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Ausgabe:

1921

Spalte:

11-13

Autor/Hrsg.:

Sippell, Theodor

Titel/Untertitel:

Zur Vorgeschichte des Quäkertums 1921

Rezensent:

Kattenbusch, Ferdinand

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Theologifche Literaturzeitung 1921 Nr. 1/2.

der Kirche (vgl. Theol. Lit. Zeitg. 1920, No 13/14); zur Kunftgefchichte
wäre doch zu nennen: K. G. Heüe, norddeutfche Malerei. Desgleichen ift
noch nicht ganz vermieden, gelegentlich nur die Titel anzuführen oder in
Fußnoten eine Reihe Titel mitzuteilen, ohne irgendein Urteil. Dann ift
es fchwer, da Spreu vom Weizen zu fcheiden. Z. B. S. 63: Bartels,
Reformation in Northeim (vgl. Theol. Lit. Ztg. 1919 Nr. 15/16,) in einer
Reihe z. T. belanglofer Kleinigkeiten.

Hannover. Otto Lerche.

Sippell, Ffr. Theodor: Zur Vorgefchichte des Quäkertums.

(Stud. z. Gefch. d. neueren Froteftantismus, 12. Heft)
(VIII, 56 S.) gr. 8°. Gießen, A. Töpelmann 1920.

M.5 —

Der heffifche Pfarrer Th. Sippell (in Schweinsberg
Bez. Caffel) ift zweifellos bei uns in Deutfchland der ge-
nauefte Kenner der englifchen Sektenbewegung im 17. Jahrhundert
. Nicht die politifchen Auswirkungen, die fie hatte
und die fich in Cromwell konzentrierten, bilden den Ge-
genftand feines Intereffes, fondern das Vielerlei ihrer
Formen und wie fie fich geftaffelt haben. Diefe Sekten
haben unter fich vielverfchlungene perfönliche und fachliche
Zufammenhänge. Wenige der bekannten Männer,
die nicht eine Entwicklung durchgemacht, durch die fie
zu verfchiedenen Gruppen geführt wurden; bei jeder von
diefen letzteren hat man wieder zu fragen, wer ihr eigentliches
geiftiges Haupt, fei es als Stifter gewefen, fei es
im Laufe der Zeit ihrer Entwickelung geworden. Eine
verwirrende Menge von Namen und gar von Schriften
tritt dem Forfcher entgegen. Engländer und Amerikaner,
in neuerer Zeit als erfter (1876) Rob. Barclay, fpäter
Norman Penney (1907), William C. Braithwaite (1908 u.
1912), Rufus Jones (1908 u. 1914), Champlin Burrage (1912),
bei uns neben Sippell (zunächft 1910 dann 1911) Tröltfch
1912, in anderer Weife Buddenfieg und Loofs in der RE3,
haben begonnen, den Urwald einigermaßen zu lichten.
Der Ausdruck, den ich foeben brauchte, ift wirklich berechtigt
, wenn man nur der faft 23000 Bücher, Pamphlets,
Satiren etc. aus der Zeit von 1641—1662, die George
Thomafon, ein Buchhändler (floob) fammelte und die
jetzt, gebunden in 1983 Bänden die ,Thomafon Tracts'
(foviel ich weiß, im British Mufeum) bilden, gedenkt. In
New York kommt die Dexter-Bibliothek, die eigens für
die Gefchichte der Puritanerfekten, welche ja die Grundlage
des Proteftantismus in den Vereinigten Staaten wurden,
in betracht. Sippell kennt natürlich auch nur einen Teil
der Quellen. Als ich I906 meinen erften, allzukleinen
Artikel über die Seekers in RE:!, (Bd. 18, S. 126—128),
veröffentlichte, war von der foeben genannten Literatur,
durch die die Forfchung erft die richtige Intenfität gewonnen
, noch nichts hervorgetreten. Weingartens bekanntes
und zweifellos verdienftlich bleibendes Werk
war mir allein (aus neuerer Zeit) zur Hand; felbft die
Encyclopaedia Britannica hat keinen Artikel über die
Seekers! Mein zweiter Artikel über die Leute diefes
Namens, im zweiten Nachtragsband der RE (Bd. 24,
S. 486—500) konnte fchon fehr viel eingehender fein, und
ich verfuchte das vorhandene Material, foweit es bekannt
geworden und fchon verarbeitet war, zu fichten. Ich bemerke
das, weil ich von daher weiß, wie hoch Sippells
Forfchung zu bewerten ift.

