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Ausgabe:

1922 Nr. 13

Spalte:

300-301

Autor/Hrsg.:

Kroll, Joseph

Titel/Untertitel:

Die christliche Hymnodik bis zu Klemens von Alexandreia 1922

Rezensent:

Goltz, Eduard Alexander

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299

Theologifche Literaturzeitung 1922 Nr. 13.

300

Domitians. Den Befchluß macht eine Gefchichte der Auslegung
(Kap. XIV) und die Unterfuchung des Textproblems; bei dem letzten
billigt der Verf. wefentlich die Regeln, die Bouffet aufgeftellt hat.

Alle- verfügt über eine ausgebreitete Gelehrfamkeit,
er ift fcharffinnig und gefchickt in der Behandlung der
Probleme. Er ift nicht nur in der kathol. Auslegung zu
Haufe, fondern kennt auch die einfehlägige moderne
proteftantifche Literatur, über die meift gut und Sorgfältig
berichtet wird (die kurze, aber inhaltreiche Analyfe
der Apokal. von Wellhaufen Scheint ihm freilich u. a.
entgangen zu fein). Er hat von ihr gelernt und benutzt
fie reichlich (befonders den Kommentar von Bouffet).
Er ift empfänglich für die Problemftellung der ,deutfchen'
literarkritifchen und der traditionsgefchichtlichen Methode
und kommt ihren Ergebniffen, wenigftens in Einzelheiten
, weit entgegen. Man hat immer wieder die Empfindung
, er müffe nun die Folgerungen aus dem, was er
zugibt, ziehen und zu einem geschichtlichen Verftändnis
gelangen: aber Schließlich zeigt fich die katholifche Bindung
unzerreißbar.

Die Joh.-Apokal. gehört nach A. formal in das
Genus der Apokalypfen, das gut gefchildert wird: aber
dann wird ein tiefer Graben zwifchen der apokryphen
Apokalyptik und den beiden ,infpirierten' Apokalypfen,
Daniel und Joh., gezogen. Die Symbole der johanneifchen
Vifionen entflammen, Allo gibt es zu, der apokalyptischen
Tradition, wie wir fie in den apokryphen Apokalypfen
finden; und diefe Tradition hat ihren Urfprung
z. T. im Babylonifchen, Iranischen, Griechifchen: aber bei
Joh. fehlt jede Spur des Mythifchen — beifpielsweife: die
Scene c. 12 ift ,chriftlich', exclusivement chretienne. Der
Zufammenhang mit der fonftigen apokalypt. Tradition
ift eben nur ganz äußerlich; die Symbole bei Joh. find
rein bildlich zu nehmen. Die Wiederkehr derfelben
Stoffe, das Auseinanderklaffen, ja die Unvereinbarkeit
mancher Vifionen in der Schrift, all die Schwierigkeiten
in der Kompotition, die den Verfuch der Quellenkritik
erzwungen haben, werden Schließlich durch vermeintliche,
z. T. fehr künftlich konstruierte Gefetze des Schriftstellerischen
Verfahrens — fcheinbar — befeitigt.

Allo will die Apokalypfe durchaus efchatologifch
verliehen. Aber die .letzten Zeiten' find ihm nichts
anderes als die ganze Zeit zwifchen Chriftus und dem
Endgericht. Das Thema des Buches ift der ganze
Kampf des Staates Gottes gegen den des Teufels. Das
himml. Jerufalem ift die Kirche als ecclesia militans.
Der Feind ift der Drache, der Teufel. Er wirkt in der
Menschheit durch zwei Vertreter, die beiden Tiere, welche
,der Ständige Antichrist' find; das erfte repräfentiert die
politifche Macht, damals aktuell Rom, aber es ift eben
nicht bloß Rom, das zweite repräfentiert die verschiedenen
Mächte der Überredung und Verführung auf intellektuellem
und religiöfem Gebiet. Das Millenniun ift nicht
etwa eine zeitlich beschränkte Periode, fondern die ganze
irdische Phafe des Reiches Gottes, d. h. der Kirche; die erfte
Auferftehung ift das Leben der Gnade in der Kirche. USW.

Welcher Gewinn für ein wirklich geschichtliches
Verftändnis wäre auch zu erwarten von einem Verfahren,
das z. B. bei der Unterfuchung des Verhältnisses von
Evang. und Apokalypfe zu dem freilich als Paradoxon
formulierten Satz kommen kann: es gebe nicht zwei
,Syftematifationen' der evangel. Lehre, felbft in der
Efchatologie, die mehr benachbart, mehr identifch wären
als die des Evang. und der Apokal. — oder das die
Behauptung wagt: Paulus habe niemals gefagt, die Par-
ufie werde noch zu feinen Lebzeiten eintreten? —

Die Einzelerklärung ift forgfältig und umsichtig und
bietet manche zutreffende Bemerkung und Förderung.

Man legt das Buch aus der Hand mit dem Bedauern
darüber, daß fo viel Gelehrfamkeit, Fleiß und Klugheit
durch dogmatische Bindung an ihrer fruchtbringenden
Auswirkung gehindert werden.

