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Ausgabe:

1922 Nr. 10

Spalte:

232-234

Autor/Hrsg.:

Becher, Erich

Titel/Untertitel:

Die fremddienliche Zweckmäßigkeit d. Pflanzengallen u. d. Hypothese e. überindividuellen Seelischen 1922

Rezensent:

Titius, Arthur

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Theologifche Literaturzeitung 1922 Nr. 10.

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abfohlten Geiftes'). Der zweite Abfchnitt fetzt fich mit den Hegelanhängern
unter den Kantianern auseinander, die Hegel aus Kant ableiten
wollen. Mit fchlagenden Gründen beftreitet Scholz den Verfuch, den
hiftorifchen Zufammenhang zu einer prinzipiell bedeutfamen
Dignität zu fteigern, d. h. eine produktive Fortbildung des Kritizismus
zu behaupten. Der dritte Abfchnitt unternimmt eine letzte Würdigung
Hegels, die fozufagen die Mentalität des Philofophen nach ihren
perfönlichen, von aller Methode und Syftematik unabhängigen und eben
deswegen unwiderlegbaren Intentionen ergründet. Ein impofantes Charakterbild
tritt da vor unfere Augen, deffen bunte protreptifche Energien
von Scholz mit gewohnter Meifterfchaft auf wenige prägnante
Grundwerte zurückgeführt werden. Möchte unter den vielen fchönen
Anregungen, die der gedankenreiche Vortrag ausflreut, namentlich die
Aufforderung zu ,einer dem philofophifchen Bedürfnis genügenden Ge-
fchichte des Geiftbegriffs' auf fruchtbaren Boden fallen!

Königsberg i. Pr. A. Kowalewski.

Schelling, F. W. I.: Clara oder über den Zurammenhang der Natur
mit der Geifterwelt. Ein Gefpräch. Fragment. Hrsgeg. u. mit
einer Einführung u. Erläuterungen verfehen von Prof. Dr. Ludwig
Kuhlenbeck (R.s Univerfal-Bibl. 5619/20). (176 S.) l6u. Leipzig,
Ph. Reclam jun. M. 10 —

Das nach der Hauptperfon des Dialogs gewöhnlich Clara genannte
philofophifche Gefpräch ,Über den Zufammenhang derNatur mit der Geifterwelt
' gehört zu den perfönlichften Schriften Sendlings. Es verdankt
feine Entftehung den Eindrücken des Todes feiner erften Gattin Karoline
und ift erft aus dem Nachlaß veröffentlicht. Sein Inhalt ift erftaunlich
,modern'; das Gefpräch behandelt die Rätfei des Todes und verficht die
Thefe, daß die Geifterwelt nicht verfchloffen fei. Aus intuitivem Un-
fterblichkeitsbewußtfein heraus verfucht fie, wie der neufte Herausgeber
richtig bemerkt, mehr eine naturphilofophifche und anthropologifche
Ergründung (nicht logifche Begründung) der Seelenfortdauer; fie ift
bafiert auf einer individualiftifch moniftifchen Seelenlehre. In den Anmerkungen
bringt der Herausgeber einige Parallelen belonders aus
Giordano Bruno und der modernen okkultiftifchcn Literatur, aber auch
aus Schopenhauer, aus chriftlichen Schriften ufw. , in der Einleitung
fkizziert er kurz die Entftehungsgefchichtc und den Hauptinhalt der
Schrift. Eine befondere Bemerkung hätte der künftlerifche Stil des auch
formell glänzenden Torlos verdient.
Bremen. Bruno Jordan.

