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Ausgabe:

1921 Nr. 2

Spalte:

337

Autor/Hrsg.:

Krueger, Theodor

Titel/Untertitel:

Richard Dehmel als religiös-sittlicher Charakter 1921

Rezensent:

Frommel, Otto

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337

Theologifche Literaturzeitung 1921 Nr. 25/26.

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Phantafie tront. In feinen Schilderungen fließen dem Vf.
die glänzenden und beftechenden Vergleiche manchmal
überreichlich zu und nicht immer wird ganz ftreng zwi-
fchen wiffenfchaftlich feftgeftellten Tatfachen und Arbeits-
hypothefen gefchieden (Bendafcher ,Hirnmuskel der Neu-
roglia'r). Aber materialiftifche Plattheit wird durchweg
vermieden und dem Laien bietet die glänzende Sprache
des Vf. eine gute Einfuhrung in das fchwierige Gebiet
der Hirnphyfiologie. Über den Leiftungen der höchften
Hirnzentren und nicht als eine Funktion, eine Sekretion
diefer fleht ihm — neben dem Körper — als ,geftaltendes,
unendlich mehr als der Menfchengeift leiftendes harmo-
nifches Prinzip, als eine plaftifche Idee des Individiums'
die Seele. Sie ift ein Teil der Allfeele und indem fle
meinen Leib, damit auch die Organe meiner geiftigen
Tätigkeit formt und bildet, gleichzeitig ,meine Seele'; fle
ift die Verbindung des Einzelwefens mit dem Weltall,
mit Gott.

Zum Beweis dafür, daß eine ,Tdee', ein nicht materielles, rein gei-
ftiges Formen fchaffen kann, zieht der Vf. die Hyfterie heran. Sie ift
ihm eine ,1'erverfion der Phantafietätigkeit', welche imftande ift, einen
umformenden, in diefem Falle nicht zweckmäßigen Einfluß auf das phy-
fifche Gefchehen im Körper auszuüben, in dem tatfächlich durch diefe
rein geiftigen Vorgänge körperliche Krankheitsprozeffe erzeugt werden.
Es kann alfo eine Gedankentätigkeit, eine Idee etwas Materielles hervorbringen
. Darin erblickt Schleich den Beweis für die Lehre Flatos, daß
die fchöpferifche Idee der Welt ihrer wirklichen Erfcheinung vorausgegangen
fein muß.

Bei aller glänzenden und lehrreichen Darftellung fcheint mir diefe
Beweisführung des Vf. mindeftens etwas umwegig. Er brauchte dazu
gar nicht den Krankheitsvorgang der Hyfterie. Denn auch im normalen
körperlichen und geiftigen Gefchehen ruft Phantafietätigkeit körperliche
Erfcheinungen hervor. Er erwähnt ja felbft die bekannten Tatfachen
, daß die ,Vorftellung' einer Speife die Magenfaftdrüfen in Tätigkeit
fetzen kann, daß Freude oder Scham, alfo ein rein geiftiger Vorgang,
ja felbft die bloße Phantalievorftellung diefer Affekte, die Blutgefäße der
Wangen füllen können. Und wenn die Hyfterie eine ,Perverfion' der
Phantafietätigkeit ift, fo beruht die Möglichkeit diefer Perverfion, alfo
diefer unzweckmäßigen Betätigung der Phantafie letzten Endes doch auf
einer materiellen Veränderung der Gehirnorgane, welche diefer Phantafietätigkeit
dienen, einer Veränderung, welche nach unferer Auffaffung
gewöhnlich durch eine befondere angeborene Anlage, alfo durch eine
wenn auch geringfügige Formveränderung bedingt ift. Damit wird aber
der große Wert der übrigen Ausführungen des Vf. nicht erfchüttert.
Sie fordern vielmehr dringend zu dem Studium feiner anderen Auffätze
aus dem Gebiet der Erkenntnistheorie auf. (,Von der Seele', ,Vom Schaltwerk
der Gedanken', Berlin S. Fifcher).

Chemnitz. Wilh. Weber.

Krueger, Lic. theol. Theodor: Richard Dehmel als religiös-
(ittlicher Charakter. Eine Studie zur Neu-Myftik.
(Sammig. gemeinverftändl. Vorträge, Heft 95.) (43 S.)
gr. 8°. Tübingen, J. C. B. Mohr 1921. M. 9.—

Kruegers Studie über Dehmel wird der Natur diefes
Dichters, deffen Menfchliches viel gereifter ift, als feine
künftlerifche d. h. geftaltende Kraft, durch zarte und
forgfame Einfühlung gerecht. Debmels Beziehungen zum
Naturalismus, feine ftark theoretifche Einftellung zu den
Problemen des Lebens machen es nicht leicht, die Aus-
ftrahlungen des Göttlichen in feiner Seele und feinem
Werk in ihrer Kraft und Wärme zu empfinden. Allzuviel
Triebhaftes und Reinvernünftiges beeinträchtigt fein
lyrifches Geftalten.

