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Ausgabe:

1921 Nr. 1

Spalte:

155-159

Autor/Hrsg.:

Kalkoff, Paul

Titel/Untertitel:

Erasmus, Luther und Friedrich der Weise 1921

Rezensent:

Köhler, Walther

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Theologifche Literaturzeitung 1921 Nr. 13/14.

156

Augsburger Reichstag vom 5. und 18. Auguft 1530 als
Stimmungsberichte nicht ohne Wert, wenn auch die Begebenheiten
, von denen Graf Johann erzählt, aus der Ge-
fchichte des Reichstages im allgemeinen bekannt find.
Münfter i. W. Grützmacher.

Schröder, Archidiak. Dr. Arthur: Der moderne Menlch in

Erasmus. Eine Unterfuchg. zur Frage nach der chriftl.
Weltanfchaug. (79.S.) gr. 8°. Leipzig, A.Deichert 1919.

M.4 —

Kalkoff, Paul: Erasmus, Luther und Friedrich der Weife.

Eine reformationsgefchichtl. Studie. (Schriften des
Vereins f. Reformationsgefchichte Nr. 132 [37. Jahrg.,
i. Stück].) Leipzig, R. Haupt 1919. (XV11I, 113S.)
gr. 8°. M. 4 —

— Paul: Ulrich von Hutten und die Reformation. Eine
krit. Gefchichte feiner wichtigften Lebenszeit u. der
Entfcheidungsjahre der Reformation (1517—1523).
(Quellen u. Forfchgn. zur Reformationsgefchichte.
Bd. IV.) Leipzig, R. Haupt 1920. (XV, 601 S.) gr. 8°.

M. 40—-

Die Zufammenftellung diefer drei Werke hat ihren
guten Grund: es geht in ihnen allen dreien, auch in der
an letzter Stelle flehenden, um Erasmus von Rotterdam,
der wirklich .modern' geworden ift. Diefes Modernfein
zu prüfen auf Recht oder Unrecht, hat fich Schröder zur
unmittelbaren Aufgabe gefetzt. Mit großem Fleiße hat
er fich in Erasmus eingelefen, bringt wertvolle Zitate, hat
• nicht minder eifrig die einfchlägige Literatur benutzt,
zieht — faft ein wenig zu viel — nahe oder fernerliegendes
Vergleichsmaterial heran, und wenn er doch nicht ganz
befriedigt, fo liegt das am Mangel eines feften kritifchen
Maßftabes; der follte nach der Titelüberfchrift,der moderne
Menfch' fein, und wenn es auch zweifellos ,nicht ganz leicht
zu fagen ift, was es eigentlich um den modernen Menfchen
ift', fo hätte er doch fchärfer umriffen werden können,
als es im 1. Kap. von Sehr, gefchieht. Mit Sätzen wie ,der
moderne Menfch ift in einem fortwährenden Suchen,
Taften, Experimentieren begriffen, der moderne Menfch
ift ein Menfch mit feinem Widerfpruch, ein Menfch der
immer nur relativen Stellungen und Ergebniffe, ein Menfch
zwifchen Ja und Nein' (S. 6) ift es nicht getan, hier hätte
aus Dilthey, Troeltfch u. a., die Sehr, wohl kennt, fcharf
Wefen und Bedeutung des Antifupranaturalismus herausgearbeitet
werden müffen; ftatt deffen geht Sehr, fofort
zu den gegenwärtigen Meinungsverfchiedenheiten über
Erasmus über (wobei ihm das Mißverftändnis begegnet,
mich in Gegenfatz zur Auffaffung von Troeltfch und Wernle
zu fetzen). Es kommt infolge jenes Mangels eine gewifle
Zernoffenheit in die Ausführungen hinein, eine gefchloffene
Wirkung geht verloren. Das bedauert man um fo mehr,
als Sehr. m. E. richtig gefehen hat, wenn er vom .rationali-
fuTch-fkeptifchen Kritiker, freigeiftigen Dogmatift (bei
dem die ftarke Frömmigkeitsnote wohl noch etwas deutlicher
hätte unterftrichen werden können), praktifchen
Moralift, Kulturoptimift und in allem und jedem bewußten
RelativifV fpricht, der aber ,im Grunde genommen den
Boden des mittelalterlichen Kirchentums nicht verlaffen
hat'. Aber feine Gedanken von der Seligkeit auserwählter
Heiden haben doch ,den Satz extra ecclefiam nulla falus
im katholifchen Sinne' aufgehoben (gegen S. 56) — hier
fehlt eben bei Sehr, die Einficht in das Wefen des Antifupranaturalismus
.

Die von Schröder neu begründete Erasmus-Auf-
faffung, die fich wohl fo ziemlich allgemeiner Geltung erfreuen
dürfte, wird nun freilich von Kalkoff in ftarke Er-
fchütterung verfetzt. Der unermüdliche Breslauer Gelehrte
hat in einer Fülle von Auffätzen, die z. T. noch gar nicht
alle veröffentlicht find, feinen das Archiv für Reformationsgefchichte
f. Z. eröffnenden Auffatz über,die Vermittlungspolitik
des Erasmus' nach allen Seiten hin ausgebaut und
nimmt die hier feftgelegte Stellungnahme des Erasmus
jetzt zum Maßftabe zur Beurteilung der Frage: Erasmus

