1906)
Bl. 6 verzeichneten Buchftaben, die man auf Sychar (S.
184) bezogen hat, völlig gefichert find; leider auch nicht
mehr. Beim Lefen find mir die Sätze S. 124, Z. 8 ff.
und S. 161, Z. 3f. aufgefallen. Pur eine dritte Auflage
des wertvollen Buches empfehle ich fie der Aufmerkfam-
keit des Verfaffers.

Leipzig. Gut he.

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