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Ausgabe:

1922 Nr. 1

Spalte:

309-310

Autor/Hrsg.:

Smend, Julius

Titel/Untertitel:

Die römische Messe 1922

Rezensent:

Kattenbusch, Ferdinand

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Seite 1

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3°9

Theologifche Literaturzeitung 1922 Nr. 13.

Wirkung als eine felbftverftändliche Folge der rechten 1
Grundgefinnung auffaßt, daher auf genauere Ratfchläge
für die Einzelfälle verzichtet. Die katholifche Ethik ift
darin wirklich praktifcher; freilich vergißt B. in diefem
Zufammenhang, ihre Schattenfeiten zu erwähnen. Zur
Ergänzung der theoretifchen, deduktiv verfahrenden Ethik
bietet er eine praktische, induktiv verfahrende, eine ,Er-
fahrungslehre' von den wirklichen Sittlichen Beziehungen.
Er ordnet fie fo, daß 1. die Ethik der Arterhaltung, 2.
die der Lebenserhaltung und Lebensfteigerung, 3. die
der Selbfterhaltung im Gemeinfchaftsleben, 4. die der
Selbfterziehung, endlich 5. die Perfönlichkeits- und ab
truiftifche Ethik befprochen werden. Daß diefe Einteilung
nach einer ,auffteigenden Wertfolge und Erziehungsfolge'
befonders lichtvoll wäre, vermag ich nicht zu fagen;
aber fie leinet den wichtigsten DienSt der Teilung des
überreichen Stoffs in Gruppen. Man wird kaum eine
der zahlreichen Einzelfragen vermiffen, und alles, was B.
zu ihnen fagt, ift charaktervoll, anregend und des Nachdenkens
wert. Nur kann ich zwei Bedenken nicht unterdrücken
. Einmal müffen bei der Knappheit des Raums
auch die wichtigsten Probleme fehr kurz behandelt werden
. Der Staatsethik, wie der Nationalethik wurden je
5V2 Seite gewidmet, der Menfchheitsethik faft 6. Dabei
können natürlich nur die ganz großen Linien gezogen
werden; und viele Einwände und Einzelfragen müffen
unberücksichtigt bleiben. Sodann — und hier komme
ich auf eine im Wefen der Sache liegende Schwierigkeit

— kann der Verf. natürlich nur feine eigenen ethifchen
Anfchauungen darftellen. Je mehr der Ethiker in die
praktischen Einzelfragen hineingeht, um fo Subjektiver
werden naturgemäß feine Urteile. Darum kann eine
evangelische Sittenlehre, fei Sie fo praktifch wie Sie will,
uns niemals den Dienft leiften, den die katholifche Moral
dem Katholiken leiftet. Wir haben eben das prote-
ftantifche Recht der Selbftverantwortlichkeit. B, mag
mit Seiner Beurteilung der Reife des Durchfchnittsmen-
fchen fehr Recht haben, — aber gerade der Durch-
Ichnittsmenfch macht Gebrauch von der Selbständigkeit,
die eigentlich nur dem reifen Christen zufteht. Dennoch
ift eine Solche Arbeit nicht vergeblich. Sie ift für die
ernften Evangelifchen ein treffliches Hilfsmittel zur ethi-
Ichen SelbftbeSinnung; Sie kann für den Pfarrer eine
wertvolle Anleitung zum Durchdenken feelforgerlicher
Brobleme fein. Mag er dann zuftimmen oder ablehnen

— bald wird diefes, bald jenes näher liegen —, immer
wird B.'s. Gedankenfolge den Wert haben, daß Sie die
Fragen grundsätzlich und ernft beleuchtet und die Gewiffen
fchärft. — Zum Schluß nur noch die Frage, ob es nicht
praktischer gewefen wäre, gerade in einem Solchen Buch
die fremdsprachlichen Termini zu vermeiden oder wenigstens
einzuschränken?

Gießen. M. Schian.

Smend, Julius: Die römifche Meffe. (Religionsgefchichtl.

Volksbücher, IV. Reihe, 32/33- Heft.) (VII, 64 S.) 8«.

Tübingen, J. C. B. Mohr 1920. M. 2 —

Ich hoffe, daß diefe Schrift recht viel gelefen wird.
Sie gehört zu den allerbesten unter den .rehgionsge-
Schichtlichen Volksbüchern'. Temperamentvoll, zuweilen
faft allzu lebhaft, ift Sie getragen von befter Sachkenntnis
hiftorifcher Art und von gefündefter evangelifcher
Empfindung. Der feine äfthetifche, zumal der durchgebildete
mufikalifche Sinn des Verfaffers ermöglicht die
volle Einfühlung in alles, was der Katholik an der Meffe
hat, er Sichert doch zugleich das Bewußtfein darum, daß
w'r Evangelifchen nicht einfach ,neidifch' zu Sein haben
auf das, was die römifche Kirche in ihrer Meßfeier an
Mitteln der Einwirkung auf die Gemüter, ganz zumal aut
die .Maffia' (nicht etwa bloß auf Siel) befitzt. Wir Evangelifchen
Sehen eben, wieviel an der Meffe dem Evangelium
nicht entspricht, und wir follen uns nur ernftlich

