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Ausgabe:

1921

Spalte:

163-165

Autor/Hrsg.:

Niebergall, Friedrich

Titel/Untertitel:

Praktische Theologie. Lehre von der kirchlichen Gemeindeerziehung auf religionswissenschaftlicher Grundlage. I. u. II. Band 1921

Rezensent:

Baumgarten, Otto

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Theoiogifche Literaturzeitung 1921 Nr. 13/14.

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juft das Gute und Schöne an der Sache; denn der Wider-
fpruch ift liebenswert (S. 24). Fragt fich nur, ob der
betreffende Widerfpruch nicht bloß um der geiftreichen
Vorausfetzung Radbruchs willen in die gefchichtliche
Religion hineingelegt ift. Oder ift die Meinung die, daß
die Religionsphilofophie erft die den Gegenfatz von Wert
und Unwert überwindende Religion fchaffen follf Das
wäre etwas anderes; doch bleibt der Zweifel berechtigt,
ob die Religionsphilofophie oder die Theologie Religion
überhaupt zeugen kann.

Der zweite Vortrag .Über die Idee einer Theologie
der Kultur' flammt von den Theologen Paul Tillich.
Es ift nicht ganz leicht darüber in Kürze zu berichten.
Aufgabe der Theologie ift es danach, ,von einem konkreten
Standpunkt aus auf Grund der religionsphilofophi-
fchen Kategorien und unter Einbettung (fic) des individuellen
Standpunktes in den konfeffionellen und den allgemein
religionsgefchichtlichen und den geiftesgefchicht-
üchen überhaupt ein normatives Religionsfyftem zu entwerfen
'. Ein normatives Religionsfyftem entwerfen 1 das
will immerhin etwas fagen: das ift fchon keine geringe
Aufgabe. Diefer Aufgabe entfpricht dann eine weitere
Aufgabe, die der ,Kulturtheologie'. Diefe leiftet eine reli-
giöfe (fic) Analyfe fämtlicher Kulturfchöpfungen, fie gibt
eine gefchichtsphilofophifche und typologifche Einordnung
der großen Kulturfchöpfungen unter dem Gefichtspunkt
des in ihnen realifierten religiöfen Gehaltes, und fie fchafft
von ihrem konkreten Standpunkt aus den idealen Entwurf
einer religiös erfüllten Kultur. Allerdings ift der
.Kulturtheologe' ,nicht direkt kulturfchöpferifch'; er
nimmt vielmehr den vorhandenen Kulturwerten gegenüber
eine ,kritifche, verneinende' und zugleich ,bejahende
Stellung' ein und ,entwirft mit dem vorhandenen Material
ein religiöfes Kulturfyftem durch Ausfcheidung und Vereinigung
nach Maßgabe feines theologifchen Prinzips'.
An letzterem Programm ift fo gewiß etwas Richtiges,
als die Theologie fich ftets auch um die Ethik bemüht
hat. Vielleicht wäre aber durch eine anfpruchslofere
und fchlichtere Ausdrucksweife der Schein vermieden
worden, als ob auch in diefem Vortrag dem Unterfchied
zwiichen Religion und Theologie, zwifchen dem Religions-
ftifter und dem Theologen nicht gebührend Rücklicht
getragen wäre.
Gießen. E. W. Mayer.

König, Geh. Konfift.-Rat, Prot. D. Dr. Eduard: Religionsbankrott'

Ein verhängnisvolles Schlagwort unterer Zeit. (96 S.) kl. 8°.

Hamburg, Agentur des Rauh. Haufes 1920. M. 3.75

Verf. fucht zu zeigen, daß das Chriftentum nicht, wie neuerdings
mehrfach behauptet wurde, Bankrott gemacht habe, indem er zunächft
ausführt, daß die wegen des Kriegsausbruchs (Problem des Böfen) und
des Kriegsausgangs (Problem des Übels) gegen Gott und feine Welt-
regierung erhobenen Einwände hinfällig find, und fodann darlegt, daß
unberührt von den Nöten der Gegenwart die alten Gründe und Beweife
für die Wahrheit des Gottesglaubens, vom Argument des Ariftoteles bis
zur Wundertatfache der Auferftehung Chrifti, noch in Kraft find. Großes
Gewicht wird im erften Teil auf die menichliche Freiheit gelegt, die
nicht nur für die Sünde, fondern auch für das Übel, foweit es Übel ift,
verantwortlich zu machen ift. Dagegen bemüht fich der zweite befonders
darum, im Gefchichtsverlauf, der nicht eine kontinuierliche Entwicklung
darftellt, fondern fich fprunghaft und von häufigem Rückfehritt unterbrochen
vollzieht, vor allem natürlich in der biblifchen Heilsgefchichte,
Spuren göttlicher Wirkfamkeit nachzuweifen. Hier finden fich manche
beachtenswerte Bemerkungen. DieBeifpiele werden meift aus derGefchichte
Israels gewählt.

Iburg. W. Thimme.

