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Ausgabe:

1922 Nr. 10

Spalte:

237-238

Autor/Hrsg.:

Kiefl, Franz Xaver

Titel/Untertitel:

Katholische Weltanschauung und modernes Denken 1922

Rezensent:

Mulert, Hermann

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237

Theologifche Literaturzeitung 1922 Nr. 10.

238

Kiefl, Dr. Franz Xaver: Katholifche Weltanfchauung und
modernes Denken. Gefammelte Effays über ,die HaiJ.pt-
ftationen der neueren Fhilofophie. (XVI, 516 S.) gr.
8°. Regensburg, G. J„ Manz 1922. M. 60—; geb. 75 —
Ein reiches Euch, deffen Titel freilich den Inhalt nicht
ficher richtig andeutet. K. gibt keine fyftematifche Aus-
einanderfetzung, fondern er hat eine Reihe (zum größeren
Teil noch ungedruckter) Auffätze über Vertreter und
Strömungen modernen Denkens und ihre Stellung zum
(katholifchen) Chriftentum vereinigt. Modernes Denken
im weiteften Sinn: von der Reformation bis zum Weltkrieg
. Der erfte Auffatz ift (erweitert) der f. Z. vielbeachtete
, den K. zum Reformationsjubiläum ins .Hochland'
fchrieb, über Luthers religiöfe Pfyche als Wurzel eines
neuen philofophifchen Weltbildes; voraus geht eine Einleitung
über die Beziehungen zwifchen Reformation und
moderner Fhilofophie. Die letzten Auffätze behandeln
den Modernismus, die religionsgefchichtliche Forfchung und
ihre philofophifchen Voraussetzungen, Katholizismus und
Froteftantismus im gegenwärtigen Deutfchland (aus Ffeil-
fchifters Sammelwerk) und den Katholizismus als völkerverbindende
Macht der Zukunft. Die dazwifchen flehenden
gelten Leibniz, auf den K. in verfchiedenften Zusammenhängen
gern zurückkommt, und den deutfehen Fhi-
lofophen von Kant bis Nietzfche; es folgt K.'s Rektoratsrede
über Darwin und die Theologie, dann Erörterungen
über die modernen Chriftusbilder (das der Schule E. v.
Hartmanns und der Sozialiften, das .individualiftifche' —
hierher gehört wefentlich auch das der neueren .liberalen'
Theologie — und das Frenffens), endlich über Eucken
und feine Stellung zum Chriftentum und über den Monismus
.

Meine Aufgabe kann hier nur fein, ein Solches Euch
kurz zu kennzeichnen, nicht eine Auseinandersetzung mit
feinem Inhalt im Einzelnen. Bei aller Wahrung feines
katholifchen Standpunkts hat K. für Luther (wie dann
auch für Nietzfche) viel freundliches Verftändnis. Die
Art zwar, wie er bei Luther alles vom Gedanken der
göttlichen Alleinwirkfamkeit herleitet, mag einfeitig fein,
aber es ift doch z. B. des Nachdenkens wert, daß Luther
gerade deshalb, weil Gott ihm alles war, keine Kirche
habe brauchen können. Der Zusammenhang zwifchen
Luther einerfeits, Kant und den folgenden idealiftifchen
Fhilofophen andererseits erfcheint bei K. enger, als bei
vielen katholifchen Historikern und manchen lutherifchen
Theologen unferer Tage. Wenn K. behauptet, Sittliche
Autonomie und Pantheismus gehörten zufammen, in Kants
Lehre liege hier etwas mit dem Theismus Unvereinbares
, das freilich erft bei Fichte klar heraustrete, So macht
Sich da ein Grund unterschied katholifchen und proteftan-
tifchen Denkens geltend, den ich eben nur feftftelle. Eine
wunderliche Konstruktion aber ift es, die Sich freilich nicht
erft bei K. findet, wenn er aus der Unmittelbarkeit des
Verhältniffes zu Gott, die Luther lehrt, die grundsätzliche
Ausschaltung geschichtlicher Offenbarung folgert, wie wir
fie bei Leffing und Kant finden. Ahnherr diefer modernen
Denkweife ift Luther wirklich nicht gewefen, auch nicht
wider Willen; von ihr führt die Linie rückwärts vielmehr
zu den Spiritualiften der Reformationszeit, die Luther fo
fchroff bekämpfte. Richtig gefehen fein mag dagegen
der Zusammenhang zwifchen Sendling und Schopenhauer.
Dem Darwinismus kann K. weit entgegenkommen, da er
fich an Auguftin hält, der lehrte, die in einem Augenblick
geschaffenen Elemente hätten die Kraft empfangen, alles
hernach in natürlicher Entwicklung hervorzubringen; das
religiöfe Intereffe wird So von Fragen wie dem Streit zwifchen
Mechanismus und Vitalismus zurückgelenkt zu den letzten
nietaphyfifchen, denen nach Zweck und Zufall, Geift und
Stoff. Den Modernismus führt K. m. E. zu einfeitig auf
Schleiermacher zurück, oder wenn er als neuere Vertreter
der vom Fapft bekämpften Denkweife befonders R. A.
Lipfius und James nennt, fo gehört hierher mindeftens
ebenfo Stark A. Sabatier. K. faßt überdies den Modernismus
zu Sehr von der dogmatischen Seite, beachtet zu
wenig deffen hiftorifch-kritifche Leistungen. So fagt er
auch, den Antimodernifteneid verteidigend, nichts gegen
die gefährliche Einschränkung hiftorifchen Forfchens, die
diefer Eid bedeutet. Bisweilen erfcheint der hiftorifch fo
vielfeitig intereffierte Regensburger Domdekan, der früher
in Würzburg fyftematifche Theologie lehrte, überhaupt
als zu Sehr dogmatifch denkend, fo S. 439: .Nicht die
apoftolifchen Lehrbegriffe find die Destillationen der Ge-
meindeerlebniffe, fondern mit feinem fertigen Lehrbegriffe
hat Paulus die Gemeinden gegründet'. Daß fchließlich
die religionsgefchichtliche, überhaupt die kritifche prote-
ftantifche Theologie als unhaltbares Mittelding zwifchen
zwei konfequenteren Denkweifen, der Scholaftik und dem
Atheismus, hingeftellt wird, ift vom katholifchen Standpunkte
her begreiflich, und wenn alle konfeffionelle Polemik
mit fo viel Willen zur Gerechtigkeit und zum Verständnis
geführt würde, wie K. es tut, wäre das Sehr erfreulich
. Auseinandersetzung über den letzten Auffalz
müßte z. T. in politische Tagesfragen hineinführen, die
hier bei Seite bleiben foll. Unverständlich aber, um keinen
Stärkeren Ansdruck zu brauchen, ift es mir, daß Graf
Arco, der Mörder Eisners, S. VI als ,unfer jugendlicher
Nationalheld' gefeiert wird.

