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Ausgabe:

1922 Nr. 1

Spalte:

7-8

Autor/Hrsg.:

Achelis, Hans

Titel/Untertitel:

Kirchengeschichte 1922

Rezensent:

Heussi, Karl

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung 1922 Nr. 1.

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die willkürliche Scheidung von ,katholifchen' und ,evan-
gelifchen' Worten und die Verwechslung von Echtheit
und Wahrheit. So bedeutet das Werk als ganzes trotz
vieler Feinheiten im Einzelnen doch nichts wirklich
Neues, fondern nur ein Symptom der gegenwärtigen,
durch die Ergebniffe der Bibelkritik gefchaffenen religiöfen
Notlage.

Göttingen. Piper.

Achelis, Prof. Dr. Hans: Kirchengefchichte. (XI, 236 S)
gr. 8°. Leipzig, Quelle & Meyer 1921. geb. M. 28 —

Der Reiz, .Kirchengefchichte' zu formen, und ander-
feits der didaktifche Trieb zur Herftellung eines .idealen'
Lehrbuchs find fo ftark, daß immer wieder neue kirchen-
gelchichtliche Gefamtdarftellungen zutage treten. Überblickt
man die aus den letzten Jahrzehnten flammenden
deutfchen proteflantifchen Werke über unfern Gegenftand,
fo wird man freilich gewahr, daß fie bei allen Verfchieden-
heiten doch eine fehr große Verwandtfchaft haben. Nicht
bloß in der Stoffauswahl, auch in der Anlage, der Perio-
difierung ufw. herrfcht weithin grundfätzliche Überein-
ftimmung. Und doch find diefe Dinge meift nur üblich,
nicht notwendig; es ließen fich Löfungen der Aufgabe
denken, die von den bei uns üblichen weit entfernt wären.
Je mehr man die theoretifchen Vorausfetzungen der bei
uns herrfchenden Hiftorie durchfchauen und ihre Willkürlichkeiten
erkennen wird, defto mehr wird man aus dem
herrfchenden Schematismus zu einer freien Beweglichkeit
der hiftorifchen Darftellung gelangen. Vielleicht wird den
Gelehrten in gar nicht fo ferner Zeit das, was wir jetzt
als .Kirchengefchichte', .Weltgefchichte' oder fonftwie als
Gefamtgefchichte bieten, genau fo als .Scholaftik' er
Rheinen, wie uns gewiffe dogmatifche Bemühungen von
einft und leider auch von jetzt .fcholaftifclr anmuten.

Von den vorftehenden Gedanken aus ift jede neue Darfteilung
der Kirchengefchichte zu begrüßen, deren Verf. den
Mut hat, irgendwie eigene Wege zu gehen. Das gilt von dem
hier anzuzeigenden Werke in formaler Hinsicht durchaus.
Anflehe der Zerfplitterung des Stoffs in ein unüberficht-
liches Paragraphengewirr (der alte Hafe bietet 464, Loofs
372, Karl Müller in feiner nur bis 1688 reichenden Darfteilung
290 §§) bietet A. möglichfl wenige, dafür inhaltlich
möglichft unffaffende hiftorifche Komplexe; in 50
Paragraphen, von denen allerdings 15 eine Anzahl vonUnter-
abteilungen aufweifen, wird der gefamte Stoff abgehandelt.
Hauptperioden unterfcheidet A. vier, doch unter Weg-
laffungder herkömmlichen Termini .Altertum', .Mittelalter'
ufw. in den Überfchriften; die zweite fetzt bei den Germanen
, die dritte bei der Renaiffance ein, die vierte bei
der Aufklärung. Unterperioden werden nicht gemacht.
Bei diefer Anlage kann die kirchliche Ivntwicklung felbft-
verftändlich nicht fo eingehend von Generation zu Generation
verfolgt werden, wie etwa bei Loofs oder Karl
Müller, bei denen man fozufagen miterlebt, was die einzelnen
Generationen vor uns erlebt haben, indem man,
was gleichzeitig gewefen ift, auch in der Darftellung immer
nahe beieinander hat. Diefe Methode fchärft fraglos den
Sinn für das hiftorifche Werden der Dinge wie keine
andere. Sie nötigt freilich zu einer breiten Entwicklung
des Details und fordert von dem Lefer gründlichfte
Befchäftigung mit dem Gegenftande. Schon darum ift
fie bei kürzeren Darftellungen nicht zu verwenden, und
eine kurze Darftellung wollte A. geben. Für fie ift die
großzügige Gruppierung der Stoffmaffen, die A. vorgenommen
hat, gewiß vorzuziehen. Auch didaktifch ifl
fie vorzuziehen, fowie es fich um die Aufgabe der erften
Einführung in den Gegenftand handelt. Freilich nähert
fte fich unvermeidlich bis zu einem gewiffen Grade wieder
der alten Längsfchnittmethode, wenn A. auch weit davon
entfernt ift, in deren pedantifche Steifheit zu fallen.

Der Text der einzelnen §§ ift: von A. fehr gefchickt
redigiert; oft bewundert man, mit welch meifterhafter
Kürze auf wenigen Zeilen alles Wefentliche gefügt ift.

