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Ausgabe:

1921 Nr. 1

Spalte:

137

Autor/Hrsg.:

Ehrenberg, Hans

Titel/Untertitel:

Tragödie und Kreuz 1921

Rezensent:

Piper, Otto A.

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137

Theologifche Literaturzeitung 1921 Nr. 11/12.

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wurde, verföhnt die Wärme und aufrichtige Frömmigkeit
, mit der der Verf. aus der Fülle feines Herzens
Zeugnis ablegt.

Königsberg. Theodor Krueger.

Ehrenberg, Prof. Dr. Hans: Tragödie und Kreuz. 2 Bde.
(VII, 250 u. VII, 250 S.) 8°. Würzburg, Patmos-
Verlag 1920. M. 24 —

Das Werk — 20 akademifche Vorlefungen — befteht
aus zwei Schichten. Den Grundftock bildet ein fehr
geiftvoller und gedankenreicher Verfuch, die Gefchichte
der Tragödie nicht bloß als kaufal verbundenes Nacheinander
, fondern als Selbftbewegung des ewig gleichen
Lebens zu verftehen: die Tragik entfteht aus der Spannung
zwifchen dem ftets wachfenden Freiheitsdrang der menfch-
lichen Seele und der Macht des Schickfals, mag dies
nun in der Natur, im Charakter oder in der eigenen
Seele ruhen. Die Tragödie ift Darfteilung diefer Tragik,
geboren aus dem Mitleiden.

Auf diefem gefchichtsphilofophifchen Fundament errichtet
E. einen theologifchen Überbau: er verfucht nun
die Gefchichte der Tragödie heilsgefchichtlich zu deuten.
Höchft bedeutfam daß, man Gefchichte überhaupt wieder
religiös zu betrachten beginnt; aber auch ein höchft bedenkliches
Unterfangenl Die Heilsgefchichte mit den
Ideen der zunehmenden Offenbarung und der Erlöfung
wird fo aus einer Glaubenstatfache eine gefchichtsphilo-
fophifche Hypothefe, die nun alle Einzelheiten der ge-
fchichtlichen Entwicklung deuten muß. So wird das
Irrationale rationalifiert und damit ftatt göttlicher Weisheit
der Ausdeutung durch menfchlichen Verftand überantwortet
. Ehrenbergs religiöfer Einficht zum Trotz fallen
nun gekhichtliche Entwicklung und Heilsgefchichte zu-
fammen.

Die religiöfe Betrachtungsweife führt mit Notwendigkeit
zu der Entfcheidungsfrage: ift im Chriftentum überhaupt
noch eine Tragödie möglich? E. erfcheint fie nicht
nur möglich, fondern fogar notwendig. Denn Leid und
Tragik find mit dem Erfcheinen Chrifti nicht aufgehoben,
und fo ftützt die Tragödie das Kreuz: ift fie doch der
fchönfte Ausdruck des Mitleidens; und Mit-leiden ift ja
Kraft der ewigen Liebe.

Man wird diefe Löfung ablehnen, wenn man das
Wefen des Chriftentums anders als E. auffaßt. Ift denn
im Chriftentum das Leiden noch das Wefen des Lebens?
Ift es mehr als feine Form? Und ift Mitleid — trotz
Nietzfche — wirklich die chriftliche Haupttugend? Wenn
aber die Leiden diefer Zeit gar keine Bedeutung mehr
haben gegenüber der Herrlichkeit Gottes, kann dann die
Tragödie überhaupt noch die Sprache der Wirklichkeit
fprechen? Ift die Tragik des Lebens dann noch mehr
als die anderen menfchlichen Dinge? D. b. mehr als ein
Spiel, das man fo ernft nimmt wie eben Kinder Spiele
nehmen, das aber doch Spiel bleibt? Wagen wir alfo
das bittere Eingeftändnis: die Tragödie ift durch das
Chriftentum zwar nicht unmöglich gemacht, aber fie hat
keine wefentliche Bedeutung mehr.

Göttingen. Piper.

Wittmann, Prof. Dr. Michael: Die Ethik des Ariftoteles. In

ihrer fyftematifchen Einheit und in ihrer gefchicht-
lichen Stellung unterfucht. (XIX, 351 S.) 8°. Regensburg
, G. J. Manz 1920. M. 10—; geb. M. 14 —
Überzeugt davon, daß eine Darfteilung der ar. Ethik
als einer fyftematifchen Einheit noch fehlt, will der Verf.
diefem Mangel abhelfen und zugleich auch die hiftorifche
Abhängigkeit der Gedanken des Stagiriten verfolgen.
Zu dem Ende befpricht er aus der nik. Ethik der Reihe,
nach die Abfchnitte über die Glückfeligkeit, die Tugend
— im allgemeinen fowohl wie in ihren befonderen Formen
zu denen er auch die Freundfchaft rechnet —, und die
Luft, um im Schluß alles zufammenzufaffen und zuletzt
noch eine Wertung der ar. Ethik zu geben. An paffenden

