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Ausgabe:

1921

Spalte:

123

Autor/Hrsg.:

Irritz, W.

Titel/Untertitel:

Der Geist des Judentums und sein Einfluß auf die kulturhistorische Entwicklung der Menschheit 1921

Rezensent:

Bischoff, Erich

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123

Theologifche Literaturzeitung 1921 -Nr. n/12.

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das alles wird Niemand, der vorurteilslos diefen Problemen
nachdenkt, beftreiten können. Aber trotz diefer Zu-
ftimmung zu den Hauptrefultaten Königs kann ich Bedenken
gegen feine Beweisführung nicht unterdrücken.

Die in den altteftamentlichen Quellen zur Erfcheinung kommende
ifraelitifche Religion Hellt eine Entwicklung von mehr als einem Jahrtaufend
dar. Es geht doch nicht an, diefe ifraelitifche Religion als einheitliche
Größe anzufehen, was Ed. König S. 7 tut, eine unbefangene
Forfchung kann doch nicht beftreiten, daß neben den Höhepunkten fich
auch Tiefpunkte finden, die fich nur daraus erklären, daß Ifrael die Eier-
fchalen feiner Vergangenheit nicht vohftändig abgeftreift hat, Tiefpunkte,
in denen diefe Religion fich mit dem Heidentum berührt, und je nach
der Zeit haben die Tiefpunkte oder die Höhepunkte einen ftärkeren Einfluß
gehabt. Kann man auch mit Recht von einer Fortbildung der
prophetifchen Religion im Chriftentum reden, fo doch nicht von einer
Fortbildung der gefetzlichen, es ift nicht zufällig, daß Jefus über die
nachexilifche gefeizliche Periode an das Prophetentum anknüpft: zu
diefer geletzlichen Periode und ihrer Auffaffung vom Wefen der Frömmigkeit
bezeichnet das Chriftentum nicht die Fortbildung, fondern den
Gegenfatz. Unbeftritten find die Ahnungen eines einft kommenden vollkommenen
Zuftandes, aber ebenfo unbeftreitbar ift die Tatfache, daß es
auch an den Kreisen nicht gefehlt hat, welche in der zu ihrer Zeit vorhandenen
Religion die vollkommene Stufe religiöfer Erkenntnis fahen
und jede Hinzufügung eines Wortes zu der kanon. Schrift oder jede Fort-
nahme als Sakrileg verurteilten. Es wäre auch angebracht fchärfer zu
zeigen, nach welcher Seite hin Jefus keine Erfüllung gebracht hat, weil
die in ihm gekommene Erfüllung ein Höheres war, als die altteftamentlichen
Frommen es ahnten. Es fehlt zwar nicht ganz an Hinweifungen
auf folche Momente, aber fie kommen nicht zur gebührenden Geltung.
Ich verweife z. B. auf S. 50, wo es heißt: ,Indem Jefus ein unpolitifches
Meffiasreich erftrebte, ftand fein Plan mit den vielen Stimmen der
Weisfagung im Einklang, welche die wahre Aufgabe von Kraels Ge-
meinwefen im ,Stillefein und Vertrauen' Jef. 30, 15 und in der Spendung
von religiös-fittl. Licht für die Völkerwelt (42, 6, 49, 6) kennen gelehrt
hatten.' Aber weder das erfte und noch die andern Zitate beweifen,
was fie beweifen follen. Doch genug, das Gefagte wird zur Charakteri-
fierung genügen.

Leipzig. W. N o w a c k.

Dubnow, S. M.: Die neuefte Gefchichte des jüdifchen Volkes
1789—1914. Bd. I/Il. (?34 u- 5l8 s-) 8r- 8f- Berlin, Jüdifcher
Verlag 1920. Zufammen M. 72 — ; geb. M. 85 —

