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Ausgabe:

1922 Nr. 13

Spalte:

306

Autor/Hrsg.:

Fischer, Franz Xaver

Titel/Untertitel:

Das Einsteinsche Relativitätsprinzip und die philosophischen Anschauungen der Gegenwart 1922

Rezensent:

Jordan, Bruno

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung 1922 Nr. 13.

306

fich um die Abgabe eines leicht entbehrlichen Kraft-
überlchuffes, welche ein Luftgefühl bewirke (S. Iii;
112—117). Das Mitleid wiederum entflamme teils dem
Bruttrieb, teils dem Begattungs-, teils dem Erhaltungsund
teils den Geltungstrieben (S. 117—126). Gehorfam,
Ehrfurcht, Belcheidenheit, Dulden, Demut, Feindesliebe
und Pietät werden erklärt aus Unzulänglichkeit, Kon-
fliktsvermeidung (Erhaltungstrieb!), Geltungstrieb (nachdem
z. B. die Befcheidenheit zur Tugend erhoben war
und ihr Befitz Geltung verlieh), Autoritätstrieb, Erfatz der
unerreichbaren Befriedigung durch den Glauben an den
.Himmel' oder andere Illufionen (S. 127—131). — Endlich
über den Pflichttrieb: ,So war es der Erhaltungs- und
Sicherungstrieb, der einen neuen Zufammenhalt (seil.:
zwifchen den durch den Individualismus einander entfremdeten
Individuen) anbahnte, indem er darauf hinwies
, daß die Beachtung der gefährdeten natürlichen fo-
zialen Triebe letzten Endes im eigenen Vorteil liege . . .'
(S. 147).

Die Art, wie der Verf. feine Gedanken vorträgt, ent-
fpricht in keiner Weife den Anforderungen einer gefchlof-
fenen, alle Einwände bedenkenden Beweisführung, obwohl
ein gewiffes Beftreben, vorfichtig und abwägend zu urteilen
und fich von den landläufigften Binfenwahrheiten
fern zu halten, unverkennbar ift.

Selbft die Verwertbarkeit der Schrift als Fundgrube
einfehlägiger Gedanken ift durch die geringe Überficht-
Hchkeit eingefchränkt.

Anregend vermag fie auf den zu wirken, welcher
mit der .naturwiffenfehaftlichen' Behandlung diefer Dinge
noch nicht vertraut ift.

Göttingen. Walter Baade.

Schwab, Andreas: Der Wille zur Luft. 2. vermehrter und
verbefferter Abdruck. (227 S.) 8°. Leipzig, Felix Meiner
1920. M. 4 —

Sch. gibt in gedrängter Fülle, vielfach in aphoriftifcher
Form, ein ganzes Syftem einer Lebensphilofophie. Er
fchließt fich dabei bewußt an Schopenhauer an, deffen
Gedanken er jedoch in zwei wefentlichen Punkten um-
geftaltet: er befeitigt die Aprioritätstheorie, und er
fetzt als Weltprinzip an die Stelle des dumpfen, ziel-
und erkenntnislofen Willens den bewußten Willen zur
Luft.

