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Ausgabe:

1921 Nr. 1

Spalte:

162-163

Autor/Hrsg.:

Radbruch, Gustav

Titel/Untertitel:

Religionsphilosophie der Kultur 1921

Rezensent:

Mayer, Emil Walter

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i6i Theologifche Literaturzeitung 1921 Nr. 13/14. 162

mathematifchen Naturphilofophiegewinnen will und diefeda- ; Ichranken: 1. Wenn diefe Philofophie liegt, ift noch nicht ge-
mit für lange Zeit zum Zentrum und Maßstab der Philofophie geben, daß die Lebenskräfte, von denen fie getragen wird,
überhaupt macht. Der zweite Band fchildert das Ausein- j auch in Tat und Wahrheit umgefetzt werden. 2. Es gibt
andergehen diefer Bewußtfeinstheorie in dem empiriftifchen i Länder, in denen der religiöfe Glaube in mehr unphilo-
Pfychologismus der Engländer und dem Rationalismus des fophifcher Form feine erneuernden Wirkungen ausübt.
Spinoza und Leibnitz, fchlieülich das durch Newton ent- , 3. Der Kampf zwifchen Geilt und Geld wird auch in
fchiedene Übergewicht der mathematifch-rationalen Natur- j andern Ländern gekämpft. 4. Echt idealiftifcher Geilt
philofophie und im Anfchluß daran Kant. Auch hier lebt auch in Philofophen andrer Zunge wie Pascal,
find gerade die Mitteilungen aus den Naturwiffenfchaften, i Maine de Biran, Secretan, Renouvier, Carlyle, Croce
ohne die in der Tat nichts von der Sache zu verliehen ift, j u. a., auch wenn diefer Geilt in Deutfchland die meifte
ganz vortrefflich. Daß dabei der Standpunkt der Cohen- ; Pflege gefunden hat. 5. Zum Sturz des Idealismus hat
fchen Schule unverkennbar zu Tage tritt, wird niemand 1 auch feine innere Schwäche beigetragen, wofern er
wundern. Der dritte Band fchildert dann die nachkantifche ; nämlich oft die Meinung vertreten hat, jeder Menfch trage
Entwickelung, zunächft die Kantifche Schule im engeren : bereits alle erneuernden Kräfte in fleh und brauche keine
Sinne, dann Fichte, Schelling, Hegel, Schopenhauer, Herbart j erlöfende Gottestat. — W.s Schriften find Weckrufe in
und Fries, immer natürlich in Rückficht auf das Er- klarer und eindringlicher Sprache und zeigen, daß nur
kenntnisproblem, das hierbei teils aut ältere Stadien zurück- j vom Zentrum des chriftlichen Glaubens aus das weite
getrieben teils mit neuen metaphyfifchen Grundierungen Feld der Geifteskultur erneuert werden kann. Sie mahnen
kompliziert wird. Die Darftellungen diefes letzten Bandes zur Einkehr, Verinnerlichung und Selbftbefinnung auf
find durch Klarheit, Sorgfalt und Objektivität ausgezeichnet. | die Wurzeln unfrer Kraft.

Auf Einzelheiten kann leider nicht eingegangen | Bafel. J. Wendland,

werden. Ich kann nur das Werk als Ganzes als eines

der trefflichften und vor allem belehrendften Erzeugniffe ; Sawicki, l-rol. Dr. Franz.; Lebensanschauungen moderner Denker,
der heutigen philofophifch-hiftorifchen Arbeit bezeichnen. ! Vorträge über Kant, Schopenhauer, Nietzfche, Haeckel und Kucken
Wenn der Titel das Erkenntnisproblem in Philofophie (VHI, 260 S.) 8°. Paderborn, E. Schöningli 1920. M. 8.40

und WiffenfchaftderneuerenZeitzubehandelnverfpricht, ... h™Je"l !Ä2£?,S£ die SÄTTÜ ''" Wl8*-?! w°rde"

lind. Zur Uelprechung gelangen die Welt- und Lebensanrchauuugen
Kants, Schopenhauers, Nietzfches, Hacckels und Euckens. Die Darfteilung
bleibt auch da, wo die Materie fehwieriger wird, klar, populär und gern
ein verfländlich, ohne der Oberflächlichkeit zu verfallen. Die (ich an-
fchlicßende Beurteilung weiß überall offenen Sinnes gute Seiten und
wertvolle Gedanken herauszukehren und zu würdigen und kommt felbfl
dem Mofaikwerk blendender Aphorismen und lieh widerfprechendet
Paradoxieen, das man als die Philofophie Nietzfches zu bezeichnen
pflegt, mit bereitwilligerer Anerkennung entgegen, als man bei dem Standpunkt
des Vcrfaffers erwarten könnte. Mangelhaft ift freilich das Ver-

fo ift doch die Wiffenfchaft hierbei wefentlich als Mathematik
und Naturwiffenfchaft verftanden. Das entfpricht
dem Mathematizismus des ganzen Buches und der Schule,
aus der es kommt, obwohl fich, z. B. fchon bei Gelegenheit
Pascals, fehr feine Bemerkungen über die Hiftorie finden.
Es wäre aber trotzdem gut, wenn die ganze Problematik
nun auch ähnlich mit Rückficht auf die Hiftorie durchgearbeitet
würde. Die Unterfuchungsreihe über Hiftorik,

die ich meinerfeits begonnen habe, ift bewußt als freilich j Defk!mfefln^ Kritik.

