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Ausgabe:

1921 Nr. 1

Spalte:

179-181

Autor/Hrsg.:

Bierbaum, Max

Titel/Untertitel:

Bettelorden und Weltgeistlichkeit an der Universität Paris 1921

Rezensent:

Wenck, Karl

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179 Theologifche Literaturzeitung 1921 Nr. 15/16. 180

abendländifchen Chriftenheit, nämlich im Mofaik von S.
Cosma e Damiano in Rom S. 152ff. 126f. (vgl. ferner 148 ff.
,der Reiterheilige'). Daß einige Jahrhunderte früher die
große Welle der im Gnoftizismus verkörperten Gedankengebilde
die gleiche Richtung eingefchlagen hatte, darf
in diefem Zufammenhange nicht unerwähnt bleiben.

Es ift mir bei der fpringenden Art des Gedanken-
fortfchritts und der Beweisführung von Strzygowskis Buch
nicht gerade leicht geworden, eine Zufammenfaffung
feines Inhaltes zu geben. Das Buch zerfällt in 8 Ab-
fchnitte; ich rate, mit der Lektüre des 3., das die örtlichen
Baudenkmäler behandelt, zu beginnen. Die Beurteilung
wird in eriter Linie den Fachmännern obliegen,
da der Lefer überall tief in bautechnifche Fragen, be-
fonders im letzten Abfchnitt, eingeführt wird. Bloße Annahmen
und Rückfchlüffe von erheblich Späterem auf
Früheres, nicht mehr Vorhandenes treten in dem Buche
reichlich auf. Einige der letzteren wurden fchon erwähnt
. Hier ift vor allem die Frage ernftlich zu ftellen,
ob fo frühe Kirchenbauten (des gleichen Typus wie die
fpäteren) in den örtlichen Ländern wirklich einigermaßen
ficher erfchloffen werden dürfen. — Selbft wenn die
groß angelegten Aufftellungen nur den Wert ,heuriftifcher
Hypothefen' haben follten (S. 64), werden fie für den
Fortgang der Wiffenfchaft ihre Bedeutung behalten.
Betheln. E. Hennecke.

Bier bäum, Dr. Max: Bettelorden und Weltgeiltlichkeit an
der Univerfität Paris. Texte u. Unterfuchgn. z. literar.
Armuts- u. Exemtionsftreit d. 13. Jh. (1255—1272).
1 (Franziskan. Studien, 2. Beiheft) (XIII, 406 S. M. 2
Handfchr.-Taf.) 8°. Münfter i. W., Afchendorff 1920.

M. 22—; geb. 27 —
Der Kampf der Bettelorden und des Weltklerus um
die Univerfität Paris ift ein Glied in dem großen Wett-
ftreit, den Ordens- und Weltgeiltlichkeit, diefe beiden Arme
der Kirche, durch Jahrhunderte gegen einander geführt
haben, ein bedeutungsvolles Ereignis in der überaus reichen
Geiftesgefchichte des 13. Jahrhunderts. Es war nur
natürlich, daß ihr Gegenfatz fich auf die Beherrfchung
der dritten Großmacht der Welt, der Hochfchule Paris
übertrug, als die Leiftungsfähigkeit des Weltklerus und
feine Triebkraft auf dem Gebiete des Unterrichts immer
mehr zurückging, während die neuen Zweige des Regu-
larklerus, die Orden des hlg. Dominikus und Franziskus
fich fo fruchtbringend entwickelten, daß fie von ihrem
Reichtum fchon dem älteren Cifterzienserorden abgeben
konnten (vgl. Chartular. univerfit. Paris. I, 187 nr 151 vom
Jahre 1246.)

Uber das Unvermögen des Weltklerus, den Unterrichtsordnungen
des 3. uud 4. Laterankonzils mit Magiftern der Theologie nachzukommen,
hat 1914 P. Mandonnet O. Pr. eine lehrreiche aus den Quellen gefchöpfte
Abhandlung, la crise scolaire au debut du XHIme siecle et la fonda-
tion de P Ordre des Freres Precheurs in der Revue d'histoirc eccle-
siastique t. XV, I p. 34—49 veröffentlicht, die ich von Bierb. nicht angeführt
finde. Den äußeren Verlauf des Streites, der fich in den
Jahren 1252—56 abfpielte, hat der Breslauer Kirchenhiftoriker F. H.
Seppelt, der 1905 die Vorgefchichte in Sdraleks Abhandlungen (Bd III)
geboten hatte, ebenda Bd. VI {1908, auch als Bresl. theolog. Diff. von 1907)
trefflich gefchildeit, (vgl. Ztfchr. f. Kirchgefch. 29, 408). Die literarifche
Fehde, die fich im Gefolge des Streites entwickelte, wollte er in einer
weiteren Abhandlung erörtern, die ihm Gelegenheit bieten würde, die
bezgl. Schritten eines Thomas von Aquino und Bonaventura dogmen-
hiftorifch zu würdigen. In diefem Stadium der Forfchung fetzte im
Einverftändnis mit Seppelt die Arbeit B.'s, eines Schülers von Jof. Greving
, ein. Sie war beftimmt, durch hsl. Forfchungen das literarifche
Material zu vermehren, den Kreis der bekannten Schriften auszuweiten.
Reifen nach Rom und Paris in den Jahren 1912 —14 dienten diefem
Zwecke. Von den 9 für die Herausgabe der vier Traktate II—V (auf
S. 37—234I benutzten Hss. fanden fich 3 in Paris und 3 in Rom. Der
Krieg fchränkte die geplanten Arbeiten in Frankreich und England ein.
Anfangs 1916 waren die jetzt mitgeteilten Texte fchon gedruckt, da wurde
der Verfaffer felbft in den Krieg gezogen. Aus dem Orient zurückgekehrt
, wo er als Seelforger gewirkt und in diefer .Heimat der Armuts-
bewegung' bedeutungsvolle Eindrücke empfangen hatte, ergänzte er
feine Forfchungen insbefondere auf Anregung Ge. Schreibers nach der
rechtsgefchichtlichen Seite. Dann erfchienen 1920 die drei erften Kapitel
der .Unterfuchungen' als theologifche Dilfertation der Univerfität

