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Ausgabe:

1921

Spalte:

41-42

Autor/Hrsg.:

Schmidt, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Der deutschen Seele Not und Heil 1921

Rezensent:

Thimme, Wilhelm

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4>

Theologifche Literatur zeitung 1921 Nr. 3/4.

4-1

fam anzunehmen (2021); fo führt z. B. im Menfchen ,die
höher werdende geiftige Veranlagung der Gattungsfeele
zum aufrechten Gang' (238). Über das Wefen und die
Organifation des Lebens, über feine Erfcheinungen und
feinen Zufammenhang wird mit Sachkunde Intereffantes
mitgeteilt, doch bildet das nicht den eigentlichen Zweck
des Buches, fondern es geht auf Anwendung der Biologie
auf das menfchliche Leben, zumal das Volk, als eine
.natürliche Wefenseinheit höherer Ordnung'. Auch in
diefer Beziehung entwickelt IL manchen gefunden Gedanken
, aber es fehlt der Darftellung an ftrenger Methode
und Konfequenz und damit zugleich an innerer Gefchloffen-
heit; fie verbreitet fich vielmehr willkürlich über Verfchie-
denftes und erfcheint vielfach mehr von Sym- oder Anti-

Er macht für den Zufammenbruch in erfter Linie verantwortlich
den Materialismus der Vorkriegszeit, der die
preußilch-deutfche Politik (Bismarck) verdarb, vom Bürgertum
(Liberalismus) auf die Arbeitermaffen überfprang
(Sozialdemokratie), einen trügerifchen Autfchwung, eine
unechte Kultur herbeiführte, aber insbefondere den prote-
ftantifchen Volksteil um feine Seele betrog, während
der Katholizismus im Stahlbad des Kulturkampfes fich
feine inneren Kräfte wiedererwarb, die freilich zur Rettung
Deutfchlands nicht ausreichten. Der Verf. fagt beim
Rückblick auf die jüngfte Vergangenheit manches beachtliche
Wort, fo z. B. inbezug auf den kritifchen Zeitpunkt 1890,
der zur fegensreichen Schickfalswende hätte werden können,
wenn Wihelm II. mit Stöcker gegangen wäre, ftatt fich

pathieen als von fachlichen Erwägungen geleitet; davon, j yon Baliin, Bleichröder etc. einfanden zu Jaffen (er erinnert
daß er in der Anwendung biologifcher Analogien auf
politifche und foziale Probleme zahlreiche, z. T. fehr
bedeutende Vorgänger hat, icheint H. wenig zu wiffen;
er hätte von ihnen'lernen follen. Der Religion mißt er
die Bedeutung bei, dem Menfchen ,die biologifchen Notwendigkeiten
mit einem mildernden Schleier zu verhängen'
(58); er erklärt fie nur für ,eine Angelegenheit des Einzelnen
' (274). Der germanifche Heldengeift ift durch den
weltentfagenden und außervölkifchen Geift des aufgedrungenen
Chriftentums verfälfcht (262 vgl. 73. 164)
lauter Äußerungen, die zeigen, daß H. auch hier fich
nicht fcheut, über Dinge abzufprechen, die er nicht gründlich
erforfcht hat. Nach den vorgelegten Proben wird

hier an die Verfuchungsgefchichte Jefu). Mitlntereffe folgt
man insbefondere den fachkundigen Ausführungen über
die Deutfch-Öfterreicher. Auch fein Hinweis auf die in
England-Amerika und Frankreich während des Weltkrieges
wirkfamen, bzw. neuerftandenen religiöfen Kräfte ift fehr
beachtenswert. Auf die Klagen und Anklagen folgen
Mahnungen und Worte der Hoffnung. Die Aufgabe des
deutfchen Volkes ift es, in einem förderaliftifchen, mit
chriftlich-fozialem Geifte erfüllten Staatswefen, dem auch
Deutfch-Öfterreich, deffen weichere, gefühlswärmere Art
das Bismarckfche Reich fehr zu feinem Schaden entbehrte,
eingegliedert ift, eine neue innnerliche Kultur zu fchaffen.
Das ift nach Pater Sch. Überzeugung nur möglich mit

man der von H. empfohlenen Anwendung der biologifchen j den Liebeskräften der Religion und zwar der katholifchen
Begriffe auf Politik, Weltanfchauung und Lebensführung ' Kirche, wie fie insbefondere dem Kult, vor allem dem
in der Schule kein übermäßiges Vertrauen entgegen- hl. Hochamt entftrömen, in deffen künftlerifchen und reli-
bringen können, fondern wünfchen, daß der Unterricht giöfen Gehalt er fich filmend vertieft. Pater Sch. er-
fich auf die Grundelemente der Biologie felbft befchränkt. ! hofft fehnlich die religiöfe Einigung Deutfchlands, er
Göttingen. Titius. träumt davon, daß in den Domen von Magdeburg, Halber

Haeckel, Ernft: Kriftallfeelen. Studien über das organ. Leben. Mit
I Tafel in Farbdr. u. zahlreichen Abbildgn. im Text. (VIII, 152 S.)
Lex. 8U. Leipzig, A. Kröner 1917. " M. 4 —

