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Ausgabe:

1921

Spalte:

7-8

Autor/Hrsg.:

Hessen, Johannes

Titel/Untertitel:

Die unmittelbare Gotteserkenntnis nach dem hl. Augustinus 1921

Rezensent:

Scheel, Otto

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Theologifche Literaturzeitung 1921 Nr. 1/2.

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und die Taufe', ,Harnack und die Oden', ,der Gnofti-
zismus und die Oden'.

Was die Einheit und den chriftlichen Urfprung
der Oden betrifft, fo bin ich fchon vor dem Erfcheinen
diefes Werkes inbezug auf mein urfprüngliches Urteil
zweifelhaft geworden (vor allem auch durch die neuen
Textherftellungen und die beffere Interpretation einzelner
Sätze); Herr Harris aber hat diefe Zweifel noch fo ver-
ftärkt, daß ich nunmehr gern kapituliere. (Probleme, die
übrig bleiben, können die Entfcheidung nicht zweifelhaft
machen). Ich ftimme ihm bei, daß die Oden eine Einheit
find und chriftlichen Urfprungs; auch Antiochien als Ort
der Entftehung hat fehr viel Wahrfcheinlichkeit. Nicht
ebenfo zuverfichtlich vermag ich dem Anfatz: ,Erftes
Jahrhundert', beizuftimmen. Daß H. die Oden nicht für
valentinianifch, nicht für bardefanitifch, auch nicht für
montaniftifch hält, begrüße ich; aber inbezug auf eine
Reihe von Stellen, die die Benutzung der Oden bei
Ignatius, Barnabas, Theophilus u. a. beweifen follen, bin
ich fkeptifch. Herr Harris, der fonft fo fcharf fieht, folgt
m. E. einer bedenklichen Neigung, literarifche Abhängigkeiten
anzunehmen, wo nur Übereinftimmungen vorliegen,
und allzu ficher mit dem fupponierten ,Teftimonienbuch'
zu operieren. Inbezug auf Ignatius liegen die Verhält-
niffe im Sinne von Harris wohl am günftigften; aber
auch da vermag ich keine höhere Wahrfcheinlichkeit für
die Annahme zu gewinnen, daß die Oden benutzt find.
Den Anfatz: ,Erftes Jahrhundert', halte ich für möglich,
aber nicht für erwiefen; ja er ift durch manche Schwierigkeiten
, auf die ich hier nicht einzugehen vermag, gedrückt
. Man muß auch die erften Jahrzehnte des 2. Jahrh.
offenlaffen. Ich habe von der Singularität des Chriften-
tums, welches fich in den Oden zum Ausdruck gebracht
hat, einen ftärkeren Eindruck als Harris, und eben deshalb
erfcheint mir eine Zeitbeftimmung fo fchwierig. Auch
das Verhältnis zur Johanneifchen Myftik ift ein vexato-
rifches Problem.

,We are sensible that much yet remains to be done
in the explication of the Odes of Solomon, just as we
are hopeful that a real advance will be registered in the
present volume', fchreiben die Verfaffer. Jeder Kenner
wird ihnen bezeugen, daß der Fortfehritt, den ihr Werk
darftellt, ein ganz außerordentlicher ift. Das jüngfte alt-
chriftliche Werk, das entdeckt worden ift, liegt uns jetzt
in einer wiffenfehaftlichen Bearbeitung vor, um die die
meiften älteren patriftifchen Werke es beneiden müffen,
und wenn die Verfaffer recht haben, daß noch vieles
hier zu tun ift, fo werden alle künftigen Forfcher dankbar
fein, daß fie auf einem fo wohlbeftellten Acker arbeiten
dürfen.
Berlin. v. Harnack.

Heften, Dr. theol. et. phil. Johannes: Die unmittelbare
Gotteserkenntnis nach dem hl. Auguftinus. (60 S.) gr. 8°.

Paderborn, F. Schöningh 1919. M. 4.50

Heffens Arbeit gipfelt in der Frage, ob Auguftin
,Ontologift' gewefen fei. Unter Ontologismus aber ver-
fteht H. die vom italienifchen Philofophen Gioberti in der
Mitte des letzten Jahrhunderts entwickelte Theorie, der-
zufolge die Intuition des abfoluten Seins zur Quelle unferes
ganzen Erkennens wird. Es mag befremden, daß Auguftin
mit einem Philofophen des 19. Jahrhunderts konfrontiert
wird. Auguftin hat fich aber in der Beziehung
manches gefallen laffen müffen. Und daß er an Gioberti
gemeffen wird, erklärt fich aus der katholifchen Entwicklung
der Auguftinusprobleme. Gioberti ftützte fich auf
Auguftin, während feine Gegner der thomiftifchen Auslegung
Auguftins folgten. Diefer Mißdeutung tritt H.
entgegen. Auguftin hat wirklich, wie Gioberti überzeugt
war, ein intuitives Schauen Gottes angenommen. Er teilte
diefe Annahme mit dem Neuplatonismus. Im intuitiven
Schauen wird Gott unmittelbar erfaßt und dadurch unzweifelhaft
gewiß. Aber Gioberti beruft fich trotzdem zu

