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Ausgabe:

1921 Nr. 1

Spalte:

234

Autor/Hrsg.:

Warburg, A.

Titel/Untertitel:

Heidnisch-antike Weissagung in Wort und Bild zu Luthers Zeiten 1921

Rezensent:

Gressmann, Hugo

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung 1921 Nr. 19/20.

234

Gewaltfamkeit gelungen, für jedes Jahrhundert der Ge-
fchichte des Ordens einen befonderen Charakterzug herauszuarbeiten
. Die Dominikanerinnen haben urfprüng-
lich rein dem befchaulichen Leben fich widmen follen,
woraus dann die Myftik hervorging, bei der freilich nicht
feiten krankhafte Hyfterie mit unterlief, was der Verfaffer
hie und da leife anzudeuten wagt. Als dann in der Zeit
der Aufklärung dem Orden die Auflöfung drohte, fuchten
und fanden manche eine Rettung, indem fie fich .nützlich
machten' durch Unterrichterteilung und Krankenpflege,
und der große Auffchwung, den der Orden im letzten
Jahrhundert erlebte, ift in der Hauptfache eben diefem
Übergang vom befchaulichen zum tätigen Leben zuzu-
fchreiben, wobei vielfach der 2. und 3. Orden faft in einander
fließen und die Leitung der Klöfter von dem Dominikanerorden
auf den Diözefanklerus übergeht. Die
,Standhaftigkeit der Klofterfrauen' in den Zeiten der Reformation
und Aufklärung wird nach dem Vorgang Rothenhäuslers
und Erzbergers befonders in Württemberg ftark
hervorgehoben. —

Was uns an Mortier's während des Kriegs gefchriebenen u. durchaus
wiuenfchaftlichen Buch in die Augen fpringt, ift vor allem der
glühende franzöfifche Patriotismus; überall wird hervorgehoben, was in
der Gefchichte des Dominikanerordens zum Ruhm Frankreichs dienen
kann; ich glaube nicht, daß man in einem entfprechenden deutfchen
Buch etwas Ahnliches finden kann. So, um nur ein Beifpiel unter zahl-
lofen anzuführen, bei der Kanonifation des Thomas von Aquino (S. 88:)
Elle fut faite en terre francaise, par un Pape francais, sous un Mattre
Geherai francais, ü la sollicitation pressante d'un prince francais ....
Der Calvinismus wird als ein ganz unffanzöfifches Gebilde dargeftellt
(S. 218: Jamais on ne pourra admettre que les huguenots aient ete les
representants de l'esprit francais, essentiellement catholique) u. feine
Ausbreitung nur durch die Gewaltfamkeit feiner Propaganda erklärt
(S. 209: On ne prfiche pas l'evangile de Calvin par la persuasion; on
l'impose par la force. Crois ou meursl Voilä la formule huguenote.)
Daher wird es auch als begreiflich daigeftellt, daß die Dominikaner in
Paris mit den Waffen die Kirche gegen die Hugenotten verteidigten,
u. die im Kampf fielen, werden als Märtyrer des Glaubens angefehen
(S. 221 f).

Zweimal, im 14. und noch mehr im 18. Jahrhundert,
war der Orden der Auflöfung nahe, beidemal findet der
Verfaffer keinerlei Grund bei dem Orden felbft, fondern
das einemal im fchwarzen Tod, das anderemal im Eingreifen
der Staatsgewalt. Mit befonderem Stolz wird die
Wiederherftellung des Ordens im 19. Jahrhundert durch
den Franzofen Lacordaire gefchildert. Und die gegenwärtige
Lage in Frankreich fchreckt den Verfaffer durchaus
nicht; er fchließt mit den triumphierenden Worten:
Nous ne voulons pas mourirl Et un ordre religieux ne
meurt que s'il n'a plus le courage de vivre. Ad multos
annosl

Stuttgart. Ed. Lempp.

Anrelm8 von Laon PyrtematiXche Sentenzen. Hrsg., eingeleitet u.
philofophie- u, untcrrichtsgeTchichtlich unterfucht v. Prof. D. Dr.
Franz PI. Bliemotzrieder. In 2 Tin. I. Teil: Texte. Mit
2 Tafeln (Beiträge zur Gefchichte der Philofophie des M.-A.
18. Bd., Heft 2-3.) (XXV, 37* u. 167 S.) gr. 8". Münfter i. W.,
Afchendorff 1919. M. 12 —

Die Hochfcholaftik tritt uns in feften Formen entgegen. In ihrem
ftraffen, logifchen Gefüge fcheinen diefe ,ungeworden' zu fein. Das
große Verdienft des Verfaffers liegt darin, daß er in das Entliehen
diefer Gedankenformen hineinleuchtet. Den Typus der Gefamtdarftel-
lungen der Glaubenslehren, der Summae theologiae hat nicht Anfelmus
von Canterbury, fondern fchon Anfelmus von Laon 1117 t gefchaffen,
und es ift ungemein reizvoll, diefe noch ungefchlachte Frühform mittelalterlicher
Gedankenprägung zu Unteraichen. Der Emft und das Streben
nach Tiefe in diefer Geifteskultur des fich konftituierenden und formenden
Germanentums berührt uns ungemein fympathifch. Die Herkunft
der einzelnen Gedanken und ihrer Synthefe — es kommen auch Zahlen-
fpekulationen vor — müßte nun im einzelnen unterfucht werden. Der
zweite Teil wird diefe Aufgabe wohl löfen, während diefer erfte auf
Grund einer breiten handfehriftlichen Bafis das Rohmaterial vorlegt.
Grabmann. Martin. Die echten Schriften des hl. Thomas von Aquin.
(VllI 275 S.) gr. 8°. Münfter i. W., Afchendorff 1920. M. 25 —
Nachdem Mandonnet eine fehr radikale Auffaffung in der Echtheitsfrage
der thomiftifchen Schriften vertreten hatte, ift der Meinungs-
austaufch über diefe grundlegenden Punkte der fcholaftifchen Studien
nicht zur Ruhe gekommen. Die Aufftellungen des .offiziellen' Kataloges
ftehen allzufehr in Widerfpruch mit den andern Katalogen der thomiftifchen
Schriften und der handfehriftlichen Bezeugung. Legt man dem

