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Ausgabe:

1921 Nr. 1

Spalte:

159-160

Autor/Hrsg.:

Pastor, Ludwig Frhr. v. (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Johannes Janssens Briefe 1921

Rezensent:

Mirbt, Carl

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159

Theologifche Literaturzeitung 1921 Nr. 13/14.

160

innerlich kühl gegenüber (S. 120)? Darf mau von ihm verlangeu, daß
ihn Luthers 95 Thelen innerlich hätten packen müffen? Gewiß konnte
man am kurfächfifchen Hofe diefen Draufgänger nicht brauchen, Luther
lehnte zudem aus inneren Gründen ein Bündnis mit den Waffen ab,
aber feine .Oberflächlichkeit' und .Sprunghaftigkeit' ruht zum guten Teile
auf Sachunkenntnis, und vor allen Dingen kommt es bei K. viel zu
wenig zur Geltung (vgl. aber S. 117), daß Hutten trotz allem in den
Kreifen der Reformationsfreunde eine Macht in der öffentlichen Meinung
repräfentierte, die zum allermindeften Stimmung machen half. Und was
den von K. fo niedrig gehängten ,Pfaffenkrieg' anbetrifft, fo dürfte das
Lied auf den Pfaffenkrieg (S. 574ff-) ein richtigeres Bild geben, wenn
darin nichts weiter liegen foll als ,der Hutten ift lebend worden, man
meint, er wär entfchloffen'. Es liegt doch eine gute Selbftcharakteri-
fierung in dem Worte: ,Dir ift wohlbekannt, daß ich Tyrannen zu verfolgen
geboren bin.' (S. 482). Dem Ziel ift er treu geblieben, mochte
auch das Mittel landsknechtmäßig werden können (man darf ihn wirklich
nicht mit Sleidan vergleichen, wie S. 499 f. gefchieht.) Auch Sickingen
fcheint mir von K, ungerecht beurteilt zu werden. So richtig es ift,
daß der Condottieri in feinen Dienftleiftungen bald diefer, bald jener
Macht fich zur Verfügung (teilte, fo wenig darf man gerade hier modernnationale
Gefichtspunkte anwenden, muß fich vielmehr daran erinnern,
daß der Ritter nur der älteren Form des politifchen Bündniffes huldigte,
wenn er feine Herren fo oft wechfelte. Und haben wirklich Sickingens
Waffen den Schutz zum Wormfer Bücherbrande abgegeben (zu S. 141)?
Sein Umfall bei den Verhandlungen mit Glapio erklärt fich wohl daraus,
daß er die Tiefen von Luthers Theologie überhaupt nicht erfaßte (zu
S. 144). Hat er überhaupt die ganze Intrigue Glapios durchfchaut, und
wenn nein, wie kann man ihm ,fittliche Roheit' (S. 148) voiwerfen?
Ebenfowcnig ftimmt es mit dem Vorwurf der Roheit, wenn Sickingen
Hutten auf feiner Burg Dürmftein einen Unterfchlupf finden läßt (vgl.
S. 148 mit dem Vorwurf S. 275).

Daß Hutten ,auf die Stelle eines führenden Geiftes in
der unmittelbaren Nähe des Reformators keinen Anfpruch
machen kann,' hat K. mit neuen Argumenten endgültig
feftgeftellt, der Hutten der Romantik muß aus der Ge-
fchichte verfchwinden. Im Übrigen aber ift das letzte
Wort über Hutten noch nicht gefprochen, und K.'s äußerft
anregendes Werk trifft um des einfeitigen Maßftabes
willen wie ein leifer Proteft das Wort aus C. F. Meyers
.Huttens letzte Tage': ,Ich bin kein ausgeklügelt Buch'
Zürich. W. Köhler.

Kl eifl, Dr. Jofef : Haskalah. Gefchichte der Aufklärungsbewegung unter
den Juden in Rußland. (VIII, 229 S.) 8". Berlin, C. A. Schwetfchke
& Sohn 1919. M. 10 —; geb. M. 14 —

Der kenntnisreiche Verfafler lagt es zwar nicht, aber ein aufmerk-
fames Lefen feiner intereffanten Ausführungen lehrt verliehen, wie aus
den erden Anfängen der ,Aufklärungs'- und Reformbewegung im
ruffifch-jüdifchen Ghetto (etwa feit Mendelsfohns Zeit) fich in mannigfaltigen
Wandlungen der heutige Zuftand der Juden in Rußland entwickelt
hat, der fie teils als Herrfcherkafte des Bolfchewismus, teils noch
als die alten Parias zeigt Eine gefchichtliche, kulturgelchichtliche,
literarifche und politifche Stoffmenge zeigt fich überfichtlich verarbeitet.
Natürlich ift über manches auch ein anderes Urteil möglich, ftellenweife
auch ein beflerer Stil zu wünfchen. Jedenfalls füllt die Arbeit eine
Lücke in der jüdifchen Kulturgefchichtsfchreibung dankenswert aus.
Leipzig. Erich Bifchoff.

