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Ausgabe:

1921 Nr. 1

Spalte:

134-135

Autor/Hrsg.:

Berger, Arnold E.

Titel/Untertitel:

Martin Luther in kulturgeschichtlicher Darstellung. 2. Teil, 2. Hälfte: Luther und die deutsche Kultur 1921

Rezensent:

Cohrs, Ferdinand

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Theologifche Literaturzeitung 1921 Nr. 11/12.

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der Erfurter Revolution von 1509. III. Via antiqua
und via moderna auf den deutichen Hochfchulen des
Mittelalters m. bef. Berückf. der Univerfität Erfurt.
Hrsg. v. Stadtarchiv. Prof. Dr. Alfred Overmann.
(VIII, 284 u. 72 S.) gr. 8°. Gotha, F. A. Perthes 1919.

M. 15 —

Es find die Unterfuchungen eines im Felde gebliebenen
jungen und viel verfprechenden Erfurter Forfchers, die
hier gefammelt vorgelegt werden. Prof. Overmann hat
die felbftverleugnende, aber auch dankbare Aufgabe übernommen
, in einem Bande zu vereinigen, was aus Benarys
Feder fchon gedruckt war und noch, z. T. recht unvollendet
, im Manufkript vorlag. Dankbar war die Aufgabe, weil
der jugendliche Forfcher mit Erfolg fich in die Gefchichte
feiner Vaterftadt zu vertiefen begonnen hatte, die Erfurter
Gefchichtfchreibung kritifch durchleuchtete, durch den
Nachweis einer ungewöhnlich ftarken Tendenzfchriftftellerei
in den Erfurter Hiftorien die Grundlage für eine wiffen-
fchaftliche Darfteilung der Erfurter Gefchichte legte und
in minutiöfen Fänzelunterfuchungen felbft Baufteine zum
Neubau herantrug. Wer fich in den letzten Jahren mit
dem fpätmittelalterlichen Erfurt befchäftigt hat, konnte
mit Gewinn Benarys Arbeiten benutzen und durfte von
ihm noch viel erwarten. Daß er in der Polemik das Maß
verlor, etwas überheblich den wiffenfchaftlichen Gegner
abkanzelte und die eigene Leiftung ftärker unterftrich als
billig war, konnte vielleicht als jugendliche Verirrung ent-
fchuldigt werden, die mit reifender Einficht fchwinden
werde. Auf das Ganze gefehen, durfte doch die Freude
an der tüchtigen Arbeit und den fchönen Ergebniffen
andere Empfindungen zurückdrängen.

Der Band enthält drei Arbeiten: Über die Erfurter
Revolution von 1509 und ihren Einfluß auf die Erfurter
Gefchichtfchreibung. Die Vorgefchichte der Erfurter
Revolution von 1509. Via antiqua und via moderna auf
den deutfchen Hochfchulen des Mittelalters mit befonderer
Berückfichtigung der Univerfität Erfurt. Die Lefer diefer
Zeitfchrift wird vor allem die letzte Arbeit intereffieren.
Benary leugnet mit Recht, daß der Unterfchied der beiden
Wege im Stoffgebiet gelegen hat. Diefen wunderlichen
Irrtum hatte ich fchon in meinem Luther Bd. 1 zurück-
gewiefen. Auch darin gebe ich Benary Recht, daß die
.terminiftifche' Logik kein Refervat der .Modernen' gewefen
ift. Ihr Schöpfer war ,Realift'. Auch darauf habe ich in
meinem Luther Bd. 1 aufmerkfam gemacht. Dagegen
meinte ich den Unterfchied der via moderna und antiqua
im ausgehenden Mittelalter auf erkenntnistheoretifchem
Gebiet luchen zu müflen. Ich identifizierte darum .Moderne'
und .Occamiften'. Benary glaubt jedoch nachweifen zu
können, daß auch Thomiften nach der via moderna lehrten.
Der Unterfchied beider Wege liege lediglich auf formalem
Gebiet, wie an einer Definition Gerfons illuftriert wird: ,Es
gibt zwei Wege, die natürlichen Dinge in Worte zu faflen.
Der eine Weg geht aus von feiten der erkennbaren Dinge
a priori, der andere von feiten der Erkennenden a posteriori
'. Es find Methoden mit konträr entgegengefetzten
Ausgangspunkten. Die .Modernen' find .Apofterioriften',
die .Alten' .Aprioriften'. Die Modernen heißen Nominaliften
, weil fie vom nomen = Sprachausdruck ausgehen, die
Alten Realiften, weil fie von den Tatfachen (res) ausgehen.
So konnten Thomiften, Albertiften, Skotiften, Occamiften
alle zur via moderna gehören, fofern fie fich zum apo-
fterioriftifchen Verfahren bekannten. Ich habe mich jedoch
nicht davon überzeugen können, daß damit der Tatbestand
des endenden 15. und beginnenden i6.Jhds zutreffend
gezeichnet ift. Wie weit Benarys Annahme für die ältere
Zeit diskutabel ift, lafle ich dahingeftellt. Später bezeichnen
m'e ,Wege' nicht bloß erkenntnistheoretilch neutrale Methoden
des Lehrvortrags, fondern auch erkenntnistheo-
retifche und metaphyfifche Differenzen. Benary felbft muß
einräumen, daß in Köln die via auch in bezug auf den
Inhalt gebraucht wurde. Die .Alten' find die gemäßigten
Realiften, die .Modernen' die Konzeptualiften. Luther