darauf befinnen, daß unfere Gottesdienste noch nicht zu
ihrer, d. h. zu echt evangelifcher Reife gekommen Sind.
Die römifche Meffe hatte ein Jahrtaufend von Gefchichts-
entwicklung hinter Sich, als wir Evangelifchen begannen
die unferem Soeben erit gewonnenen Neuverftändnis der
Perfon Chrifti entlprechende Art der kirchlichen Feiern
zu fuchen. Ich habe Smends Schrift fehr gern gelefen,
gerade weil Sie der römifchen Kirche gibt, was ihr hier
zukommt, man mag Sagen an Bewunderung, und weil Sie
doch gar nicht geftimmt ift auf den Ton allerneuefter
proteftantifcher ,Hochkirchlichkeit'.

In knapper Gedrängtheit gibt Smend einen Überblick
über die Entstehung der römifchen Meßfeier im
Laufe der altkirchlichen Zeit. Er kontrastiert die abendländische
und die morgenländifche Entwicklung der Liturgien
. Viele Einzelheiten Sind in der wiffenfchaftlichen
Forfchung noch nicht endgültig geklärt. Mit Recht
reicht Smend dem fei. Drews eine Palme für bahnbrechende
Erkenntniffe. Nützlich für die meiften evangelifchen
Lefer ift dann die in § 6—9 gegebene Darlegung
des Gangs und aller Einzelheiten der Meffe. Folgt
ein AbSchnitt ,Der Abendmahlskelch', d. h. die Entwicklung
der Sitte, den Laien nur das Brot auszuteilen. Die
weiteren Paragraphen gelten zuerft (11 und 12) der Mu-
fik der Meffe, dann (13) den beiden aus der alten Zeit
noch in die Gegenwart hereinragenden Formen .Selbständiger
' Meßfeiern, nämlich der mozarabifchen (jetzt nur
noch in einer Kapelle des Doms von Toledo) und der
ambrofianifchen in Mailand. In § 14 wird kurz gezeigt,
wiefern der deutfche, Speciell der lutherifche (bzw. alt-
preußifch-unierte) Gottesdienft noch mit der Form der
römifchen Meffe zusammenhängt. Zum Schluffe gibt
Smend den Auflatz ,Die Macht der römifchen Meffe in
der Gegenwart', den er Schon zuvor in der ,Monatfchrift
für Gottesdienft und kirchl. Kunft' (1920, Heft 1/2) veröffentlicht
hatte, auch hier und hat recht daran getan,
zumal er ihm zum Anlaß wird, etwaigem (oder auch vorgekommenem
) Mißverständnis feiner Ausführungen zu begegnen
mit (§ 16) .Evangelifchen Schlußgedanken'.

Smend faßt die Meffe nur nach der kultifchen
Seite ins Auge. Ich will das nicht Schelten. Denn
einerseits ift des Stoffs fchon reichlich genug dabei für
ein .Volksbuch'. Auch kann das Kultifche kaum irgendwo
So wirklich für Sich behandelt werden als bei der Meffe.
Dennoch wird er vielleicht recht tun, bei neuer Auflage
auch wenigstens einen Paragraphen der dogmatifchen
Lehrentwicklung, unter Sonderung des Gedankens von
sacrificium und sacramentum, zu widmen. Im Blicke auf
das Ganze der kleinen Schönen Schrift fehlt mir doch
eben diefe ,Sonderung'. Smend faßt nur die Opferhandlung
, nicht die Kommunion in's Auge.

Gewiß, er überschlägt in der Skizzierung des Verlaufs
der Handlung nicht die darauf bezüglichen Rubriken
, aber man könnte durch die Art wie er die Anbie-
tungund Wirkung des Brotes nurberührt, zu der Vorstellung
kommen, diefe bedeute im Grunde dem Katholiken nichts
mehr. Und das wäre doch falfch. Er hätte Schärfer hervorheben
follen, daß er mit Willen diesmal nur die Opferfeier
und was Sie bedeute, ausführlich behandele. Die
Feier der Kommunion (römifch ausgedrückt), des Abendmahls
(evangelifch ausgedrückt) mag in der Tat mal Gegenstand
eines weiteren .religionsgefchichtlichen Volksbuchs'
fein. Für die Gefchichte der Lehre findet man in den Artikeln
.Abendmahl' ,Meffe, dogmengefchichtlich', .Sakrament
', .Transfubftantiation' alles Nötige (noch in keiner
Beziehung Überaltertes) in der Realencyklopädie. Der
Artikel .Myftagogifche Theologie' dafelbft (XII, 612—622;
er Steht leider unter ,M', und bei dem Art. .Theologie,
myftifche', XIX, 631 ff, ift nicht vermerkt, daß er vorweggenommen
) hätte Smend auch brauchbares weiteres
Material Speciell für die orientalische (griechifch-ruffifche)
Meßfeier geboten.

Halle. F. Kattenbufch.