S. 227 und 242 fl. Steiner 1. Stirner (der aber kein Neukantianer
war); S. 387 erfcheint Leffings Ausfpruch vom Paralytikus als Wort
Schleiermachers. S. 116: Schelling ift 1775 geb., S. XIV 1. Keyferling
S. XII das Zitat ift aus Wennings Beitrag zur Feftfchrift f. Häring.
S. XV unten: Troeltfchs .Bedeutung des Protcftantismus' fteht nicht in
der .Kultur der Gegenwart'.

Kiel. H. Mulert.

Joh. Pet. Hebel's Biblifche Erzählungen. Mit Einfuhrung von Dr.

Albert Bauf. Mit Hol/.fcbnitten Tobias Stimmers. (VIII, 240 S.)

8°. Bafel, Rhein-Verlag ['20] Pappbd. M. 18.50; Hlwbd. 30 — .
Diefer mit Tobias Stimmers fchön angepaßten Holzfchnitten gc-
fehmiiekte Neudruck ift mit lebhaftem Dank zu begrüßen. Die große
und fchwere Aufgabe, biblifche Erzählungen für Kinder fo zu geftal-
ten, daß die Sprache kindertümlich und verftändlich und doch dir
I.utherfprache nicht entfremdet ift und in die Lutherbibel einführt,
ift hier gelbft, foweit es menfchenmöglich ift. Freilich mit Unterfcbied,
fofern der Text oft nicht nur vereinfacht, fondern auch ein wenig erläutert
und erweitert ift. Aber immer gemütvoll und kernig. Die
Auswahl der Stücke ift natürlich nicht mehr vorbildlich. Im Alten
Teftament von den Propheten nur — Daniel! Aber für die Gefchichte
der Religionspädagogik ift auch die Auswahl lehrreich.

Hannover-Kleefeld. Schufter.

Schott, Dr. Georg: Erwachen zur Wirklichkeit. Den Kämpfern um
Freiheit und Einheit in Religion und Weltanfchauung. (III,
159 S.) 8". München, Chr. Kaifer (1916). M. 2 — ; geb. M. 3 —
Anregende Bekenntniffc eines tapferen Idealismus find es, .Hauptgedanken
von Vorträgen,' aphoriftifch zufammengefaßt, nachdenklich
zu lefen, wider die rafche und fichere Gewißheit des Alltags. Etwa: Kräfte
im Menfchen, Wille und Schickfal, ufw. Ein Wort mag die Art des
Ganzen charakteriftifch andeuten: Es gibt ein Erleben, das fo groß und
mächtig ift, daß eben das Symbol, was fonft die Seele ängftlich hütet,
das Symbol ,Gott,' zum einzig würdigen Ausdruck der inneren Erfahrung
wird.

Berlin. Lüttge.

Verkade, Willibrord, O. S. B.: Die Unruhe zu Gott. Erinnerungen
eines Maler-Mönches. (262 S. m. I Bild.)
8°. Freiburg i. B., Flerder 1920. M. 5.80

Sohn eines mennonitifchen Gefchäftsmannes in Holland,
hat V., als er heranwuchs, lange allem Relio-iöfen fern
geftanden und fich nicht taufen laffen. In der Heimat
zum Maler ausgebildet, kam er in Paris in den J.reis
fymbohftifcher Kimftgenoffen, wurde in der Bretagne
katholifch, wollte in Italien Franziskaner werden, ift aber
feit langer Zeit Benediktiner inBeuron. Ein mir bekannter
Konvertit fchätzt diefe von vielen neueren Konvertiten-
gefchtchten am meiden; ich vermag ihr, auch dem Mittel-
ftück, der Erzählung des Übertritts, kein ftärkeres In-
reffe abzugewinnen. Den Proteftantismus hat V. nicht