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Ausgabe:

1922 Nr. 13

Spalte:

308

Autor/Hrsg.:

Oesterreich, Traugott Konstantin

Titel/Untertitel:

Der Okkultismus im modernen Weltbild 1922

Rezensent:

Strunz, Franz

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Seite 1

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307

Theologifche Literaturzeitung 1922 Nr. 13.

308

John Charlton Hardwick, Religion and Science. (148S.) London,

Society for Promoting Christian Knowledge 1920.
Wood-Jones, Frederic: The problem of Man's Ancestry. (48 S.)

kl. 8U. London, S. P. C. K. 1918. 7 d

Die erfte Schritt, welche das Verhältnis von WilTenfchaft und Religion
in feiner gefchichtlichen Entwicklung von Galilei bis Bergfon
verfolgt, grenzt in den Schlußbemerkungen beide etwa im Sinne des
früheren Liberalismus' gegeneinander ab. (,Wiffenfchaft und Religion
find Kinder der Freiheit'), ohne die gegenwärtig in Deutfchland aktuelle
Problematik irgenwie zu berühren. Die maßvoll befonnene Art des Ver-
faffers, die klare, anfchauliche Darftellung, die Fülle anregender Gedanken
machen das offenbar iür Laien beftimmte Buch (ehr anziehend.

Der Verfaffer der zweiten Schrift, Profeffor der Anatomie an der
Univerfität London, (teilt das Problem der Abdämmung des Menfchen-
gefchlechtes aut Grund der neueren Forfchung für weitere Kreife dar.
Er hebt die Unterfchiede der Affen und Menfchen in anatomifcher
Beziehung hervor und lehnt daher die ,Thefe von 1859' ab. Die Darlegungen
find nicht in allen Einzelheiten überzeugend und wirken unbefriedigend
, weil apologetifche und moralifierende Tendenzen fich
ftörend einmifchen.

Bremen. Bruno Jordan.

Brunner, Priv.-Doz. Lic. Emil: Erlebnis, Erkenntnis und

Glaube. (VII, 127 S.) gr. 8«. Tübingen, J. C. B.

Mohr 1921. M. 15 —

Eine temperamentvoll und flüffig gefchriebene Unter-
fuchung; anziehend und verftimmend in einem! In der
pofitiven Zielfetzung, die ,Glaubensobjektivität' zur
Geltung zu bringen im Gegenfatz gegen ,die falfche
Immanenz' (S. 41) nicht nur des Hiftorismus, fondern auch
des empirifchen Pfychologismus (der die Diftanzbetrach-
tung des erfteren zu überwinden ftrebt) ift Verf. zweifellos
im Recht. Denn die in der Religion erlebte Objekt-
bezogenheit ift das für diefelbe primär konftitutive Moment
. Ein Moment, das weder in dem hiftorifchen Begreifen
gefchichtlicher Entwicklung der Religion (102 ff.)
noch in der nur-pfychologifchen Analyfe der Frömmig-
heit zur Geltung kommen kann, gefchweige denn, daß
es in der auf letztere autbauenden Technik religiöfer
Stimmungsbildung (57) refpektiert wird. In diefer Hinficht
ift tatfächlich von einer ,fubjektiv-anthropologifchen'
(S. 1) Befangenheit beider (in fich freilich notwendiger, j
wenn auch für die Religionswiffenfchaft nicht ausreichender
) Methoden zu reden. Wenn aber diefe Einficht vertreten
wird unter der Parole ,Los von Schleiermacher
und Ritfehl' (4), in Form eines ,Nachworts derer, die nur
noch vorwärts, nicht mehr rückwärts fchauen können' (V),
fo zeugt das von bedauerlichem Unverftändnis der fyfte-
matifchen Arbeit des XIX. Jahrhunderts und hat nur zur
Folge, daß wichtige Erkenntniffe derfelben wieder preisgegeben
werden in einer .Philofophie des Urfprungs'
(Barth, Gogarten), die trotz allem Sträuben gegen neues
Hegeltum, gegen ftarren metaphyfifchen Dogmatismus
dennoch durch philofophifches .Zuendedenken' dem Glauben
feine erkenntnistheoretifche Grundlage fchaffen will,
nicht ohne die fpezififche Eigenart der Religion zu
verwifchen. ,Wo der Philofoph mit dem Hinweis endet,
da beginnt er zugleich ein Glaubender zu fein' (117).

Sofern als Charaktenftikum und Grundfehler der ,Religion als Erlebnis
'das Drängen auf Jntenfität des Erlebniffes', das über die Unendlichkeit
des Gefühls nicht hinauskommt, bezeichnet wird — wo wäre die ,pie-
tiftifche Selbftbetrachtung' fchärfer bekämpft worden als bei Ritfehl 1
(cf. das Zugeftändnis S. 13 A. 2; 38) Daß aber feine Theologie der
Werturteile pragmatifch zu interpretieren fei, gar im Gegenfatz zu Leitungen
', wäre erft noch zu erweifen, hat doch R. den Glauben als Ge-
horfam verbanden wiffen wollen. Ebenfo verkehrt ift es, Schleiermacher
einfeitig fubjektiviftifch und pfychologiftifch zu deuten (S. 33
A 1, 38), fowahr das fchlechthinige Abhängigkeitsgefühl in feinem
Sinn als von dem transzendenten Objekt hervorgerufener Reflex zu
faffen und Offenbarung wie Wunder als unentbehrliche Merkmale der
Religion zu würdigen find. Aber fowenig er den Reflexcharakter der
frommen Erregung verkannte, fo ficher wußte er im Gegenfatz zu Rationalismus
und Orthodoxie zur Geltung zu bringen, daß die theologifche
Methode, die den Glauben doch bereits zur Vorausfetzung hat (was
Br. überfieht), einfetzen müde bei der religiöfen Erfahrung als dem Ort,
an dem allein das fie konftituierende Objekt .gegeben' ift. Br. aber
will fie überfpringen. Sich dafür auf Luthers .Sola fide' zu berufen
('4, 35 ff. 58 f. 94) ift nicht wohlgetan. Freilich ift der Kern feiner
Rechtfertigungslehre das Abfehen-dürfen von allem Eigenen, das Vertrauen
auf die Invisibilia, das göttliche Als-ob, das fich immer im
Gegenfatz zum Tatfächlichen bewegt (semper peccator, Semper iustusl).

