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Ausgabe:

1921

Spalte:

271

Autor/Hrsg.:

Lipsius, Friedrich Reinhard

Titel/Untertitel:

Religion und Weltanschauung 1921

Rezensent:

Mulert, Hermann

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271

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LipTius, Prof. Friedrich Reinhard: Religion und Weltanfchauung.

Vortrag im Volkskirchlichen Laienbunde zu Leipzig. (16 S.J 8U.

Leipzig, P. Eger 1920. M. 1 —

Den Hauptinhalt bildet eine Kritik am Materialismus, den L. als
fchon für die Naturforfchung ungenügend hinftellt. Es folgen Andeutungen
einer idealiftifchen Metaphyfik, die fich mit einem geläuterten
religiöfen Glauben befreundet, einen geiftigen, über Raum und Zeit erhabenen
fchöpferifchen Weltgrund annimmt; ihn als perfönlich anzufeilen
, verwickelt uns in Denkfchwierigkeiten; aber die Religion muß
in Bildern und Gleichniffen reden. Klarheit und Sachlichkeit zeichnen
diefen Vortrag aus.

Kiel. Mulert.

Becker, Paftor Rud.: Chriftentum, Demokratie und Sozialismus.

2 Abhandlgn. (36 S.) 8°. Leipzig, G. Lunkenbein 1919. M. 1.80
Das Chriftentum trägt demokratifchen Charakter an fich; ohne
Sozialismus aber keine wirkliche Demokratie. Der Sozialismus, als
eine Etappe auf dem großen Wege zur Menfchwerdung der Maffia, trifft
mit der großen Geiftesbewegung des Chriftentums zufammen. Dies die
Grundgedanken. Dazwifchen Ausführungen zur Trennung von Staat
und Kirche und folche wirtfchaftlicher Art. Das Ganze mehr Agitations-
fchrift als Unterfuchung; jedenfalls fehlt alles tiefere Eingehen und alles
feinere Unterfcheiden.

Gießen. M. Schian.

Natorp, Paul: Genoffenlchaftliche Erziehung als Grundlage
zum Neubau des Volkstums und des Menfchentums. Thefen
u. Einleitung (42 S.) 8°. Berlin, Jul. Springer 1920.

M. 5.50

Natorp legt hier die inhaltschweren Thefen vor, die
er der Reichsfchul-Konferenz in Berlin (11. — 19. Juni 1920)
unterbreitet hat, mit dem kurzen Vortrag als Einleitung,
den er damals im Plenum gehalten. Ein Sonderdruck
diefer Thefen erfchien ihm erwünfcht, weil fie, in ihrer
Grundfätzlichkeit, weit über die Kreife der Schulkonferenz
hinaus die Beachtung aller derer fordern dürfen, die auf
die innere Erneuerung des Volkstums und des Menfchentums
finnen und für fie zu arbeiten entfchloffen find.
Zur eingehenden Begründung muß auf das jugendfrifche,
lebendige Buch Natorps: Sozialidealismus (Neue Richtlinien
fozialer Erziehung, 1920) verwiefen werden. Natorp
verlangt eine gänzliche Neugründung der Erziehung, und
mit ihr der wirtfchaftlichen, der ftaatlichen Ordnungen
auf dem allein tragfähigen Grunde der Genoffenfchaft
fchaffender Arbeit. Seine Thefen find .radikal', aber zugleich
rein idealiftifch, alfo durchweg pofitiver, aufbauender
Art. Sie verdienen die ernftefte Beachtung aller derer,
die es mit erziehlichen und politifchen Fragen zu tun
haben.

Berlin. Artur Buchenau.

Girgenfohn, Prof. D. Dr.: Zwölf Reden über die chriftliche Religion.

Ein Verfuch, modernen Menfchen die alte Wahrheit zu verkündigen.
4. Aufl. (VIII, 340 S.) kl. 8«. München, C. H. Beck 1921.

