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Ausgabe:

1921 Nr. 1

Spalte:

205-207

Autor/Hrsg.:

Hartlaub, G. F.

Titel/Untertitel:

Kunst und Religion 1921

Rezensent:

Hennecke, Edgar

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Theologifche Literaturzeitung 1921 Nr. 17/18.

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Akten befinden fich nicht wenige, die eigentlich in die
gemeindlichen Registraturen gehören, aber eben durch
die Aufbewahrung in dem Pfarrhof vor dem Verderben
gerettet wurden. Der 2. Teil des Bandes bringt aus den
Archivalien der Diözefe die in verfchiedener Hinficht
bedeutungsvollen Urkunden des Herzogs Ludwig des
Bärtigen von Ingolftadt f 1447 über kirchl. Stiftungen
(1429—1442) mit etlichen Ergänzungen aus andern Archiven
zum Abdruck. Ein genaues Regifter ermöglicht die Ausbeute
des reichen Materials.
Alfeld. Schornbaum.

Die Offenbarung Sankt Johannis mit den 16 Holzfchnitten
v. Albrecht Dürer. Vorrede u. Text wiedergegeben
nach dem Septemberteftament 1522 v. D. Martin Luther,
(hrsg. v. f Geh. Oberkonf.-R. Prof. D. Dr. Guftav
Kawerau u. Pfr. D. Otto Reichert.) Berlin, Furche-
Verlag (1920). (14 u. 1 S.) hoch 4». Geb. M. 12.50
Weiß, Jofeph: Die Apokalypfe des Johannes. Geleitwort
v. Prof. Dr. Hugo Kehrer. (81 S.) Lex. 8°. München,
Hugo Schmidt (1920). M. 25 —

Hartlaub, G. F.: Kunlt und Religion. Ein Verfuch über
die Möglichkeit neuer religiöfer Kunft. (Das neue
Bild. 2. Bd.) München, K. Wolff 1919. (119 S.)
hoch 40. Geb. M. 18—; in Halbldrbd. M. 24 —

Was Albrecht Dürer 1498 in 15 und der noch junge
vormalige Schüler der Münchener Kunftgewerbefchule
Jofeph Weiß 1919 in 27 Darftellungen aus der Apokalypfe
Johannis auf dem Wege des Holzfchnitts fchufen,
ift, an dem Stoffe gemeffen, beides groß in feiner Art
auch als Ausdruck der Zeitftrömung in beiden Fällen.
Wie die Vorliebe für den apokalyptifchen Stoff dort auf
der längft angefammelten Unzufriedenheit mit den kirchlichen
Zuftänden beruhte, fo mag fie neuerdings der
furchtbaren äußeren Lage der Gegenwart entfprechen, in
der die Rolle des Alltäglichen ausgefpielt zu haben fcheint
(Kehrer S. 5). Die fromme Naivelät ift gewichen. Der
Künftler umfaßt den Stoff mit ganzer Seele, bringt als
Expreffionift das Hochdramatifche des durch einzigartige
Zufammenwebung jüdifcher und chriftlicher Elemente
zuftandegekommenen prophetifchen Buches zu packendem
Ausdruck, im Grunde fteht er neben den dargeftellten
Vorgängen, deren Regie er mit ficherer Individualität
handhabt. Die unheimlichen Machtwirkungen der oberen
Wefen kommen durch mannigfachfte Wiedergabe ihrer
Körper- und Armbewegungen bis zu den Fingerfpitzen
und Zehen zu überlebendigem Ausdruck — ebenfo beim
Seher felbft, der fogleich in der Anfangsvifion (Ofifb. 1, 17)
wirklich wie in Todeszuckungen daliegt —, überaus
wuchtig fällt die Schilderung des niederdrückenden körperlichen
nnd feelifchen Schmerzes der jeweils betroffenen
Menfchengruppen aus, in deren plaftifcher Wiedergabe
übrigens etwas von antiker Geftaltungskraft fpürbar ift,
aber da die Ekftafe als finnenfälligfte Form der religiöien
Erregung durchweg Grundftimmung bleibt (am unange-
brachtften zuOffb.21,, S.79, auch auf dem Buchumfchlag),
kommt es bei den Geftalten zumal der Engel durchweg zu
krankhaften Verlegungen und rätfelhaften Verkrallungen
der Arme und Beine, auch merkwürdigsten Mundoffnungen ;
(befonders abflößend S. 41). Gefchloffene Gefamtwirkung
erzielen die Bilder S. 39, 45, 51, 55- In der Darfteilung
von Bäumen und Waffer wird die raufchende Bewegung
des Ganzen mit fpürbar; meisterhaft bleibt vor allem die
Herausarbeitung des Lichts. Der Künftler „geht auf die
Seele des Materials ein, das Holz fpricht, die natürliche
Linie der Maferung wird zur Darfteilung felbft (S. 6).
Von zeitgefchichtlich befchränkten einzelnen Vorftellungen,
die bei Dürer vermöge feines Gewurzeltleins im fpätmittel-
alterlichen Katholizismus ftörend wirken, ift hier noch
(zu Offb. 6,2) eine wirkliche Krone statt Kranzes übrig
geblieben (S. 3l Im übrigen wird man gern wieder zu
Dürer greifen, aus deffen Darftellungen innere Gelaffenheit
auf der Grundlage echt deutfeher Empfindungsweife mit

heiteren Anklängen durch Zugabe des Landfchaftlichen
fpricht. (Bild IX und VI find aber vertaufcht.)