hat den Occamismus der via moderna gleichgefetzt. In-
ftruktiv ift auch die Benary unbekannt gebliebene Be-
ftimmung des Statuts der Wittenberger Artistenfakultät,
dem zufolge Ariftoteles in Wittenberg nach den drei
Wegen ausgelegt werden folle, d. h. thomiftifch, fkotiftifch
und occamiftifch oder modern. Die letzte Beftimmung
wurde erft aufgenommen, nachdem der Occamift Trut-
vetternach Wittenberg gekommen war und den .modernen'
Weg dort einführte. Mit Benarys Annahme durchzukommen
wird darum kaum möglich fein. Auf weitere
Einwände möchte ich hier verzichten.

Tübingen. Scheel.

Berger, Arnold E.: Martin Luther in kulturgelchichtlicher
Darfteilung. 2. Tl., 2. Hälfte Luther und die deutfche
Kultur. (Geifteshelden Bd. 66—68.) (XIV, 754 S.) 8«.
Berlin, E. Hofmann & Co. 1919. M. 18,50*

geb. in Leinen M. 23—; in Halbleder M. 26 —
Im Jahre 1895 erfchien der erfte Band diefer groß
angelegten Luther-Biographie, richtiger gefagt: diefer
Luther-Würdigung, denn ihr Ziel ift, wie der Haupttitel
fagt, Luther kulturgefchichtlich zu beleuchten. Vor etwa
zwanzig Jahren folgte dann der I. Teil des II. Bandes,
der den befonderen Titel trägt: Luther als führender Geilt!
In diefer Abteilung war das Kulturgefchichtliche ftark
oder ganz zurückgetreten: die Darfteilung wurde mehr
und mehr zu einer Reformationsgefchichte der Jahre
1525—1532j die dem SI- Bande zugewiefen find; hinter
dengroßenEreigniffen verfchwand das perfönlicheMoment;
man mußte zuweilen fich erinnern, daß man eine Luther-
Biographie las. Aber auch das lag im Rahmen des Werkes:
es lollten die großen Folgen gezeigt werden von dem Auftreten
diefes einen Gewaltigen. Der vorliegende Band
gibt nun zu dem politifchen und kirchenpolitifchen Überblick
die kulturgefchichtliche Ergänzung und ftellt damit
den II. Band erft recht unter den Haupttitel des Werkes.
Nach vier Seiten hin wird Luther als führender Geift gewürdigt
: als Kirchenftifter und Theologe, als Ethiker und
Soziahft, in feiner Bedeutung für Wiffenfchaft, PIrziehuno-
und Kunft und in feiner Bedeutung für die deutfche Na°-
tionalliteratur. Auch hier geht das Gebotene weit über
das, was man in einer Luther-Biographie vermutet, hinaus
; bis in die Gegenwart hinein wird Luthers Einfluß
verfolgt. In der Theologie und Ethik, indem von Luthers
unveraltbarer Rechtfertigungslehre bis zum deutfchen
Idealismus die Linie gezogen wird; für die Wiffenfchaft,
indem die Bedeutung der Reformation für die deutfche
Geiftesfchulung aufgezeigt wird und die fittliche Pflicht
der wiffenfchaftlichen Forfchung aus ihren Prinzipien abgeleitet
wird; in der deutfchen Nationalliteratur, indem der
innere Zufammenhang des Weltanfchauungsgehalts der
Reformation mit der Gedankenwelt der Klaftiker nach-
gewiefen wird. Es ift ja wohl begreiflich, daß in der
Scheu, den Umfang des ohnehin ftattlichen Bandes noch
mehr zu vergrößern, Belegftellen nicht gegeben find; und
doch ift es bedauerlich, denn manche Ausführungen würden
dadurch erheblich an Wert gewinnen. So heißt es auf
S. 306, daß den Zufammenhang der Lutherfchen Recht-
fertigungslehre mit der Gedankenwelt des Idealismus Schiller
einmal fcharfblickend angedeutet hat: wieviel wertvoller
wäre diefe Notiz, wenn man wüßte, welche Stelle der
Verfaffer im Auge hat. Damit hängt ein anderer Wunfeh
zufammen; durchweg find die Ausführungen allgemein,
überfichtlich und zufammenfaffend gehalten; es wäre fonft
ja auch garnicht möglich, fo weitfehauende Ausblicke
auf dem dafür doch geringen Raum zu geben; doch wäre
fchon durch eine kurze Anführung von Namen und Daten,
wie es auf einzelnen Gebieten, z. B. in der Mufikgefchichte
— in gewiffem Umfang gefchehen ift, die Ausführung konkreter
zu geftalten gewefen. Bei dem Ausblick in die
Nationalliteratur hätte man gern, da einmal die Spiegelungen
Luthers in der Literatur des 16. Jahrhunderts gegeben
find, einen Überblick auch darüber gehabt, wie