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Ausgabe:

1922

Spalte:

228-229

Autor/Hrsg.:

Burckhardt, G.

Titel/Untertitel:

Drei Fragen nach dem Wesen der Brüdergemeine, beantwortet. 4. Aufl 1922

Rezensent:

Steinmann, Theophil

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Theologifche Literatu

rzeitung 1922 Nr. 10.

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den .Exerzitien'; aus dem .geiftlich. Tagebuch' und Denk-
fprüche'. Aber die dürftige Sammlung ift doch dankenswert
; denn fie gewährt lehrreiche Einblicke in Geiftes-
leben und Auffaffung des Stifters des Jefuitenordens.
Auch fcheinbar Kleinftes wurde von ihm beachtet.

Wie bezeichnend ift nicht, was er an zwei feiner erften Gefährten,
Faber und Bohadilla, über die Art fchreibt, wie man Briefe abfaffen foll;
man möge fich ,vor unüberlegtem Drauflosfchreiben bewahren'; ,erft
Konzepte abfaffen1; in ,Hauptbriefen' fchreiben, was auch andere
lefen können; auf liefondere .Zettel' was nicht für jedermann ift; denn
,das Gefchriebene bleibt, kann jederzeit als Zeugnis verwendet werden,
(70—78)'. Solche Vorfchriften erinnern daran, daß Ignatius Briefe für
jedermann' fchrieb, aber neben ihnen .Geheimbriefe' laufen ließ, die das
aufhoben, was in den öffentlichen Briefen ftand. So befonders im Fall
des Ottaviano Caefare (vglch. Stoeckius, Ottaviano Caefare, Heidelberg
1914, 45 ff. Da Karrer S. 3 einen Brief an die Mutter des Ottaviano
(er fchreibt falfch: Ottavio) Caefare mitteilt, und in einer Vorbemerkung
auf den .langjährigen Prinzipienfall' eingeht (230—232), mußte er das
briefliche Doppelgeficht des Ignatius den Lefern zeigen. Er tut es nicht
nur nicht, fondern er entftellt die Sache.

Und damit komme ich zur Frage: bietet der Verfaffer in
feiner Zufammenftellung und Überfetzung Zu verläff ig es?
Die Frage muß verneint werden.

Selbft in ultramontanen Kreifen fteht der Verfaffer, was fchrift-
ftellerifche Zuverläffigkeit angeht, in ungünftigem Rufe. So fchreibt der
katholifche Geiftliche Dr. M. Laros (Germania vom 12. 3. 1922) in einer
Befprechung der Karrer'fchen Überfetzung der Werke des engfifchen
Kardinal Newman: „In der Ü.berfetzung werden die Texte nicht
korrekt wiedergegeben, willkürlich geändert, abgefchwächt,
umgebogen, bis fie in das Syftein des Herausgebers [.Herausgeber
' ift der Jefuit Przywara .Überfetzer' der Jefuit Karrer] paffen.
Es laffen fich eine ganze Reihe von Cberfetzungsfehlem, Schiefheiten,
Abfchwächungen, Übertreibungen ufw. aufzeigen, die fämtlich aus dem
gleichen Beftreben erwachfen find, Newman dem eigenen Standpunkte
des Auswählers und Überfetzers [des Jefuiten1 Karrer] nahezubringen".

Diefe Wertung Karrers S. I. als .Überfetzer' Newmans
kann wörtlich auf feine ,Überfetzung' und Auswahl der
Briefe des Ignatius übertragen werden. Ich habe weder
Zeit noch Luft gehabt, Alles nachzuprüfen. Übrigens
eine Unmöglichkeit, weil der Verfaffer fo gut wie gar
keine Angaben macht über die Quellen, aus denen er fchöpft;
nur in der .Einleitung' erwähnt er die 12 Brief-Bände der
Monumenta historica Societatis Jesu (Madrid 1894) und
fonft werden hier und dort wenige Quellen genannt. Stichproben
müffen alfo genügen.

