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Ausgabe:

1921

Spalte:

301-302

Autor/Hrsg.:

Wentscher, Else

Titel/Untertitel:

Grundzüge der Ethik mit besonderer Berücksichtigung der pädagogischen Probleme. 2. Aufl 1921

Rezensent:

Krüger, Theodor

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302

Schwarz, Prof. D. Dr. Hermann: Über Gottesvorstellungen

großer Denker. 6 Hochschulvorträge. (Philosoph. Reihe,
12. Bd.) (160 S.) kl. 8°. München, Roll & Cie 1921.

M. 12—

Schwarz' Buch gibt 6 Volkshochschulvorträge wieder,
in denen es ihm gelungen ift, den fchwierigen Stoff in
volkstümlicher Darfteilung zu bewältigen. Er ftellt das
Werden des Monotheismus in der griechifchen Philof.
von Anaxagoras bis Plotin dar, fodann unterfcheidet er
drei Arten von Pantheismus: Gott als Weltkraft (dieStoa),
Gott als Weltfeele (Bruno), Gott als Weltgefetz (Spinoza).
Der Übergang des Pantheismus in Panentheismus wird
an lrechner nachgewiefen, dem eine befonders liebevolle
Betrachtung gewidmet wird. Umgekehrt wird das Um-
fchlagen des Pantheismus in Atheismus an Nietzsche
dargeftellt. — Der Grundgeganke des Buches ift: alle
Gottesvorftellungen bleiben unvollkommen, wenn fie nur
Gott in der Natur fachen. Eckehart, Böhme, Fichte, die
Gott im geiftigen Leben gefunden haben, erhalten daher
den erften Platz und werden über Paulus und Luther
geftellt. Hier tritt der Mangel des Buches hervor: es
fehlt der Gefichtspunkt, daß Gott in der Gefchichte zu
finden ift, und daß der einzelne ihn nur dann in feinem
Geift finden wird, wenn lein kleines Gotteserlebnis durch
die Erlebniffe der Großen in der Gefchichte getragen und
vertieft wird. Bei Berückfichtigung diefer Wahrheit würde
auch der Gegenfatz zwifchen erlebtem Gottesglauben und
gedanklichem Vorftellen Gottes, der S. 14 in ausfchließen-
der Weife auftritt, überbrückt werden.

Bafel. J. Wendland.

Marcus, Ernft: Der kategorifche Imperativ. Eine gemein-
verftändl. Einführung in Kants Sittenlehre. (Die erfte
Auflage erfchien unter dem Titel ,Das Gefetz der-
Vernunft'.) 2., verbeff. Aufl. (257 S.) gr. 8°. München,
E.Reinhardt 1921. M. 20.80; geb. M. 26 —

Die erfte Auflage diefes Buches erfchien i. J. 1907,
die zweite ift erweitert und verbeffert, im ganzen aber
nur wenig verändert. Marcus vertritt die fundamentale
Thefe, daß durch die Kantifchen .Kritiken' fowohl die
Erkenntnistheorie wie die Ethik zur ,ficheren Wiffenfchaft'
geworden find, daß alfo mit der Kantifchen Philofophie
ein fyftematifcher Abfchluß erreicht ift. Seine Aufgabe
fieht er demnach vornehmlich in der Interpretation und
Ausfeilung. Es ift zwecklos, über diefe Vorausfetzung
felbft zu ftreiten, denn hier wird man den Gegner doch
nicht zu überzeugen vermögen. Man follte vielmehr
fragen, ob — wenn diefe Thefe einmal zugegeben wird —
Marcus für die Interpretation Wertvolles bietet. Für das
hier vorliegende Buch trifft das nun zweifellos zu, ja
man muß geradezu ftaunen, von welch gewaltiger inhaltlicher
Fruchtbarkeit fich das angeblich ,nur formale'
Grundprinzip der Kantifchen Ethik erweift. Statt des
vielen Herumredens um Einzelpunkte der Kantifchen
Lehre kann ein folches einführendes Werk zumal in der
heutigen Zeit des labilen Gleichgewichts nur hochwillkommen
fein.

Berlin. Artur Buchenau.

Wentfcher, Elfe: Grundzüge der Ethik mit befonderer
Berückfichtigung der pädagogifchen Probleme. 2. Aufl.
(Aus Natur und Geifteswelt. 397.) (IV, 116 S.) 8°.
Leipzig, B. G. Teubner 1913. M. 680; geb. 8.80

In fehr klarem und anfchaulichem, hier und da von
Beifpielen aus der klaffifchen Literatur belebtem Vortrag
ziehen die großen ethifchen Grundfragen: Autonomie, Ur-
fprung des Sittlichen, Gewiffen, fittliches Ideal, Willensfreiheit
an uns vorüber. In der Schilderung der praktifchen
Verwirklichung der ethifchen Prinzipien und ihrer pädagogifchen
Folgerungen findet die Arbeit ihre Krönung.
Befonders feffeln die Probleme des fittlichen Ideals und
der Willensfreiheit. So fehr der im Gegenfatz zu einein