Hä c kels letztes Werk verflicht in der Richtung feiner,Lebenswunder'
die Schwierigkeiten einer .Urzeugung' der Organismen dadurch zu überwinden
, daß es (unter Heranziehung der llüfligen Kriftalle Otto Lehmanns)
die äußerften Enden der anorganifchen Welt, die Kriftalle und die pri-
mitivflen Organismen, kemlofe Zellen, Bakterien, Radiolaricn, Diatomeen,
einer eingehenden, fehr intereffanten, durch eine große Anzahl von Abbildungen
unterftützten Vcrgleichung unterwirft; fie führt zu der Anficht,
,daß alle Geftaltungsvorgänge auf Kriftallilation zurückzuführen find'
(44), daß aber die geheimnisvollen .molekularen Richtkräfle', die dabei
wirkfam find, felbft fchon pfychifcher Art find (z. B. S. 77). Mit den
zweckmäßig handelnden Richtkräften des Vitalismus ^Dominanten')
follen fie freilich nichts zu tun haben, fondern ,rein phyfikalifcher
Natur' fein (90). Aber das ift ein innerer Widerfpruch, denn alles See-
lifche ift feinem Wefen nach ein immanent zweckmäßiges.

Göttingen. Titius.

ftadt, Bremen etc. künftig wieder die katholifche Meffe
zelebriert und Adam Kraffts Sakramentshäuschen das
Allerheiligfte bergen wird. Ihn ermutigt befonders der
Hinblick auf die evang. hochkirchlicheBewegunginDeutfch-
land. Wir verübeln ihm dies nicht. Doch erfüllt uns
mit einigem Unbehagen die Bemerkung, bei den Katholiken
habe bisher allzufehr das Streben überwogen, nur
den religiöfen Frieden nicht zu ftören, S. 78.

Iburg. W. Thimme.

Dennert. Prof. Dr. E.: Die Wahrheit über Ernft Haeekel und feine
.WelträtTel'. Nach dem Urteil feiner Fachgenoffen beleuchtet. 31.
bis 23. Tauf. (VIII, 180 S.) 8". Halle a. S., C. Ed. Müller 1920.

fM. 6.50

Das letzte Vorwort der bekannten Schrift ift von 1903 datiert, dagegen
führt die Sammlung felbft bis zu der erftaunlichen Affäre Braß-Haeckel
(1908). In manchen Beziehungen, z. B. hiufichllich des .Affenproblems'
wäre eine Erweiterung unter Berückfichtigung der neueren wiffenfehaft-

lichen Forfchung zu wünfchen gewefen, aber es ift verftändlich, daß D. innerftaatlichen Leben Recht und fozLue Ordnutio- rind
an feiner felbft zu einem Dokument gewordenen Dokumenten-Sammlung
nichts ändern mochte. So lange die Welträtfel ihren Weg nehmen, wird
auch die Sammlung mit all ihren Schärfen ihr gutes Recht und ihre
Bedeutung haben. Hoffen wir, daß die Zeit bald kommt, in der beide
nur noch gefchichtliches Intercffe haben.

Göttingen. Titius.

Ragaz, L.: Politik und Gottesreich. (Freifchar-Bücherei
Nr. 1). Hrsg. von der Evang. Jugendbeweg. Freifchar
Zürich. (32 S.) 8°. Ölten, Buchdruckerei W. Tröfch
o. J. Fr. — 50

Gegenüber der landläufigen Machtpolitik und dem
weltflüchtigen Pietismus, gegenüber allen Vermittlungs-
vorfchlägen, die Politik und Gottesreich gleicherweife
zum Recht kommen laffen wollen, und gegenüber den
früheren theokratifchen Verfuchen, die das Reich Gottes
mit Hilfe der Politik bauen möchten, tritt R. für den
Standpunkt der alten Propheten und Jefu ein, die gänzlich
unpolitifch, alle Machtmittel verfchmähend, aber doch
entfchloffen den realen Weltverhältniffen zugewandt für
ein Reich der Freiheit und Liebe kämpften. Indem im

in den zwifchenftaatlichen Beziehungen die Idee der friedlichen
Verftändigung, des Völkerbundes Boden gewinnt,
fieht er das Gottesreich fich anbahnen. Es ift für ihn
Glaubensfatz, daß es einft nach noch fo furchtbaren
Wirren und Kataftrophen rein und fiegreich aufgerichtet
fein wird. R. fchreibt eindrucksvoll wie immer. Doch
Schmidt, Wilhelm, S.V.D.: Der deutfchen Seele Not und ; muß man nicht nur über eine Behauptung; wie die. im

Heil. Eine Zeitbetrachtung. (295 S.) 8". Paderborn,
F. Schöningh 1920. M. 10 -

Patr W. Schmidt, der bekannte Religionsforfcher,
der fein vielbeachtetes grundgelehrtes Werk über den Ursprung
der Gottesidee hoffentlich bald mit dem zweiten
Bande zum Abfchluß bringen wird, ruft in diefem Buche
das deutfehe Volk zur Einkehr und inneren Erneuerung.

Grunde genommen feien die alten Mächte nunmehr bereits
gerichtet und gefchlagen S. 30 (wobei er augenfeheinlich
an den Sieg der Weftmächte denkt), den Kopf fchütteln,
nicht nur bezweifeln, daß er die Meinung Jefu richtig
erfaßt hat, fondern vor allem ihm die Frage entgegenhalten
: Gibt es im Individual- und Völkerleben neben
dem Prinzip der dienenden Liebe nicht auch ein Recht