Zunächft fallen die überaus zahlreichen Auslaffungs-
punkte unangenehm auf. Man weiß, daß fich bei fchrift-
ftellernden Jefuiten unter Auslaffungspunkten fehr oft die
dem Jefuiten unangenehme Hauptfache verbirgt.

Daß der wichtige ,Fall' Ottaviano Cäfare völlig entftellt ift, habe
ich fchon erwähnt. Starke Entftellung liegt auch vor bei dem Briefe
des Ignatius an Canifius vom 13. Aug. 1554. Karrer S. I. fagt einleitend
(245) ,er enthielte die .Programmpunkte' für die Gegenreformation.
Er ,vergißt' aber mittzuteilen, daß zu den .Programmpunkten' des Ignatius
und zwar für Deutfchland, auch Ketzertötung gehört (Brauns-
berger S. I., 5. Acta et Epp. B, S. Canisii, I, 490, Freiburg i. B. 1896).
Das .Vergelten' ift um fo auffallender als Karrer S. 5 zwar nicht feinen
Ordensbruder Braunsberger, aber die Monumenta Ignatiana 7,398 fr. anführt
, wo der Brief an Canifius mit dem Rate, Ketzer zu töten, fleht.
Bezeichnend ift, daß Verfaffer ,aus den Exerzitien' zwar ausführlich
die .Regeln zur Unterfcheidung der Geifter' mitteilt (15—24), mit
keinem Worte aber die für Art und Wefen des Ignatius viel kennzeichnenderen
.Regeln über Übereinftimmung mit der Kirche', z. B.: Unter
Ablegung jedes eigenen Urteiles, muß der Geift ftets bereit und gewillt
fein, der Kirche zu gehorchen. Damit wir der katholifchen Kirche
ganz und gar gleichförmig find, müffen wir, wenn fie von etwas, was
unteren Augen weiß erfcheint, fagt es fei fchwarz, dies gleichfalls für
fchwarz zu erklären'. Allerdings hat Verfaffer diefe Ausladung in etwa
dadurch wett gemacht, daß er aus dem .Teftament des hl. Stifters an
alle Mitglieder über den Gehorfam' die Worte wiedergibt: ,ich muß
mich leiten und bewegen laffen, wie ein Wachsklümpchen fich kneten
läßt [es folgen leider wieder Auslaffunnspunkte]; ich muß mich verhalten
wie ein Toter, der weder Willen noch Einficht hat' (256).

Die Stellen aus dem .Geiftl. Tagebuch' find höchft
mterefiant: Zwölf Mal fpricht Ignatius von .Tränen und
Schluchzen bis zu Augenfchmerzen', das ihn beim Gebet
überfiel. Auch kommt 4 Mal der merkwürdige Ausdruck
vor: ,mehr zum Nichts geneigt' (286—289).

Verfaffer deutet den Ausdruck aus dem Zufammenhang auf die
Erwägung des Ignatius, ob er feinem Orden völlige Armut (.Nichts')
oder nur teilweife vorfchreihen foll. Ob das Tagebuch diefe Deutung ge-
ftattet, weiß ich nicht, da ich es wegen Krankheit nicht einfehen
konnte.

Aus der Vorbemerkung des Verfaffers zu einem Briefe
an Ifabella Rofer, der größten Wohltäterin des Ignatius, geht
hervor, daß .Schweiler Ifabella und zwei ihrer Freundinnen
in Ignatius' Händen die Gelübde der Gefellfchaft (Jefu)
ablegen durften' (92). Zum minderten 3 Jefuitinnen zählte
alfo damals der Jefuitenorden unter feinen Mitgliedern,
was bisher von den Jefuiten ftets geleugnet wurde. Der
Brief, der ,die Entladung' der .Schwerter Ifabella' enthält
(vom 1. Oktober 1546), ift, wie Verfaffer fagt, ,mit fehr
gemifchten Gefühlen' gefchrieben. Die .Gemifchtheit' be-
fteht darin, daß Ignatius feine ihm läftig gewordene .Schwerter
und Mutter' abfchüttelt und fie trockenen Tones ,an
die Weisheit und den Willen unferes heiligften Herrn'
verweift.