Manches freilich erfcheint mir allzu knapp, fo durchweg
das Dogmen- und Theologiegefchichtliche, überhaupt die
Ideengefchichte, ferner die der neueften Kirchengefchichte
gewidmeten Abfchnitte. Hier haben offenbar .verlegerifche'
Erwägungen hemmend eingewirkt. Was kann der Student,
für den das Buch doch beftimmt ift, z. B. aus den' 15
Zeilen S. 215 f. lernen, die dem praktifchen Chriftentum
des 19. Jahrhunderts gewidmet find? Die Einwirkungen
des Weltkriegs und der Revolution auf die Kirchen
werden nur gelegentlich flüchtig geftreift. Daß aus jeder
Seite eine ausgezeichnete Sachkenntnis hervorleuchtet,
verlieht fich bei einem Gelehrten wie A. von felbft; gern
hört man ihn, deffen bisherige Veröffentlichungen durchweg
der Alten Kirche galten, hier einmal auch über die
fpäteren Zeiten der KG. reden. Zum Ganzen wäre vielleicht
zu erwägen, ob 'es fich nicht empfehlen würde, die Darfteilung
von hiftorifchen Einzelreihen (Verlauf der Kämpfe
zwifchen Papfttum und Kaifertum und dergleichen) zu-
gunften hiftorifcher Charakteriftik zu befchränken, wie ich
das im Unterfchiede von meinem .Kompendium' in meinem
.Abriß' (21918) in kleinerem Maßftabe verfucht habe. —
Ohne Frage ftellt A.'s Werk eine wertvolle Bereicherung
unterer theologifchen Studienliteratur dar.

Leipzig. Karl Heuffi.

Heulfi, Karl: Das Nilusproblem. Randgloffen zu Friedrich
Degenharts neuen Beiträgen z. Nilusforfchung. (32 S.)
gr. 8°. Leipzig, J. C. Hinrichs 1921. M. 6 —

In feinen methodifch vorzüglichen .Unterfuchungen
zu Nilus dem Afketen' (1917) kam H. zu dem Ergebnis,
daß die, ganz mit dem Rüftzeug des giiechifchen Romans
arbeitende, Erzählung von einem Überfall auf die Mönche
am Sinai, die fog. Narratio, nicht vom Verfaffer der
unter dem Namen des hl. Nilus, eines Schülers des hl.
Chryloftomus, überlieferten Briefe herrühren kann und
darum nicht als Quelle für feine Lebensgefchichte verwandt
werden darf. In diefem Kernpunkt des .Nilusproblems'
habe ich H. in der Anzeige feiner Schrift (in diefer
Ztfchr. 1918, iSoff.) voll zugeftimmt. Fr. Degenhart,
deffen Buch über den ,hl. Nilus Sinaita' (1915) nach der
lebensbefchreibenden Seite durch H.'s Unterfuchungen
ins Herz getroffen war, fuchte in feinen .Neuen Beiträgen
zur Nilusforfchung' (1918) die Echtheit und Brauchbarkeit
der Narratio, die er vorher ungeprüft hingenommen hatte,
zu retten. Dem gegenüber zeigt H. in feiner vorliegenden
Erwiderung, daß Degenharts Darlegungen ihm keinen
Anlaß geben, von feiner Auffaffung bezüglich der
Narratio abzugehen. Damit hat er vollftändig Recht.
Wo man freilich der Anficht huldigt, Kritik fei ein
Werkzeug, deffen Nichtgebrauch bei einem .konfervati-
veren' Forfcher die Wiffenfchaftlichkeit nicht beeinträchtige
, wird H. wieder keinen Erfolg haben

München. Hugo Koch.

Kehr, F.: Das Erzbistum Magdeburg und die erfte Orga-
nifation der chriftlichen Kirche in Polen. (S.-Dr. aus
Abhandlgn. der Preuß. Akad. d. Wiff. 1920, Phil.-hift.
Klaffe, Nr. l) (68 S.) Lex. 8°. Berlin, Vereinigg. wiffen-
fchaftl. Verleger 1920. M. 5.50

Bisher herrfchte die Meinung, daß das erfte polnifche
Bistum Pofen gleich 968 oder unter dem zweiten Erzbifchof,
Gifeler, Magdeburg unterftellt worden fei. Durch eine
mufterhaft genaue und umfichtige Prüfung der Urkunden
und chronikalifchen Nachrichten ift K. zu dem Ergebnis
gelangt, daß die Zugehörigkeit des Pofener Bistums zum
Magdeburger Erzbistum eine Legende ift. Schuld daran
ift die Urkunde, die im Liber privilegiorum s. Mauritii
an der dritten Stelle auf Fol. 2 fleht, — wieK. überzeugend
nachweift, eine Fälfchung, durch die bald nach 1004 oder
bald nach 1012 in Magdeburg derVerfuch gemacht worden
ift, den Pofener Bifchcf zum Magdeburgifchen Suffragan
zu ftempeln.

Zwickau i. S. O. Giemen.