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Ausgabe:

1922 Nr. 9

Spalte:

193-194

Autor/Hrsg.:

Deißner, Kurt

Titel/Untertitel:

Paulus und die Mystik seiner Zeit. 2., neubearb. Aufl 1922

Rezensent:

Bultmann, Rudolf

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Seite 1

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193 Theologifche Literaturzeitung 1922 Nr. 9. 194

Heinemanns Darbietungen gehören zu dem Schön-
ften, was ich neben den glänzenden Ausführungen von
Ulrich von Wilamowitz-Möllendorf und Eduard Schwartz
über den Philofophen von Apameia gelefen habe.
Gera-R. Georg Heibig.

Graf, J.: An der Wende der Zeiten. Gefpräche Jefu im
Jüngerkreife. (271 S.) 8°. Leipzig, J. C. Hinrichs 1921.

M. 10—; geb. M. 18 —
Gefpräche Jefu im Jüngerkreife legt Graf vor: d. h.
nicht etwa gelehrte Bearbeitung unferer Überlieferung,
fondern Worte, jenen Perfönlichkeiten in den Mund gelegt
', um die .Stimmungen und Strömungen in den ur-
chriftlichen Kreifen' anzudeuten — Gefichte, wachgerufen
.durch die Bilderfprache des Neuen Teftaments', in denen
wer will ,ein bloßes Spiel der Phantafie' fehen mag. In
Wirklichkeit beabfichtigt aber der Verf. durchaus nicht
reine Phantafie zu liefern; er hat hch vielmehr ernftlich, w.
e. sch. befonders im Anfchluß an Volkmar, um eine
eigene Anfchauung von der Gefchichtejefu bemüht. Indeffen
muß man doch wohl fchon ein Gobineau fein, um aus
Dichtungund Wahrheit ein bezwingendes Drittes zu machen.
Mir wenigftens fagen Grafs Gefpräche Jefu grundfätzlich
nicht zu. Ganz abgefehen von Einzelheiten auf Schritt
und Tritt, von denen ich zum Schluß ein paar Proben
gebe.

S. 9 (Selbftgefpräch Jefu vor der Jordantaufe): ,Soll ich mich unter
nie Getauften aufnehmen laffen, foll ich nicht? Es ift ein ernfter
Schritt' ufw.

S. 13 (Die Verfuchungen; Jefus überlegt lieh, was er morgen in
der Synagoge reden werde [sicj): ,Da fprich nun wieder, daß diefe
Steine Brot werden! Morgen ift Sabbath' ufw.

S. 17 ,Halt Dämon, ich erkenne dich ! Das ift ja nicht mehr der Gottes-
geift, der mir diefe gleißenden Zukunftsbilder vor die Seele führt, das
ift allbcreits wieder der Satan' ufw.

S. 152 .Nehmet und trinket alle davon . . . Denn, falle ich nun
auch, gleich Johannes, . . . o meine Brüder, haltet euch an meiner Leiche
nicht auf! (Iber mein Grab hinweg ftürmt ihr voran!' ufw.

Münfter i. W. E. Kloftermann.

Dei Buer, Prof. Lic. Kurt: Paulus und die Myftik leiner Zeit.

2. neubearb. Aufl. (149 S.) 8°. Leipzig, A. Deichert 1921.

M. 15—

Die zweite Auflage ift nur wenig verändert; hinzugekommen
find, von Kleinigkeiten abgefehen, die Ausführungen
über Phl 3,12 fr. und Kl 1,25 fr. (S.71-79) und
das Schlußkapitel ,das Frömmigkeitsbild des Paulus in
dem die Unabhängigkeit des Paulus von der .orientalifch-
helleniftifchen' Myftik abfchließend behauptet und feine
Frömmigkeit als zum Typus der .prophetifchen' gehörig
zufammenfaflend dargeftellt wird.

Die Unterfuchung wird m. E. der Schwierigkeit des
Problems nicht gerecht. Das Bild der ,orientalifch-helle-
niftifchen' Myftik wird zu fchematifch und mit zu wenigem
Quellenmaterial gezeichnet; es werden z. B. weder die
Differenzen und Beziehungen zwifchen Kultusmyftik und
fpiritualiftifcher Myftik gewürdigt, noch der Zufammen-
hang zwifchen myftifcher Frömmigkeit und gnoftifchen
Spekulationen, obwohl der Vergleich mit Paulus die nachdrückliche
Beriickfichtigung dieferFrageftellungen erfordert
hätte. So ift denn auch die Auswahl der aus den Paulusbriefen
befprochenen Stellen zu klein, vor allem aber ift
der Reichtum und die Kompliziertheit der pauhnifchen |
Anfchauung verkannt, und ein zu Unrecht vereinheit-
i'chter und modernifierter Paulus wird gezeichnet. Nirgend
auch wird die Frage nach dem Verhältnis des Paulus zu
den gemeinchi Etlichen Anfchauungen behandelt (z. B in
der Frage des Glaubensbegriffs oder des Kultes). Und
wenn post festum gelegentlich (z. B. S. 129f.) anerkannt
W|rd, daß Paulus terminologifche Anleihen — aber nur
[olchel — bei der Myfterienfrömmigkeit gemacht habe,
fo liegt darin m. E. ein methodifcher Fehler; von der
Unterfuchung derTerminologiemußteausgegangen werden;
"egriffe wie (ieTaftOQWOVO&ai, ivöveotrai Xqiötov mußten
gewiffenh£lft unterfucht werden.

Dagegen erkenne ich gerne an, daß der Verf. fich
bemüht, feine Anfchauung durch ausführliche Exegefe
I zu begründen, und daß er dabei durchaus richtige
Gefichtspunkte hervorhebt.

