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Ausgabe:

1921

Spalte:

75

Autor/Hrsg.:

Clay, Albert T. (Ed.)

Titel/Untertitel:

Babylonian Records in the Library of J. Pierpont Morgan, ed. Part II 1921

Rezensent:

Meissner, Bruno

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Theologifche Literaturzeitung 1921 Nr. 7/8.

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auf die leitenden philofophifchen Grundgedanken über
den Verlauf der gefchichtlichen Entwicklung, von denen
auch diefer Band getragen ift, einzugehen.

Es will etwas heißen, daß der unverdroffene Fleiß,
die ausgebreitete Belefenheit, der fichtende auf das Wefent-
liche gerichtete Scharffinn, die Gabe der lichtvollen und
anziehenden Darftellung dem Verfaffer bis an fein Ende
treu geblieben find (f 24. Nov. 1919, 76 jährig; das Vorwort
ift am 26. April 1919 niedergefchrieben) und es ift
etwas Großes, daß in unferer Zeit ein Fach-Gelehrter den
Mut, fich die Aufgabe zu ftellen, den Verlauf der Welt-
gefchichte zu fchreiben, wie er fich ihm darfteilte, und
die Ausdauer und Kraft gehabt hat, fie zu vollenden.
Man wird diefer hingebenden Arbeit am beften danken,
indem man fie reichlich benutzt. Die Gefchichte des
Altertums ift zudem fehr geeignet, auch uns in unferer
fchweren Zeit heilfame Lehren zu geben.

Der vorliegende Band ift von der Witwe des Ver-
ftorbenen Frau A. Lindner und von Prof. A. Werminghoff
zum Druck befördert worden.

Ein wohl gelungenes Bildnis des ehrwürdigen Ver-
faffers ift beigegeben.
Kiel. G. Ficker.

Babylonian ReCOrdS in tlie library of J. Pierpont Morgan edited by
Albert T. Clay. Part II: Legal Documents from Erecli dated in
tue Seleucid era (312 — 65 B.C.) (88 S. m. 50 autogr. u. 6 Licht-
druck-Taf.) 41'. New Häven, Yale University Press 1920.
Im J. 1913 hatte Clay in zwei Bänden neubabylonifche juriftifche
Urkunden aus dem Belitz Pierpont Morgans veröffentlicht, die aber als
Privatdruck nur wenigen Gelehrten zugänglich gemacht wurden. Jetzt
fetzt Clay vor den zweiten Band feiner Publikation einen neuen Titel
und neuen Erfcheinungsort und figniert als Erfcheinungsjahr 1920; im
übrigen ift aber diefes neue Buch vollkommen der alte zweite Morgan-
Band. Deshalb wäre es eigentlich nicht nötig, über ihn hier zu berichten
. Indes mögen ein paar kurze Bemerkungen noch fchnell über
den Inhalt orientieren. Das Buch enthält 56 aus Erech flammende Kontrakte
der Seleuzidenzeit. Es ift intereffant zu fehen, daß die Überlegenheit
der griechifchen Kultur in damaliger Zeit fich darin zeigt, daß viele
Leute neben ihrem babylonifchen Namen noch einen griechifchen führten.
So heißt z. B. ein gewifler Nanai-iddin ,mit dem zweiten Namen
Demetrius'. Auf diefe Weife lernen wir eine ganze Reihe griechifcher
Namen in babylonifcher Umfchrift kennen; z. B. ApuUunidesu-zfTto/Aty-
viöijq; Aristun-Aqioxüiv; Demukrate-z/r;f(ox(/arne; Nikanur-Wfjravrup
u. a. m. — Was den Inhalt der Infchriften anbetrifft, fo handeln die
meiden von ihnen von Tempelbefitz und Tempeleinkommen, fpeziell
von dem Erwerb von Tempelrechten. — Die Edition id gut, abgefehen
von einigen Kleinigkeiten. Die Bearbeitung ausgewählter Urkunden
läßt indes zu wünfchen übrig, — Archäologifch wertvoll id die Reproduktion
von 228 Siegelabdrücken.

Breslau. Bruno Meißner.

Frazer, James George, D. C. L., L. L. D.: Folk-Lore in the

Old Teftament. Studies in comparative Religion, Legend
and Law. vol. I (XXV, 569 S.), vol. II (XXI, 571 S.),
vol. III (XVIII, 566 S.) 80. London, Macmillan & Co.
Ltd. 1919. geb. sh. 37.6

Diefe drei Bände, die als Wiederabdruck unmittelbar
der erften im letzten Kriegsjahr erfchienenen Auflage gefolgt
find, bilden eine Art Seitenftück zu dem noch
umfangreicheren älteren Werke des Verfaffers, dem Golden
J>ougk (f. über den vierten Teil desfelben ThLZ. 1907,
97 ff. und 191 s, 73 ff). Dort ift ebenfalls Folklore vielfach
die Quelle, aus der der Verf. gefchöpft hat. Es ift, als
ob er auch in der Form eine Parallele hätte fchaffen
wollen: in dem Golden Bougk beginnt er mit einer
glänzenden Schilderung der 'Lokalität des Nemi-Sees,
deffen Haine den ,goldenen Zweig', den Miftelzweig,
tragen; in dem Folie-Lore hat er an den Anfang geftellt
ein aus eigener Anfchauung entworfenes fchönes Gemälde
der Landfchaft um Penopeus in Phokis, wo Prometheus
den erften Menfchen aus Lehm formte (1,6 ff.), wie denn
felbftempfundene und andern nachgefühlte landfchaftliche
Eindrücke, die den Volksglauben in Verbindung fetzen
mit der Naturumgebung, einen der größten Reize des
ganzen Werkes bilden.

