Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1921

Spalte:

38-39

Autor/Hrsg.:

Schrempf, Christoph

Titel/Untertitel:

Vom öffentlichen Geheimnis des Lebens 1921

Rezensent:

Haering, Theodor

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

37

Theologifche Literaturzeitung 1921 Nr. 3/4.

38

fklaverei' hofit man intuitiv bis zum oder ans letzte heran-,
kommen, es wenigftens .berühren' zu können. Die Ent-
ftehung diefervon ihm felbft geteilten Geiftesart zu fchildern,
ift die Abficht des Verfaffers. Die Abkehr von Kant, dem 1
.großen Verhängnis des 19. Jahrhunderts,'die Überwindung j
des Hiftorismus, das Wiedererwachen der fchöpferifchen
Kraft in der formaliftifchen Philofophie der Marburger, fud-
weftdeutfchen und Göttinger Schule, die Unterftützung, die j
fie vonfeiten der Lebensphilofonhie Nietzfches, Bergfons, |
Diltheys gefunden hat, endlich die Synthefe beider Richtun- 1
gen in Troeltfch und Simmel, die bereits die Vorftufe der 1
kommenden an Plato orientierten ontologifchenMetaphyfik j
bedeute, läßt er vor unferem Auge vorüberziehen. Sicherlich
anregend trotz mancherleiEinfeitigkeiten und fogar einzelner
vollkommener Schiefheiten (vgl. S. 80,87), aber ,wir find
jung und atmen lebensfroh den frifchen Höhenwind, der |
uns umweht', fagt der Verfaffer (S. 256), und bei Ariftoteles
(109.; a 8) hören wir, daß es für die rtot charakteriftifch ift, j
,xara nafroc; UjV xal öimxuv "xctota".

Königsberg. Goedeckemeyer.

Schlatter, Prof. D. A.: Die Entitehung der Beiträge zur
Förderung chriftlicher Theologie und ihr Zufammenhang
mit meiner theologifchen Arbeit zum Beginn ihres 25.
Bandes. (Beiträge zur Förderg. chriftl. Theol. 25. Bd.
1. Heft) (89 S.) 8°. Gütersloh, C. Bertelsmann 1920.

' v' ' M. 4 —

Die Schrift zerfällt in 6 Abfchnitte: Die Beratung
in Eifenach (1896), Der Beginn meiner theol. Arbeit in
Bern (1880), Die Vorbereitung zur theol. Arbeit (Haus,
Schule, Studium, Pfarramt), Die Arbeit in Bern, Die
Mitarbeit mit Cremer (feit 1888), Die Lage in Berlin
(feit 1893). Die beigefügten Klammern zeigen, daß S.
weit ausholt. Es handelt fich tatfächlich in der ganzen
Schrift weniger um die .Beiträge' felbft als um die innere
Lage, der fie entflammen, und um das Ziel, das ihre
Leiter in ihrem ganzen Wirken verfolgen. Infofern gibt
S. mehr, als der Titel verfpricht, nämlich ein wichtiges
Stück aus der inneren Gefchichte der Frömmigkeit und
Theologie des 19. Jahrhs., vor allem ein Innenbild feines
eigenen religiös-wiffenfchaftlichen Werdens. Da er feine
Aufgabe fo tief erfaßt, verfchlingt er unwillkürlich auch
grundfätzliche Erörterungen in feine hiftorifche Leiftung;
fo über die Stellung des Glaubens zur Bibel (15 ff.) und
zur Welt (24 fr.), über die religiöfe Bedeutung des Denkens
(37) u. a. Subjektiv und unbefriedigend find feine
Äußerungen über manche andersartige Theologen (z. B.
Ritfehl). Es ift fchmerzlich aber lehrreich zu fehen, wie
felbft ein Mann, der mit Recht die Gemeinfchaft der
Arbeit betont, doch das Werden und Wirken Anderer
fo fchwer im innerften Wefen zu verliehen vermag.
Marburg a. d. L. Stephan.

Stange, Prof. D. Carl: Zum Verftändnis des Chriftentums.

Sechs Vorträge über Gegenwartsfragen des chriftl.
Glaubens. (112 S.) 8°. Gütersloh, C. Bertelsmann 1920.

M. 7.50

Wie es der verfchiedenen Gelegenheit ihrer Entftehung
entfpricht, find die fechs hier gefammelten Vorträge von
verfchiedenem Tiefgang der Gedankenführung. Immer
aber tritt uns ini hnen diefelbe leicht etwas gewaltfam kon-
ftruktive Art entgegen, deren leitender Gefichtspunkt gelegentlich
an den geiftvollen Einfall ftreift, fofern aber diefer
Einfall zumeift wirklich geiftvoll ift, zur Auseinanderfetzung
lockt und Gedankenanregung gibt.

Z. B. S. 101: ,Das ift der Unterrdiied zwifchen Gott und der
Kreatur. Gottes Wefen befteht darin, daß er fein Leben dabingibt, und
er kann das, weil er ,das Leben in im felber hat1, (derfelbe Gedanke

s. 32).

