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Ausgabe:

1921 Nr. 2

Spalte:

287-289

Autor/Hrsg.:

Delitzsch, Friedrich

Titel/Untertitel:

Die große Täuschung. 2. (Schluß-)Teil. Fortgesetzte kritische Betrachtungen zum Alten Testament, vornehmlich den Prophetenschriften und Psalmen, nebst Schlußfolgerungen 1921

Rezensent:

Meinhold, Johannes

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287

Theologifche Literaturzeitung 1921 Nr. 23/24,

288

(mit gewiffen Änderungen) kann ich im Gegenfatz zu Waldburger nur
zuftimmen. Die von diefem vorausgefetzte ,Vertrautheit mit dem bisherigen
Züricher Text' ift eben im allgemeinen nicht da, und ob die
in Arbeit befindliche revidierte Züricher Überfetzung, gerade weil fie
philologifch allen Anfprüchen genügen wird, je volkstümlich werden
kann, ift mehr als fraglich. Daß der Herausgeber in den kurzen einleitenden
Betrachtungen zu den einzelnen Heften und auf dem Umfchlage
warm für Deutfchland eintritt, fei ihm befonders gedankt.

Zürich. W. Köhler.

Delitzfch, Friedrich: Die große Täuichung. 2. (Schluß-)
Teil. Fortgefetzte krit. Betrachtgn. zum A. T., vornehmlich
den Prophetenfchriften u. Pfalmen, nebft
Schlußfolgerungen. (123 S.) 8°. Stuttgart, Deutfche
Verlagsanftalt 1921. M. 12 —

Es war ja wohl ficher, daß Delitzfch dem erften einen
2. Teil über die große Täuichung folgen laffen würde,
ebenfo wie, daß König nicht blos aut den erften, fondern
auch auf den 2. eine Antwort geben würde. (Eduard
König: wie weit hat Delitzfch Recht? beantwortet durch
eine kritifche Bedeutung des 2. Teiles von Delitzfch ,die
große Täufchung' 1921.) Nötig war wohl weder das eine
noch das andere. Delitzfch's Schrift bietet 73 Seiten Text,
15 Seiten Anmerkungen und (24 Seiten) ausgewählte
Pfalmen in Überfetzung. — Bei der Befprechung des zweiten
Teiles find diefelben Beanftandungen zu erheben wie
beim erften. Wer feine Rezensenten nicht ordentlich zu
lefen vermag,1 bei dem wundert man fich nicht, wenn er
auch die Alten nur halb verfteht, ja ihre Meinung oft ent-
ftellt wiedergibt. Es ift vieles, das man zurückweifen
kann und muß. Die Ausfprache Jahwe, die auch durch
die Kirchenväter gefichert ift (vgl. v. Baudiffin, Studien
zur ferriit. Religionsgefchichte I 1876. S. 181 ff.) wird fich gegenüber
der Ausfprache Jaho' trotz Delitzfch I und II
mit Recht behaupten. — Daß die Propheten und Pfal-
miften noch ftark in der Nationalreligion flecken, ift ficher,
daß fie aber eben fo ftark aus ihr herausdrängen, ebenfo.
Und gerade darauf kommt es an. Was aber das bezeugt,
z. B. das Buch Jona, riiob mit ihrem Univerfalismus, fällt
bei Delitzfch wieder unter den Tifch. Ja, er leugnet im
Grunde jede Entwicklung im religiöfen Erkennen und
Haben Israels (S. 18 Anm.). Er befindet fich da im
Grunde in der Gefellfchaft der orthodoxen Theologen,
nur daß er fagt, Israel hat vom Anfang bis zu Ende an
feiner befchränkten Nationalreligion feilgehalten, während
jene die Religion der Propheten im Grunde fchon die
Abrahamsreligion fein laffen. Daß beides verkehrt ift, hat
die wiffenfchaftliche Arbeit feit langem erwiefen. Wer
von Mofes bis Jefaja, von Jefaja bis Jeremia, von Jeremia
bis Jefus keine Fortbewegung zum Höheren und Reineren
kennt, dem ift nicht zu helfen. Aber auch in einem anderen
Punkt berühren fich Delitzfch und feine othodoxen
Gegner. Beide flehen — wenn auch oft unbewußt —
noch unter der Einwirkung des alten Infpirationsdogmas.
Das zeigt Delitzfch, indem er die längft als Fabeln, Märchen
Sagen erkannten Gefchichten als wirkliche Geschichten
nimmt und dagegen angeht. Das zeigt fich auch in feinem
Anftürmen gegen die prophetifchen Weisfagungen. Daß
fie meift nicht erfüllt wurden — nun mit der Behauptung
rennt er offene Türen ein. Hier haben wir es nicht mit
der Stärke, fondern mit der Schwäche des Prophetentums
zu tun. Seine Stärke liegt in dem religiöfen Leben feiner
großen Vertreter. Dafür aber hat Delitzfch kein Auge.
— Das was die Forfchung des Alten Teftaments als felbft-
verftändlich betrachtet, daß die Schriften des A. T. nach
Form wie Inhalt ebenfo zu behandeln und zu werten find
wie die Schriften-anderer Nationen, braucht Delitzfch nicht
erft zu beweifen, aber allerdings gilt gegen ihn, daß fie
doch auch dasielbe Recht an vorurteilslofe Betrachtung
haben wie jene. Und man nehme nur feine Schönfärberei
der Sumerier und ihrer Religion und ftelle daneben
die haßerfüllfe Behandlung des A. T, fo fleht man, was