Aber das neue Werk ift doch von dem früheren fehr
verfchieden. Hauptfächlich in zwei Punkten. Während

dort Religion, Kult, Mythos und Volksfitte — nach der
Beurteilungsweife des Verfaffers als ein befonderes an
zeitlich erfter Stelle auch Zauberei {Magic) — zufammen
den Stoff liefern zu der Darftellung paralleler Entwicklungen
auf den verfchiedenften Gebieten der Völkerwelt
und aus ihren Entfprechungen die Rekonftruktion eines
einheitlichen Verlaufs verbucht wird, der fich in wechfelnden
Formen auf den einzelnen Gebieten wiederholt, wird in
dem neuen Buche — obgleich der Nebentitel des Werkes
anderes erwarten läßt — Religiöfes, Kultifches und Mytho-
logifches nur in geringem Umfang geboten. Das Zurücktreten
kann nicht auf einer Intention des Verf. beruhen,
diefe Gebiete weniger zur Geltung zu bringen, fondern
muß fich ergeben aus dem Inhalt der Quellen, auf die
er glaubte, fich befchränken zu follen. Wenn aus den
genannten Gebieten auch folches fehlt, was mit den vom
Verf. befprochenen Vorftellungen und Sitten in engfter
Verbindung fteht, fo liegt das gewiß daran, daß er es
nicht als Folklore anfleht, weil er es in dem ihm für
diefes zu Gebote flehenden Quellen nicht vorfand. Seine
Quellen find mit voller Berechtigung in erfter Linie
lebendige Volksfitte und Volkserzählung. Faft ganz aus-
gefchieden find altorientalifche Nachrichten, jedenfalls nicht
deshalb weil fie in Schrift auf uns gekommen find, denn
auch in Infchriften und Literatur kann Folklore flecken,
wie der Verf. es ja ausdrücklich in der fchriftlichen Überlieferung
des A. Ts. findet. Ebenfo hat er die infchriftlich
erhaltene babylonifche Sintflutlegende einer eingehenden
Befprechung gewürdigt. Sobald man aberüberdasunmittel-
bar aus dem Volksmunde oder der Volksfitte Entnommene
hinausgeht, wird der Begriff des Folklore fchwankend
und dehnbar. Es ift mir nicht ganz klar geworden, nach
welchen Prinzipien der Verf. das aus dem Altertum in
Schrift Überlieferte aufgenommen oder ausgefchloffen hat.
Jedenfalls hat die Ausfcheidung Lücken veranlaßt für das
Verftändnis deffen, was von ihm mitgeteilt worden ift.
Reffe z. B. von Höhendienft, Stein- und Baumkult im
heutigen Paläftina werden gebucht; aber die außer-
altteftamentlichen Nachrichten, die uns berichten von
alten diefen Nachklängen zugrunde liegenden oder zu ihnen
Parallelen bildenden Bräuchen und Vorftellungen werden
übergangen. Wenn der heutige Syrer, der den heiligen
Baum über dem Grab eines Weli mit Lappen behängt,
damit etwas ausübt, was fich gewiß als Folklore anfehen
läßt, fo ift doch diefe Übung deutlich entftanden aus
dem, was uns im A. T. und in andern fchriftlichen Quellen
als beftehender Kultbrauch berichtet wird und einftmals
zum Teil offizieller Kultbrauch war. Es handelt fich alfo
in jener heutigen Sitte nicht um felbftändiges Folklore,
fondern um ein durch Degeneration oder andersartige
Umbildung alter Übung entftandenes. Ich meine, wo wir
— wie hier — die Wurzeln heutigen Folklores deutlich
kennen, müffen fie auch aufgedeckt werden, um zu zeigen,
wie hier aus antikem Brauche diefes Folklore entftanden
ift oder vielleicht antikes Folklore in neuer Form
fich erhalten hat, oder aber — und das wäre in dem angegebenen
Falle wohl das Konfequente — die aus dem
Antiken entftandenen fpäteren Bildungen müffen nicht zum
Folklore gerechnet werden, füllten alfo hier gar nicht
zur Darfteilung kommen. — Ein andersartiges Beifpiel:
es ift doch kaum zufällig; oder ein Verfehen, daß IL 76
zwar die Salbfteine, ßaixvlia, bei Philo Byblius erwähnt
werden; nicht dagegen der viel fignifikantere Gott BalxvXoc,
bei demfelben Autor, gefchweige denn die zahlreichen
andern Erwähnungen des Gottes Bet-el. Diefer fcheint
zu fehlen, weil er einer zum Syftem gewordenen Religion
angehört. Aber wir können ohne ihn die ßaixvXw nicht
ganz verliehen.

In der Tat gehören die meiften Parallelen zu Alt-
teftamentlichem auf religiöfem und kultifchem Gebiet entweder
ficher nicht zum Folklore oder es läßt fich doch
daran zweifeln, ob es der Fall ift. Neben dem dadurch
veranlaßten Zurücktreten des Religiöfen und Kultifchen