offiziellen' Kataloge eine exelufive Bedeutung bei, fo muß man einige
Schriften als apokryph bezeichnen, die doch fehr gut als echt bezeugt
find. G. löft diefe Schwierigkeit in meifterhafter Weife, indem er die
Autorität einiger ,nicht-offiziellen' Kataloge und das Gewicht der handfehriftlichen
Überlieferung nachweift und dadurch einige nicht unbedeutende
Zeugniffe thomiftifchen Denkens, darunter auch die aefthetifchen
Anflehten diefer Schriftengruppe für Thomas rettet.

Die Elementa philosophiae scholasticae von Dr. Seb. Reinftadtler
vol I. ift in neunter und zehnter Auflage erfchienen und die Institutiones
logicae et outologicae von Pefch pars II. in zweiter, beforgt von Frick
S. J., beide in Freiburg, Herder.

Bonn. Max Horten.

Warburg, A.: Heidnifch-antike Weiflagung in Wort und Bild
zu Luthers Zeiten. (Sitzungsber. Heidelberger Akad.
Phil.-hift. Kl. 1919, 26.) Mit 30 Textabb. und 5 Tafeln.
Heidelberg, C. Winter 1920. M. 12.80

W. verfolgt den Einfluß der Antike auf das mittelalterliche
Geiftesleben und zeigt an Wort und Bild, wie
lebendig die heidnifche Weiffagung noch zu Luthers Zeiten
nachwirkte. Im Mittelpunkt feiner Unterfuchung ftehen
zwei fchöpferifche Genien, die die Antike überwinden
halfen und die doch merkwürdig tief in fie verftrickt
waren: Melanchthon und Dürer. Zunächft fehen wir mit
Erftaunen, wie italienifche Aftrologen, Gauricus und Cardanus
, das Geburtsdatum Luthers willkürlich von 1483
auf 1484 verändern, um damit mehr oder weniger feind-
felige Politik zu betreiben, und wie fogar Melanchthon
und feine Freunde, trotz des Widerfpruchs Luthers, fich
für diele Datumsverfchiebung einfetzen (S. iff). Das ift
nur ein typifches Beifpiel für die allgemeine .Planeten-
fürchtigkeit' jener Zeit. Eine Fülle kunftgefchichtlich unbedeutender
, kulturgefchichtlich aber fehr wichtiger Holz-
fchnitt-Illuftratio nen lehrt, wie ftark die Sterndämonen
als wirkliche Gewalten empfunden wurden und das Volksleben
tatfächlich beherrfchten; die Sündflutpanik von 1524
war durch folche illuftrierte Senfationspreffe erzeugt und ge-
fchürt worden (S. 24 fr.) Ein Beifpiel aus der Monftrologie,
die Mißgeburt einer Sau, führt den Verfaffer von Albrecht
Dürer über den Frühhumaniften Sebaltian Brant zur rö-
mifch-etrurifchen Wahrfagekunft und von dort weiter zum
babylonifchen Wahrfagepriefter Nergaletir im 7. vorchr.
Jhrh.; mit wenig Worten wird eine Entwicklung von 2000
Jahren fchlaglichtartig erhellt (S. 56 ff.) Um Dürers .Melancholie
' zu erklären, greift W. über Fricino und Agrippa
auf ,Picatrix' (=Hippokrates), das Werk eines Arabers in
Spanien im 10. Jhrh., zurück und zeigt in überzeugender
Beweisführung, wie uralte heidnifche Praktiken zwar noch
nachwirken, aber zugleich durch den fchöpferifchen Akt
Dürers künftlerifch vergeiftigt werden (S. 58 ff.) Hier wird
Neuland entdeckt, und es gewährt einen eigenartigen Reiz,
dem Vf. auf feinen vielfach verfchlungenen Wegen zu
folgen, zumal man nirgends durch unnütze Gelehrfamkeit
oder unverftändliche aftrologifche Weisheit geärgert wird;
man merkt, daß er über dem Stoff fleht und überall nur
das Wefentliche heraushebt. Ausgebreitete Kenntniffe
und eine glückliche Kombinationsgabe, die Liebe zum
Kleinen, Unfcheinbaren und Wunderlichen und der Sinn
für große, gefchichtliche Zufammenhänge befähigen ihn
zur Behandlung eines folchen Themas, das die Religionsund
Profan-, die Literatur- und Kunftgefchichte in gleicher
Weife angeht und aus dem der Hiftoriker aller Zeiten
dankbar lernen wird. Nur mit tiefem Schmerz hören wir
von der fchweren Erkrankung des Verfaffers und wünfehen
T.m ^]r)igr ,un,d ,voll'ge Genefung zur Fortfetzung feiner
die Wiffenfchaft bereichernden Forfchungen.

Berlin-Schlachtenfee. Hugo Greßmann.

Wehrung, Prof. Georg: Die Dialektik Schleiermachers.

(VIII, 324 S.) gr. 8°. Tübingen, J.C.B. Mohr 1920.

M. 24 —

Schleiermachers Dialektik fpielt eine ähnliche Rolle
wie Klopflock nach dem bekannten erften Sinngedichte
Leffings; man erwähnt fie mit Refpekt, aber fie wird wenig