Im letzten Vortrag ,Das ewige Leben' lieft man immerhin mit einigem
Lrftaunen, (S. 107): ,Der chriftliche Glaube (an ein ewiges Leben)
ift ein Glaube an das, was das Allcrgewifftefte in der Welt ift, nämlich
ein Glaube an das Wort eines Mannes und zwar an das Wort eines
Mannes, der Gott beffer gekannt hat als wir.'

Der erfte Vortrag bringt eine Auseinanderfetzung mit
Nietzfche, Tolftoi und Goethe als den typifchen Vertretern
.moderner Willensziele.' Pur den zweiten Vortrag .Luther
und das fittliche Ideal' vgl. die gleichnamige ausführlichere
Schrift Stanges und deren Anzeige in Nr. 17/18
diefer Zeitfchrift. Weitergefponnen werden diefe Gedanken
in .Chriftentum und moderne Ethik' resp. ethifcher Idealismus
. Daß diefer Idealismus egozentrifch fei und zu fittlicher
Selbftgerechtigkeit führen müffe, erfcheint mir als eine
apologetifche Konftruktion. Und ift das ,du follft' wirklich
nur eine Folgeerscheinung unferer finnlichen Gebundenheit
und darum eigentlich als ein ,du follteft' gemeint, worauf
die Sache doch hinausläuft, wenn das .Gefetz' lediglich zur
Erkenntnis der Sünde gemeint ift?

Die übrigen beiden Vorträge haben zum Gegenftand
.Chriftentum und Philofophie' und ,die Bedeutung des
Bekenntniffes für die Kirche'.

Herrnhut. Th. Steinmann.

Schrempf, Chriftoph: Vom öffentlichen Geheimnis des Lebens.

(IV, 170 S.) 8°. Stuttgart, P Frommann 1920.

M. 11 —; geb. M. 14 —
Über die gegen früher veränderte Stellung, die der
Verf. zum Lebensproblem einnimmt, vgl. diefe Zeitfchrift
1920 Nr. Il/l2. Zur Erläuterung des Titels diefes neuen
Buches fagt er: öffentliches Geheimnis ift, was jeder weiß
und niemand wiffen will; was auch jedermann fagt und
niemand gefagt haben will; was man fogar mit großem
Ernft befpricht, nur daß man mit dem großen Ernft nie
Ernft macht. Ich will alfo meinem Lefer nicht meine
Gedanken fagen, fondern feine Gedanken, die er nur vielleicht
nicht denken will. Mithin fo, daß das öffentliche
Geheimnis gebrochen wird. Es muß freilich ungemütlich
werden, wenn die Gemütlichkeit des ö. G. zerftört werden
foll. Es ift aber ein ö. G., daß wir an der Gemütlichkeit
zu Grunde gehen, mit der wir uns unter dem ö. G. eingerichtet
haben.

Um zu erleben, was für den Verf. und Lefer die
Hauptfache ift, darf man fich fofort im erften Teil ,der
Heiland' nicht aufhalten bei einer Fülle unbeweisbarer
Einzelurteile: die Wunderberichte feien z. T. frommer
Schwindel; der Begriff des Reiches Gottes fei Jefu angedichtet
; das Bekenntnis des Petrus Mache eines Myfterien-
fpiels. Alles kommt auf die fchlichte Frage an: was hat
Jefus gewollt? Den Menfchen helfen. Und: kann er mir
zu etwas verhelfen, was ich mir felbft nicht verfchaffen
kann? Ich falle immer wieder zurück in die mir durchfichtige
Torheit des Sorgens. Und was ich tue, tue ich
wohl mit Eifer, aber ohne rechten Ernft. Das Gegacker
der Zeit vom .Schaffen' dünkt mich äußerft komifch; aber
felbft erfolgreiche Tätigkeit ohne das Bewußtfein des
Schaffens, das ift eben nichts. Hier verfagt meine eigene
Kraft. In der Verbindung mit Jefus wird mir klar, was
mir eigentlich fehlt. Und das Geheimnis feiner Kraft ift,
daß er unter dem Zwang einer Liebe fteht, die ihm das
Dienen zur Freude macht, daß er fich mit einem Auftrag
betraut weiß und nicht vergeblich arbeitet, daß er im
Tod kein Ende fieht, fondern nur Verfetzung in eine vollkommenere
Form des Lebens, das er jetzt fchon als fein
wirkliches Leben lebt. Ich fehe an Jefus, was ich felbft
gerne wäre, aber nicht bin. Warum? Er liebte die Menfchen
, ich liebe die Wahrheit; meine Leidenfchaft ift das
Denken, Jefu das Helfen. So wird das Myfterium des
Todes, feines Kreuzes — das des Lebens. — Der Bericht-
erftatter braucht nicht hervorzuheben, wie ergreifend folche
Bekenntnifie im Munde eines folchen Kritikers find; auch
nicht, wie nahe das, was er über das Lernen von Jefus
fagt, weil es ein Lernen im Vertrauen ift, mit Luthers
Gedanken vom .Glauben' fich berührt.

Im zweiten Teil ,Gott' zeigt der Verf., wie feine religiöfe
Erziehung ihn Gott nicht habe als Wirklichkeit verliehen
lehren, und wie er unter Schmerzen felbft gelernt,
die Wirklichkeit zu fragen, ob in ihr eine von den Sinnen