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Ausgabe:

1921

Spalte:

78-79

Autor/Hrsg.:

Köhler, Ludwig

Titel/Untertitel:

Amos der älteste Schriftprophet 1921

Rezensent:

Schmidt, Hans

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Theologifche Literaturzeitung 1921 Nr. 7/8.

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in dem vorliegenden Werke befteht eine zweite Ver-
fchiedenheit von dem Golden Bough darin, daß der Verf.
in dem neuen Werke nicht auf die Entwicklung zufammen-
hängender Vorftellungen ausgeht. Der Inhalt zerfällt in
eine Reihe einzelner Darftellungen, die zueinander in
keiner Beziehung flehen. Ein abgerundetes und ab-
gefchloffenes Ganze hat der Verf. nicht geben wollen;
Gegenftände, die er in früheren Arbeiten behandelt hat,
mochte er nicht nochmals zurDarftellungbringeil(I, S.VIIf).
Der Titel würde genauer lauten: ,Parallelen zu alt-
teftamentlichem Folk-Lore'. Das A. T. liefert im wefent-
lichen nur die Überfchriften zu den einzelnen Abhandlungen,
in die das Werk zerfällt. Man findet einerfeits weniger
darin, als man nach dem Titel erwarten könnte, anderer -
feits fehr viel mehr. Im A. T. fleckt viel Folklore, das
hier nicht zur Erwähnung kommt, weil der Verf. keine
Parallelen auf andern Gebieten zur Hand hat oder weil
er eben überhaupt nur eine Auswahl treffen wollte. Wo
er aber Parallelen mitteilt, werden diefe um ihrer felbft
willen durch die weite Welt verfolgt ohne Rückficht
darauf, ob dies zum Verftändnis des Altteftamentlichen
mehr austrägt als den Nachweis, daß diefes nicht eine ifo-
lierte Stellung in der Denkweife der Völker hat. Des
Verf. eigentliche Abficht ift, Baufteine zu liefern für eine
.vergleichende Anatomie des Geiftes' nach einer ..vergleichenden
Methode, die, auf den menfchlichen Geift
angewandt, uns in den Stand fetzt, die intellektuelle und
ethifche Entwicklung zu verfolgen, ebenfo wie fie, angewandt
auf den menfchlichen Körper, uns in den Stand
fetzt, feine phyfiTche Entwicklung aus niedern Formen
des animalifchen Lebens zu verfolgen' (I, S. VIII). Wie
hoch er fich dies Ziel denkt, ergibt fich am Schluffe des
Werkes, am Ende des Abfchnitts über Glockenglauben,
der unter allen wohl am meiften von der aus der Tiefe
des Gemüts flammenden Poefie des Volksglaubens Zeugnis
ablegt. Der Verf. weift hier darauf hin, daß die Forfcher
bisher ,ihre Aufmerkfamkeit faft ausfchließlich auf die
logifchen und rationalen oder, wie manche fagen würden,
die unlogifchen und unrationalen Elemente des Folklore
befchränkt haben', während es gilt, auch die das Gemüt
betreffende Bafis {emotional bafis) zu ergründen (III, 454).
Der Verf. hat mit feinftem Verftändnis für Gefühl und
Poefie der Volksfeele den Anfang gemacht, die Erforfchung
des Folklore auch nach diefer Seite hin weiter zu führen.

Es braucht bei einem Werke Frazers nicht gefagt
zu werden, daß es fchöpft aus einer ftaunenswerten Be-
lefenheit auf nahezu allen Gebieten gelehrter und ungelehrter
Literatur, hier befonders in den Schriften über
die Primitiven, bei denen er — vor allem bei afrikanifchen
Völkern — das meifte Material für feine Darftellung fand.
Die nicht immer ganz den Anforderungen gelehrter For-
fchung entfprechende Form der ihm vorliegenden Schilderungen
von Miffionaren und Reifenden ift mit dem
Refpekt und der Akribie des klaffifchen Philologen wiedergegeben
, geprüft und emendiert worden.