Bonn. Heitmüller.

Funk, Rabbiner Dr. S.: Talmudproben. Zweite, verbefferte
und vermehrte Auflage. (Sammlung Göschen) (140 S.)
kl. 8°. Berlin, Vereinigung wiff. Verleger 1921. M.9—.
Der Talmudtraktat Pirke aboth beginnt: „Mofe empfing
das Gefetz (d. h. das gefamte, fchriftliche und mündliche
Gottesgefetz, vgl. Strack und alle Ausleger z. St.)
vom Sinai („fachlich = von Gott"; Str.), . . . Stellet viele
Schüler auf". Der Verfaffer überfetzt: „M. e. die mündliche
Lehre auf Sinai, . . . ft. v. Sch. aus". Diefe
Saloppe Art des Überfetzens geht durch das ganze Büchlein
, obwohl der Verfaffer nur Stellen bietet, die längft
schon vielfach vor ihm richtig überfetzt find. Die Anmerkungen
am Schluffe find ungenügend, z. T. falsch
und für den Laien, dem doch die „Proben" dienen follen,
oft ganz unbrauchbar. In dem halachifchen (lehrgefetz-
lichen) Teile geht oft Halachifches und Haggadifches
(Berichtendes) durcheinander. Die Halachah kommt
überhaupt zu kurz weg; die gegebenen Proben genügen
nicht zur Einficht in das Wefen der halachifchen Dis-
kuffionsweife. Außerdem bringt Verfaffer nur lauter
„fchöne" Proben. Auch kennt Verfaffer nur „Seiten"
Statt der Blätter des Talmuds. Das Register aber enthält
zahlreiche Druckfehler.

Leipzig. Erich Bifchoff.

Kroll, Prof. Dr. Jofeph: Die chriftliche Hymnodik bis zu
Klemens von Alexandreia. Fortsetzung. (Verzeichnis der
Vorlefungen a. d. Akademie z. Braunsberg i. Winter
1921/22, S. 47—102.) gr. 8°. Königsberg, Hartung-
fche Buchdruckerei 1921.
Seitdem A. Harnack in feiner altchriftl. Literaturge-
fchichte I S. 795 f. die erfte Überficht über die uns erhaltenen
altchriftlichen Hymnen und Oden gab, find
diefe Reite frühchristlicher Poefie oft behandelt worden.
Bouffet, Norden, v. Wilamowitz u. a. haben die Unterfuchung
gefördert und die Entdeckung der Oden Salo-
mons und andere Einzelftücke haben das Material bereichert
. Jofeph Kroll gibt aber in diefer Abhandlung zum
erften Mal eine zufammenfaffende Behandlung des Gegenstands
. Er fagt freilich (S. 4), fie fei zu dem Zwecke
angestellt, den Hymnus des Klemens von Alexandrien
auf Chriftus (am Schluß des Paedagogos) in den ge-
fchichtlichen Zufammenhang der christlichen Hymnodik
zu Stellen.

Er bietet aber mehr als Solche Themenstellung erwarten
läßt: zunächst eine genaue Unterfuchung der
Terminologie für vfivoc, mörj, rpakfiog und andere Bezeichnungen
, die freilich zeigt, wie fchwankend und unbestimmt
lange der Sprachgebrauch war. Nur das läßt
fich feststellen, daß der Ausdruck vfivog in Anlehnung
an das hellenifche Kultlied immer mehr die Bedeutung
des Lobliedes auf Chriftus gewinnt, mit dem Chriftusge-
bet verwandt und doch nach Form und Inhalt verschieden
ift. Nun wird das gefamte Material durchgefprochen,
in der zweiten Abhandlung mit befonders ausführlicher
Berücksichtigung der apokryphen Apoftelakten,_ auf deren
Wert hier alfo erneut aufmerklam gemacht wird. Wenn
Kr. bedauert, die Arbeit von Wetter über altchriftliche
Liturgien vor der Drucklegung nicht gekannt zu haben,
fo ift zu bemerken, daß Wetters Material aus den Späteren
chriftl. Liturgien doch nur mit großer Vorficht zu
verwenden gewefen wäre. W. hat auch noch keinen
Scheren Schlüffel gefunden, um ältefte Bestandteile aus-
zufondern. Was Kr. darbietet, erfchöpft doch den
für uns geficherteu Quellenbeftand der beiden erften
Jahrhunderte. Natürlich ift das zum Vergleich heranzuziehende
Material wohl hier oder dort zu ergänzen.
Aus meinen eigenen früheren Studien darf ich auf die
,hymnodifch' Stilisierte Fluchformel am Rande des Athos-
kodex Lawra 184 zu Act. 7, 51, auf den Mitternacht-
gefang zur Hadesfahrt (Athanasius de virginitate XVI und
die in meiner Ausgabe (TU XIV N. F. 2 a S. 107) angeführten
Parallelen hinweifen.