1) (So auch mich nicht, indem er meine Ausführungen über die
Eroberung Kanaans einfach karikiert S. 31 Anm.)

daran ift, wenn er meint, es fei ihm nur um die Erkenntnis
der Wahrheit zu tun. —

Einige Irrtümer und mindeftens fragliche Behauptungen feien doch
hervorgehoben. Kein Prophet foll die ,politifche Unzuverläffigkeit und
den Treubruch der israelitifchen Könige gegenüber den mit Affyrien
und Babylonien eingegangenen Verträgen' getadelt haben (S. 37 f.), als
ob nicht Jefaja den Abfall von Affur, die Hinneigung au Ägypten vom
Jahre 734 bis 701 als fchweres Vergehen gegen Jahwe ftets auf das Hef-
tigfte bekämpft (Jcs. 29. 30. 31. 18. 20,) und Ezechiel (K.17.) den Abfall
von Babel als fchwere Treulofigkeit in Jahwes Namen gerügt hätte.
— Daß bei der Einfchließung Jerufalems durch Sanherib nicht alles nach
deffen Wunfeh ging, ift unfehwer zwifchen den Zeilen feines Berichtes
zu lefen. Auch hier erkennt Delitzfch nur dem Affyrer das Recht zu,
das er den a. t. Berichten vorenthält. Gewiß die 3 Berichte (2 Kö. 18,13 D
find verfchieden an Wert, es gilt das Sagenhafte zu erkennen und abzu-
fcheidens Da vertagt Delitzfch. Wenn er z. B. fagt, der Bericht von
der fchweren Kataftrophe der 185,600 Mann vor Jerufalem fei in direktem
Widerfpruch zu den Ausfagen des Jefaja — fo ift das Gegenteil
richtig. Vielmehr entfprechend den Erwartungen des Jefaja ift diefe
Angelegenheil alfo zurecht gemacht und den juden vorgelegt worden.
Dieter Bericht fcheidet alfo für die Erkenntnis der Ereigniffe 701 aus,
nicht fo der andere 2 Kön 19, 9b-35 noch gar die Tempelquelle 2.
Kö. 18,13 —16. (vgl. meine Schrift: die Jefajaerzählungen 36—39, 1898).
Die Behauptung ferner, daß die Juden und Deuterojefaja um das verrä-
terifche Tun der babylonifchen Priefter, die Korefch die Stadt Babel in
die Hände fpielten, gewußt, ja wohl dabei mitgewirkt hätten — ift nichts
weiter als eine Behauptung.