Über Abhängigkeitsverhältniffe (fo z. B. in den Sintflutlegenden
) urteilt der Verf. mit großer Zurückhaltung
und, wo er es tut, in fehr überzeugender Weife.

Vielfach durch eine wüfte Maffe gewaltigen Materials
voll endlofer Wiederholungen oder fchwer erkennbarer
Nüancen, öfters auch abflößender Schauderhaftigkeiten,
muß fich der Lefer hindurcharbeiten, nur ermutigt durch
die Tapferkeit des ihm mit größeren Müheleiftungen
vorangegangenen Verf., der in der Fülle verworrener
Bräuche und Vorftellungen, mit unerfchöpflicher Geduld
die einzelnen Momente abwägend, einen Sinn und eine Entwicklung
zu finden fich beftrebt hat, fo z. B. in den 248
Seiten über Marriagc of Coufins und analoge Verwandtenheiraten
II, 94 ff, einer Illuftration zu den Ehen des Patriarchen
Jakob. Aber auch da, wo Gefühl und Poefie und
faft öfter noch Verftand den Dienft Verlagen, mit Liebens-
würdigkeitundzuweileneinemleifenAnflugtrockenenHumors
weiß der Verf. feinen Lefern den langen Weg zu erleichtern.

Da in Deutfcliland nur wenige Exemplare des Werkes vorhanden
fein werden, glaube ich durch Angabe der Kapitelüberfchriften auf die

1 einzelnen behandelten Gegenftände hinweifen zu follen. In der Anordnung
fchließt fich der Verf. feinen altteftamentlichen Anknüpfungspunkten
an in der Folge, wie die altteftamentliche Gefchichte fie bietet:
I. Die ältefte Weltzeit: Erfchaflung des Menfchen. Sündenfall. Kainszeichen
. Sintflut. Turm von Babel (Entftehung der Sprachen. Indcn-
himmelfteigen). II. Die Patriarchenzeit: Abrahams Bund (Bund-
fchließungsceremonie Gen. 15). Jakobs Erbfchaft oder Ultimogenitur.
Jakob und das Ziegenfell: oder die neue Geburt. Jakob zu Betel (Stein-
kulth Jakob am Brunnen (Weinen als Gruß). Jakobs Heiraten. (The
Marriage of Coufins. 1 he Sororate [Ehe mit Schwertern] and the Levi-

rate. Dienen um ein Weib). Jakob und die Mandragora. Das Bündnis
auf dem Steinhaufen. Jakob an der Jabbok-Furt (WalTergeifter). Jofephs
Becher (Wahrfagungsmittel). III. Die Zeiten der Richter und Könige:
Mofe im Binfenkaften. Durchgang durch das Rote Meer. Die Waffer
von Meriba. Gideons Mannl'chaften (aus der Hand trinken). Jo-
tams Fabel. Samfon und Delila (Kraft im Haar). Bündel des Lebens
(I Sam. 25, 29. Seelen faDgen. Seelenbehälter). Die Hexe von Endor.
Die Sünde der Volkszählung. Salomo uud die Königin von Saba. Das
Urteil Salomos (in beiden letztgenannten Kapiteln nur über Wucherungen
der altteftamentlichen Erzählungen). Die Schwellenwächter (Schwellen-
Aberglauben'. Das Vogelheiligtum (Pf. 84, 4). Elia und die Raben.
(Raben-Aberglauben). Heilige Eichen und Terebinthen. Die Höhenheiligtümer
Ifraels. Die fchweigende Witwe (Hebr. almätulh). Jona und
der große Fifch. Jehova und die Löwen (II Kön. 17, 25 f.). IV. Das
Gefetz; Die Stelle des Gefetzes in der jüdifchen Gefchichte. Das
Böckchen nicht kochen in der Milch der Mutter (verfchiedene Bräuche
beim Milchgenuß). Durchbohren des Ohres eines Sklaven (verfchiedene
Bräuche der Durchbohrung oder Amputation von Gliedmaßen). Cuttings
for the Dead (Ilaarabfchneiden und Körpereinfchnittc als Trauerbrauch).
Das bittere Waffer (Num. 5, 11 ff. Gift-Ordalien). Der Ochfe, der [einen
Menfchen] durchbohrt (Tierbeftrafung, Tierprozeffe). Die goldenen Schellen
[am Gewand des Hohen priefters] (Glockenglaube).

