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Ausgabe:

1921 Nr. 2

Spalte:

327

Autor/Hrsg.:

Lienhard, Fritz

Titel/Untertitel:

Der Gottesbegriff bei Gustav Theodor Fechner. Darstellung und Kritik 1921

Rezensent:

Wendland, Johannes

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327

Theologifche Literaturzeitung 1921 Nr. 25/26.

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lungen über die Erftarkung des Hegelfchen ,Proteftantis-
mus' in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre und die in
diefen Zufammenhang eingereihte Analyfe feiner Rektoratsrede
über die Augustana vom Jahre 1830.

Zwei Punkte find auch von Rofenzweig nach meinem Urteil noch
nicht völlig geklärt worden: erftens der Hegelfche Freiheitsbegriff, zweitens
der Sinn des Schlagwortes von der Wirklichkeit des Vernünftigen
und der Vernünftigkeit des Wirklichen. Aber auch diefe beiden Stücke,
befonders das zweite, find in analytifcher Hinficht auf eine neue Stufe
gehoben.

Kiel. Heinrich Scholz.

Lienhard, Pfr. Dr. Fritz: Der Gottesbegriff bei Guftav

Theodor Fechner. Darftellung u. Kritik. (VII, 112 S.)

gr. 8°. Bern, Dr. G. Grünau 1920. M. 4.50

F. hat das Verdienst, in einer Zeit des vorherrschenden
Naturalismus die Verföhnung von Glauben und Wiffen in
feiner Art durch die Theorie der Allbefeelung in äfthetilch
gemütvoller Weife vollzogen zu haben. Aber fein Denken
war zu einfeitig auf Naturphilofophie eingeftellt. Das weite
Gebiet hiftorifcher Forfchung wie der Geifteswiffenfchaften
fiel bei ihm aus. Daher ift das Buch Lienhards, der in
Fechner wie in die Literatur über ihn eingedrungen ift,
in Grunde ein Nachweis, warum die Fechnerfche Löfung
nicht genügen kann. Es fehlt eine erkenntnistheoretifche
Begründung; F's anschaulifcher Bilderfprache mangelt die
begrifflliche Präcifion. Dies ift befonders am Gottesbegriff
deutlich, der pantheiftisch fein will, aber doch deutliche
Anfätze zu einer Transcendenz Gottes enthält. Der
Grundfehler ift: Gott ift zu fehr „kosmomorph"; das Übel
und die Sünde wird infolgedeffen im Widerfpruch zu
Gottes Heiligkeit in Gott felbft hineinverlegt und als eine
unwillkürliche Regung in Gott betrachtet, die jedoch von
Gottes Willen nicht aufgenommen wird. Das Weltbild
Fechners ift zu ausfchließlich intellektuell-äfthetifch. Die
Willensfeite im Menfchen gibt nicht den entfcheidenden
Ton an. Daher ift die Begründung der Sittlichkeit auf
die Luft unzureichend. Zwifchen dem hiftorifchen, dem
praktifchen (im Grunde pragmatiftifchen) und dem intellektuellen
Begründungsverfuch des Glaubens wird man
hin und her geschoben, ohne daß die tieffte Begründung
in einer jenfeits diefer 3 Gebiete liegenden Wirklichkeitserfahrung
aufgewiefen wird.

Bafel. J. Wendland.

Jodl, Margarete: Friedrich Jodl, fein Leben und Wirken.
Dargeftellt nach Tagebüchern u. Briefen (XIV, 344 S.
m. 3 Bildniffen) gr. 8°. Stuttgart, J. G. Cotta 1920.

M. 22.50

Margarete Jodl vergeiftigt in diefem Buche Perfönlich-
keit und Werk ihres verftorbenen Gatten zu einem Bilde.
Das Wefen feiner philofophifchen Begabung, der ethifche
Trieb, der ihm eignete, die feltfame Klarheit des Gedankens
, die neben einem empfindlichen Wertgefühl, Er-
faffen und Entfeheiden inftinktiver Art besteht und eine
Weltanfchauung fchafft, „die mit der vollkommenen Freiheit
des Geiftes höchftes ethifches Streben nach edelm
Menfchentum verband" — das alles gibt diefer aus unzähligen
Einzelzügen eines reichen Lebens zufammenge-
fetzten biographifchen Arbeit die Seele. Wer Jodl per-
fönlich kannte, fieht ihn wieder vor fich, den Menfchen
mit dem feinen und guten Herzen. Der Lefer feiner
Bücher hat nun einen neuen Kommentar und noch mehr
Möglichkeit, Lebendiges von ihm zu befitzen und manches
von dem, was in irgend einer Falte feines Herzens verborgen
lag und nicht in die Bände voll Gedanken kam.
Wir wiflen freilich, wie fließend und unbeftimmtdie Grenzen
diefes letzten Menfchlichen find und wie Worte fie oft nur
auflöfen oder vergröbern.