M. 20 —

Die vorliegende 4. Auflage diefes .Vernichs, modernen Menfchen
die alte Wahrheit zu verkündigen' ift ein forgfältig durchgefehener,
wenig geänderter Neudruck der 3. von 1913 (angezeigt 1915, 117). Der
Weltkrieg hat den Inhalt des Buches nicht beeinflußt. 1913 ift eine
ichwedifche, 1921 eine finnifche Überfetzung erfchienen.

Hannover-Kleefeld. Schuft er.

Diekamp, Prof. Dr. Franz: Katholifche Dogmatik nach den
Grundfätzen des heiligen Thomas. Zum Gebrauche bei
Vorlefgn .u. zum Selbftunterricht. 3. Band (Lehrbücher
zum Gebrauch beim theolog. Studium.) 2. Aufl. (VIII,
445 S.) 8«. Münfter i. W., Afchendorff 1920. M. 21 —
Der Band behandelt, wie das Titelblatt fagt in Neubearbeitung
, die katholifche Sakramentenlehre und Es-
chatologie. Zuerft die Sakramente im allgemeinen, dann
die fieben Sakramente im einzelnen. Hierauf die Lehre
von den letzten Dingen (Endereigniffe, Endzuftände). Dabei
wird in den Leitfätzen ftets unterfchieden, was de
fide, was fidei proximum, sententia certa, sententia communis
oder dergl. ift. Die Darlegungen find nach den
Grundfätzen des hl. Thomas gehalten, ohne deffen An-
fchauungen fklavifch zu folgen. Die kirchen- und dog-

men-und auch dier eligionsgefchichtliche Forfchung der Gegenwart
bleibt nicht unberückfichtigt, muß fich aber naturgemäß
dem kirchlichen Dogma fügen. Ohne Zweifel
leiftet die Diekamp'fche Dogmatik den katholifchen The-
ologieftudierenden fehr gute Dienfte. Aber auch andere
werden fie mit Nutzen auffchlagen, wenn fie fehen wollen,
was heute als katholifche Glaubenslehre gilt.

S. 45 wird die Erklärung Papft Stephans I über die Gültigkeit
der Ketzertaufe angeführt. Daß derfelbe Papft die Firmung der Ketzer
für ungültig anfah, wird übergangen. Der Paftor Hermae wird S. 2lof
mit Unrecht für die kirchliche Sündenvergebung in Anfpruch genommen
. Und daß Joh. 20,19 ff in der Väterzeit zuerft von der Taufe ver-
ftanden wurde, wird nicht erwähnt. Über die Bußfrage bei Tertullian
vgl. jetzt meine Schrift ,Kailift und Tertullian' Heidelberg 1920. Ep.
49,2 inter epift. Cypr. für ein geheimes und öffentliches Sündenbekenntnis
zu verwenden (S. 257), ift um fo weniger ftatthaft, als die gefärbte Dai-
ftellung des Kornelius durch Ep. 53 ihr richtiges Licht erhält. Über
die Bußfrage bei Cyprian habe ich längft eine eingehende Unterfuchung
fertiggeftellt. Wann fie gedruckt werden kann, fteht freilich dahin. In
einer andern meiner fertigen cyprianifchen Unterfuchungen werde ich
zeigen, daß die übliche Berufung auf Cypr. Ep. 55,20 für eine jenfeitige
Strafabbüßung und ein Fegfeuer, wie fie fich auch bei D. S. 264 und
S. 406 findet, auf einem Mißverftändnis beruht. Auch die andern S.
264 angeführten cyprianifchen Stellen befagen nicht das, was D. meint.
Ebenfowenig kann aus de mortal. 26 allein Cyprians Anficht vom Beginn
der Seligkeit gewonnen werden (S. 357). Zur Anfchauung des
Papftes Johannes XXII darüber und zu ihrer theologifchen Vergangenheit
wäre auf Georg Hoffmann, Der Streit über die ielige Schau Gottes
(1331—1338) Leipzig 1917 zu verweilen- Der Brauch, ,für' die Hin-
gefchiedenen das euchaiiftifche Opfer darzubringen, fpricht nicht not-
j wendig für einen Fegfeuerglauben (S. 407). Das zeigt fchon ein Blick
auf die griechifche Kirche und auf Cypr. Ep. 39.3, wo der Opferfeiern
,für' die Märtyrer gedacht wird, obwohl diefe lofort in den Himmel
eingegangen find.