Das an Umfang ja befcheidene Werk, das Sippell in
diefem Jahre (1920) geboten hat, ift nur ein Vorläufer
es will Einzelnes, allerdings Grundlegendes aus der Ent-
ftehungsgefchichte des Quäkertums beleuchten bzw. klar
Hellen. Es war durch Penney und befonders Braithwaite
deutlich geworden, daß zwifchen den Quäkern und den
Seekern ein befonderer Zufammenhang beftehe. Dem
ift Sippell weiter nachgegangen. Den Gedanken, den er
zuerft, R. Barclay'fche Notizen aufgreifend, in's Auge gefaßt
hatte (daß die Seekers, die größtenteils, wie es
fcheint, gefchloffen zu den Quäkern übergingen, mit den
holländifchen Kollegianten zufammen hingen), läßt er jetzt
fallen. Ich habe (RE 24, 494) fchon Zweifel dazu geäußert
; was mich da ftutzig machte, erledigt S. damit,

daß der Name Seekers ,urfprünglich' an einer, ganz anderen
Gruppe' als fpäter gehaftet habe. Ift das richtig, fo gehört
das mit zu den Teufeleien in dem Material, das die
Forfchung bewältigen foll. ,Urfprünglich' feien die Seekers
die Leute gewefen, die hernach R a n t e r s (Schwärmer, Schreier
Verzückte) hießen und befonders radikale Myftiker waren.
Die fpäter fich Seekers nennenden Leute, die für die
Quäker in Betracht kommen, feien mit anderem Namen
die Waiters gewefen (die beiden Namen ,Suchende' und, Harrende
' paffen ja auch zueinander): Ganz fo fchroff, wie er es
zuerft formuliert, hält S. feine Unterfcheidung von zweierlei
Seekern hernach nicht aufrecht: es handelt fich um
zweierlei Entwicklung innerhalb derfelben Gruppe. Die
Ranters find hernach die eigentlich ,wild' gewordene,
die Waiters die ,ftill' bleibende Gruppe der Seekers, die
fich unter die Führung von George Fox ftellt und deffen
Gruppe von derjenigen Organifation, die fie bei fich erzeugt
hatten, das wefentliche vermittelt. Zumal die Form
des Quäkergottesdienftes geht auf fie zurück. Eine Hauptfache
der Seekers (beiderlei Art) war nämlich ihre Ablehnung
jeder menfchlich-kirchlichen Autorität und zugleich
ihr Laufchen auf den ,Geift'. Zumal entftand unter
ihnen die Hoffnung auf neue ,Apoftel', die Gott fenden
und denen er die Vollmacht geben werde, feine Gläubigen
zu ,leiten'. George Fox war es, deffen ,prophetifche'
Art auf den größeren Teil der Seekers den Eindruck
machte, daß er der erhoffte Führer fei. Um fo mehr als
er der Gewohnheit der Seekers entgegenkam1, bei ihren
Verfammlungen darauf zu ,harren', ob der Geift jemandem
gebe, das Wort Gottes zu verkünden. Vorerft waren die
Seekers nicht Myftiker; zu folchen in zügellofefter ,en-
thufiaftifcher' Form entwickelte fich der Ranterzweig, aber
auch der andere kam, durch feinen Anlchluß an Fox
und feinen fchon beftehenden Kreis (an dem nur noch
alles in Fluß war), in einzelnen Vertretern doch auch
auf Bahnen myftifcher, fpekulativer (Böhme'fcher) Art.

Nicht den Spezialitäten folcher fpäteren Entwicklungen
bei einzelnen gehtS. nach, fondern gewiffen Momenten
der erften Entwicklung. Da kommt er in der Tat zu
intereflanten neuen Ideen. Die Männer, die er vorführt,
find nicht erftmals überhaupt von ihm hervorgezogen,
fie find dem Namen nach denen, die fich bisher überhaupt
mit der Zeit befaßt haben, bekannt. Aber S. ftellt befonders
einen, Roger Brerely, und den nach feinem
Pfarrort Grindleton benannten Anhängerkreis, den er
fand, die ,Grindletonianer', der auch zum Teil mit den
Seekern zufammenfließt und in dem Quäkertum zur Ruhe
kommt, genauer dar. Er teilt da dankenswertefter Weife
große Stücke aus den Quellen, die er aufgefpürt hat,
mit. Sehr überfichtlich ift feine Darfteilung leider nicht.
Er verfährt induktiv. Aber er muß immer zwifchendurch
erft allgemeinere Mitteilungen machen, die die Linien,
die er fchließlich zieht, erft glaubhaft machen. Dazu
gehört befonders, daß er auch den Zufammenhang mit
dem Baptismus aufdeckt. .Verwunderlich' ift ihm gewefen
und wo er das mitteilt, S. 44, wirkt es auch über-
rafchend genug, daß in ,fämtlichen' ihm bekannt gewordenen
.Fällen' — will heißen bei allen führenden Seekern
(auch bei den Rantern; das bemerkt er ausdrücklich), —
,die Seekers vor ihrem Austritt aus den beftehenden
Kirchen Baptiften waren'. Auf die Entwicklung innerhalb
des Baptismus läßt er manches neue Licht fallen.
AberS.'sHauptintereffe nun ift der Nachweis, daß Brerely
(1586—1637) urfprünglich ganz exakter Lutheraner,
ein vortrefflicher Interpret der Rechtfertigungslehre
Luthers war. Neben ihm war ebenfalls guter, eigentlicher,
bewußter Lutheraner John Eaton (1575—164I). Aber
befonders letzterer gerät auf die Dauer in Antinomismus
(zufolge fehlerhafter Verwendung der Prädeftinationslehre
und des Gedankens der Heilsgewißheit), und ganz konnte
auch Brerely fich davon nicht freihalten. Zumal aber
nicht der Kreis, den feine anfaffenden Predigten ihm
erwarben, die Grindletonianer, die allerhand miß-