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Ausgabe:

1921 Nr. 1

Spalte:

239

Autor/Hrsg.:

Zahn, Theodor

Titel/Untertitel:

Staatsumwälzung und Treueid in biblischer Beleuchtung 1921

Rezensent:

Thieme, Karl

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239

Theologifche Literaturzeitung 1921 Nr. 19/20.

240

Ausführliche Anleitung zu der etwa unferen Evan-
gelifationen entfprechenden, aber auf katholifcher Seite
fchon fehr viel länger geübten Volksmiffion. Über jedes
einzelne der bei Miffionen herkömmlich behandelten
Themen fchreibt ein Spezialift. Vieles aus der auf reiche
Erfahrung genützten katholifchen Praxis diefer Dinge kann
auch dem Proteftanten lehrreich fein, fei es auch zunächft
nur fo, daß wir Gelegenheiten zu der Spezialifierung der
religiöfen Einwirkung fuchen, die in der Predigt nicht
möglich ift. Bemerkenswert ift die Schärfe des Gegen-
fatzes gegen Sozialdemokratie und freie Gewerkfchaften

(S. 41, 266). Von der klugen Nüchternheit mancher Aus-

führungen heben {ich einige Überfchwenglichkeiten ab
wie S. 180 ,die tägliche Kommunion ift felbftverftändliche
Forderung', während es S. 293 heißt, bei den Männern

fei monatliche Kommunion zuerftreben. DerJefuitSaedler,

der zu der Predigt über chriftliche Kindererziehung Anleitung
gibt, geht mit einigen Sätzen fehr ins Einzelne:
,Für die Mädchen ift 22 Jahre das befte Heiratsalter .. .
Mifchehen der Kinder find faft immer ein fchwerer Vorwurf
gegen die Eltern, die es verfäumt haben, ihre Kinder

gegen die Mifchehe zu erziehen, was von Jugend auf
gefchehen muß. Die Eltern müflen daher dafür fbrgen,
daß die Kinder, wenn fie ins heiratsfähige Alter kommen,
möglichft nur in katholifchen Kreisen und Vereinen gefell-

fchaftlich verkehren' (S. 257).

Kiel. H. Mulert.

Zahn, Prof. Theodor: Staat8umwälzuny und Treueid in biblifcher

Beleuchtung. (55 S.) 8°. Leipzig, A. Deichen 1919. M. 1.50
Sonderausgabe von 1919 in der NkZ erfchienenen, für Ejtegefe
und Ethik wertvollen Betrachtungen zuerft über das, was wir dem NT
über das Verhalten der Chriften zum Staat, fonderlich im Fall einer
gewaltfamen Staatsumwälzung zu entnehmen haben. Das NT gebe
nirgends, auch Rom. 13,1 (richtig: Jede Seele foll überragenden Mächten
fich unterordnen') nicht, eine Anweifung darüber, von wann an die
Chriften die Macht, die fich gewaltfam als Obrigkeit aufwirft, als ihre
nunmehrige Obrigkeit anzufehen und ihr Gehorfam zu leiften haben.
In folchem Fall ,muß es in erfter Linie dem Gewiffen und demnächft
der politifchen Urteilsfähigkeit des einzelnen Chriften überlaffen bleiben,
zu entfcheiden, welche Perfonen oder Körperfchaften er als feine Obrigkeit
anzuerkennen habe' (S. 40/1). Eine von Zahn noch nicht kommentierte
Stelle, nämlich 1. Tim. 2, wird S. 19—26 befprochen.

Nachdem alfo ftatt der mißdeuteten Bibel chriftliches Einzelge-
wiffen und Eigengefetzlichkeit als Normen für Zeiten der Staatsumwälzung
aufgeboten find, wird zu zweit' die Würdigung des Treueids
in folchen Zeiten behandelt. Verf. fkizziert Jefu Lehre über den Eid
(S. 41—44) und knüpft dann Bemerkungen an den Amtseid der Erlanger
Profefforen, der nachdrücklich auf Zeiten des Umfturzes hinwies und
der Wittelsbacher Dynaftie galt. Der Widerftand gegen die Novemberrevolution
fei in Bayern und noch fchlimmer im Reich und in Preußen
vor den landesfürftlichen Verzichten auf die Regierung und die Verbindlichkeit
der Treueide hintertrieben und die Gewiffen feien mit unlauteren
Mitteln irregeführt worden. Zahns charaktervolle Betrachtungen
fchließen mit folchen über chriftlichen Patriotismus und dem Satz: ,Die
Gegenwart gibt wahrlich wenig Anlaß zur Vergötterung der Monarchen,
aber trotz allen menfchlichen Schwachheiten, die ihnen wie uns allen
anhaften, haben wir Anlaß genug zur Dankbarkeit für viel Gutes, was
das deutfche Volk feit taufend Jahren feinen Fürften zu verdanken hat,
und ,in Treue feft' bleibt allerwegen eine gute Lofung für jeden deut-
fchen Chriften'. Ein ,Anhang: Das ältefte Kirchengebet für die weltliche
Obrigkeit' überfetzt Klemensbrief 60,1 fin. bis 61.

Leipzig. K. Thieme.