München. Hugo Koch.

( Lauerer, Hans, Pfarrer Lic: Was heißt und wie wird man
eine chriftliche Perfönlichkeit im Sinne des Luthertums?

2. Aufl. (89S.) 8°. Neuendettelsau, Verlag der Buchhandlung
der Diakoniffenanftalt 1920. M. 5 —
Nach Herausarbeitung des Begriffs der Perfönlichkeit
gegenüber dem der Perfon wird die Frage des Themas
praktifch beantwortet, indem das evangelifche Perfönlich-
keitsideal in Jefus, in Gehalten des N. T., endlich in Luther
vor Augen gehellt, fodann feine Verwirklichung trotz der
Hemmungen des eigenen Wefens mit Hilfe der Frömmigkeitsgüter
der Kirche in den verfchiedenen Lebenskreifen
von Volk, Kirche und Schwehernverband — wir haben es
mit Vorträgen zur Vorbereitung von Diakoniffen für die
Einfegnung zu tun — dargelegt wird. Lutherwort und
Luthergeih, der fehr glücklich als .geheiligte Natürlichkeit
' (S. 34) umriffen wird, beherrfchen die Ausführungen.

Dreierlei fallt an dielen Vorträgen ftark auf: einmal ein ftrenger
kirchlicher und theologifcher Pofitivismus, der fchon , Verfuche zur Kritik
gegenüber der Schrift' (S. 36) abweift, jede Auswahl in der Schrift —
trotz Luther! — verwirft (S. 49) und die Bibel nicht nur über alle andern
Bücher, fondern ,gegen alle andern Bücher' (S. 49) fteilt, ohne die Gefahren
einer folchen Enge zu fehen; es nimmt daher auch nicht wunder, wenn

I die kritifche Theologie das Prädikat kläglich erhält IS. 14), ihre Forfcher-

! arbeit unverwertet bleibt (S. 16; Paffahmahl? S. 24: Matthäus frage, S.
25: Petrusbriefe echt?) und gelegentlich eine bedenkliche Dogmatik (S.

1 19: ,wenn die Chriftenheit vom erften zum zweiten und dritten Glaubensartikel
weiterfchreitet, fo fteigt fie eher hinauf, ganz gewiß aber nicht
herab') und ein Intereffe daran (S. 15) fich zum Wort meldet und zum
Gebet um .gläubige Profefforen' (S. 7) ermahnt wird. Das Andere, was
in die Augen fpringt, ift die katholifierende Auffaffung der Kirche (S.

I 65,66), die der Verf. nicht abfehwächen kann. Es können ihm doch

j Machtwirkungen Chrifti außerhalb der Kirche nicht unwahrfcheinlich
fein, da er folche gegen die Kirche fehr wohl kenntI (S. 641. Das
Dritte endlich, was auffällt, ift der eigentümliche Stil, deffen Fülle von
Antithefen und Chiasmen auf die Dauer gekünftelt wirkt. Die Worte
.Weitfchaft' (S. 24) und .Parentation' (S. 51), der Akkufativ ,den Menfch'
(S. 6) und der Satz: ,wie wir ihr uns von ihnen überkommenes Werk
gefördert . . . haben' (S. 82) wären doch wohl vermeidbar gcwefenl
Von Einzelheiten, die zum Widerfpruch herausfordern,

; fei hier abgefehen, und es fei der warme feelforgerliche
Ton begrüßt, der die Vorträge durchklingt. Es ift in dem

j Buch etwas aufgefangen von dem ftillen und erbauenden
Ernft, der diefe Schwefternvorbereitung ganz gewiß fe-
gensreich geftaltet hat.

Königsberg. Theodor Krüger.