Seine Ausführungen über Jefus den Arier find jetzt ebenfo haltlos
wie zuvor. Die Frage feiner davidifchen Abdämmung bin ich geneigt
mit Delitzfch in verneinendem Sinn zu beantworten. Dagegen id alles
Übrige betr. feines nichtjüdifchen Herkommens von leichtem Gewicht.
Jefus weiß und fühlt fich von Anfang bis zu Ende als Kind des jüdi-
fchen Volkes, als Mitglied der jüdifchen Gemeinde. Darüber hilft kein
Reden hinweg. Er atmet die Luft jüdifchen Geides, jüdifcher Frömmigkeit
. Sie bot ihm geidige Nahrung, fie führte ihn aber auch im
Sinne wahrer Frömmigkeit zum Kampf gegen die Synagoge. War es
denn bei Luther mit dem Katholizismus anders? Darf man daraus
fchließen, daß Luther einen anderen Gott gehabt als feine Väter? Wenn
der Haß der Altgläubigen Jefus zum Tode brachte, fo foll das auch für
feine nichtisraelitifche Abkunft fprechen — einem Volksgenoffen hätten
fie wohl nicht fo übel mitgefpielt. Als ob nicht die ,Apodaten' mit viel
grimmigerer Wut verfolgt wären als die Fremden. Waren denn Propheten
wie Arnos, Hofea, Jeremia, Uria keine Israeliten? Man hat fie
Landes verwiefen, verfolgt, gehöhnt, getötet — eben weil fie Israeliten
waren und den .Gläubigen' die Religion aufzulöfen drohten — gerade
wie Jefus. Und wenn Delitzfch aus den Vorwürfen diefer Männer ein
abfehreckendes Bild von dem fittlichen Stand oder Tieffiand des israelitifchen
Volkes crfchlitßt, mit demfelbcn Recht wie wenn man zur
Schilderung des deutfehen Volkes nur Bußpredigten heranzieht, fo ift
zu fagen, aus diefen und anderen Vorwürfen, die gewiß einfeitig
genug waren, erkennt man den Grund des Haffes, mit dem man diefe
Männer verfolgte. —

Doch genug davon. Es handelt fich garnicht darum,
ob Delitzfch in einzelnen Dingen Recht hat oder König
oder Gunkel, Greßmann, Meinhold u. a. a. Es ift auch
nicht zu wünfehen, daß fich der Kampf in eine Rechthaberei
der Gelehrten verliere. Es fteht doch etwas Größeres
auf dem Spiel. Was die Theologen längft verlangt,
wofür man fie in .gläubigen' Kreifen verketzert hat, nämlich
die Hinüberführung der Refultate altteftamentlicher
Kritik in die Gemeinden und Schulen in zweckmäßiger
Form, ift ungehört geblieben, fo deutlich es auch in die
Maffe hineinkam. Man muß entfchloffen und reftlos mit
dem jüdifchen Dogma der Infpiration brechen.

Für den Chriften geht der Weg nur durch das Neue
Teftament zum Alten, beffer gefagt nur durch Jefus. Was
überholt war, ift .Schatten vom Zukünftigen' ,das Alte ift
vergangen, es ift alles neu geworden'. Selbft vor Jefus
darf eine folche Kritik nicht ftill flehen. Was an ihm noch
als Eierfchale des Alten fichtbar ift (vgl. feine efchatolo-
gifchen Vorftellungen), ift als überholt anzufehen und auch
zu bezeichnen. Seine Stellung zum Alten Teftament ift
doppelfeitig. Einmal übernimmt er es als .heilige Schrift',
auf die er verweift, feine Ausführungen gegründet Da ift
er natürlich nicht maßgebend. Hält er den Pentateuch
lür mofaifch — wir tun es nicht mehr. Hat er mit den
Patriarchen als hiftorifchen Perfönlichkeiten gerechnet, uns
kann das nichts ausmachen, wenn moderne Forfchung
das beftreitet. Hier handelt es fich um rein wiffenfchaftliche
Fragen, die mit unferer Religion nichts zu tun haben.
Als Chriften follen wir nicht in, fondern über dem Alten
Teftament ftehn, in der Nachfolge Jefu, der fich religiös