und Luther in den Anfangsjahren der Reformation und
zur Wertung Ulrichs v. Hutten. K. bezeichnet die in den
Schriften des Vereins für Reformationsgefchichte er-
fchienene Arbeit als ,den Abfchluß meiner Unterfuchungen
über das Verhältnis des Erasmus zur Reformation' und
faßt das Ziel des großen Gelehrten in den Jahren 1517
bis 1521 dahin zufammen, ,daß er die Summe feiner gelehrten
Arbeit, die quellenmäßige Befeftigung, Reinigung
und Vertiefung der chriftlichen Religion, den wider-
ftrebenden Mächten der Scholaftik und der romanifchen
Hierarchie gegenüber zu breitefter Wirkung zu führen
fuchte durch Verbindung mit dem kühnen und volkstümlichen
Wirken Luthers, wobei er die aus der Eigenart
feines Verbündeten fich ergebenden Gefahren durch kluge
Beeinfluffung der Machthaber mit Hilfe der öffentlichen
Meinung aus dem Wege zu räumen fuchte.' Er foll dabei
feine ganze Perfönlichkeit eingefetzt und feine Sache fo
unlösbar mit der Sache der Reformation verbunden
haben, daß fie mit diefer in der Nachwelt fortwirkt: K.
wendet auf ihn das Wort ,denn er war unferl' an. Daß
K.'s Unterfuchung mit glänzendem Scharffinn in forg-
fältiger Ausfchöpfung der Quellen geführt wird, bedarf
kaum noch der Heraushebung, da wir es fo bei ihm gewohnt
find. Die Stärke feiner Ausführungen liegt m. E.
in der Entwicklung und Neubegründung der fogenannten
Kölner Aktion 1520, die Schwäche in der Annäherung
des Erasmus an Luther und in feiner Inanfpruchnahme
für die damalige deutfch-nationale Bewegung. Es ift
(gegen Hartfelder) richtig, daß bis in das Frühjahr 1519
hinein kein Verfuch Luthers oder des Kurfürften nachweisbar
ift, eine Parteinahme des Erasmus oder auch nur eine
Kundgebung zugunften Luthers zu erwirken. Fein wird
die Rolle von Johann Lang herausgearbeitet, der Luther
und Erasmus einander anzunähern fuchte; neben ihn rückt
Capito, der, damals in Bafel, zugleich den fchweizerifchen
Lutherkreis (über den fich über Kalkoff hinaus noch Einiges
mehr fagen ließe) repräfentiert, wie denn überhaupt die
Entwicklung der Bundesgenoffenfchaft Erasmus-Luther-
Friedrich der Weife ausgezeichnet und anfehaulich dargelegt
ift in ihren verfchiedenen Stadien. Verfehlt hingegen
erfcheint mir die Schlußbetrachtung: ,Erasmus als
Vorkämpfer der deutfehen Reformation', wobei K. fowohl
dem Adjektiv ,deutlch' wie dem Subftantiv .Reformation'
einen vollen Akzent geben will.

Von einem ,freundfchaftlichen Einvernehmen' (S. 101) zwifchen
Erasmus und Luther wird man gerne reden, aber bei voller Anerkennung
des von Erasmus für die Lutherfache Geleifleten kann ich den Beweis
nicht erbraeht fehen, daß die beiden fich ,des grundlegenden gemein-
famen Strebens bewußt gewefen, der Zurückführung der religiofen Erkenntnis
auf die erften Quellen' oder gar, daß der Humaniftenfürft ,für
die gemeinfame Sache der evangelifchen Wahrheit' eingetreten fei. M.
E. hat Erasmus in Luther nur den Gelehrten und den Bekämpfer kuria-
liftifcher Mißbräuche gefchätzt, die beleidigte Wiffenfchaft reagiert in ihm,
von dogmatifcher oder religiöfer Gleichgeftimmtheit aber vermag ich
nichts zu entdecken. Der Hinweis K.'s (S. 3) auf gemeinfame fchola-
ftifche Grundlagen überzeugt nicht; felbfl einmal einen thomiftifchen
Einfchlag bei Erasmus angenommen, was nach den Ausführungen von
Meftverdt fehr zweifelhaft fein dürfte, fo kam doch Luther nicht von
Thomas, fondern von Occam her. Der Wunfeh, gegen gemeinfame
Gegner einen Rückhalt zu fuchen, darf nicht in Gegenlatz zur geiftigen
Gemeinfchaft mit dem Humanismus gebracht werden (zu S. 4); das
Letztere fchloß das Erftere in fich. Gewiß konnte Erasmus in Fragen
der Seelforge fich mit Luther berühren, aber die Rechtfertigungslehre
beifeite zu laffen, war nicht Politik, fondern kam daher, daß er fie nicht
brauchen konnte. Der grundfätzliche Gegenfatz zwifchen Erasmus und
Luther, den dieler fchon 1516 klar formuliert hatte, kommt bei K. nicht
zu feinem Rechte; er biegt Luther an Erasmus heran und verhüllt dadurch
das Revolutionäre bei jenem (z. B. S. 64, wo Luther ,noch lange
Zeit' in den Erasmifchen Bahnen einer vorfichtigen Vertretung feines
Ideals gegangen fein foll, wogegen fchon ,de captivitate babylonica'
fpricht, oder S. 91, .wo Luther den Erasmus ganz richtig beurteilt, K.
aber von ihm verlangt, er hätte feine fcharfe Bemerkung unterdrücken
können). Erasmus will aufs deutlichfle den Bruch mit dem Papfttum
vermieden fehen, ja, er gibt lelbft (S. 74) als die eigentliche Quelle alles
Übels nur Mißbräuche (f. die Überficht S. 74), aber gar nichts Dogma-
tifches an, während für Luther dig Wurzel alles Übels in einer fallchen
religiofen Einftellung (vgl. die 95 Thefen) lag. So dürfte m. E. Hedio
den richtigen Ausdruck gefunden haben, wenn er die ganze vorübergehende
Gemeinfchaft des Erasmuskreifes mit Luther ein a&aai t'