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Ausgabe:

1922 Nr. 10

Spalte:

229-230

Autor/Hrsg.:

Aster, E. von

Titel/Untertitel:

Geschichte der neueren Erkenntnistheorie (von Descartes bis Hegel) 1922

Rezensent:

Kowalewski, Arnold

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Seite 1

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229 Theologifche Literaturzeitung 1922 Nr. 10. 230

dergemeine, zuletzt in deren Miffionsleitung tätig. Das
1902 in 2. Auflage erfchienene Heft ift mit jeder neuen
Auflage in feinen ftatiftifchen Angaben und in feinen
Mitteilungen über die kirchliche Verfaffung der Brüder-
gemeine den erfolgten Wandlungen gemäß berichtigt
und gibt fo in diefer feiner vierten Auflage eine zuver-
läffige allgemeine Orientierung über die Brüdergemeine
im zweihundertften Jahre ihre Beftehens.

Ilerrnhut. Tb.. Steinmann.

LutherÜches Miffionsjahrbucli für das Jahr 1922. Herausgeben
von der Miffionskonferenz in Sachfen. (88 S.) kl. 8°.
Leipzig, H. G. Wallmann. 6 —

Das von der fächfifchen M. Konferenz feit 1888 herausgegebene
und wegen der Gediegenheit und Reichhaltigkeit
feines Inhalts gefchätzte Jahrbuch, hat in der Ausgabe
für 1922 die Wendung vollzogen, fich zu einem
Lutherifchen Miffionsjahibucli auszubauen. Dadurch erfährt
fein Aufgabenkreis eine erhebliche Erweiterung, die
mit Freude zu begrüßen ift, denn fie eröffnet die Ausficht
auf eine regelmäßige Berichterftattung, die durch
die Einbeziehung des außerdeutfchen Luthertums für die
Kirchenkunde der Gegenwart wertvoll werden kann. Der
vorliegende Band ift ein elfter Schritt auf diefem Wege,
aber bringt bereits manche wertvolle Gabe, z. B. einen
inftruktiven Auffatz von Oepke, der Dienft des Luthertums
der Erde an der deutfchen Miffion in ihrer gegenwärtigen
Not.

Göttingen. Carl Mirbt.

After, Profeffor E. von: Gefchichte der neueren Erkenntnistheorie
(von Descartes bis Hegel). (VI, 638 S.)
Berlin, Vereinigg. wiff. Verleger 1921.

M. 90—; geb. M. 100—

Der Verfafler diefes auf erneuten Quellenftudien
fußenden Werkes zeichnet fich durch einen hohen Grad
von hiftorifcher Objektivität aus. So kommen die eigenartigen
Problemftellungen der einzelnen Denker reiner
und vollftändiger zum Ausdruck, als bei den mehrfach
unternommenen Verfuchen, alles an einem äußerlich hinzugebrachten
Normalfyftem zu meffen.

UrfprÖngUch war nur eine Gefchichte der mathematifchen Methode
von Uescartes bis Kant und der dialektifchen Methode in der nachkan-
tifchen Philofophie geplant. Aber diefer Plan eiweiterte fich während
der Arbeit zu dem im Titel bezeichneten größeren Umfang. Der
Nachwirkung der urfprünglichen fpezialißifchen Einftellung ift nicht
zum wenigften die Stileinheit zu verdanken, die das Buch trotz der
bunten Fülle von Berichten zeigt.

Gleich die Descartes-Analyfe v. Afters, die manche
bisher überfehenen Strukturfeinheiten aufdeckt, aber
auch die inneren Widerfprüche demonftriert, verdient
hohe Anerkennung, um fo mehr, als es fich hier um ein
fehr abgegraftes Feld handelt. Ein befonderer Anhang
Ubjftriert die Unftimmigkeiten moderner Descartes-Inter-
Preten, unter denen vielleicht noch der leider fo früh
verftorbene Greifswalder Otto Stock einen Platz zu be-

anfpruchen hätte.

Die ausführliche Behandlung des deutfchen Cartefianers Clau-
b«rg, der zu den Begründern des Occafionalismus gehört, ift fehr
dankenswert und wird die theologifchen Lefer an eine wertvolle Schrift
v°n Jof. Bohatec erinnern (Die cartellanifche Scholaftik in der Philofophie
und reformierten Dogmatik im 17. Jahrh., Leipz. 1912), wo
derfelbe fonft faft verfchollene Denker eine erhebliche Rolle fpielt.