Er betont mit Recht, daß für Paulus das nvev/xa eine Macht des
fittlichen Handelns fei. So können für Paulus r. Kr. 2/3 die fittlichen
Mängel der Korinthier das Kriterium dafür fein, daß die Korinthier
noch keine Pneumiitiker lind. Aber deshalb ift nvev/xaxLxöq (—reXeioq)
noch nicht Bezeichnung der fittlichen Reife; vielmehr zeigt der Zu-
fammenhang deutlich, daß das nvev/xa zugleich das fupranaturale Organ
einer befonderen yvöeoiq ift, die nicht darin befteht, die ,paulinifche
Predigt nach ihrem Weisheitsgehalt zu würdigen' (S. 29, vgl. S. 47),
fondern die eine höhere Stufe myfteriöfer Erkenntnis darfteilt. Der
Widerfpruch, daß für Paulus einerfeits alle Getauften ,Pneumatiker' find,
und daß er doch 1. Kr. 2I3 unter den Chriften Pneumatiker und Pfy-
chiker bzw. Sarkiker unterfcheidet, muß anerkannt und aus der pole-
mifchen Haltung des Abfchnitts begriffen werden. Übrigens ift für
Paulus das nvev/ia auch da, wo er es in Beziehung zum Sittlichen
fetzt, die fupranaturale Macht, deren eine Äußerung eben das littliche
Leben ift. Diefes aber ift, eben weil Wirkung des nvev/xa, etwas ganz
anderes als ethifche Lebenshaltung und fittliches Werden im modernen
(idealiftifchen) Sinn, fondern es hat enthufiaftifchen Charakter und tendiert
daher zur Askefe, was D. zu Unrecht beftreitet (S. 121). Im Grunde
find D.s Ausführungen über den Begriff nvtv/xazixöq fchon dadurch gerichtet
, daß er auf den Begriff xpvyixvq gar nicht eingeht; und ebenfo
halte ich die Ausbeutung von 2. Kr. 10—13 für das nvev/xa -yvüjoiq-
Problem für unzureichend.

Mit Recht weißt D. darauf hin, daß bei Paulus das
Bewußtfein des Pneumabefitzes nie zur Identifikation des
Frommen mit dem jrvcv/ia oder mit der Gottheit führt.
Aber das Doppelbewußtfein des Pneumatikers läßt fich
doch wohl nicht beftreiten angefichts von 2. Kr 12,1 ff.
(wo das uqxeI V. 9 doch nicht das ,volle Genüge' bedeutet
, fondern heißt: es muß dir genügen) wie von
Gl 2,20 (wo das 6 de vvv £c3 hv aagxi nur mittels eines
exegetifchen Gewaltftreichs" als Erläuterung des geö de
ovxeri iycö, Cjj de ev e/xol Xq. gefaßt werden kann). Und
vor allem ift die Behauptung, daß für Paulus das Pfychifche
und Pneumatifche eine Einheit in einer Perfon bilden,
eine Verkennung des fupranaturalen Charakters des oxvev/xa;
Gl 2,20 wie Rm 8,23 oder 2. Kr 5,1 ff. zeigen doch, daß
für Paulus das irdifch-menfehliche Leben auch Hemmung
und Feffel bedeutet.

Mit Recht hebt D. als Unterfchied des Paulus von
der Myftik die efchatologifcheBeftimmtheit feiner Frömmigkeit
hervor und feine pofitive Wertung des gegenwärtigen
Lebens und Leidens. Aber daß Paulus ,für die Ewigkeit
prinzipiell neue religiöfe Erlebniffe erwartet' (5.
110) ift nicht nur unglücklich formuliert, fondern zum
minderten fchief und einfeitig angefichts von 2. Kr 3,18
(wo D.'s Exegefe m. E. unmöglich ift); 4,16; 5,5 oder angefichts
des ex [legove, — to reXeiov 1. Kr i3,ioff.

Endlich hat D. gewiß Recht, wenn er die Deutung
des Iv Xgiorm im Sinne eines pantheifierenden Immanenzgedankens
beftreitet. Aber eine Unterfuchung des Ver-
hältniffes von jtveviia und Xgioxös vermiffe ich und damit
die wirkliche Durchdringung des Problems der pauhnifchen
Chriftologie. Wie konnte hier die Beziehung zum Kult
fo wenig eindringend behandelt werden!

Marburg. Bult mann.

Zeitfchrift für die neuteftamentliche Wiflenfchaft und die Kunde
des Urchriltentums hrsg. von D. Erwin Preufchen. 1919 20,
Heft 2 (S. 49—96) gr. 8°. Gießen, A. Töpelmann 1920.

der Jahrg. (4 Hefte) je M. 24 —
Zu meinem Bedauern war es mir nicht möglich, das
vorliegende Heft der Zeitfchrift, deren Herausgabe in-
zwifchen H. Lietzmann übernommen hat, früher zu be-
fprechen.

Der erfte Beitrag (S. 50—66) ift ein Auffatz Bouffets
zur Hadesfahrt Chrifti, nach dem fo fchmerzlich frühen
Tode des Verf. veröffentlicht. B. verteidigt feine im
,Kyrios Chriftos' ausgefprochene Auffaffung von der
Hadesfahrt Chrifti gegenüber C.Schmidt (GefprächeJefu
mit feinen Jüngern etc., Exkurs II) und fcheint mir jedenfalls
darin Recht zu haben, daß der Gedanke der Hadesfahrt
Chrifti nicht ein unmittelbares Produkt des Gemeinde-