Die rulfifche TJrfchrift des Buches ift kurz vor dem Weltkriege
fertig geworden; daher trifft manches über die Lage der ruffifchen und
rumänifchen Juden von damals Gefagte nicht mehr zu. Im übrigen
aber ift zu erklären: Der Verlag hat fich mit der Herausgabe der
deutfchen ( berfetzung des ehrlichen, ftoffreichen und intereffant ge-
fchriebenen Werkes ein ganz befonderes Verdienft erworben. Gegenüber
dem parfümierten Spinnengewebe mancher modernen jüdifchen
„Gefchichtsklitterei", der das Judentum nur noch ,,Konfelfion'' oder
„jüdifcher Glaube" ift, hat Dubnow den Mut, vom jüdifchen Volke zu
reden, und ftatt lavierenden opportuniftifchen Geredes fagt er gerade
heraus, wie die Sachen waren und find; eine Glanzleiftung ift z. B. die
Darfteilung des „loyalen" jüdifchen Sanhedrin von 1807 zu Paris. Wie
feiten ein jüdifcher Gefchichtsfchreiber befitzt er zudem die Gabe der
Anfchaulichkeit und eines klaren Pragmatismus; zudem ift lein Buch
gut lesbar, was im allgemeinen auch von der Überfetzung gilt. Über
manches kann man natürlich anders denken. Jedenfalls gibt es über
die neuere jüdifche Gefchichte keine andere zufammenfaffende Darftellung
io vielfeitiger und lehrreicher Art wie diefes Werk, auf das auch unfere
Theologen ganz befonders hingewiefen feien, da gerade für fie und gerade
heute eine weit genauere Kenntnis des Judentums als bisher
dringende Pflicht ift.

Leipzig. Erich Bifchoff.

Irritz, W.: Der Geift des Judentums und fein Einfluß auf die kultur-
hiftorifche Entwicklung der Menlchheit. Erfter Teil (Erftes Buch)

(119 S.) 8°. Frankfurt a. M., J. Kauffmann 1920.

M. 5--1- 5o°/0 V.-T.-Z.

Man fagt, daß man auch aus dem fchlechteften Buche etwas
lernen könne. Da ich aus dem nichtsiagenden Phrafenfchwalle dieler
Veröffentlichung garnichts zu lernen vermochte, fcheint es noch über-
flüffigere Bücher zu geben. Nennenswert ift einzig der Mut des Verlages,
in fonderbarem Undeutfch noch weitere vier fölcher „Geiftes"-Erlchei-
nungen anzukündigen.

Leipzig. Erich Bifchoff.

Heinemann, Dozent Dr. J.: Zeitfragen im Lichte jüdifcher Lebens-

anfehauung. 5 Vorträge. (134 S.) 8°. Frankfurt a. M., J. Kauffmann
1921. M. 9.50 + 50"/,, V.-T.-Z.
,Hic über est, in quo quaerit sua dogmata quisque, invenit et
pariter dogmata quisque sua', fügte einft der Baleler Theologieproleffor
Samuel Werenfels (1657—1740.. Was Dr. H. über Militarismus und
Pazifismus, Gottesgnadentum und Volksfouveränität, die foziale Frage,
die Frauenfrage und Erziehungsfrage von feinem gemäßigt-orthodoxen
Standpunkte aus dem A. T. herausgelefen hat, geben diefe fünf, im November
und Dezember 1919 an der Breslauer jüdifchen Volkshochfchule

gehaltenen Vorträge wieder. Das Urteil ift im allgemeinen befonnen,
nur einigemal in bezug auf ,das' Chriftentum üblich einieitig. Daß
man von einem anderen Standpunkte dem Verfaffer entgegengefetzt
urteilen kann, liegt im Wefen des A. T. und feiner verfchiedenen Betrachtungsmöglichkeiten
.

Leipzig. Erich Bifchoff.