Für das Verftändnis von Altteftamentlichem habe
ich am meiften gelernt aus den fehr merkwürdigen und
wirklich erklärenden Parallelen zu der Bundfchließungs-
ceremonie (Gen. 15) I, 391 ff. Für die Beurteilung des
Kainszeichens finden fich neue Gefichtspunkte I, 786.
Durch Parallelen zu der Rolle der Schlange in der Sünden-
fallsgefchichte I, 45 ff. wird der Verf. — es ift dies das
einzige Mal — dazu veranlaßt, mit größter Referve eine
urfprüngliche Geftalt des uns vorliegenden altteftamentlichen
Berichts durch geiftvolle Kombinationen zu re-
konftruieren (die Schlange der untreue Bote der Gottheit)
— ich muß geftehen, in mir nicht überzeugender Weife.

Im Begriff, damit zu fchließen, daß ich mich fonft in den meiften
Fällen dem vorfichtigen und nüchternen Urteil des Verfs. gern anfchließe,
kann ich doch ehrlicher Weife noch eine Bemerkuug zu eiuer Kleinigkeit
nicht unterdrücken. Daß die üppigen Frauen Jerufalems unter den
Schmuckfachen, die fie am Leibe trugen, wie Jefaja c. 3 fie fchildert,
auch Büchten oder Fläfchchen hatten, in denen fie ihre eigene Seele mit
fich herumführten (hätte ha-nephes), und daß fie an diefer ihrer Seele
auch noch Wohlgeruch rochen (II, 514!'.: nephes = Seele und = Hauch,
Duft; die Seelenfläfchchen zugleich Riechfläfchchen), kann ich ihnen
nicht recht zutrauen. Warum, da fie offenbar gefallfüchtig waren und
da (nach S. 506ff.) die Alten die glückliche Befähigung befaßen, im
eigentlichen Sinne Seelen zu fangen, rochen fie nicht lieber an der in
ihr Netz gegangenen und in dem Riechfläfchchen ficher aufbewahrten
Seele eines andern? In indifchen Märchen allerdings trägt eine I'erfou
ihre eigene Seele in einem Halsband, an das ihr Leben gebunden ift.
Aber das ift etwas, das außergewöhnliche Menfchen auszeichnet und fich
nicht übertragen läßt auf die rcaliftifche Schilderung des Lutzes der
Töchter Zions, wie denn Frazer diefes Märchenmotivs auch keine Erwähnung
tut.

Berlin. Wolf Baudiffin.

Köhler, Ludwig: Arnos der ältefte Schriftprophet. (50S.)
8°. Zürich, Rafcher & Co. 1920. M. 2.50

Überzeugt, ,daß wir im Verftändnis des A. Teft., befonders
der Propheten, einen gewiffen Abfchluß erreicht
haben, über den man, foviel fich heute fagen läßt, nicht
wefentlich mehr hinauskommt', will der Verf. den Gebildeten
, denen ,die Wahrheit mehr ift als die Überlieferung'
die großen Schriftfteller der Bibel in Einzelfchriften dar-
I bieten. Sein Arnos ift das erfte Heft des Unternehmens.
Ihm follen bald weitere folgen, ,je nach der Aufnahme,
die der Arnos findet.'

Zunächft erhalten wir ,den Wortlaut, aus der Ur-
fprache getreu überfetzt'. Diefe Überfetzung ift gut. Die
metrifchen Einheiten treten hervor. Die einzelnen Sprüche
und Gedichte werden in der überlieferten Reihenfolge