Neumann, Dr. Otto: Braucht der Staat die Religion? (19 S.) gr. 8°-

Berlin, Staatspolit. Verlag 1920. M. 4—

Ein für weite Kreife berechneter Vortrag, der zeigen will, daß die
Kirche zwar innere Erneuerung und innere Freiheit braucht, daß der
Staat aber die Pflicht hat, fie zu halten und zu fchützen, weil er die
kulturelle, foziale, moralifche Kraft der Religion nötig hat. Dem Religionsunterricht
wird ein befonderer Abfchnitt gewidmet. Der Vortrag ift
fehr gut gemeint und enthält viel Richtiges. Aber, ganz abgefehen davon
, daß er natürlich nirgends tiefer auf die Sache eingehen kann, find
auch manche Formulierungen recht anfechtbar; die Sätze über die Un-
brauchbarkeit gewiffer altteftamentlicher Gefchichten find wenig glücklich
gefaßt. Darum kann die Verbreitung leider nicht ohne Vorbehalt
empfohlen werden.

Gießen. M. Schi an.

Schlemmer, Oberlehrer Hans: Die religiöle Perfönlichkeit

in der Erziehung. Eine religionsphilofoph.-pädagog.
Unterfuchg. (68 S.) gr. 8°. Charlottenburg, Mundus-
Verlagsanftalt 1920. M. 5—

In gründlichen rel. philofophifchen Ausführungen ftellt
Schi, zuerft das Wefen der Religion im Geifte Schleiermachers
heraus, als die Verkörperung der Einheit des
Bewußtfeins, bevor es in feine verfchiedenen Erkenntnisfunktionen
auseinandertritt, wobei die Wahrheitsfrage ganz
ausgefchaltet wird. Als folche ift fie der Grund und auch
die Rettung der Perfönlichkeit, weil fie allem Streben das
Fundament und den Blick auf ein ewiges Ziel gibt, denn
fie erlöft von dem Dünkel und der Selbftfucht und erweitert
zum Erlebnis des Unendlichen, das fich befon-

ders im Gebete vollzieht. — Zur Religion als diefem Gefühl
des Unendlichen kann man nur mittelbar erziehen,

indem man Hemmniffe forträumt und in den verfchiedenen
Gemeinfchaften entfprechende Gefühlserlebniffe zu
ermöglichen fucht. Die Schule hat Verftändnis auch für

die elementare Lebenserfcheinung der Religion zu wecken,

und zwar in befonderen pflichtmäßigen Stunden, möglichft

in einem interkonfeffionellen Unterricht und in wiffenfchaft-
lichem Geifte, während die Kirchen ihre befonderen Aufgaben
haben. Beftes Anfchauungsmittel find die Persönlichkeiten
, die im Unendlichen gelebt haben, vor allem Jefus.

Ein folcher Unterricht wird zumal der modernften Jugend
fehr zufügen, die ganz und gar nach dem Erlebnis des Unendlichen
trachtet, aus dem fie die in ihr lebenden Tendenzen
der Ausfchließlichkeit und der Liebe zu verftärken und

die Grundlage zu einer neuen Geftalt der Menfchheit zu
gewinnen hofft, während der frühere Religionsunterricht im
Klaffenintereffe ausgenutzt worden ift. — Die volle Zu-
ftimmung zu den tief gegründeten und geiftvollen Ausführungen
wird mir durch den Gedanken an die evange-
lifche chriftliche Volkserziehungsarbeit verwehrt, die ganz
anderer theologifcher Vorausfetzungen bedarf als die im
wefentlichen auf Gelehrtenfchulen berechnete Theorie
Schlemmers.

Heidelberg. F. Niebergall.

Religion und Leben. Das Arbeitsfchulprinzip in f. Anwendg
auf den Rel.-Unterricht. Arbeiten d. Münch. Katechetenvereins
gef. v. Guftav Götzel. (Religionpäda-
gog. Zeitfragen Nr. 5) (124 S.) gr. 8°. Kempten,
Köfel'fche Bh. 1920. M. 12 —

In fieben von verfchiedenen Autoren herrührenden
Auffätzen wird im Geift der Münchener Katechetenfchule
gezeigt, wie das Prinzip derSelbfttätigkeit die verfchiedenen
Seiten des katholifchen Unterrichts zu durchdringen und
zu beleben vermag. Befonders gut gelingt das in dem
Beichtunterricht, der fo das Ziel bekommt, dem Beichtkind
zu einem felbftändigen fittlichen Urteil zu verhelfen. In
allen anderen Zweigen des katholifchen Religionsunterrichts
macht fich ebenfo ein neuer Geift bemerkbar, der .freilich
für den proteftantifcheh Lefer oft feltfam zu den
Stoffen im Widerfpruch fteht.

Heidelberg. F. Niebergall.

Kiefl, Dr. Franz Xaver: Chriltentum und Pädagogik. Eine
Antwort auf Foerfters gleichnamige Schrift. (97 S.)
8°. Regensburg, Verlagsanft, vorm. G. J. Manz 1920.

M. —

Es ift das Verdienft Kiefls, mit Klarheit und Schärfe
darauf hinzuweifen: Foerfters pädagogifche Methode ift
unreligiös und z. T. unvereinbar mit der religiöfen Fundierung
der Ethik; Foerfters .Bekehrung' zur Religion ift
Schein, denn er verlieht unter Religion gar nicht das,
was unfer Sprachgebrauch darunter verfteht: Beziehung
zu einer transzendenten Wirklichkeit; die verftreuten
Lobpreifungen der Religion in den Foerfterfchen Werken
bedeuten nichts und es zeugt von großer Urteilsunfähigkeit
, wenn kirchliche, zumal katholifche Kreife darauf
hereinfallen. Auch wir empfehlen, Foerfters pädagogifche
Schriften aus diefem Grunde mit Vorficht zu gebrauchen.
— Andererfeits macht fich die enge Gebundenheit des
katholifchen Standpunktes bemerkbar: wenn alles Em-