Wilhelm Dilthey's gefammelte Schriften. IV. Band, (X,
583 S.) 8°. Leipzig, B. G. Teubner 1921. M. 190 —
Von der fehnfüchtig erwarteten Gefamtausgabe der
Diltheyfchen gefammelten Schriften ift nunmehr der vierte
Band erfchienen, nachdem der zweite mit den berühmten
kulturgefchichtlichen Abhandlungen vorausgegangen war.
Der Herausgeber ift diefes Mal Hermann Nohl. Der
Band enthält die Jugendgefchichte Hegels' und Abhandlungen
, meift Perfönlichkeiten betreffend, zur Gefchichte
des deutfehen Idealismus, zum Schluß die über die drei
Grundformen der Syfteme. Neu ift eine Ergänzung der
Hegelbiographie aus dem Nachlaß in zwei großen Ab-
fchnitten, von denen der erfte die Analyfe des in Jena
fich fixierenden Syftems enthält, die zweite feine
Berliner Periode und die deutfehe Philofophie in der
Epoche Hegels fchildert. Die neuen Fragmente umfaffen
etwa 100 ftarke Seiten und find auch inhaltlich von großer
Bedeutung, freilich von jener etwas unpräzifen Schreibart
, die der Analyfe philofophifcher Syfteme ungünftiger
ift als der Darfteilung der großen Kultur- und Geiftes-
zufammenhänge. Es ift ein großes Verdienft des Herausgebers
, die fehr fchwer zu ordnenden Papiere für die
Geftaltung diefer Fragmente doch noch nutzbar gemacht
zu haben. Dilthey verarbeitete viel und fchrieb viel auf
einzelne Zettel, die immer neue Anläufe darbieten. Das
erklärt vieles an feiner doch fehr eigentümlichen und
fragmentarifchen Arbeitsweife. Er mühte fich insbefondere
immer wieder mit den Quellen, wodurch die ftarke Realitäts-
fättigung und Anfchaulichkeit bei ihm zu Stande kam,
war damit dann aber auch viel von gelegentlicher Lektüre
und Feffelung abhängig. So verlieht man das Stockende
und Wiederholungsreiche feiner fpäteren Arbeiten. Die
früheren, teilweife anonym veröffentlichten Studien find rund
und gefchloffen. Hoffentlich folgen die übrigen über
Schloffer und ähnliches bald nach. Die gegenwärtige
Lage der geifteswiffenfehaftlichen Arbeiten verlangt immer
dringender darnach.
Berlin. Ernfl Troeltfch.

Feldkeller, Paul. Graf Key lerlings Erkenntnisweg zum Überlinnllchen.

Die Erkenntnisgrundlagen des Reifetagebuches eines Philofophen.

(191 S.) 8». Darmftadt, O. Reichl 1922. M. 60 —

Der Gedanke, auch die Erkenntnis in verfchiedene Erkenntniswege
zu zerfpalten, das einheitliche Denken in verfchiedene Denkdialekte
aufzulöfen, ift gewiß nicht neu. In diefem Buch aber wird dieie
Idee mit folcher Konfequenz, mit folcher Kunft der Charakteriftik der
einzelnen Denkweifen durchgeführt, daß man die Darftellung gern als
einen Beitrag zur Charakterologie der Völker und ihrer Kulturen und
insbefondere als einen Verfuch, die ,neue' Denkweife des Grafen Key-
ferling anfehaulich zu machen und pfychologifch zu begründen, buchen
wird. Ob freilich diefer ,neue' Denkdialekt, diefe ,neue' Weife des Philo-
fophierens, wie fie im Reifetagebuch eines Philofophen fich offenbaren foll,
und deren Fortfehritt in der Perfpektive, in der Mentalität, in der Leitintention
gefucht und als eine über das Begreifen hinausliegende höhere
Stufe des Seins (Glauben, Liebe, Arbeit) beftimmt wird, wirklich als
eine ,neue' Art des ,1'hilofophierens' bezeichnet werden darf, wage ich
folange zu bezweifeln, als das vom Verfaffer geforderte Schauen des Un-
anfchaulichen, Meinen des Undenkbaren, Ernftnehmen des Nichternft-
nehmens der Gedanken nicht konkret aufgewiefen werden kann. ,Wer
kann tanzen? D. h. wer kann mit den Gedanken rhythmifch fpielen,
aus einer Begriffsebene in die andere übergehen ufw. (wie Eckehart!)'
ruft der Verfaffer emphatifch aus. Es wird neben den Philofophen
nicht viele geben, die nach diefer neuen Art des Philofophierens Ge-
lüfte trügen; unter den anderen tanzen ihrer freilich fchon übergenug.
Bremen. Bruno Jordan.