Stellen find die hiftorifchen Unterfuchungen eingefügt.
— Nun ift garnicht zu beftreiten, daß die Lektüre des
Werkes trotz mancher Breite von großem Intereffe ift und
mannigfache Anregungen bietet. Daß aber der Verf.
feinen Zweck erreicht habe, kann ich nicht zugeben. Ich
fehe von Einzelheiten ganz ab. Aber es geht nicht an,
zu behaupten, daß Ar. zunächft ,ftillfchweigend angenommen
' habe, daß nicht der denkende Verftand,
fondern ,die fittliche Seite der Menfchennatur' den vor-
nehmften Teil des vernünftigen Wefens ausmache (315)
und darum erft ,am Ende des Werkes' diefe Annahme
einfchränke (42). Gewiß kommt in der nik. Ethik die
ethifche Tugend quantitativ beffer weg, aber der Grund
dafür ift der politifche Charakter der ar. ,Ethik'. Und
den verkannt zu haben, ift der Grundfehler der Arbeit
Wittmanns. Das führt ihn zu folchen unmöglichen Behauptungen
wie der, daß Ar. das Individuum nicht im

Staate habe untergehen laffen (6), oder daß für ihn _

den Urheber der Lehre vom natürlichen Sklaven! — das
allgemein Menfchliche Bedeutung befeffen habe (VIII).
Es würde mich freuen, wenn ich Wittmann auch einmal
meine Auffaffung der ar. Ethik, die feit 1917 im Ms. fertig
ift und vom Verein wiffenfchaftlicher Verleger zur Zeit
nur der Korten wegen nicht gedruckt werden kann, unterbreiten
könnte. Vielleicht würden gerade die verfchiedenen
Gefichtspunkte, von denen aus wir diefelbe Sache betrachten
, zu ihrer Förderung dienen.

Königsberg. Goedeckemeyer.

Rothacker, Priv.-Doz. Dr. phil. Erich: Einleitung in die Geiftes-

wiffenfchaften. (XVI, 288 S.) 8°. Tübingen, J. C. B.

Mohr 1920. M. 24—; geb. M. 28--b 75n/0 V-T-z!

R.s Buch analyfiert die logifchen und methodifchen
Grundlagen, auf welchen die Arbeiten der großen Ge-
fchichtsforfcher von Hegel bis Dilthey ruhen. Er zeigt
überzeugend, daß die Unterfchiede in der hiftorifchen
Forfchung philofophifcher Art find, auch bei Forfchern,
die nichts von Philofophie wiffen wollen. R. bleibt nicht
in Allgemeinheiten hängen. Er zeigt in eingehenden
Spezialunterfuchungen, wie die Einflüffe Hegels, der hifto-
rifch-romantifchen Schule und des Pofitivismus in fpeziel-
len Fragen z. B. über Idee und Perfönlichkeit, über das
Wefen des Volksgeiftes, über Gefetze in der Gefchichte,
über Bedeutung der Maffe bei verfchiedenen Hiftorikern
wie Ranke, Droyfen, W. Scherer, Lamprecht, Dilthey
auseinandertreten oder fich mifchen. Seine eigene Überzeugung
ift: ,Die Gebäude der heutigen Geifteswiffen-
fchaften ruhen noch immer auf den Grundmauern der
großartigen fpätromantifchen Wiffenfchaft und ihrer Epigonen
.' Leider haben fich .Fremdkörper zwifchen uns
und jene lebenfpendenden Meiftermethoden gefchoben'.
Diefe weift R. im Pofitivismus nach, deffen Eindringen
in die Gefchichtswiffenfchaft hier zum erften Male quellenmäßig
dargeftellt wird. — Wenn auch die Hauptmaffe
•des Buchs hiftorifche Darftellung ift, fo ift doch feine
eigentliche Tendenz eine fyftematifche. Das Buch ift als
Vorarbeit für eine Logik der Geifteswiffenfchaften gedacht,
die Diltheys Lebenswerk weiterfuhren foll. Eine Meta-
phyfik des Geiftes' würde den letzten Abfchluß bilden.
Von den gefchichtsmethodifchen Bemuhuno-en Windelbands
und Rickerts urteilt R., daß ihr Verfahren zu rational
ift und dem auf lebendigem Einfühlen beruhenden
Herausfinden desFruchtbarennichtgerecht wird. Befonders
gut wird Unterfchied und Verwandtfchaft der Hegel'fchen
und der hiftorifch-romantifchen Schule gefchildert. Auch
die letztere fieht die Geifteswelt als einen großen von
Gott durchwalteten Organismus an, aber fie meidet die
Uberfteigerung des Glaubens an die in der Gefchichte
waltende Vernunft zu dem Verfuch einer Ableitung des
Inhaltes der Gefchichte aus logifchen Begriffen. Ferner
lebt in ihr eine religiös-theiftifche Abneigung vor der
Anmaßung, Gottes Vorfehungswalten vollftändig durch-
fchauen und nachkonftruieren zu können. — R. will eine