« . • , , r 1 • 1 b /-> A« 1 j- c vir 1 uer konlelhoneilc Charakter der Schrift kundigt fich leife an in der,

fehr viel befcheideneres Gegenftuck ZU diefem Welke übrigens durchaus freundlich gehaltenen, Auseinan.lerleUung mit Bücken

fehr deutlich und vernehmlich dagegen in dem Anhang, der nicht nur
das Verbot des Zweifels an religiofen Wahrheiten, fondern auch die Einrichtung
des Index zu lechtlcrtigen unternimmt.

Gießen. h. W. Mayer.

Caffirers gedacht.

Berlin. Troeltfch.

Wundt. Max: Die deutfehe Philofophie und ihr Schickfal.

(Beiträge z.Philofophie desdeutfehenIdealismus. Folge } Radbruch, Prof. Guftav u. Priv.-Doz. Paul Tillich: Reli-
der Beihefte 3.) (31 S.) gr. 8°. Erfurt, Keyfer 1920.; gionsphilofophie der Kultur. Zwei Entwürfe. (Philofoph

M. 2.10 j Vorträge No. 24) (52 S.) gr. 8°. Berlin, Reuther u.
Wundt, Max: Vom Geift unfrer Zeit. (170S.) gr. 8". München, ; Reichard 1920. M. 2.80

J. F. Lehmann 1920. M. 10—; geb. M. 14— Zwei Vorträge, die in der Kant-Gefellfchaft gehalten

W. verbindet die bellen Traditionen des deutfehen und in ein- und demfelben Hefte veröffentlicht worden
Idealismus mit dem chriftlichen Glauben an die erlöfende find wegen einer gewiffen Übereinftimmung der zu Tage
Gottestat in Chriftus. Die erfte Schrift legt das Wefen getretenen Anflehten.

des deutfehen Idealismus und feine Gefchichte von Eckhart | Der erfte, .Reltgionphilofophie des Rechts', ftammt
über J. Böhme und Leibniz bis Kant und Hegel dar. von dem Kieler Juriften Radbruch. Er (teilt die Thefe
Er will vom Geift, nicht vom Stoff aus die Welt erkennen, auf: die Religion bedeutet die Überwindung des Gegen-
vom Glauben an die Pflicht das Leben geftalten, den fatzes von Wert und Unwert, fofern fie ,letztendige Beeinzelnen
in die Gemeinfchaft einordnen und Glauben jahung alles Seienden ift, lächelnder Pofitivismus, der
und Wiffen verföhnen. Davon, daß diefer Geift zum Siege über alle Dinge fein ja und Amen fpricht'. Freilich
komme, häno-e die Zukunft des deutfehen Volkes, ja | die gefchichtliche Religion leiftet nicht immer, was ihr
fchließlich der Welt ab. — Die zweite Schrift führt diefe j da zugemutet wird; fie kann und foll es aber leiftenl
Gedanken zugleich in praktifchen Betrachtungen über , Daß es fleh um eine ihr mögliche Aufgabe handelt, das
den Krie"- die Revolution, den Sozialismus, den Staat J beweift ja beifpielsweife das Verhältnis des Chriften'tums
durch Trotz fcharfer Kritik an der Gegenwart bricht , zum Wert der Rechtsordnung. Das Chriftentum über-
der fieghafte Glaube hindurch: Gott kann das deutfehe ; windet den Gegenfatz von Recht und Unrecht, indem es
Volk nicht zum Untergang beftimmt haben, ehe es fein J fowohl Rechtbehalten als Unrechtleiden als bleich
ahres Wefen zur völligen Darfteilung gebracht hat. — wefenlos' hinftellt. .Wefenhaft' im Verhältnis der'IMen-

Auch wenn man die Mächte des Verderbens wie die j fchen zueinander ift allein die Liebe. Man könnte °-e-
unheimliche Macht des Geldes noch an andern Stellen j rade angefichts diefes Beifpiels einwenden, daß es nicht
wirkfam fleht als W. und über Obrigkeitsftaat und Demo- ' nur zum Wefen des Chriftentuins fondern der Religion
kratie anders urteilt, wifcd man dem hohen fittlichen Idea- überhaupt gehört, Werte zu prägen, da im Mittelpunkt
lismus W.s zuftimmen. Aber W.s Formel, im Weltkriege jeder Religion der Glaube fleht, daß eine beftimmte
habe anfangs Geift gegen Geld gekämpft, wird den mannig- Lebensform von einem überindividuellen Willen gewollt,
fachen Faktoren nicht gerecht, die zum Kriege geführt alfo nach einer geläufigen Definition eben ein Wert ift.
haben und treibt zur Selbftüberhebung. — Die Meinung, Aber diefen Einwand greift der Verfaffer felbft auf und
daß die Rettung der Welt vom Siege der deutfehen ; begegnet ihm mit der Erklärung, daß die Religion des-
idealiftifchen Philofophie abhänge, möchte ich dahin ein- | halb in fich felbft widerfpruchsvoll ift: das fei indeffen ,