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Ausgabe:

1922 Nr. 12

Spalte:

273-274

Autor/Hrsg.:

Brun, Lyder

Titel/Untertitel:

Paulus u. d. Urgemeinde. Zwei Abhandlungen 1922

Rezensent:

Bultmann, Rudolf

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273

Theologifche Literaturzeitung 1922 Nr. 12.

274

warum kann das nicht auch in M, das ich ja noch gar
nicht habe, geftanden haben?

Wo nun die Sache nicht ftimmt, d. h. wo innerhalb
eines A- bezw. M-Stücks eine Anfchauung aultritt, die
umgekehrt zu M bezw. A gehört, hilft fich Sch. einfach:
hier hat der Verf. der act. nach M bezw. A konformiert
(S. 20, 28, 33, 56; natürlich kann folche Vermutung richtig
fein, aber man kann doch nur mit ihr arbeiten, wenn
die Quellen in ihrem Grundbeftande Ichon feftftehen,
nicht wo es fich um fragwürdige Größen handelt). Oder:
hier ift ein Stück der anderen Quelle eingewoben, — eine
zu mechanifche Löfung, die auch zu einem ganz unvor-
ftellbaren Charakter von A führt, aus dem z. B. die ganz
fporadifchen Stücke jrXrjv xmv dxtoQxöXojv in 8,1 oder
9,27 h, 11,19b ftammen lollen.

Endlich ift zu fagen, daß der Gefichtspunkt Harnacks,
dem Sch. folgt, nämlich die Stoffmaffen auf Grund der
Schauplätze und Perfonen auf Quellenfchichten zu verteilen
, zwar fich er ein richtiges heuriftifches Prinzip ift,
daß aber eine Ouellenfcheidung der act im einzelnen
nicht durchgeführt werden kann, ohne eine genaue (durch
analoge Beobachtungen an Lk geftützte) Unterfuchung
der redaktionellen Tätigkeit des Verf. der act. Gehören
ihm z. B. die Reden an, fo find diefe für die Quellen-
fcheidung überhaupt nicht zu verwerten; ebenfo ift vom
Stoff zu fubtrahieren, was fonft auf den Verf. zurückgeht,
und das ift m. E. außerordentlich viel in den erften Kapiteln
. So ift m. E. vor allem A bei Sch. eine Illufion;
wohl bringt Sch. richtige Beobachtungen, aber durch
diefe wird nicht das Traditionsgut, fondern die redaktionelle
Arbeit des Verf. beleuchtet. So erkennt Sch. doch
auch felbft S. 37, daß der Verf. feine Quellen nach feinen
Zwecken umgeftaltet und deshalb die Zuftände in Jeru-
falem als moglichft friedliche fchildert; aber wie kann
dann die .friedliche' Tendenz als Charakteriftikum von A
verwendet werden? — Ift es auch richtig geurteilt, daß
,A' jünger als ,M' fei, lo bedeutet das in Wahrheit einfach
: A ift wefentlich Redaktionsarbeit, während in M
wefentlich gute Quellen flecken. (Daß in der von Sch.
mit A bezeichneten Stoffmaffe auchQuellenftückeftecken,
will ich natürlich nicht leugnen). Damit fallen aber alle
Folgerungen, von denen oben die Rede war.

Marburg. R- Bultmann.

Brun, Prof. D. Lyder u. Fridrichlen, Doc. Anton: Paulus
u. d. Urgemeinde. Zwei Abhandlungen. 1. Apoftel-
koncil und Apofteldekret v. L. Brun. 2. Die Apologie
d. Paulus Gal. I v. A. Fridrichfen. (76 S.) gr. 8°.
Gießen, A. Töpelmann 1921. M. 3'3°

Die beiden hier vereinigten Abhandlungen zeichnen
fich durch forgfältigen und klaren Gang der Unterfuchung
und vorfichtiges Urteil aus und verdienen, auch wo
man "ihren Ergebniffen nicht zuftimmen kann, den Dank
der Mitforfcher.

Brun hält act 15 für einen guten Bericht über das
fog. Apoftelkonzil, zu dem auch das Dekret urfprünglich
und organifch gehöre. Er fucht die Einheit von act
15,1—35 vor allem gegenüber J. Weiß (vgl. zuletzt: Ur-
chriftentum S. 194fr.) zu erweifen; m. E. nimmt er dabei
manche Schwierigkeiten zu leicht, und vor allem hat er
verfäumt, fich mit Bouffets weiterführenden Unterfuchun-
gen (Zeitfchr. f. d. Neuteft. Wiffenfch. XV 1914 S. 156 fr.)
auseinanderzufetzen. Ich glaube mit Bouffet, daß die
Verhandlungen, von denen die in act 15 benutzte Quelle
berichtete, deren Ergebnis das Dekret ift, gar nicht mit
dem Apoftelkonvent von Gal. 2 identifch find, daß vielmehr
erft der Verf. der act. durch die Eintragung des
Paulus und Barnabas diefen Schein hervorgerufen hat.
Übrigens nimmt B. eine ähnliche kritifche Operation vor,
wenn er, um der Konkurrenz von act. 15 mit act. II,
27—30 zu entgehen, annimmt, daß act. 11,30 und 12,25
Paulus fpäter eingetragen ift, eine m. E. nicht zu rechtfertigende
Annahme.

