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Ausgabe:

1921

Spalte:

108

Titel/Untertitel:

Dentzer, Anfänge des modernen Staates im ausgehenden Mittelalter 1921

Rezensent:

Bonwetsch, Gerhard

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Seite 1

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ioj Theologifche Literaturzeitung 1921 Nr. 9/10. 108

Schrägbalken wird man z. B. vergeblich fuchen — ein
Riefenmaterial in überfichtlichfter, handlichfter Form. Jeder
Nummer ift ein Hinweis auf ein möglichft leicht erreichbares
Bild-Original beigefügt.

Gelegentlich fcheint mir freilich diefer Hinweis nicht immer ganz
das Richtige zu treffen, fo, wenn als Beifpiel für das Sinnbild des hl.
Geiftes in der Geftalt der Taube die Dreifaltigkeit Tizians im Prado
zu Madrid genannt ift; denn man erwartet in jedem Falle eine Darftellung
des Mittelalters, nicht fpäterer Zeit, während der Verfaffer hier und mehrfach
ins 16. Jahrhundert übergegriffen hat. Das ift fo lange kein
befonderer Schade, als das betr. Symbol oder typologifche Bild tatfäch-
lich auch von der mittelalterlichen Kunft verwertet ift. Für ein Sinnbild
aber, wie Nr. 29 Chriftus als Arzt, dürfte es dem Verf. fchwer
fallen, es als mittelalterlich oder auch nur als vorreformatorifch — die
Kunft der Neuzeit beginnt bekanntlich bereits vor der Mitte des 15. Jhs. —
darzutun.

Es hätte fich ohnehin ungemein empfohlen, daß der Verf. zu den
angeführten künftlerifchen Quellenbelegen durchweg und nicht nur
ausnahmsweife die Entftehungszeit notiert hätte. Und noch viel wertvoller
wäre es gewefen, wenn bei den einzelnen Symbolen und Typen
feftgeftellt bzw. feftzuftellen verfucht wäre, feit wann und wo etwa am
früheften fie in der chriftl. Kunft erfcheinen. Eine derartige Feftftellung
hätte allerdings eine fehr erhebliche Arbeitsmehrung in fich begriffen,
den wiffenfchaftlichen Rang des Buches aber, ohne irgend feine Handlichkeit
zu gefährden, fehr wefentlich gefteigert.

Die 9 ausgezeichneten Tafeln (mit 15 Abb.) find eine fehr willkommene
Illuftration zu einem Bruchteil der Nummern; auch ihrer
Erweiterung möchte eine Neuauflage zugute kommen. (Tf. VHa 1.
Nr. 937 u. 938. ft. 933.)

Ein vortreffliches Gefamtregifter und eine Vergleichstabelle
mit der Benennung der biblifchen Bücher in der
Vulgata und bei Luther, foweit ihre Abweichungen für
Zitate in Betracht kommen, befchließen das fchöne Buch,
das Theologen und Kunfthiftorikern, die es mit dem Mittelalter
zu tun haben, ein auskunftsreiches Nachfchlage- und

Stufen der Kulturentwicklung im Mittelalter herauszufinden.
Aber die Fülle des von allen Seiten herbeigebrachten
und zufammengeftellten Stoffes macht auch diefen Band
wertvoll, zumal von einer einfeitigen Verhimmelung des
Mittelalters und von einer katholifchen Tendenz nicht geredet
werden kann. Ja mir will Rheinen, als wäre man
berechtigt, die Wirkung des chriftlichen Gedankens noch
fchärfer herauszuarbeiten. Hoffentlich ermöglichen einmal
gute Regifter, den Inhalt des Werkes voll auszufchöpfen.
Kiel. G. Ficker.

Dentzer, Studienr. Dr.: Anfänge des modernen Staates im ausgehenden
Mittelalter. (Quellenfammlung f. den gefchichtl. Unterricht
an höheren Schulen. II: 58) (IV, 36 S. m. 1 Abbildg.) 8«.
Leipzig, B. G. Teubner (1919). M. —60

Das vorliegende Heft der bekannten Quellenfammlung, die in erfter
Linie für Schulzwecke beftimmt ift, behandelt einen Stoff, der m. E.
in feinem großen Wert für die gefchichtliche Erziehung der Jugend,
für die Heranbildung von Staatsbürgern, die für Verfaffungsfragen und
-formen Verftändnis haben, längft nicht genügend verwertet ift. Wer
wie Rez. im Gefchichtsunterricht feit Jahren die Verfaffungsgefchichte
in den Vordergrund zu rücken bemüht ift — allen gebräuchlichen Lehrbüchern
zum Trotz —, wird das Erfcheinen diefes Heftes mit dem
lebhafteften Dank begrüßen. Naturgemäß wird jeder Lehrer, der folche
kleine Sammlungen benutzt, mancherlei vermiffen, was ihm befonders
wichtig erfcheint. Ich hätte z. B. gern eine Kanzleiordnung vorgefunden,
auch fonft gelegentlich anders gewählt. Aliein der knappe Raum zwingt
ftets zu äußerfter Befchränkung, und die Konzentration auf 3 Gebiete
(Unteritalien, Ofterreich, Burgundi hat wohl ihre Berechtigung. So
kann Studium und Verwertung des Heftes angelegentlich empfohlen
werden.

Hannover. G. Bonwetfcb.

Po hl mann, Paft. Lic. theol. Hans: Die Grenze für die
Bedeutung des religiöfen Erlebnifles bei Luther. (91 S.)