Indeterminismus der Willkür und Fatalismus des äußern
Zwanges befonnen vertretene Determinismus im Sinne
einer Beftimmtheit des Wollens und Handelns durch den
frei gebildeten Charakter den Momenten der Freiheit und
Gebundenheit des Willens in gleichem Maße gerecht wird,
fo wenig dürfte das von der Verf. aufgeftellte fittliche
Ideal des vernunftbeftimmten Handelns die Höhenlage
einer gewiffen nüchternen Durchfchnittlichkeit überschreiten
. Es genügt für die Pädagogik des vulgären
Trieblebens, es verlägt in zarteren Konfliktsfällen und
vollends gegenüber dem Anfpruch des Heldifchen, deren
beider Eigenart über die ,Vernunft' hinausliegt. Es ift
nicht recht einzufehen, warum die Verf. die ethifche Ziel-
felzung des vernunftbeftimmten Handelns aufrechterhält
neben dem von ihr fo warm anerkannten, ja .bisher von
keiner anderen Ethik' (S. 110) erreichten chriftlich-fittlichen
Ideal der GotteskindfchaftI Es bietet die ftrengfte Bindung,
nämlich an den heiligen Gott felbft, und gewährt eine
vernunftüberlegene Freiheit. So gewiß die Verf. .Vernunft
' nicht im Sinne eudämoififtifcher Vernünftigkeit
verftanden wiffen will, fo trifft doch auch bei Ablehnung
diefes Sprachgebrauchs der Begriff Vernunft nicht mehr
letzte fittliche Entfcheidungen. Betont die Verf. mit vollem
Recht die Notwendigkeit des Glaubens auf dem Gebiet
der Sittlichkeit, nämlich des Glaubens an die Macht und
den PArtfchritt des Guten (S. 66), fo vermißt man die
Flervorhebung der damit zufammenhängenden Notwendigkeit
auch des Glaubens an einen Garanten diefes Fort-
fchritts. Ift aber ein folcher Glaube notwendig, fo vermag
auch nur der feelifche Zufammenfchluß mit der Macht,
die den Sieg des Guten verbürgt, das höchfte fittliche
Ideal darzuftellen.

Königsberg. Theodor Krueger.

Heim, Karl: Glaubensgewißheit. Eine Unterfuchg. üb. die
Lebensfrage d. Religion. 2. umgearb. Aufl. (IV, 216 S.)
gr. 8°. Leipzig, J. C. Hinrichs 1920. M. 13.60

Auf dem mir hier nur in knapper Ausdehnung zur
Verfügung flehenden Raum kann ich bloß kurz auf die
wichtfgfte unter den ausgiebigen Veränderungen hinweifen,
die das vorliegende Buch in feiner neuen Auflage erfahren
hat. Der Verf. hat außer anderm gerade auch feinen
wertvollften Gedanken, der fich ihm in der Annahme
einer .Kategorie' des Schickfals zufammenfaßt, fehr viel
klarer und ficherer herausgearbeitet. Dadurch find die
gegen feine früheren Ausführungen vorbehaltenen Bedenken
(vgl. Th. L. Z. 1917 Sp. 440ff) zum guten Teil gehoben.
Denn fo wie er jetzt das im Gewiffen fich geltend machende
unbedingte Sollen mit der .Schickfalskategorie' combiniert,
erfcheint es geradezu felbft als eine Auswirkung des hinter
diefer flehenden göttlichen Willens, fo daß fich die ganze
Konstruktion nicht mehr nur äußerlich als die Synthefe
einer doppelten Setzung darftellt, fondern durch den
grundfätzlichen Irrationalismus des Verf. auch innerlich
begründet ift. Wenn nun diefer erklärt, daß ,der Angelpunkt
feiner ganzen Pofition, die Irrationalität, die in der
Setzung des Ich, Hier und Jetzt enthalten ift, von den
Lefern in ihrer Tragweite bis jetzt überhaupt noch nicht
verftanden worden fei', fo liegt die Schuld daran doch
wohl nicht allein bei den Lefern, fondern auch daran,
daß der Verf. in der erften Auflage darauf ausgehen zu
wollen fchien, für die Glaubensgewißheit eine der logifchen
Gewißheitsregel formal gleichftehende Allgemeingültigkeit
auf mehr oder weniger auch rationalem Wege nachzuweißen
. Diefes Intereffe tritt indeffen jetzt hinter der
Vertretung des irrationalen Standpunkts als folchen fo
fehr zurück, daß vielleicht fogar die Frage erlaubt ift, ob
der Verf. nicht beffer getan hätte, auch den fubjektiviftifch
klingenden Titel feines Buches zu verändern, um fein
eigentliches vielmehr auf die Sache des Glaubens gerichtetes
Intereffe um fo wirkfamer zur Geltung zu
bringen.

Bonn. O. Ritfchl.