Es ift Krueger m. E. gelungen, die letzten treibenden
Kräfte in der Seele Dehmels, feine unbedingte Hingabe
an die Natur, fein Allgefühl, feine religiöfe Inbrunft, mit
der er das Liebeswunder erlebt, feine Anbetung des
Weibes, feine „Menfchenfreudigkeit" — die ganze panthe-
iftifch-myftifche Stimmung feiner Seele aufzuzeigen und
ihn als Typus einer beftimmten Zeit (fle liegt bereits
hinter uns) zu kennzeichnen. In dem Abfchnitt vom
Ethos in Dehmels Dichtungen tritt der foziale Zug, der
für ihn fo wefentlich ift und ihn von Nietzfche so ftark
unterfcheidet, zu wenig hervor.

Im Übrigen das Mufter einer forgfältigen Dichteranalyse
.'

Heidelberg. Otto Frommel.

Federn, Edda: Friedrich Hebbel. (348 S. m. 18 Bildern) 8°.
München, Delphin-Verlag 1920. M. 31—; geb. 38 —
Die Verfafferin will den kämpfenden Aufftieg des
Proletariers' Hebbel zur Mitempfindung bringen. ,Denn
vieles, was fleh gegen Hebbel als Künftler wie als Charakter
einwenden läßt, erfcheint in völlig anderem Licht,
wenn man fein Leben und Werden richtig fleht und beurteilt
'. ,Ich wollte zeigen, wie leicht Unglück zur Schuld
werden kann und wie fchwer es ift, gerecht zu richten,
folange man die Einflüffe von Not und Elend nicht
genügend berückfichtigt'. ,Daß der Kämpfer Hebbel
der verbitterte, mißtrauifche Proletarier, zu einem milden,
weifen Lebensgenuß fleh durchrang, daß er in feinem
ganzen Wefen reifte, das zeigen feine Briefe und Tagebücher
der letzten Lebensjahre, das beweifen feine letzten
Werke'. — Aus Briefen und Tagebüchern gibt die Verfafferin
eine reiche und glückliche Auswahl. Ergreifend
find diefe Zeugniffe einer ringenden, fleh quälenden und
gequälten Menfchenfeele, verlohnend der milde, verklärt
reife Ausgang diefes herben Lebenskampfes. Diefe chrift-
liche Lebensphilofophie der Nibelungen zu beleuchten und
in ihrem Urfprung zu erklären, wäre eine fchöne dankbare
Aufgabe, die unfere Verfafferin einem anderen übrig
gelaffen hat.

Hannover-Kleefeld. Schuft er.

Ruppreoht, Lic. P. Johannes: H. von Bezzels religiös-sittliches
Ideal. (32 S.) 8°. Nürnberg, Zeitbücherverlag
1921. M. 2. —

Dieser auf der apologetischen Arbeitsgemeinschaft
zu Erlangen 1920 gehaltene Vortrag ift allen denen
beftens zu empfehlen, die fleh mit der Perfönlichkeit des
verftorbenen bayr. O. K. Präsidenten von Bezzel bekannt
machen wollen. Dankbare Erinnerung, völlige Vertrautheit
, die aber nicht blind werden ließ gegen Fehler und
Schwächen diefer feltenen Perfönlichkeit, zeichnen ihn
aus. Rupprecht betont zunächst als Züge, die für Bezzel
als religiös sittliche Person konftitutiv find: hingebende
Liebe, Treue, Wahrhaftigkeit, Gehorsam. Der 2. Abfchnitt
zeigt, wie diefer die Kraft zur Verwirklichung seines
Ideals in feiner engen Gemeinschaft mit Christus als Vorbild
und Erlöser fand und deshalb an deren Vertiefung
beständig durch Gebet, Betrachtung des göttlichen Wortes,
Askefe und Gedenken an den Tod arbeitete. Für Rupprecht
fteht es feft, daß für Bezzel die religiöfe Seite feines
Ideals trotz aller sittlichen Lebensenergie die bestimmende
war. Er fleht in diefem Frömmigkeitstypus nichts Einheitliches
, fondern lutherifche, kalvinifche und katho-
lifche Züge vereinigt. Die Aufgabe der Forfchung wäre
nun die, die Entftehung diefer verfchiedenartigen Momente
zu erforschen; die Eindrücke der Jugend, die auf Herrn-
hutifche Einflüffe zurückzugehen fcheinen, werden wohl
das Meifte zum Verftändnis beitragen und vielleicht doch
eine Einheit in dem anfchejnenden Vielgestaltetfein erkennen
laffen.

Alfeld. Schornbaum.

Ein oltpreußiIcher Geiltlicher. Sein Werden und sein
Wirken. Der eigene Lebensweg geschildert v. Geh.
Konf.-Rat D. Matth. Lackner. (Schriften d. Synodal-
kommiffion f. oftpreuß. Kirchengefchichte, H. 24.)
(84 S.) 8°. Königsberg i. Pr., F. Beyer 1921.

M. 6.50

Man wird dem ehrwürdigen Verfaffer Dank in weiteren
Kreifen vorab feiner Heimatprovinz wiffen für diefe an-
fpruchslofe Darftellung feines Lebenslaufes. Diefe ift,
foweit Vaterhaus, Gymnafium und Befuch der Albertina
in Betracht kommt, typifch für manchen oftpreußifchen
Theologen. Angefichts der fehr befcheidenen Verhält-
niffe des Elternhaufes — Vater und Mutter waren Abkömmlinge
der in Preußifch-Litauen unter Friedrich
j Wilhelm I angefiedelten Salzburger Emigranten — be-
I durfte es auf Schule und Univerfltät ausgiebiger Unter-