Die Schrift befteht aus drei Teilen: einer Theorie der Erkenntnis,
einer Theorie der Erfahrung und einer Metaphyfik. Der erfte Teil
fcheint mir der bedeutfamfte. Zwar die an Kants Aprioritätstheorie
geübte Kritik ift völlig unzulänglich; fie mißverfteht das Apriori pfy-
chologistifch und nimmt es inhaltlich ftatt rein formal, widerlegt fo
alfo beftenfalls Kant, nicht aber den Apriorismus. Aber deutlich wird
Wer ausgefprochen, daß die metaphyfifche Haltung das Primäre im
Menfchen ift, und daß von hier aus die Erkenntnistheorie ihre Grenzen
gefleckt erhält. Jeder Verfuch, diefc Reihenfolge umzukehren, bewege
fich faktifch in einem Zirkel. Man kann darum nur bedauern, daß Sch.
diefe Einficht nicht auch in der Anordnung des Stoffes vorgenommen
naG fondern Schopenhauer und Kant im Aufbau und in der Terminologie
noch treu geblieben ift. Mancherlei Mißverftändniffe wären dann
unmöglich, und die zahlreichen Vcrtröftungen auf das Folgende könnten
unterbleiben. Nach Schwab ift das Wefen der Welt Wille zur Luft;
wirklich fei daher nur das Konkrete, nicht aber die Allgemeinbegriffe
und Abftrakta. Alles Denken fei dem Willen gegenüber fekundär und
Jie Vernunft lediglich ein Organ, das den Menfchen ermöglicht, die gemachten
Erfahrungen gegenfeitig fich mitzuteilen.

Der zweite Teil befaßt fich mit den Phänomenen des Guten,
Schönen und Wahren. Ihnen könne keine abfolute Bedeutung zukommen,
fie feien fubjektivifch, d. h. fie drückten beftimmle Luftbeziehungen
aus. Wiffenfchaft habe wohl ihren Wert als erweiterte Reflexion auf
die Erfahrung, aber fie könne nie abfolute Erkenntnis geben, und eine
wirkliche Verftändigung unter Menfchen fei daher unmöglich.

Der dritte Teil gibt die Erklärung zum Ganzen.
Wirklich fei im Grunde nur der Wille zur Luft, wie er
ln_ jedem Akte der Sinnlichkeit gegeben fei. Ich fowohl
wje Objekt feien nachträgliche willkürliche Abftraktionen.

zur Luft fei alfo die unerklärliche Urtatfache, in der das
Ich real und die Vorftellung erft wirklich würden und
in der fich Ich und Vorftellung vermählten (S 150). So
wird der abfolute Idealismus ebenfo abgelehnt wie der
Materialismus. Einen Sinn hinter allem Gefchehen zu
finden, fei freilich wegen der allgemeinen Befangenheit
im Ich ebenfo ausfichtslos wie unberechtigt. Man könne
daher auch keine Lebensnorm aufftellen. Wohl werde
die mit aller Luft verbundene Unluft allmählich den
Willen zur Selbftaufhebung bringen. Aber wollen könne
man das nicht. Vielmehr rechtfertige der Hauptfatz vom
Willen zur Luft ,auf der einen Seite das ftarke Wollen,
indem es auf die Hinfälligkeit des vernünftigen Begründens
aller Handlungen hinweife; er rechtfertige aber auch die
Verneinung, weil er bezeuge, daß unfere Taten außer der
fubjektiven Rechtfertigung eine höhere, lebenswerte nicht
erringen können' (S. 2iof).

Diefer letzte Teil ift in fyftematifcher Hinficht das
Schwächfte am ganzen Werke: es ift ein Nihilismus, der
dabei ganz ftark an einen abfoluten Wert des menfehlichen
Lebens, an Adel, Größe und Wahrheit glaubt, ohne daß
irgend ein zureichender Verfuch gemacht wäre, die beiden
Elemente miteinander auszugleichen. Aber freilich kündet
fich in diefem widerfprechenden Nebeneinander eine neue
Einficht in das Wefen des Subjekts an. Indem fich beide
Haltungen durchdringen .haben wir ftatt des rational-
kantifchen Intellekt-Ichs den wirklichen, leibhaftigen, finnlichen
, bluterfüllten Menfchen vor uns, und es ift Schwabs
Schrift Symptom eines neu fich regenden Wirklichkeits-
finnes und darum gerade für den Theologen, der den
.natürlichen' Menfchen in feiner Größe und feinen Grenzen
zu betrachten fich bemüht, fo anregend. Grade wegen der
unbedingten Ehrlichkeit, mit der Schw. im Gegenfatz zu
jeder idealiftifchen Schönfärberei den Menfchen zeichnet,
wird Notwendigkeit und Sinn der Offenbarung deutlich.
Und darum wird jeder, der gewillt ift, fich an dem Buche
nicht nur zu ärgern — es bietet reichen Anlaß dazu —
es mit viel Gewinn lefen.