Aber das ,Als-ob' des göttlichen Urteils hatte ihn erfaßt als konkreter
Inhalt in der Gerinnung feines Herrn Chriftus und diefer Inhalt löfte
um feiner ethifchen Beftimmtheit willen ethifche Reaktionen in ihm
aus, die grenzenlofe Hingabe fittlichen Vertrauens (Gott als ,Perfon'
ehren), in dem er von der fubjektiven Seite her gefehen das ganze Chri-
ftentum hatte. (Wo wäre da von Synergismus die Rede!-Br. 89 f.)
Das ift aber wieder der Glaube als fromme Erfahrung eines transrationalen
Verhaltes. Brunneis Philofophie des Urfprungs aber hat die ge-
fchichtliche Offenbarung weder nötig, noch verfteht er fie, fo richtig
feine Bemerkung über den Gegenwartscharakter des religiöfen Bezieh-
ungsverhältniffes ift, das mit dem Nur-gefchichfliehen nichts anfangen
kann (104 f.) Wo indes bleibt die Eigenart der Religion gewahrt,
wenn es heißt: ,Die letzte erreichbare Tat (!) des denkenden (!) Geiftes
ift die Erkenntnis, daß jeder unmittelbar ift zu Gott, und der über alle
andern Dringlichkeiten erhabene Nachdruck der Forderung, von diefer
Unmittelbarkeit Gebrauch zu machen (NB!)' ? (84).

Halle a. S. F. W. Schmidt.

Oelterreich, Prof. Dr. Traugott Konftantin: Der Okkultismus
im modernen Weltbild. (173 S.) 8°. Dresden,
Sibyllen-Verlag 1921. M. 9—; geb. M. 13 —

Diefes beachtenswerte Buch des Tübinger Philofophen
und Pfychologen ift eine fachliche Auseinanderfetzung
mit dem Wahrheitswert des fogenannten Okkultismus.
Auch dort, wo man feinen Gedankengängen nicht folgen
kann, ift es anregend. Der Verf. ordnet den Okkultismus
in die parapfychologifche Forfchung ein, nachdem er ihn
von all dem Aberglauben und Hyfterifchen der Halbgebildeten
und Schwarmgeifter gereinigt hat. Die fort-
fchreitende Analyfe der pfychifchen Erlebniffe könne ohne
die Parapfychologie nicht mehr auskommen, umfomehr
als die Seelenlehre der älteren materialiftifchen Weltan-
fchauung längft entwurzelt und tot ift. Im Seelenleben
gibt es keine Gefetze von ähnlicher Struktur wie die Gefetze
der Mechanik, es gibt ,außer dem Ich, als deffen
Akte und Zuftände fich alle pfychifchen Erlebniffe darfteilen
, keinen dauernden Beftand habenden Faktor'. Der
Verf. reiht die ,okkulten' Tatfachen in die zufammen-
hängenden Lebenserfcheinungen d. h. in die organifche
Welt ein und will damit eine Erweiterung des geiftigen
Horizontes, ,eine Berückfichtigung bisher unbeachtet gebliebener
Bezirke der Wirklichkeit' erzielen. Er geht den
pfychifchen und pfycho-phyfifchen Phänomenen von be-
fbnderer Eigenart nach und verfucht mit ernft zu nehmender
Beweisführung darzuftellen, wie im (vom kritiklofen und
hyfterifchen Laienaberglauben der fogenannten Theofophen
gefäuberten) Okkultismus neue Tatfachen befonderer Art
enthalten find und wie die Befchäftigung mit dem okkul-
tifchen Problemkomplex .nicht länger zu umgehen fei'.
Freilich fordert auch Oe. ein hohes Maß von Skepfis und
Zurückhaltung bei aller parapfychologifchen Forfchungs-
arbeit und vor allem die Ablehnung aller Mitarbeit der
Dilettanten.

Das klar und anregend gefchriebene Buch — es ift
in einigen Einzelheiten objektiver und intereffanter im
Urteil als Max Dessoir's Werk — unterrichtet über die
verfchiedenen mediumifchen Phänome, Materialifationser-
fcheinungen, Verfuche und Enttäufchungen, Inkarnations-
zuftände (Helene Smith), Pfychometrie (Mrs. Piper), Corres -
pondence (Cross), Telekinefie (Eufapia Palladino) u. a.
Auch die pathologifchen Fälle innerhalb diefer parapfychologifchen
Gebiete kommen zur Sprache. Im Zufammen-
hange mit der Theofophie und ihrem hellfeherifchen
Wunderglauben (auch Oe. zählt fie mehr oder weniger
deutlich zu den Krüppelformen des menfehlichen Denkens)
folgt eine Befprechung der Steiner'fchen Gedankengänge
und der ganzen enthufiaftifchen Bewegung, die fich an
fie anfchließt.

Wien. Franz Strunz.

Baumgarten, Prof. Otto: Praktifche Sittenlehre. (XII,
174 S.) gr. 8°. Tübingen, J. C. B. Mohr 1921.

M. 30—, geb. M. 36—
B. hat Recht mit dem Satz, daß die proteftantifche
Ethik infofern unpraktifch ift, als fie die praktifche Aus-