Für das pfychologifche Verftändnis des fpinozifti-
ichen Parallelismusprinzips ift meines Erachtens das
mathematifche Modell der analytifchen Geometrie wichtig
, wo eine exakte wechfelfeitige Entfprechung von ver-
fchiedenartigen Größen vorliegt. Hier wäre auch ein
Hinweis auf die klärende Abhandlung J. Freudenthals
-Uber die Entwicklung der Lehre vom pfychologifchen
Parallelismus bei Spinoza' (in Bd. IX des Archivs f. d.
gef. Pfychol.. Leipz. 1907) lohnend gewefen. Das tiefeindringende
Leibnizkapitel, das u.a. die neuen entwick-
lungsgefchichtlichen Auffchlüffe von Kabitz berückfich-
t'gt, und intereffante Auseinanderfetzungen mit Couturat

enthält, bildet die Brücke von Bacon-Hobbes zu Locke-
Berkeley-Hume. Das nächfte Kapitel verfolgt die Entwicklung
der kontinentalen Philofophie von Leibniz bis
zum vorkritifchen Kant. Hier ift die Mittlergeftalt
Tfchirnhaus vortrefflich charakterifiert. Dem Kritizismus
Kants wird ein eigenes Kapitel gewidmet, das in
gedrängter Darftellung die großen Züge des vielumftrit-
tenen Gedankenbaus hervorhebt. Das gewichtige Schlußkapitel
des Werkes führt über Reinhold, Beck, Maimon,
Jacobi, Fichte, Schelling zu Hegel. Nunmehr tritt die
dialektische Methode in den Vordergrund, die aber doch
wieder, wie der Verfaffer überzeugend dartut, mit einem
mathematifchen Motiv zufammenhängt. Schade, daß
Schleiermacher fehlt.

Königsberg i. Fr. A. Kowalewski.

Ewald, Privatdozent Dr. phil. Oscar: Welche wirklichen
Fortfehritte hat die Metaphyfik feit Hegels und Herbarts
Zeiten in Deutfchland gemacht? Preisgekrönte Preis-
fchrift. (Kant-Studien, Nr. 53.) (68 S.) 8°. Berlin,
Reuther & Reichard 1920. M. 6—

Mit Recht betont Ewald die enge Zusammengehörigkeit
der Metaphyfik und Erkenntnistheorie, die gerade
für die kritifche Analyfe der neueften Philofophie mit
ihrem intenfiven methodifchen Bewußtfein ein zweckmäßiges
Orientierungsmittel bietet. Es gilt, die den verschiedenen
Erkenntnisbegriffen entfprechenden Seinsbegriffe
zu charakterisieren. So verfteht E. feine Aufgabe.
Als erften hervorstechenden Typus behandelt er Feuerbachs
Anthropologismus. Diefer Abfchnitt, der zahlreiche
Proben hiftorifcher Einfühlungskunft aufweift, ift
quantitativ und qualitativ das gelungenfte Stück
der ganzen Unterfuchung. Was z. B. S. 21 ff. über
Feuerbachs Verhältnis zum Darwinismus und zu Nietz-
fche gefagt wird, berichtigt in glücklicher Form alte
Mißverftändniffe. Weitere Typen find der reine Phänomenalismus
(Avenarius, Mach), die Theorie der Bewußt-
feinsimmanenz (Schuppe), der Logismus der Marburger
und der Windelband-Rickertfchen Schule, der Fiktionalismus
(Vaihinger). Die Differenzen der Grundgedanken
werden überall kurz und klar formuliert und gewertet.
Diefe Auswahl macht uns gewiß mit achtungswerten
philofophifchen Verfuchen bekannt, erregt aber doch
den Wunfch nach einer umfaffenderen Prüfung, die wenigstens
noch Lotzes, E. v. Hartmanns, Trendelenburgs,
Wundts Beiträge zur Förderung der Metaphyfik abschätzen
Sollte.

Königsberg i. Pr. A. Kowalewski.

Scholz, Prof.D.Dr. Heinrich: Die Bedeutung der Hegelfchen
Philofophie für das philorophifche Denken der Gegenwart.

(Philofoph. Vorträge, Nr. 26.) (60 S.) gr. 8°. Berlin
; Reuther & Reichard 1921. M. 5_

Diefer in erweiterter Form gedruckte Vortrag darf
fchon wegen feines ftreng methodifchen Aufbaus und
feiner kongenialen Empfänglichkeit für die intimften
philofophifchen Impulfe des Schwer zu Schätzenden titanischen
Denkers als ein xrrjfia sc; dsl der Ilegelliteratur
gebucht werden.

Die Ausführungen gliedern fich in drei Abfchnitte. Der erfte
Abfchnitt prüft Hegels Verhältnis zur vorkantifchen Metaphyfik mit
Bezugnahme auf diejenigen Kritiker, die den Panlogiften um feines
Dogmatismus willen als rückfehrittlich ablehnen wollen. Treffend
weift Scholz auf die freiere, undogmatifche Handhabung der dialektifchen
Methode in der Gefchichtsphilofophie hin. Vaihinger würde hierin
eine Verfchiebung vom Dogma zur Fiktion erblicken, wozu übrigens
fogar aus dem verrufenen naturphilofophifchen Gedankenkreis eine
authenttfehe Inftanz fchon in der Hegelbiographie von Rofenkranz verzeichnet
ift (S: 184T.). Eine ftereotype Terminologie widerftreitet überhaupt
dem ausgefprochenen Begriffsvitalismus Hegels. In diefem Zufam-
menhange prazifiert Scholz auch die bedeutfamen inhaltlichen Vorzüge
der Hegelfchen Lehre (.großartige dynamifche Erfaffung des Abfoluten'
.ftrenge geiftesgefchichtliche Zentriertheif, .Einordnung der drei Hoch'
gebiete der Kunft, der Religion und der Philofophie in die Sphäre des