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Ausgabe:

1922

Spalte:

215

Autor/Hrsg.:

Deißner, Kurt

Titel/Untertitel:

Religionsgeschichtliche Parallelen, ihr Wert und ihre Verwendung 1922

Rezensent:

Bultmann, Rudolf

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Seite 1

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2l6

neronifchen Chriftenverfolgung im Spiel fein läßt, daß er
fich über den ,proletarifchen Charakter' des Urchriften-
tums mit Deißmann wie mit Kautsky auseinanderfetzt,
und daß er in der Kritik an Konftantins Kreuzesvifion
Schrörs, in der Darfteilung der Gnofis Walther Köhler
folgt. Selbftändige Triefen wird man in folchen Zufam-
menhängen nicht erwarten. Da die Auffätze aber alle
recht angenehm lesbar find, fo darf man von einem wohl
gelungenen Vernich katholifcher Popularifierungskunft
reden.

Heidelberg. Martin Dibelius.

Deißner, Prof. D. Kurt: Religionsgefchichtliche Parallelen,

ihr Wert und ihre Verwendung. (Prinzipienfragen d.
neuteftamentl. Forfchung I. Heft) (34 S.) 8°. Leipzig,
Deichert'fche Verlagsbuchhandlung 1921. M. 5 —
Sympathifch ift in diefer Schrift der Wille zur Ver-
ftändigung. Indeffen liegt mir mehr an Klarheit und
Wahrheit als an Verftändigung, und fo will ich geftehen,
daß ich über die Dürftigkeit diefer Ausführungen geradezu
erfchrocken bin. Gerne ftimme ich zwar den .Regeln und
Grundfätzen' für die Verwertung religionsgefchichtlicher
Parallelen zu; aber fie enthalten nur Selbftverftändlichkeiten,
find Vorfichtsregeln und bringen nichts Pofitives, das die
Methode der religionsgefchichtlichen Arbeit förderte. Daß
man — woran dem Verf. befonders liegt — zwifchen
fprachlichem Ausdruck und fachlicher Anfchauung unter-
fcheiden muß, verfteht fich in diefer allgemeinen Formulierung
von felbft. Aber damit ift über das fchwere Problem
der Beziehungen zwifchen Sprache und Anfchauung
nichts gefagt. Vollends bleiben die prinzipiellen Ausführungen
über Gefchichte und Offenbarung im Oberflächlichen
und Gewohnten. Unter methodifcher Gefchichtsfor-
fchung fcheint der Verf. nur den Aufweis kaufaler Zu-
fammenhänge zu verftehen und ift der Meinung, mittels
folcher Aufrechnung der Gefchichte, den Offenbarungscharakter
der chriftlichen Religion nachweifen zu können,
indem nämlich für die Rätfei, auf die diefe Rechnung
Itoße, mittels eines Glaubensurteils der Offenbarungscharakter
behauptet werden könne. Vgl. S. 14: ,Was fich
aber nicht aus immanenten Motiven und Faktoren verftehen
läßt, was nicht auf dem Wege der rein empirifchen
Unterfuchung analyfiert werden kann, das muß feinem
Urfprung nach auf etwas zurückgehen, was außerhalb
diefer Welt, was über der Welt der Krfahrung liegt, das
muß feiner ganzen Entftehung nach (!) in eine supranaturale
Welt weifen'. Als ob die Offenbarung überhaupt
auf gleicher Fläche mit den methodifch faßbaren Größen
der Gefchichte läge, und als ob eine methodifche
Forfchung ein Rätfei auf ihrem Wege in anderem Sinne
als ein ,noch nicht erkannt' anerkennen könnte. Als Hi-
ftoriker wie als Chrift muß ich es abweifen, daß dem
Religionshiftoriker die Aufgabe zufiele, ,den Ort nachzu-
weifen, an dem der Glaube von feinem Rechte, ein Urteil
zu fällen, Gebrauch machen darf' (S. 17). Wenn wir
unferen Studenten, die fich mit Spengler oder mit K.
Barth innerlich auseinanderfetzen, Gefchichtsbetrachtung
von folcher Primitivität vortragen, fo ift es um unfere
Wiffenfchaft gefchehen; und wenn diefer Geift den .Prinzipienfragen
der neuteftamentlichen Forfchung' den Weg
weifen foll, fo kann ich nur wünfchen, daß das erfte Pleft
das letzte bleibt.
Marburg. Bultmann.