Hilfsbuch fein wird. Speziell letztere werden fich freuen, | 8<>_ Gütersloh, C. Bertelsmann 1920. M. 8.50

in ihm die vorzügliche, wenn auch in ihrer Weife ganz Die letzten Abfichten des Verfaffers find dogmatifcher

felbftändige, Ergänzungzu dem Kap. I von Paul S ch u b r i n gs
bekanntem Hilfsbuch zur Kunftgefchichte zu haben, das,
wie ich an diefer Stelle, alte Schuld einlöfend, auszufprechen
nicht unterlauen möchte, trotz allerlei noch flehenden
Verfehen in feiner 2. Auflage ein fo vielfeitiges und nützliches
erftes Nachfchlagebuch in allen Fragen des fach-
lich-kunftgefchichtlichen Arbeitens ift.

Berlin. Georg Stuhlfauth.

Grupp, Georg: Kulturgefchichte des Mittelalters. 5. Bd.

1. Hälfte. (VIII, 397 S.m. 15 Abbildgn.) gr. 8°. Paderborn
, F. Schöningh 1919. M. 15— j fie in irgend einer Form der Erneuerung der natürlichen

Natur. In der auf Schleiermacher zurückgehenden Theologie
des 19. Jhd.s, welche die Entflehung der objektiven
Glaubensfätze allein aus dem Erlebnis betont, fieht
er die Gewißheit und die Religion fich aurlöfen. Eine
äußere Autorität aufzurichten ift unmöglich. Mit dem
Erlebnis die Autorität zu verfchmelzen, führt zur Auflö-
fung der Religion. Das Erlebnis hat nur und erft dann
Bedeutung, wenn und fobald die Objektivitäten der Religion
feftftehen (S. 83). Die in uns liegende Autorität
neben dem Erlebnis zu finden, ift darum die wichtigfte
Aufgabe der Dogmatik der Gegenwart. Pohlmann glaubt

Der vorliegende Band diefer in unferer Zeitfchrift Theologie fuchen zu müffen. Als Autorität in uns, neben

fchon mehrmals angezeigten Kulturgefchichte beginnt mit dem Erleben, kann fie nur logifcher und fittlicher Art fein,

der Schilderung des Verfalls des höfifchen Lebens im j weift uns alfo auf den kategorifchen Imperativ des Den-

13. Jh. und endet mit Kapiteln, die die im fpäteren Mittel- kens und der Tat hin.

alter fchon tätigen Kräfte der neuen Zeit aufzeigen. Da
es mir unmöglich erfcheint, den reichen und mannigfaltigen
Inhalt in kurzen Worten wiederzugeben, fo mögen die
Überfchriften der einzelnen Kapitel angeführt werden:
107. Verfall des höfifchen Lebens; 108. das Raubrittertum;
109. Bauernleben; 110. die Landwirtfchaft vor und nach
1300; in. Die Kolonifation von Nordoftdeutfchland;
112. Die Städte; 113. Die Stadtwirtfchaft; 114. Wege und
fahrendes Volk; 115. Religiöfe und fittliche Wandlungen;
116. Die Inquifition; 117. Das Verbrechertum und die
weltliche Gewalt; 118. Das Strafrecht, feine Härte und
Schwäche; 119. Ritter und Bürger; 120. Volkswehr und
Berufsheer; 121. Anfänge des modernen Staates; 122. Das
Erwachen des Nationalbewußtfeins; 123. Der bürgerliche
Geift und Bürgerkämpfe; 124. Der Kampf gegen die Geldmächte
; 125. Das Kirchen- und Kloftergut und feine Wider-
facher; 126. Notzeiten; 127. Arme und Armenanftalten;
128. Das myftifche Seelenleben; 129. Realismus und
Humanismus.

Es find, wie man fieht, Einzelbilder, die hier nebeneinander
geftellt werden, und es dilrfte nicht leicht fein,
anzugeben, warum die einzelnen, übrigens immer anziehend
und anregend gefchriebenen Kapitel in der angegebenen
Reihe einander folgen; nicht weniger mühfam ift es, die

Unterbaut wird diefe fyftematifche Forderung durch
eindringende Unterfuchungen der Theologie Luthers. Im
Namen Luthers fordert P. die Abkehr von der Erlebnistheologie
und die Rückkehr zu Luthers Erkenntnis, daß
die Religion zwei Brennpunkte habe: Autorität und Erlebnis
. Die Grenze für die Bedeutung des religiöfen Erlebnifles
befteht in der Schrift. Das Chriftuserlebnis follte
keine Gottesgewißheit begründen. Für Luther hatte das
reformatorifche Erlebnis nicht die Bedeutung, Gottes Däfern
zu erweifen — das Dafein Gottes war Luther nicht
zweifelhaft und die Autorität der Schrift war ihm kein
Problem — fondern Heilsgewißheit zu begründen, zu zeigen,
was Gott ift, nicht daß er ift. Pfychologifch angefehen —
P. fucht auf genetifch-pfychologifchem Wege des Problems
Herr zu werden und nicht fofort die ,Lehre' feftzuftellen
— hält die Schrift als ultima ratio Luthers Religion
im innerften zufammen. Luthers pfychologifche
Gebundenheit an die äußere Autorität der Schrift hält P.
für ausgemacht. Luther hat nun fein religiöfes Erleben
infofern theologifch richtig wiedergegeben, als er für
den erften Artikel die Vernunfttheologie in Aufbruch
nimmt. Dagegen klafft ein breiter Riß zwifchen feinem
Chriftuserlebnis und der theologifchen Formulierung. Denn
er hat das Chriftuserlebnis als Offenbarung gewertet, ihm