jodl war bekanntlich realiftifcherPbilofoph und idealiftifcher Wirklich-
keitsmenfeh in einem; er kämpfte mit seinem ganzen Ich gegen den
theoretifchen Idealismus und feine Konfequenzen. Jodl, der kritische
Realist, wollte zwifchen dem Menfchen und der Natur keinen anderen
Mittler fehen als unteren Verfland und unferen mutigen Willen, er wollte
von einem Geheimnis hinter der Natur, das uns über die Natur trottet,

nichts wiffen, er lebte für die Überzeugung, daß wir mit ihr allein find
und uns wohlgeborgen fühlen, „weil wir den Intellekt haben und fie
Gesetzmäßigkeit". Schon als Jüngling hat er immer bekannt: „Ich glaube
an einen großenEntwicklungsgang des Einzelnen wie des ganzen Menfchen-
gefchlechtes." Nie ist das Streben nach Vollendung und Zufammen-
bindung Aller in ihm erlofchen und von ihm aus hat er auch praktifch
und theoretifch im Dienfte der Bildungspflege oder Volksbildung gearbeitet
und immer wieder den Glauben an diefes ftärkfte Band, das
zwifchen Menfchen befteht, verkündet. Auch für Jodl war Bildung eine
Menfchheitsangelcgenheit. Sie fchlägt über Abgründe Brücken, fie ift
der Weg zur fozialen Gerechtigkeit im großen wie im kleinen. Auch
er wollte die Menfchen lehren — wir wiffen von dem Tragifchen, das
in folchem Bemühen liegt — unter den „hundert- und taufendfachen
Masken der Kultur" das eine Menfchenantlitz zu fchauen. Man kann
das alles in Jodls Büchern lefen, aber wie er es felbft tüchtig und treu
vom Anfang bis zum Ende gelebt hat, wie in dem Streben nach Wahrheit
fein ganzes Wefen aufging und wie er zeitlebens verfuchte, alles
zufammen zu fehen in feiner Totalität — davon erzählt mit edelm Vcr-
ftändnis das Buch feiner Gattin.

Diese Arbeit ift auch als Biographie genommen, ich
meine vom Standort der Theorie und Pfychologie einer
Lebensbefchreibung, von achtenswerter Reife, die Geftalt
des Verftorbenen ift in ihrer Vitalität erfaßt und bleibt
doch im leife verklärendem Licht, aber dabei ift der Zartheit
des urfprünglich Lebendigen nichts genommen.
Wien. Franz Strunz.

Engelhardt,Emil: Rabindranath Tagore alsMenfch, Dichter
u. Philofoph. (445 S.) gr.8°. Berlin, Furche-Verlag 1921.

M. 60—

Das Buch ift ,wundervoll'. Mehr wundervoll als ausgezeichnet
, denn unter letzterem würde man eine mehr
technische Behandlung feines Gegenftandes verftehen
u. anerkennen, während hier ganz die künftlerifche vor-
herrfcht. Das ift nach einigen Hinfichten eine Mangel.
Thomfon giebt in feiner inzwifchen erlchienenen Darfteilung
Tagores viel genauere „Biografie", Literaturkunde, Beziehung
aul Vorgänger und Gleichartige. Diefer genaue
Kenner der Bengalifchen weiß von dem Streit der Neu-
Bengalen und ihres Neu-Bengalifch gegen die ehrwürdigen
Vertreter der „echten" bengalifchen Sprach- und Wortbildung
, kennt und zeichnet Entwicklungsstufen und Werdegang
des Dichters aus nächfter Nähe, vergleicht und mißt
das Englifch Tagores genauer u. mit Beispielen am bengalifchen
Orginal, bewundert auch, aber hält fich doch
ftark im Abftande u. hält mit der Kritik nicht zurück, die
bei Pingelhardt überhaupt schweigt. Aber wundervoll
ift Thomfons Buch nicht. Tagore wird hier nichts
weniger als zum Erlebnis, das Eindringen ins Ganze
und Einzelne diefer Erfcheinung ift unvollkommen, die
Analyfe der einzelnen Werke oder des ganzen Menfchen
faft nicht vorhanden. Das aber ift bei Engelhardt da.
Engelhardt verfügt über mehr Werke Tagores, als fonft
in Europa u. in europäifchen Sprachen zugänglich waren.
Er felber giebt das doppelte an. (Alfo fehlen ihm doch
wohl noch zwei Viertel.) Ob er felber Bengalifch lieft,
wird nicht deutlich. Aber was er gelefen hat, macht
er lebendig, hat er durchdrungen mit einer erftaunlichen
Nachfühlung, die wohl nicht nur dem Umftand verdankt
ift, daß auch er .Tropenluft' geatmet hat, fondern vielmehr
dem Umftande, daß hier eine felber tief dichterilche Natur
und ein Talent des Rythmus und der fprachlichen
Formgebung zugleich fich findet u. daß Seele der Seele
begegnete.

Engelhardt faßt Tagore als indogermanifchen Dichter, gerade dem
deutfehen iunerlichft verwandt, bezieht ihn mit Vorliebe auf Fichte
(in feinen religiöfen Grundanfchauungen), zeigt zugleich an ihm die
,Brückenrichtung' zwifchen Oft und Weft, fühlt mit ficherem Urteile
den eigentümlichen ganz individuellen, zugleich den ganzen Menfchen
beraffenden Stil diefes fein-ftilifierten Mannes u zeichnet diefen Stil bis
in die in der Tat fo ficher gegriffene, wie zufällig erfcheinende und
doch innerlich ganz notwendige Kleidung u. Tracht hinein, die er trägt
u. die wirklich gerade nur fo fein kann, wie fie eben ift, verfucht zugleich
(allerdings fehr unzureichend) ihn im Zufammenhange feiner eigenen
altindifchen und befonders feiner Vaifchnava-überlieferung fehen zu
laffen u. läßt dann faft in einem Kranze eigener Tagore-Verfe felber
ihn fehen in der Mannigfaltigkeit feiner Schöpfungen u. eben fo fehr in
der Mannigfaltigkeit der Seiten feines Wefens. Er giebt keine „Theologie"
I Tagores — denn die giebt es in der Tat nicht — aber er läßt mit