Niebergall, Prof. D.Friedrich:PraktifcheTheologie. Lehre
von der kirchlichen Gemeindeerziehung auf religions-
wiffenfchaftlicher Grundlage. 1. Band: Grundlagen.
Die ideale und die empirifebe Gemeinde. Aufgaben
und Kräfte der Gemeinde. II. Band: Die Arbeitszweige.
Gottesdienft und Religionsunterricht. Seelforge und
Gemeindearbeit (VII, 508 u. VIII, 524 S., Namen- u.
Sachregifter) Lex. 8°. Tübingen. J. C. B. Mohr 1919.

zufammen M. 36 —; geb. M. 46 —
Man muß dies Lebenswerk des unermüdlichen Anregers

neuer Problemftellungen nur mit dem letzten zufammen -
faffenden Werk von Achelis vergleichen, fo erkennt man
die Berechtigung des Verfaffers, in feinem Unternehmen
' das endgültige Eintreten der praktifchen Theologie aus
| dem hiftorifchen in das pfychologifche Zeitalter bewiefen
' zu finden. Denn an Stelle der zwar forgfältigen, aber
! ohne Perfpektive auf die Gegenwart gelichteten breiten
hiftorifchen Unterbauten jeder einzelnen Disziplin find
hier ganz knappe, durchweg die durchlaufenden Linien
nur heraushebende Grundzüge der Entwickelung getreten,
die umfo breiteren Raum der Statiftik und Gruppierung
! der gegenwärtigen Lebenserfcheinungen laffen. Man wird
i gewiß des öfteren, am wenigften bei der Gefchichte des
Gottesdienftes, am meiften bei derGefchichte derKirchen-
j verfaffung, gründlichere, präzifere Mitteilung der Vorge-
j fchichte vermiffen. Man wird befonders auch bei der
| Heranziehung anderer Darftellungen, die oft in breiterer
Paraphrafe mitgeteilt werden, die neuefte Gegenwart, auch
i Eintagswerte, auf Korten fo bedeutender, gedankentiefer
! Werke wie von Zezschwitz oder Alexander Schweizer
| bevorzugt finden, die auch im Regifter gar nicht vorkommen
. Aber man wird nicht leugnen können, daß die
[ Probleme bis in diejüngfte Zeit hineingeführt und in vollfter
Freiheit von überkommenen Schablonen zu löfen verfucht
find. Das zeigt fich fofort in der wefentlichen Veränderung
der Stimmung und Problemftellung gegenüber Staat
und Politik vom erften zum zweiten Band. Freilich bedauert
man um der vollen Aktualität willen, daß die
ganze Darftellung nicht erft nach der endgültigen Trennung
von Staat und Kirche in der neuen deutfehen Verfaffung
entftanden ift. Jedenfalls hat der Mut reftlofer
I Gegenwärtigkeit im Dienfte zuverfichtlicher Zukunftshoff-
I nung ebenfo mit unerbittlichem Wirklichkeitsfinn wie mit
gläubigem Optimismus zu einem charaktervollen Ganzen
kirchlicher Aufgabenftellung für das nachrevolutionäre
Deutfchland geführt. Dabei wagt es der tief in den Sozialismus
und in die Lebensreform eingetauchte Verfaffer,
| der fich doch aller gehäffigen Beurteilung der alten Kirchlichkeit
enthält, in bezug auf die Lösbarkeit der der
Volkskirche geftellten Aufgaben nüchterne Zweifel flehen
zu laffen.

Die kirchliche Arbeit der Gegenwart tritt fo unmittelbar
und mit der fittlichen Wucht und begeifterten Hingabe
, die dem Verfaffer trotz vieler Enttäufchungen unverloren
geblieben, an die Pfarrer und Kanditaten heran,
die er fich als Lefer wünfebt. Da der Stil ungemein
flüffig, zumeift feffelnd, nur manchmal zu weitfehweifig
und überflüffig pfychologifierend, nie aber abftrakt gelehrt
ift, fachen- wie ideenreich, gerade in den konkreten
Vorfchlägen für die paftorale Arbeit voll neuer Einfälle
und ethifcher Impulfe, fo ift eine direkte Beeinfluffung der
kirchlichen Praxis dem leider nur zu teuren Werk, das
mindeftens alle Pfarrbibliotheken befebaffen follten, in ge-
wiffe Ausficht zu ftellen. Obenan die Erfaffung der Aufgaben
der Religionspädagogik und der Einzel- und Gruppen-
feelforge ift von größter Fruchtbarkeit. Es ift eben durchweg
praktifche Theologie.

Was nun die methodifchen Grundfragen angeht, fo
kann ich dem treueften Mitarbeiter an meiner nunmehr
unbeachtet entfchlafenen Monatsfchrift für die kirchliche
Praxis nur mit Dank beftätigen, daß er die Bedeutung
der religionsgefchichtlichen Grundlage für die praktifche
Theologie fiegreich behauptet hat. Was einft unfer zu
früh verftorbener Freund Drews im erften Jahrgang diefer
Zeitfchrift als nächfte Aufgabe bezeichnet, was er fpäter
in feiner Schrift: ,das Problem der praktifchen Theologie'
in ein großes Programm erweitert hat: die Orientierung
der Disziplin durchweg von der Gegenwart aus, unter
weitgehender Heranziehung der religiöfen und fittlichen
Volks- wie der Kirchenkunde, unter fteter Berückfichti-
gung der empirifchen Religionspfychologie, das ift in
diefem Werk großzügig ausgeführt. Die alte Syftematik
ift faft ganz über Bord geworfen, auf die Präge der