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Ausgabe:

1922

Spalte:

315-316

Autor/Hrsg.:

Nielsen, Ditlef

Titel/Untertitel:

Der dreieinige Gott in religionshistorischer Beleuchtung. I: Die drei göttlichen Personen 1922

Rezensent:

Haas, Hans

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung 1922 Nr. 14.

316

in der Chriftusidee: Gott ift da am nächften, wo er am
fernften fcheint, er ift mit feinem überweltlichen Leben
Gegenwart in den ihm widerfprechendften Erfcheinungen
der Welt. Aber — das ift die notwendige Folge aus
dem Gefchichtsbegriff und der entfcheidende Gedanke
des Buchs — diefe Auflöfung ift nur Auflöfung, wo fie
unmittelbar konkret und wirklich ift, wo die Chriftusidee
als Chriftus leben zu uns kommt. Die befondere Stellung
Jefu als Träger diefes Chriftuslebens ift damit freilich
noch nicht begründet: das Chriftusleben, deffen konkrete
Individualität durch den Gefchichtsbegriff als notwendig
eingefehen ift, umfpannt das Ganze der Menfchheitsge-
fchichte. Aber der Rahmen ift doch gegeben, innerhalb
deffen die Abfolutheit Jefu als des Chriftus praktifch
bejaht und religionsgefchichtlich an der beherrfchenden
Stellung Jefu im Ganzen des Chriftuslebens begründet
werden kann. Die Einheit Jefu mit der Chriftusidee ift
fomit in der grundfätzlichen Reflexion immer nur eine
mögliche, in der religiöfen Unmittelbarkeit aber und in
der teleologifchen Betrachtung der Menfchheitsgefchichte
die vollftändigfte nur denkbare.

Das Buch ift gefchrieben aus den Frageftellungen der
kritifchen Theologie heraus und zeigt eine vollftändige
Beherrfchung der irgendwie zur Sache gehörenden Literatur
. Der Neuteftamentler, der Kenner der Gefchichte
des Idealismus, der Syftematiker, fie werden alle finden,
daß ihre Gebiete mit größter Gewiffenhaftigkeit auf die
befondere Frage hin durchforfcht find. Nur der Dog-
menhiftoriker und Lutherforfcher wird etwas vermißen;
aus Luther insbefondere hätte fich mehr herausholen
laßen. Was aber dem Ganzen feine Kraft gibt, das ift
nicht bloß die theologifche Geiehrfamkeit, fondern die
unbeftechliche Redlichkeit, der grübelnde Denkwille, der
Sinn für fyftematifche Gefchloffenheit und Zufammenhang,
und nicht zuletzt der durch alles hindurchzufpürende
fromme Ernft.

Ich halte es nicht für richtig, meine Anzeige mit
einer kritifchen Stellungnahme zu befchließen. P. verdient
es, zunächft einmal aufmerkfam gehört und erwogen zu
werden, ehe man ihm dreinredet. Sein Buch ilt eine
wirklich fruchtbare Weiterführung der chriftologifchen
Diskuffion innerhalb der kritifchen Theologie. Besonders
gefallen hat mir die Herausarbeitung der Erkenntnis,
daß es tatfächlich in der Menfchheitsgefchichte Chriftusleben
, will fagen perfönliche Gemeinfchaft mit Gott und
von Gott trotz Sünde und Leid, nicht gibt ohne eine
lebendige Berührung mit der konkreten Anfchaulichkeit
des gefchichtlichen Jefus. Das kann, gerade weil P.
gegen allen Hiftorismus mit Leidenfchaft fich wendet
und gerade weil er die hiftorifche Erforfchung des Neuen
Teftaments mit unbefangener Wahrhaftigkeit gelten läßt,
nicht ohne Eindruck bleiben. Es ift wie eine Mahnung
an die evangelifchen Theologen von heut, befonders an
die jüngeren unter ihnen, eine Mahnung von einem, der
den Fragezeichen und Gefichtspunkten der jüngften
Gegenwart weitgehend recht gibt und deshalb vielleicht
beffer verftanden werden wird als andre.

Göttingen. E. Hirfch.

Ni eilen, Dr. Ditlef: Der dreieinige Gott in religionshifto-
rifcher Beleuchtung I: Die drei göttlichen Perfonen.
Mit 70 Abb. (XV, 412 S.) 8°. Berlin, Gyldendalfcher
Verlag 1922. M. 50—.