Göttingen. Piper.

Joß, Dr. Hermann: Der Wille. (70 S.) 8°. Bern, A. Francke. 1921.

Fr. 2.80

Der Verfaßer fucht eine neue Löfung des alten Determinismus-
Indeterminismusproblems. Er hält an der Freiheit und zugleich an der
Kaufalität feft und begründet folgende Hypothefen: 1) Er geht aus von
der Denkbarkeit (nicht dem Erweis) der Mehrdeutigkeit von Atombewegungen
; um aus diefer Mehrdeutigkeit herauszukommen, fchaffe die
Natur etwas Neues, das Bewußtfein und den freien Willen, die die
Mehrdeutigkeit von Atombewegungen eindeutig machen follen. 2) Im
Pfychifchen fei zwar der Anteil der Freiheit an einer Willcnshandlung
in einem Augenblick gegenüber der unendlichen verfloffenen kaufierten
Entwicklung unendlich klein, trotzdem könnten fich die vielen unendlich
kleinen Wirkungen der Freiheit zu einer endlichen Summe addieren
. Der Verfaffer ift eifrig bemüht, die Annahme diefer .Freiheitsdifferentiale
' gegen Einwendungen zu fiebern, und flößt dabei auch aut
das bekannte Problem der Spaltung des ,Ich'. Seine Hauptabficht ift,
den Determinismus zu widerlegen. Seine Hypothefen, von denen die
erfte fehr ftark an Driefch erinnert, trägt er fehr befcheiden vor; er
macht nicht einmal Anfpruch auf Wiffenfchaftlichkeit feiner Behauptungen
und verweift Zwciller einfach an Kant zurück.

Bremen. Bruno Jordan.

Fifcher, Franz Xaver: Das Einfieinfche Relativitätsprinzip und die
philofophifehen Anfchauungen der Gegenwart. (Wiffen und Glauben
XIX, 5) (129—159) gr. 8". Mergentheim a. d. Tbr., K. Ohlinger.

M. 1.50

Das Relativitätsprinzip wird in dieler kleinen Schrift vom Standpunkt
der Neufcholaftik aus beurteilt und im welentlichen verurteilt.
Es wird abgelehnt, weil es die Exiftenz der Außenwelt antafte, ebenfo
die Tatfächlichkeit des Raumes und der Zeit; es bedrohe die abfolute
Erkenntnis und leugne eine abfolute Wahrheit. Der Gotteserkenntnis
gegenüber fei es freilich neutral, auch fei manche Einzelheit wie z. B.
die Bevorzugung des Energieprinzips zu billigen. Die Grundlagen der
Neufcholaftik würden nirgends erfchüttert, im einzelnen fogar z. T. indirekt
beftätigt. Der Verfaffer flützt fich auf ausgedehnte phylikalifche
und mathematifche Gelehrfamkeit, die freilich nirgends ausreichend be-

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Ein .reines Ich' gäbe es nicht, wir würden uns immer nur j ßrundet .ft, und fch.ebt gelegentlich fehr gefchickt apologetifche Sätze
UtifjT rliKA ?1 bT a ,s,W ITnliifWfiillrr» hewnlit und lIazwlfchen- Unangenehm berühren die Seitenhiebe auf die moderne
Unier felbft als Luft- oder UnluftertuUte bewußt, und ^lativiftifche' Philo<bphie. Es fehlt jede ruhige, fachliche Erörterung
ebenfo kennten Wir die Gegenftande der Erfahl ung nur der Probleme; die Schrift wäre beffer nicht gefchrieben worden.
Ms folche, die uns Luft oder Unluft bereiteten. Der Wille | Bremen. }irllno jordan.