Pal Iis, Alex.: To the Romans. (190 S.) 8°. Liverpool
Bookfellers 1920.
Das Werk bietet zuerft den griechifchen Text, dann
einen fehr kurzen Kommentar und endlich eine freie
Wiedergabe. Diefe Anordnung fcheint unpraktifch, da
die Wiedergabe felbft ein wichtiges Stück zumal eines
kurzen Kommentars ift. Indeffen kann nur durch eine
Wiedergabe, welche durch keine Erklärung oder Begründung
unterbrochen wird, ein wefentliches Ergebnis diefer
Unterfuchung deutlich veranfehaulicht werden, nämlich
welche Teile der Verfaffer für Interpolationen hält und
darum kurfiv druckt, und welche er als Randnotizen betrachtet
und in Anmerkungen bringt. Für den Verfaffer
ift der Brief nicht von Paulus gefchrieben, fchon weil die
Sprache, die eines Schulmanns, durch Mangel an Urfprüng-
lichkeit von der in Gal. und Kor. abweicht; nicht von
Korinth aus, weil kein Wort auf die ihn dort bewegenden
Kämpfe mit den Judaiften hindeutet; nicht nach Rom,
weil das Bild der Gemeinde hier ein anderes ift als in
der Apoftelgefchichte. Der Brief ift vielmehr von einem
Judenchriften (9,1 f) zwifchen 70 und 100 p. Ch. aus
Alexandrien (wegen des Tierdienftes 1,23) als .katholifcher'
Brief ausgefandt, um die Eintracht zwifchen den heiden-
und judenchriftlichen Teilen der Gemeinden zu fertigen.
Diefen Standpunkt in der Vorrede kann ich in keiner
Beziehung für richtig halten. Dennoch möchte ich den
Kommentar wegen feiner dreifachen Eigenart aufs wärmfte
empfehlen. — Zunächft nämlich druckt Verfaffer den
Text von G(F) und zwar auch da, wo er ihn laut Kommentar
für fehlerhaft hält (wie 3,20 u. a.). Wer nämlich
an den kanonifchen Text gewöhnt ift, wird nicht leicht
fortlaufend eine vorkanonilche Textform fich vergegenwärtigen
können und leicht voreingenommen fein, die
Lesarten der letzteren an dem kanonifchen Text zu meffen
und als Fehler zu beurteilen. So ift es dankbar zu begrüßen
, daß die Wiedergabe diefer Textform Eigenart
und Wert derfelben leicht und deutlich erfcheinen läßt.
Leider werden längft nicht genug Lesarten befprochen
und faft nie ihre Zeugen aufgeführt, fodaß der Kommentar
keineswegs ein textkritifcher ift. Verfaffer ift
allzu geneigt, Konjekturen ohne zwingenden Anlaß zu
geben. Immerhin hat er für viele beachtenswerte Begründungen
z. B. 1,18 xaxaxgExovxcov; 1,19 ayvcoaxov;
2,22 isQaoxoxEiq; 3,25 JtctQOQaoiv; 4,2 EXEiq; 8,3 omxrjQcaq
loco ajiaQxiaq u. a. Sie verftärken den Eindruck, der
neuerdings fich auch fonft geltend macht, daß wir Deutfche
Konjekturen allzu fehr ablehnen. — Sodann ift der Kommentar
faft einfeitig philologifch. Wie viel kürzer könnte
mancher Kommentar fein fehr zu feinem Vorteil, wenn er
viel breiter auf rein fprachliche Fragen eingehen würdeI
Reiches Material wird aus der klaffifchen und hellenifti-
fchen Literatur beigebracht; bisweilen genügt faft ein
folcher kurzer Hinweis wie z. B. für 12,2 ovoxTjf/axi&o&ai
cf Lucianus 372 ox^l^axL^ovai xcu fiExaxoöfiovoi savxovq.
An Abweichungen von der gewöhnlichen Auffaffung fiel
mir auf z. B. 7, 2: die Frau ift .durch den lebenden Mann
gebunden an das Gefetz' (ftatt an ihn durch das Gefetz),
wie fie durch den Tod des Mannes vom Gefetz loskommt.
Die erftrebte Kürze und prinzipielle Einfeitigkeit-macht
den Kommentar biblifch-theologifch unzureichend; z. B.
befpricht er 1,16 u. 17 auf 1'/2 kleinen Druckfeiten. —
Endlich liegt eine dritte Eigentümlichkeit des Kommentars
darin, daß er durch Annahme von Interpolationen und
Randnotizen die Urfubftanz des Briefes auf ein Minimum
befchränkt. Interpolationen find ihm 1,19—31; 3,21—31;
5,3; 6,14—8,39; [8,1 + 2 post2,n]; 9,8—10,11; 11,11 + 12;
11,21 22; 12,14; 13.1—J4; H8b + 9; 14,16—15,13; 16