Diefer Buchband hätte eine echte, rechte Senfation
werden mögen, wie etwa Fr. Delitzfch's Babel-Bibel-Vorträge
oder wie neuerdings des gleichen Affyriologen
„Große Täufchung". Wenn er das nicht werden wird,
fo hat das feinen Hauptgrund nicht etwa in einer ihm
anhaftenden Schwäche oder einem Mangel, fondern im
Gegenteil recht eigentlich in einer „Tugend" der Publikation
: in der reichen Dokumentierung aller Aufftellungen
ihres gelehrten Autors, die dem Bande, der im übrigen

in einem zweiten erft noch feine Ergänzung finden foll,
den ftattlichen Umfang von an die 500 Seiten hat an-
wachfen laßen und dem Nichttachler fo doch ein Dickebretterbohren
zumutet, für das im allgemeinen das bei
ihm ev. vorauszufetzende Intereffe doch wohl nicht ausreicht
. Lesbar freilich wäre das Werk auch weiteren
Kreifen, da der Verfaffer die Darftellung geflißentlich
fo populär wie nur immer möglich gehalten, orientalifche
Typen vermieden, Zitate aus den Infchriften transkribiert
und überfetzt, für Verweife auf wiffenfchaftliche Zeit-
fchriften ftatt der nur den Eingeweihten geläufigen Abkürzungen
vollerer Anführungsformen fich bedient hat.
Eine zweite Auflage wird dem Buche auch bei dem
Ausfeheiden der „weiteren Kreife" ficher fein. Für
diefe würde ich dem Herrn Verfaffer gern mein Handexemplar
zur Verfügung ftellen, deffen hunderte ftili-
ftifche, grammatikalifche, orthographifche und die Inter-
pungierung betreßende Randkorrekturen ihm dienfam
würden fein können, den Lefer ganz vergeffen zu laßen,
daß der Buchautor beim Schreiben fich eines ihm von
Plaufe aus fremden, wenn fchon fehr gewandt gehandhabten
, Idioms bedient hat. Die beiden deutfehen Herren,
denen das Vorwort für freundlich geleiftete Hilfe in
diefer Richtung Dank ausfpricht, haben fich wohl wirklich
nur auf Verbefferung einzelner undeutlcher Wendungen
befchränkt.

Was den Inhalt des Werkes anlangt, fo mag es genügen
, zu verraten, daß der Verfaffer, die Ergebniffe
eigener und derUnterfuchungen anderer zufammenfaffend,
die Antezedenzien des chriftlichen Trinitätsdogmas in einer
überall bei den Völkern des femitifchen Kulturkreifes entgegentretenden
Götterdreiheit aufzuweifen fich bemüht. Die
Wurzeln der gemeinfemitifchen Religion—ihre Wefenszüge
gegenüber dem bislang beliebten Spezialismus herauszu-
ftellen, liegtNielfen, der infofern das Werk Robertfon Smith's
weiterführt, vor allem an — findet er nicht in Babylon
mit feinen nicht urfpriinglichen, hochentwickelten Ver-
hältniffen, fondern in der primitiven altarabifchen Religion
, einer einfachen Naturreligion auf der Stufe noma-
difcherKultur. Und diele zu erkennen, nützt er bislang
nur erft fehr unzulänglich verwertetes archäologifches
Material: die zahlreich erhaltenen altarabifchen Infchriften
aus vorchriftlicher Zeit mit ihren Götter- und theophoren
Perfonennamen. Es find nicht Phantaftereien, die das
Buch Nieifens bietet, der vielmehr mit dem ganzen Aufgebote
all leiner Gründlichkeit, Umficht, feines Scharf-
finns und feiner Kombinationskraft daran geht, feinen
Verfuch anzuftellen, den Verfuch: die kirchliche Glaubensformel
wie den kirchlichen Kultus als aus der alt-
femitifchen Religion, deren Kern eben die Verehrung
einer Göttertrias Vater, Mutter, Sohn bildete, als uralte
heilige Formel ins Chriftentum übernommen und dann
nachträglich mit der von Jefus gepredigten Religion in
Verbindung gefetzt zu erweifen.

Erftaunlich ift die Belefenheit Nieifens. Von Literatur,
die ihm entgangen ift, vermerke ich die Bücher von
Leifegang („Der heilige Geift" und „Pneuma Hagion")
und manches da Notierte, das Buch von Volz über den
Geift Gottes (das auch Leifegang nicht beachtet zu haben
fcheint), Greßmanns Arbeit über die vorderorientalifche Taubengöttin
(AR, Bd. 20), Heilers Auslaffungen über den
Kultus der Madonna, die Publikation von Scheftelowitz
„Die altperfifche Religion und das Judentum". Daß das
Buch illuftriert ift, befagt fchon der oben voll gegebene
Titel. Nachdem diefer zunächft vorgelegte Band („Die
drei göttlichen Perfonen") die verfchiedenen Entwick-
lungsphafen der anthropomorphifch gedachten Götterge-
ftalten beleuchtet hat, foll der zweite, für bald in Ausficht
geftellte („Die drei Naturgottheiten"), die Naturgrundlage
erörtern, aus der die göttlichen Geftalten
entftanden find.

Leipzig. H. Haas.