Driefch, Hans: Philofophie des Organifchen. Gifford-Vor-
lefungen, gehalten an d. Univerfität Aberdeen in den
Jahren 1907—1908. Zweite, verb. Auflage. (XVI,
608 S.) gr. 8°. Leipzig, W. Engelmann 1921.

geh. M. 85 — ; geb. M. 105 —

— Logifche Studien über Entwicklung. (Sitzungsberichte
d. Bayr. Akademie d. Wififenfchaften. Philofophifch-
philolog. hiftor. Klaffe v. Jg. 1918. 3. u. 4. Abh.) (70 S.)
8°. München, G. Franz. M. 2.50

— Leib u. Seele. Eine Unterfuchg. über das pfychophy-
fifche Grundproblem. 2. verb. Aufl. (VIII, 114 S.)
8°. Leipzig, E. Reinicke 1920. M. 15 —; geb. M. 18 —

Peter, Karl: Die Zweckmäßigkeit in derEntwicklungsgefchichte.
Eine finale Erklärung embryonaler u. verwandter Gebilde
u. Vorgänge. (X, 323 S.) gr. 8°. Mit 55 Textfig.
Berlin, Jul. Springer 1920. M. 30—; geb. M. 36 —
Becher, Prof. Erich,: Die fremddienliche Zweckmäßigkeit d.
Pflanzengallen u. d. Hypothefe e. überindividuellen Seelifchen.
(149 S.) gr. 8°. Leipzig, Veit & Co. M. 5 — ; geb. M. 6.50 —
Driefch ift je länger je mehr von experimentell-bio-
logifchen zu philofophifchen Unterfuchungen übergegangen
. In feiner Philofophie des Organifchen kommen beide
Methoden zu glücklicher Verbindung. In dem biologi-
fchen Abfchnitt find die Ergebniffe der Eorfchung bis in
die unmittelbare Gegenwart berückfichtigt; man wird
fchwerlich etwas Wichtiges vermiffen. Doch legt er es
nicht darauf an, eine Fülle von Einzelheiten zu bringen,
fondern alles tritt von vornherein in den Dienft feiner
antimechaniftifchen Auffiaffung vom Gefamtorganismus.
Eine Ergänzung, deren fich freilich nur der erfreuen
wird, der in D's Gedanken- und Begriffswelt bereits hei-
mifch ift, bieten die ,logifchen Studien über Entwicklung'
(von denen nur die zweite mir vorliegt); ihr Streben
geht auf eine Logik der Biologie, deren methodifche
Strenge fie in die Nähe der analytifchen Mechanik rückt.
Nach andrer Seite findet die Philofophie des Organifchen
ihren Gipfelpunkt in der (in der erften Auflage bereits
befprochenen vgl. 1916, Sp.471) Schrift über Leib und Seele,
die mit gleichen Methoden und Gefichtspunkten die
paralleliftifche Theorie bekämpft, um zu einem neuen
Parallelismus von Bewußtheit, Seele,,Pfychoid' zu gelangen.

Driefch ift dem für philofophifche, insbefondere
naturwiffenfehaftliche Probleme Intereffierten längft kein
Fremder mehr, doch ift vielleicht eine kurze Zufammen-
faffung feiner Grundgedanken nicht ohne Nutzen. Den
embryologifchen Befund deutet er dahin, daß (in vielen
Fällen) aus einer Summe gleichvermöglicher Elemente,
auch wenn man eine (nicht zu große) Anzahl davon im
Experiment entfernt, die der Art gemäße Form in ihrer