Daß Paulus Gal. 2 das Dekret nicht erwähnt, verflicht
der Verf. dadurch zu erklären, daß in Gal. 2 von
zwei verfchiedenen Verhandlungen in Jerufalem berichtet
fei: V. 3—5 berichte von der öffentlichen Verhandlung,
•V. 6—10 von der privaten des Paulus mit den jerufa-
lemifchen Autoritäten. Das Dekret fei auf jener, nicht
auf diefer befchloffen worden, und Paulus habe nachgegeben
, infofern er nicht gegen das Dekret proteftiert eis
aber als für fich unverbindlich angefehen habe. Die
Hauptargumente find folgende: Das betonte dia de xovg
jtageiaäxxovq rpevdadeXwovq V. 4 bedeute: Um der
Falfchbrüder willen habe Paulus keine Konzeffion gemacht
, wohl aber um andrer willen. (Dann müßte doch
wohl entweder vorher eine folche Konzeffion genannt
fein, im Gegenfatz zu der Paulus fortfährt: did de xxX.
Oder Paulus hätte gefchrieben dia (iev, um nachher die
Konzeffiion zu nennen.) Ähnlich bedeute das betonte
kftoi V. 6: mir haben die Autoritäten nichts hinzuauferlegt
, wohl aber anderen — nämlich eben das Dekret.
(Aber wer follen denn die anderen fein? die extremen
Gefetzesleute doch wohl nicht; denn wenn auch von
ihrem Standpunkt das Dekret eine Konzeffion wäre, fo
könnte dann doch nicht von xgoßavaxideöQ-ai die Rede
fein. Oder andere Miffionare bzw. andere heidenchrift-
liche Gemeinden? Aber ift es dem Paulus zuzutrauen,
daß er für fich und feine Gemeinden jede Bindung ablehnt
und es mit der dlrjO-eia xov evayyeXiov für andere
weniger ernft nimmt?)

Friedrichfen geht von der 1,11 f. vorliegenden
Schwierigkeit aus: Zwei Vorwürfe werden dem Paulus
gemacht: 1. fein Flvangelium ift eine menfehliche Irrlehre,
2. er ift von menfehlichen Autoritäten abhängig. Wären
mit letzteren die Urapoftel gemeint, fo wäre der erfte
Vorwurf unverftändlich; alfo müffen andere gemeint fein,
und zwar ift es eine freifinnige Oppofitionspartei in Judäa.
Außerdem werfen ihm die Gegner vor, daß er feinen
Standpunkt den Urapofteln gegenüber nicht aufrichtig
vertreten habe, fondern haltlos nach beiden Seiten
fchwanke.

Aber 1. werden folche Oppofitionsleute von Paulus
nicht erwähnt. 2. verteidigt fich Paulus in c. 2 offenbar
gegen die gleichen Vorwürfe wie in c. 1, d. h. gegen die
Vorwürfe der Abhängigkeit von Jerufalem und den Urapofteln
(1,17: ovdh avßX&ov elß 'leg . .. 18f.: dvrjXdov
eiq leg. . . . ixegov de xmv dnoßxöXmv ovx eldov . . .), und
es ift m. E. ganz künftlich, in c. 1 ein Hin-und-Her zwi-
fchen den beiden Vorwürfen: Abhängigkeit von der
Oppofition und Fügfamkeit gegenüber den Apofteln
wahrnehmen zu wollen. 3. der Widerfpruch in 1, 11 f.
ift doch nur ein fcheinbarer: die Gegner nennen das
Evangelium des Paulus eine Irrlehre und diskreditieren
ihn zugleich als von den Jerufalemern abhängig. Wenn
fie fo die Urapoftel als die überragenden Autoritäten
hinftellen, geben fie damit doch noch nicht zu, daß Paulus
ihr authentifcher Interpret ift; er kann trotzdem ein
Irrlehrer fein. Seine Abhängigkeit von den Urapofteln
kommt ja nach ihrer negativen Seite in Betracht: Paulus
ift nicht wie jene von Gott oder von Jefus Chriftus berufen
.

Marburg. Bultmann.

Schubert, Hans von: Große chriftliche Perfönlichkeiten.

Eine hiftorifche Skizzenreihe. (178 S.) gr. 8°. Stuttgart,
Deutfche Verlags-Anftalt 1922. Geb. M. 28 —

v. Schuberts fchönes Buch führt in freier Wiedergabe
von Heidelberger Vorlefungen 14 große Geftalten
aus allen Jahrhunderten der Kirchengefchichte vor. Das
Urchriftentum ift mit Petrus und Paulus, die alte Kirche
mit Origenes, Cyprian, Auguftin und Gregor, das Mittelalter
mit Bonifatius, Karl d. Gr., Gregor VII und dem
hl. Franz, der Proteftantismus endlich mit Luther, Calvin,
Cromwell und Schleiermacher vertreten. Nicht ausgeführte
Biographien, fondern wie Verfaffer fagt, biographifche