Jan Ifens, Johannes, Briefe. Hrsg. v. Ludwig Freiherrn
von Paftor. 2 Bde. Freiburg i. B., Herder 1920.
8°. M. 30—; geb. M. 36 —

1. Bd. 1847—1873. Mit e- Bildnis v. Johs. Janflen. (XL, 441 S.) —

2. Bd. 1874—1891. (XXXV, 336 S.)

,Ein eigentlicher Brieffchreiber ift Janffen nicht ge-
wefen' lagt der Herausgeber der Briefe im Vorwort,
trotzdem hat die vorliegende Sammlung ihr gutes Recht;
wobei wir dahin geftellt fein laffen, ob nicht manches
aufgenommene Stück ohne Schaden für die Sache hätte
fortbleiben können. Janflen ift nach diefen Briefen eine
auf wiffenfchaftliches Arbeiten eingeftellte Gelehrtennatur
gewefen, die den großen von ihm verfolgten literarifchen
Plänen ganz hingegeben war und fie in unermüdlicher
Arbeit und weitausgreifenden Studien zu verwirklichen
fich bemühte. Diefe Konzentration auf feine hiftorifchen
Forfchungen ift wohl auch ein Grund dafür, daß er den
großen kirchlichen Ereigniflen feiner Zeit, vor allem dem
Vaticanum gegenüber fich zurückhaltend verhält, während
ihn Vorgänge in der Gelehrtenwelt, vor ailem die Ge-
fchicke Döllingers, fefleln. Auch in der Abfage, höhere
kirchliche Ämter zu übernehmen, tritt diefe Grundrichtung
feines Wefens hervor vgl. I 291 .II IOO. 299, Gelegentliche
fcharfe Urteile über den Proteftantismus und feine
proteftantifchen Gegner werden den Kenner feiner Schriften
nicht überrafchen, aber der Gefamteindruck von feiner
Perfönlichkeit ift doch nicht der eines ausgefprochenen
Polemikers. Eine fympathifche Ergänzung findet das
Bild des Gelehrten durch die Frömmigkeit und Warmherzigkeit
, die in nicht wenigen Briefen zum Ausdruck
kommt. Insgefamt find 812 Briefe, zum Teil vollftändig,
zum Teil in Bruchftücken abgedruckt und zwar aus den
Jahren 1847—1891. Für die 2. Aufl. bemerke ich, daß
der II 247 erwähnte proteftantifche ,Dr. theol. und Prediger
aus Chriftiania' Krogh-Tonning gewefen fein wird,
und füge den Wunfeh hinzu, daß dann auch ein Sach-
regifter hinzugefügt wird.

Göttingen. Carl Mirbt.

Caflirer, Ernft: Das Erkenntnisproblem in der Philofophie
und Wiilenichaft der neueren Zeit. 3. Bd. Die nachkant.
Syfteme. (XIV, 483 S.) gr. 8°. Berlin, B. Caffirer 1920.

M. 25 —; geb. M. 32 —
Das monumentale Werk Ernft Caffirers liegt mit dem
dritten Band jetzt abgefchloflen vor und kann nunmehr
als Ganzes angezeigt werden. Davon haben die beiden
erften Bände fchon die zweite Auflage erlebt. Es ift
eines der wichtigften Werke zur Gefchichte der modernen
Philofophie, eine noch viel breiteren Stoff umfaffende
Analyfe des Erkenntnisproblems, als fie das klaffifche
Buch Alois Riehls über den Kritzismus darbietet. Da
es das Wefen der modernen Philofophie seit Descartes
ift, im Gegenfatz gegen den antikifchen und fcholaftifchen
metaphyfifchen Objektivismus die Probleme von der Analyfe
des Bewußtfeins, feiner Inhalte und feiner Ordnungs-
gefetze, her aufzurollen und alle Probleme der bisherigen
Philofophie, die feinstheoretifchen und axiologifchen
wie die pfychologifchen und erkenntnis-genetifchen, auf
diefen neuen Boden zu verpflanzen, fo ift es eine Gefchichte
und Analyfe des Kernpunktes der neueren Philofophie
überhaupt. Daß die Metaphyfik dabei dann nur als
fekundäre und problematifche Deutung der auf diefem
Wege getundenen primären und relativ ficheren Erkennt-
nifle betrachtet werden kann, fofern ihr überhaupt Raum.
verbleibt, ift felbftverftändlich und entfpricht völlig dem
heutigen Sachverhalt. Es tritt vielleicht nicht deutlich
genug hervor, daß diefe ganze Verfchiebung im Grunde
doch nur Verfchiebung ift und daß nur der bis dahin fekundäre
Punkt der Pfychologie und Erkenntnistheorie zum
primären wird, wodurch der bisher primäre, Ontologie
und Metaphyfik, nun feinerfeits zum fekundären wird. Im
Grunde bleiben die Probleme felbft die gleichen und ift
ihre Löfung in Wahrheit auch bei der neuen Anordnung
nicht fehr viel weiter gelangt. Es find dadurch nur eine
Reihe der die Alten befchäftigenden Rätfei in den Schatten
getreten oder für unlösbar erklärt. Doch hängt das mit
der fyftematifchen Grundpofition zufammen, über die hier
nicht zu diskutieren ift. C. hat die letztere neben diefem
großen Werke noch in dem rein fyftematifchen Buche
.Subftanzbegriffund FunktionsbegrifT 1910 vortrefflich dargelegt
.

Umfo deutlicher tritt der Grund hervor, der diefe
ganze Verfchiebung veruifacht hat und der allerdings,
eben mit ihr feften und zentralen Boden gewinnend, der
modernen Philofophie das Maß von Neuheit und Fort-
fchritt verleiht, das fie befitzt: die Entftehung und Durch-
fetzung der mathematifchen Naturwiffenfchaften. Es ift
eine der glänzendften Partien des Werkes, wie das erfte
Aufdämmern diefes Problems bei Nicolaus von Kues und
die Durchfetzung bei Kepler und Galilei gefchildert wird,
Hier wird man über die den Nicht-Naturforfcher meift
wenig bekannten Vorgänge außerdem vortreffllich unterrichtet
. Auf diefer Grundlage erhebt fich dann die Analyfe
Descartes, der von feiner Bewußtfeinslehre und Erkenntnistheorie
aus vor allem die Grundlegung der neuen