Ob damit der Papft, der in dem Briefe erwähnt wird, gemeint ift,
oder Gott, bleibt unklar, denn auch der Papft wird durchgängig als
.heiligfter Herr' (sanctissimus Dominus) bezeichnet.

Daß die .geiltIi eben Briefe' tiefe Frömmigkeit, innere
Ergriffenheit atmen, kann man nicht fagen. Das .Fromme'
in ihnen klingt fehr verftandesmäßig und ftereotyp (ich
finde keinen paffenden deutfehen Ausdruck): Die gleichen
Wendungen über ,die göttl. Majeftät', .unferen Herrn Jefus
Chriftus', .unfere Liebe Frau' ufw. wiederholen fich ftändig.
Wirkliche Herzenswärme zeigt fich nur in einem Briefe
vom 19. Mai 1556 an Donna Leonore de Mascarenhas,
Erzieherin Philipps 2. und des Infanten Don Karlos:
,Sie find mir von jeher tief ins Herz gefchrieben und wären
es noch mehr in Zukunft, wenn es noch mehr möglich
wäre' (269).

Eigentlich bedeutende Briefe finden fich in der Sammlung
nicht. Die .Überfetzung' lieft fich im allgemeinen
gut; Verfaffer gefteht aber felbft, daß fie vom .Urtext
abweicht', wo er ,mit dem deutfehen Sprachgeilt nicht
vereinbar erfcheint' (3). Ob Ausdrücke wie ,eine Frage
anfehneiden', ,fchlapp machen', .Briefe drechfeln',
,für Sie habe ich einige Puffer' (3. 36. 39. 71. 136), dem
.Urtexte' oder dem .deutfehen Sprachgeilte' entlprechen,
laffe ich dahingeftellt. Alles in Allem: ein zwar inter-
effantes, aber mit großer Vorficht zu benutzendes Buch.
Berlin-Lichterfelde. Graf Hoensbroech.

Buholzer, Dr. Jofel: Die Säkularisationen katholilcher
Kirchengüter während des 18. und 19. Jahrhunderts,
insbefondere in Frankreich, Deutfchland, Ölterreich
und der Schweiz. (VIII, 148 S.) 8°. Luzern, Räber
& Cie. 1921. M. 12 —

Es handelt fich hier weder um eine hiltorifche nech
um eine rechtsdogmatifche Studie, die für die weitere
P"orfchung Wege aufzeigt oder Quellenmaterial kritifch
fichtet. Es ift eine politifche Kampffchrift, die im großen
und ganzen ungefchickt ift, die weitfehichtiges Material
kritiklos heranholt, wenn nur die vorgefaßte Thefe geftüzt
wird. Diefe vorgefaßte Thefe: jede Säkularifation ift mehr
oder weniger verfchleierte Annexion und darum juriftifch
nicht haltbar und ethifch verwerflich', mag richtig fein oder
falfch: Der Staat und feine neue Ethik werden gezwungenermaßen
nurForderungen großer und ftarker Gemeinfchaften,
nicht die grundfätzlicher Theoretiker erfüllen. Wenn B.
S. 72 z B. fchreibt: .infolge des Reichsdeputationshaupt-
fchluffes wurden alle Domkapitel der deutfehen Bistümer
aufgehoben, die meiften Bifchöfe ftarben aus und ihre
Stühle blieben unbefetzt', fo ift das ein Beifpiel für die
von den Tatfachen unberührte Selbftändigkeit des Verf.
Wolfenbüttel. Otto Lerche.

Burckhardt, G.: Drei Fragen nach dem Welen der Brüdergemeine
, beantwortet. 4. Aufl. (24 S.) kl. 8°.
Herrnhut, Miffionsbuchh. 1921. M. 1 —

Es werden dies Jahr zweihundert Jahre, daß die
Brüdergemeine ihren Anfang nahm. Von ihrer befon-
deren Art, ihrer Entftehung und ihrer Arbeit gibt das
Schriftchen von G. Burckhardt in kurzen Strichen ein
lebendiges Bild. Der Verfaffer war Theologe der Brü-