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Ausgabe:

1921

Spalte:

270

Autor/Hrsg.:

Köhler, Rud.

Titel/Untertitel:

Der Begriff a priori in der modernen Religionsphilosophie 1921

Rezensent:

Troeltsch, Ernst

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mal ausdrücklich anerkennt, lediglich die gefchichtlich |
gegebene, die ,wirkliche' Religion in Betracht ziehen und
diefe nicht erft konftruieren will.

II. Thetifcher Teil. Der Autor ftellt hier an die Reli-
gionsphilofophie zunächft noch einmal die pofitive Forderung
, daß sie, ehe fie fich vermißt, Entfcheidungen zu treffen
über Wert und Geltung der Religion, erft einmal auf 1
Grund forgfältiger religionsgefchichtlicher und religions-
pfychologifcher Forfchung feftftelle, was die empirifche,
gefchichtlich gegebene Religion ihrem Wefen nach ihr.
Er felbft beftimmt fie, um feine Ausführungen in wenige
Worte zufammenzufaffen, als Glaube an ein transzendentes
Göttliches und als Gemeinfchaft mit diefem transzendenten
Göttlichen, und grenzt fie damit als eine felbftän-
dige Größe für fich gegenüber allen andern Kulturerfchei-
nungen ab. Dagegen ift jedenfalls nichts zu erinnern, fo
wenig als gegen die felbftverftändliche Thefe, daß mit
Erledigung der Frage nach dem Wefen der Religion noch
lange nicht die Frage nach der Wahrheit der Religion
beantwortet fei, der fich Keffeler nunmehr zuwendet. Ünd
zwar fcheint er auf den erften Anblick hin auf das bekannte
Troeltfchfche Programm eingehen zu wollen, das
den Wahrheitsbeweis für die Religion durch Herausarbeitung
des religiöfen Apriori zu erbringen empfiehlt. Diefe
Fährte gibt er aber glücklicherweife wieder auf; wenn
Unterzeichneter recht verfteht, wefentlich deshalb, weil
er von der Verfolgung der betreffenden Spur unter Um-
ftänden eine Rationalifierung der Religion befürchtet. Er
begnügt fich da mit der Forderung, die Motive der
Religion, die Erfahrungen eigener Art, auf denen der re-
ligiöfe Glaube beruht — das ift etwas anderes als ein
Apriori — aufzufuchen und aufzuzeigen. Den Wahrheitsbeweis
für die Religion will er aber erbracht wiffen mit
Hilfe der Metaphyfik, einer ,Geiftesmetaphyfik' im Eucken-
fchen Sinne. Damit ftellt fich dann freilich eine ge-
wiffe Unklarheit ein, für die jedoch nicht der Verfaffer
verantwortlich zu machen ift, fondern die Euckenfche Phi- i
lofophie felbft. Sie kann nämlich zweifach gedeutet
Werden, Sie kann dahin gedeutet werden, daß fie mittels I
eines einfachen Kaufalfchluffes aus dem Vorhandenfein i
eines Geifteslebens in der Welt das Dafein eines transzendenten
geiftigen Prinzips erfchließen will. Dann wäre
sie Metaphyfik im gewöhnlichtten Sinn des Worts, eine
angeblich rein wiffenfchaftliche Weltanfchauung. Dann
würde der Nachweis der Übereinftimmung der Religion
mit ihr eine Rationalifierung der letzteren bedeuten. Sie
kann aber und muß wohl auch dahin gedeutet werden,
daß fie zeigen will: ohne Glauben an eine transzendente
geifitige Welt und ohne gläubigen Verkehr mit diefer j
läßt fich das in der Welt nun einmal vorhandene Geiftes-
leben nicht behaupten und nicht gegenüber fo mancherlei I
Widerftänden weiter entfalten und entwickeln. Dann bleibt
die Religion Glaube, ein überrationaler Glaube, der aber
notwendig ift für die Erhaltung geiftigen Lebens. Dann
aber befteht auch zwifchen dem mittels Euckenfcher Metaphyfik
erbrachten Wahrheitsbeweis und dem von einzelnen
Neukantianern — nicht allen — nahe gelegten
Beweis für die Wahrheit der Religion und auch, wie fchon
gelegentlich bemerkt worden ift, dem von A. Ritfehl vorgetragenen
Wahrheitsbeweis kein fo großer Unterfchied.
Durch verfchiedene Worte foll man fich nicht irre machen
laffen.

Soll ich zum Schluß das Intereffe, mit dem ich die
Keffelerfche Schrift gelefen habe, noch durch ein letztes
Wort bezeugen, fo möchte ich fagen, daß ich gegen die
Äußerung, ,dasUrphänomen allerReligion ift die Myftik' den
fchärfften Proteft erheben würde, wenn nicht die Myftik mit
Troeltfch definiert würde als ,der Glaube an Präsenz und
Wirkung übermenfehlicher Mächte mit der Möglichkeit der
inneren Verbindung mit ihnen.' Gegenfolche Myftik ift
nichts einzuwenden. Sie ift aber etwas anderes als was
man uns heute vielfach unter diefem Namen empfiehlt.
Gießen. E. W. Mayer.