j Unrecht auf Auguftin. Denn während wir nach Gioberti
das abfolute Sein in feiner fchöpferifchen Tätigkeit fchauen
und fo die Begriffe der gefchöpflichen Dinge gewinnen,
fchauen wir nach Auguftin in der ewigen Wahrheit nur
die Grundfätze und Grundbegriffe der idealen Wiffen-
fchaften, während wir für alle realwiffenfehaftliche Erkenntnis
auf die Erfahrung angewiefen find. Neben dem Gebiet
des apriorifchen Wiffens läßt Auguftin noch eine
Provinz empirifcher Erkenntnis beftehen. Darin liegt
eine deutliche Abfage an den Ontologismus, dem Gott
als die ganze und darum einzige Quelle der menfehlichen
Erkenntnis gilt. Ontologift im Sinne Giobertis war Auguftin
in der Tat nicht. Aber bedurfte es wirklich noch
diefes Nachweifes? Ift ferner die Unterfcheidung der
beiden Provinzen fo grundlegend wie H. meint? Erkennt-
niskritifch jedenfalls nicht. Denn die Erfahrung vermittelt
wohl Einzelwiffen, scientia, aber keine Wahrheitsgewißheit.
Den Wahrheitsgehalt und die Wahrheitsgewißheit fucht
Auguftin doch auf dem .Gebiet des apriorifchen Wiffens'.
Tübingen. Otto Scheel.

Arnold, Geh. Konf.-Rat Prof. D. Dr. Carl Franklin: Die
GeFchichte der alten Kirche bis auf Karl den Großen,
in ihrem Zufammenhange m. den Weltbegebenheiten
kurz dargeftellt. (Ev.-theol. Bibliothek.) (XVI, 284 S.)
8°. Leipzig, Quelle & Meyer 1919. M. 7—; geb. M. 9 —
Ift auch an Bearbeitungen der alten Kirchengefchichte
kein Mangel, fo hat eine neue Darfteilung doch immer
noch Platz und Berechtigung, wenn fie den bisherigen
gegenüber Eigenart und Selbftändigkeit zeigt. Das ift
beim Werke des Breslauer Kirchenhiftorikers, das einen
Beftandteil der .Evangelifch-theologifchen Bibliothek' bildet,
durchaus der Fall. Wie fchon auf dem Titelblatt ausgedrückt
ift, geht fein Beftreben dahin, die Entwicklung
der alten Kirche in den Rahmen der Weltbegebenheiten
hineinzuftellen; weil er findet, daß diefer Zufammenhang
hier weniger berückfichtigt zu werden pflege als beim
Mittelalter und bei der Neuzeit. Er will fich dabei nicht
mit allgemeinen Gefichtspunkten begnügen, fondern bei
aller notwendigen Kürze doch Greifbares, Anfchauliches,
Perfönliches vorführen, näherhin ,ficher beglaubigte Einzelheiten
fo auswählen, daß fie neben der nächftliegenden
auch eine fymbolifche Bedeutung haben, fofern fich der
Geift des Zeitalters in ihnen darftellt'. Daß A. mit den
Quellen hervorragend vertraut ift und ihnen neue Seiten
abzugewinnen verlieht, zeigt fich fall: auf Schritt und
Tritt. Von der reichen Literatur werden namentlich folche
Monographien angeführt, .deren Stichworte nicht felbftver-
ftändlich find', sowie Abhandlungen und wichtigere Be-
fprechungen. Wie ein roter Faden zieht fich durch das
Buch der Reichsgottesgedanke, der freilich nirgends nach
feinem Inhalt klar beftimmt wird und auch, wie mirfcheint,
nicht einheitlich gehalten ift. Ebenfo verfchleiert ift die
Stellung des Verf. zu der damit zufammenhängenden
eschatologifchen Frage.

Zu S. 18 oben: in der Didache (3,4) wird Aftrologie allgemein verboten
. Die S. 48 vorgetragene Auffaffung von i Clem. 40,5 ift nichts
weniger als ficher (vgl. jetzt R. Knopf z. St., Tübingen 1920, 114).
S. 50 heißt es: Polykarp hat dem Irenaus, der von 129 bis vielleicht
155 feiner Belehrung unterftand, viel von feiner perfönlichen Bekannt-
; fchaft mit dem Apoftel Johannes erzählt' — eine unzuläffige Ausdeutung
von adv. haer. III, 3, 4 and Euseb. hist. eccl., V, 20, 5 sqq. Zu S. 100
unten wäre doch an den xQioxifmoQoc, (Did. 12, 5) zu erinnern. Zu S.
I 121, 3 woraus erhellt der .Miffionseifer' Cyprians? S. 236, 2: wo fpricht
Cyprian von einem libellus, der die Bußbeftimmungen früherer Konzilien
zufammenfaßte? Ich kann nur an ep. 55, 6 denken: aber hier find
lediglich die sententiae der Bifchöfe des karthagifchen Frühjahrskonzils
v. J. 251 gemeint. S. 176,3 heißt es: .Einer der heftigften Beftreiter
des Heidentums, Firmicus Maternus, gab um 350 die vollftändigfte Theorie
der Aftrologie, die wir befitzen'. S. 181: Der Bifchofsfitz des Philaftrius
(Brixia) war Brescia, nicht Brixen. Zu S. 174: Hermippus, de astro-
logia dialogus wird jetzt in eine viel fpätere Zeit verlegt. Zu S. 145, 7:
die Anfchauung, daß Religion Privatfache und der Staat religionslos fei,
findet fich fchon bei Tertullian, nicht erft bei den Donatiften. — Zu §
21 wäre doch zu erwähnen A. Bauer, Vom Judentum zum Chriftentum
1917, zu §§ ii 16 und 21 der berühmte Auffatz Overbecks über die
Anfänge der patrift. Literatur (Hift. Ztfchr. 1882, 417 n)i zu § 13 K.