Reiß, Prof. Arthur: Das Selbltbewußtfein Jehl im Lichte
derReligions-Pfychologie. (V.64S.) gr.8°. Göttingen,
Vandenhoeck& Ruprecht 1921. M. 6 —

Die Unterfuchung des Selbftbewußtfeins Jefu ift nach
des Verf. Meinung die Grundlegung für .exakte Gottes-
forfchung' (S. 64). ,Die Religion ift die fpezififch menfch-
liche Form des Selbfterhaltungstriebs, die der Menfch
über die beiden tierifchenPormenderfelben, über Nahrungsbedürfnis
und Gefchlechtstrieb hinaus befitzt, ift die von

der Natur unmittelbar gegebene Porm, in der der normale
Menfch mit dem Bewußtfein des Todes fertig wird'
(37). .Allereigenfte Aufgabe und Angelegenheit' der
Theologie ift die Beobachtung und Unterfuchung abnormer
geiftiger Zuftände (38). Was der Verf. an folcher ,reli-
gionspfychologifchen' Unterfuchung bietet, erweckt nicht
gerade den Wunfeh nach Fortfetzung. A handelt nach
den Synoptikern über Jefu meffianifches Bewußtfein, feine
Geburt, feine Entwicklung und Vollendung; altbekannte
Requifiten einer vergangenen Leben-Jefu-Schriftftellerei
weiden vorgetragen, während B (der Beitrag aus den
Abfchiedsreden desjohevg.) wenigftens eine gewiffe Originalität
beanfpruchen darf. Dies gilt auch von C, dem
.biblifchen Tatfachenbeweis für die Berechtigung diefes
Selbftbewußtfeins'. Hier wird mittels ,religionspfycholo-
gifcher' Methode herausgebracht, daß Maria Magdalena
die erfte .objektive Vifion' des Auferftandenen, nämlich
des tranfzendenten Jefus, hatte, nicht etwa Petrus, der
,zu viel Pofeur, zu viel Blender' war (54). Deffen Vifionen
find nur fubjektive, beruhen auf Autofuggeftion; er hat
fich aber bemüht, in feinen Erzählungen die Magdalenerin
zu verdrängen, ,fodaß für Paulus fchließlich unklar wurde,
wem eigentlich bei den Vorgängen in Jerufalem der Vorrang
gebüre, dem Petrus oder der Maria?' (55). Paulus,
der kraft feiner pfychifchen Konftitution für die Mani-
feftationen des tranfzendenten Chriftus befonders leicht
.erreichbar' war (57), hat im Zuftande der Hypnofe, und
zwar zweiten Grades, der Hypotaxie, fein Damaskuser-
lebnis gehabt; .nicht anders, wie ein Hypnotifeur Urteil
und Willen des von ihm Hypnotifierten völlig dem feinen
unterwirft, hat der tranfzendente Jefus vor Damaskus Urteil
und Willen des Paulus fich unterjocht' (60).
Marburg. Bult mann.

Handbuch zum Neuen Teltament. In Verbindung m. Anderen
hrsg. v. Hans Lietzmann. Erg.-Bd. 1.—3. Lfg. (184 S.)
gr. 8°. Tübingen, J. C. B. Mohr 1920. M. 9 —

In den weiteren Rahmen, in den die Veröffentlichung
des Lietzmannfcheif Handbuchs zum N. T. von vornherein
gefpannt war, ift nun auch ein Ergänzungsband
eingeftellt, der die dem N. T. nächftftehenden Schriften
der apoftolifchen Väter nach den gleichen Grundfätzen
zu behandeln unternimmt wie die Bücher des N. T.
Über diefe Grundfätze hat fich R. Knopf, inzwifchen
der Wiffenfchaft durch frühzeitigen Tod (19. 1. 1920)
entriffen, in feinen Befprechungen der bisher erfchienenen
Teile (von denen Offb.Joh. noch ausfteht) in ThLZ 1913
Nr. 10 und 1920 Nr. 3/4 geäußert. Es verfteht fich von
felbft, welchen Gewinn die von ihm hervorgehobenen
Vorzüge (knappe Erklärung zu den deutfehen Über-
fetzungen mit reichem Beweismaterial aus der helleniftifchen
und jüdifchen Umwelt) auch für die Auslegung diefer
Schriften des nachapoftolifchen Zeitalters erbringen, und
die Ausführung ergibt, daß fie die bisherigen gründlichen
Kommentare zu den apoft. Vätern vom Standpunkte der
Gegenwart aus glücklich ergänzt.

Für den 1. Clemensbrief reiht fich Knopfs Mitarbeit
feinen früheren Unterfuchungen (1899—1904) an.
Seine Überfetzung in den .Neuteft. Apokryphen' ift hier
nur unwefentlich geändert. (In c. 40 Ende würde ich
aber doch öiötxai dem ötöoxai vorziehen.) Neu ift feine Bearbeitung
des fog. 2. Clemensbriefes, den er nach Rom
oder Korinth vor 150 verfetzt und deffen Evangelienzitate
auch er geneigt ift dem Agypter-Evang. zuzuweifen (S.
170). ,Der Prediger zeigt, daß er fehr wenig fpekulativ
veranlagt ift, was freilich nicht hindert, daß er ielber auf
das Dargebotene ftolz ift' (S. 173). Zu den nachgewiefenen
Berührungen tritt zu c. 95, 55, 67 noch das von C. Schmidt
1919 veröffentlichte .Apoftolifche Sendfehreiben', oder vielmehr
diefes erhält durch die Sätze der Homilie klarere
Beleuchtung. Voranfteht in dem Hefte die Lehre der
zwölf Apoftel (Didache), die ja ftrenggenommen nicht
unter dielen Sammeltitel gehört. Hier ift die Einleitung