Köhler, Archidiakonus Dr. Rud.: Der Begriff a priori in
der modernen Religionsphilofophie. Eine Unterfuchung
zur religionsphilofophifchen Methode. (70 S.) 8°.
Leipzig, J. C. Hinrichs 1920.

M. 3.25 + 600/,, V.-T.-Z.
Jelke, Ffr. Lic. Robert: Das religiöfe Apriori und die Aufgaben
der Religionsphilofophie, Ein Beitrag zur Kritik
der religionsphilofoph. Pofition Ernft Troeltfchs.
(VII, 56 S.) 8» Gütersloh, C. Bertelsmann 1917.

M. 1.50

In feinem trefflichen Büchlein ,die Grundlagen der
Religionsphilofophie E.T.s' 1914 giebt W. Günther ein
interefiantes Verzeichnis der Gegenfchriften und Kritiken.
Es find 62 Nummern, die mir felbft nur teilweife bekannt
find. Ob feit 1914 viel Neues dazu gekommen ift, weiß
ich nicht. Ich kenne nur die zwei hier zu befprechenden.
Davon ift die Arbeit von R. Köhler eine fehr gute Wiedergabe
meiner Verfuche, das Problem zu löfen. Er betont
dieUnabgefchloffenheit meiner Arbeit und die verfchiedenen
Wendungen, die fie von Ritfehl zu Dilthey, von da zur
füdweftdeutfehen Kantfchule und von da fchließlich zu
einem metaphyfifchen Abfchluß genommen habe. Das
alles ift richtig, auch die Darftellung der Lehre anderer
über das transzendentale Element im religiöfen Erlebnis —
denn das ift die des religiöfen Apriori — ift fein und klug;
es wurzeln nur die Lehren der Einzelnen noch vieltiefer
in ihren philofophifchen Gefamtkonzeptionen, als das bei
dem Autor erfichtlich ift. Es ift die Neigung der Theologen
die die Religion betreffenden Theorien etwas ifoliert
auf den Boden der Theologie hinüberzuziehen und fie
dann dem hier üblichen Kreuzfeuer von ganz anderen
Vorausfetzungen aus auszufetzen.

Das Letztere ift in hohemMaße in der zweiten Schrift
von Jelke der Fall. Er konftatiert grundfätzlich meine
Behandlung der Religionsphilofophie als allgemeiner, 'auf
die Analyfe des tatfächlichen religiöfen Lebens aufgebauter
Religionswiffenfchaft. Darin bildeichin der Tat den Schleier-
macherfchen Anfatz fort. In diefer allgemeinen Religionswiffenfchaft
fondert er treffend das pfychologifch-hiftorifche,
das transzendental-analytifche und das ontologifche Problem,
wofür er in der Weife der Theologen ,Wahrheitsproblem'
fagt und das er überhaupt nur als auf beftimmte konfeffio-
nelle Lehren bezogen fich denken kann. Betreffs der
beiden erft genannten Probleme, deren Verhältnis mir
wie den meiften heutigen Philofophen überaus fchwierig
fcheint und wo ich heute den inftinktiven Zwang auf eine
der,phänomenologifchen Schule' verwandteProblemftellung
bei mir feftftelle, meint er, daß die Schwierigkeiten künftlich
gemacht und in Wahrheit garnicht vorhanden feien! Bezüglich
des Verhältniffes der beiden letzteren meint er, daß
ich mich einer Vermifchung und Verwirrung, fchuldig gemacht
' hätte. Alles, was J. dagegen fagt, habe ich natürlich
auch bedacht. Die Sache ift bei mir überhaupt etwas anders
gedacht als bei ihm, da ich auf keine konfeffionelle Religion
hinaus will und bei meinen Vorausfetzungen kann. Er
felbft fcheidet grundfätzlich das transzendentale und das
ontologifche Problem. Für das erfte ift ihm die entfehei-
dende Autorität die Darfteilung des Transzendentalismus
bei Meffer, für das zweite die Offenbarungsehre Ihmels'.
Das ontologifche Problem könne nur durch die .Worttheologie
Luthers' gelöft werden. Alles andere führe zu Unklarheit
, wenn es über rein formale Analyfen hinaus der
religiöfen .Wahrheit' gerecht werden will. Es fei in Wahrheit
eigentlich auch ganz überflüffig. Das dürfte bei den
Vorausfetzungen J's richtig fein, und die klare, fachliche und
vornehme Schrift kann Theologen von ähnlicher Voraus-
fetzung nur empfohlen werden. Für mich beliehen diefe
Vorausfetzungen nicht. Ich muß mich alfo mit den für
den konfeffionellen Theologen fo erfreulichen .Unklarheiten'
meiner Pofition weiter plagen.

Berlin. Troeltfch.