Daß der gegenwärtig als Begründer einer neuen
Kunftära von manchen Seiten gerühmte Expreffionis-
mus mit Vorliebe an ekftatifche Zustände anknüpft, deren
Übertragung auf Kunftdarftellungen, wenn man von behenderen
apokalyptifchen Zuftänden abfieht, nur ein Zerrbild
des Religiöfen ergibt, beweifen die dem Buche von
Hartlaub in Abbildung beigegebenen jüngsten Kunft-
leiftungen. Dies Abfehen von der .zufälligen' Wirklichkeit
menfehlicher Körperbildung, die fich fogar zum
Zwiebelmufter auswächft (Taf. 75), diefe eckigen Köpfe
und geradlinig oder durch .Verkrümmung verfchrobenen
Geftalten, diefe gedunfenen (Taf. 41) oder klotzartig zu-
fammengefetzten Leiber (Taf. 37, vgl. 36), diefe wie aus
geknittertem Papier entworfenen Köpfe (Taf. 65, 29) und
vor allem die mehr als äthiopifch-barbarifierend (S. 89)
wirkenden Holzfchnittdarftellungen Taf. 66ff. 15 find
keineswegs geeignet, die neuefte Kunftrichtung dem religiös
und künftlerifch empfindenden Publikum fchmackhaft zu
machen, wenn fie auch durch eine noch fo einleuchtende
Theorie empfohlen wird. Im Original gefchaut, mögen
die Bilder (von denen einige aus der Nationalgalerie ins
Kronprinzenpalais überführt wurden) um ihrer zufammen-
gefaßten farbigen Wirkung und des myfteriöfen Ausdrucks
willen vielleicht ansprechen, in Schwarz—Weiß wirken fie,
von einigen Selbftporträts und dem Glasgemäldeentwurfe
Thorn-Prikkers (Taf. 11) abgefehen, abflößend, mag auch
wirklich zum guten Teile Innigkeit des Empfindens zum
Ausdruck kommen. Es ift eine grobe Selbfttäufchung,
wenn die neuefte auf van Gogh und Cezanne zurückgehende
Richtung (gerade wie der radikale Sozialismus
im Kulturellen) meint, unter Abfehung von bisher Erreichtem
alles auf neuer Grundlage beginnen zu können,
als ob nicht längst, auch im verwichenen Jahrhundert mit
feinen Ziellosigkeiten, Großes und Größtes von hervorragenden
Meistern erbracht fei, das Innigkeit des Empfindens
mit wirklich hohem künftlerifchen Können vereint
(vgl. K. Scheffler, die Zukunft der deutfehen Kunft,
befonders S. 20). — Hartlaubs Abficht in feinem hervorragenden
, typifch bedeutfamen Buche ift es nun nicht,
diefe ,neue religiöfe Kunft' (Mannheimer Ausftellung
S. 93) überall gleichwertig zu nehmen (S. 72ff.); ,mit dem
bloßen Fefthalten der ersten Eingebung' ift es ihm auch
nicht getan (S. 77), aber er gefleht ihren Vertretern doch
das Recht zu, mit gesteigerter Bewußtheit auf jede Vollkommenheit
der Naturwiedergabe zu verzichten (S. 22),
und fieht in dem neuen Kunftwollen und .Bekennertum'
jene werdende aktiviftifche Mystik vorverkündet.
(S. 21), die fich ihm im Anfchluß an die neuere Geiftes-
entwicklung durch Addition von Nietzfche und Romantik
als wünfehenswertes Endergebnis herausstellt; durch treues
Fefthalten an der eingefchlagenen Kunftrichtung werde
fich eine Gefinnung ergeben, .welche die neuen Symbole
fchaffen foll, die uns heute noch gänzlich fehlen und durch
welche das Christentum erft feine neue Dafeinsform gewinnen
wird' (S. 103).

Wie der Expreffionismus auf Primitivität und Ur-
wüchfigkeit der Vorftellungen drängt, fo fieht Verfaffer
gemäß dem Unterbau feiner mit ausgezeichnetem philo-
fophifchen Umblick entworfenen Theorie in der Romantik
einen Rückfall in die erste Stufe der religiöfen Erfcheinungs-
welt, nämlich der unmittelbaren, myftifchen (paffiven) Berührung
mit dem Göttlichen; fie bedarf ihm für den
weiteren Verlauf der Ergänzung durch den aktiviftifchen
Sinn der Nietzfchefchen Lebensphilofophie. Auf der
zweiten Stufe find die bildlos geiftigen Vorgänge in die
Welt der finnlichen Erfcheinungen .hinunterprojiziert,
im Mythos, vermöge Erinnerung (Anamnefis) in Bildern.
Hier wird die Phantafiekraft frei, die fich noch dem Göttlichen
unterstellt, während auf der dritten Stufe, wo die
Religion förmlich Kultus und Lehre (Dogma) ift, die
Spaltung zwifchen den religiöfen Äußerungen und der