Münder und bald das ganze Buch in ungefähr vierfachem Umfang mit
Vorwort vom Dez. 1919.

Die große Arbeit der Quellenausgabe ift in durchaus
Vertrauen erweckender forgfältiger Weife gelöft und als
ein nicht geringes Verdienft zu bezeichnen. Der Variantenapparat
und die fachliche Erläuterung in den Anmerkungen
entfpricht allen gerechten Anforderungen. Zu
den .Unterfuchungen' gebe ich einige kleine Nachträge.

Zu S. 271: Wie die Weltgeidlichen hat auch der Benediktiner Richer
von Senones, der um die Mitte des 13. Jh.'s fchrieb, die Prophezeihungen
der hlg. Hildegard zur Herabfetzung der Bettelorden ausgenützt, während
der Cifterzienfer Cäfarius von Heifterbach davon nichts wiffen wollte,
vgl. feine Vita Engelberti 1. I c. 7 cd. Poncelet in Acta SS. Nov. III
p. 650 mit Anm. — zu S. 313. Die Chronik des Peregrinus von
Bologna ift nicht verloren, fondern, wenn auch in verkürzter Geftalt,
fogar zweimal, 1905 und 1909 von G. Litlle gedruckt worden, vgl.
Anhang II seiner Ausgabe des Thomas von Ecclefton (1909) S. 141 f.
Zu S. 322: Uber den Franziskaner Bertrand de la Tour, Kardinal von
1320 bis 1332I3, der nie mit Bertrand von Bayonne hätte verwechfelt
werden follen, ift zu verweifen auf Baluze, Vitae paparum Avenion-
ensium T. I (1693) p. 745 und aufEubel, Hierarchia cattol. I 2, p. 15
nr 11. — Der Herausgeber der Antilogia papae: Matthias Flacius
Illyricus wird immer wieder fälfehlich Flaccius genannt.

Das find unwefentliche Dinge, die Literaturkenntnis
B.'s verdient alle Anerkennung. Das wertvollfte Stück
unter den Inedita ift der (2.) Traktat ,Manus que contra
Omnipotentem tenditur', S. 67—168. Der Frage nach
dem Verfaffer und der Abfaffungszeit ift B. auf S. 289
—341 mit Hingebung, ja mit entfehieden zu großer Um-
ftändlichkeit nachgegangen. Hier wäre weniger mehr ge-
wefen, man fpürt nichts von der Papiernot. Daß der Frater
de Baiona, den die um 1300 gefchriebene Vatikanifche
Hs. 360 als Verfaffer nennt, fogar zweimal, tatfächlich
der Verfaffer ift, daß er identifch ift mit dem Bertrand
vonBayonne, den die 1369 verfaßte zuverläffige Chronik
der 24 Generalminifter als hervorragenden Kämpen gegen
Wilhelm von St. Amour nennt (Anal-Francifc. III, 273L
bei B.: S. 305), daß dabei an die Disputation zu Anagni
vor Papft und Kardinälen im Oktober 1256 zu denken
ift, unterliegt mir, wie fchon früher den Franziskanern
Livarius Öliger und Hugo Daufend (Franziskan.-Studien
III, 77 und 304, IV, 132) gar keinem Zweifel, wenn auch
in einer Hs. vom Ende des 13. Jahr.'s ein englifcher Franziskaner
Thomas von York als Verfaffer desfelben Traktats
erwähnt wird. Der letztere ift wahrfcheinlich aus
jener Disputation entftanden, irgend eine Beteiligung,
perfönliche oder literarifche, Thomas' von York am Armuts
-und Exemtionsftreit jener Jahre ift nicht überliefert,
ja fie ift unwahrfcheinlich, während von Bertrand von B.
das Gegenteil gilt. Daß der Traktat in der gleichzeitigen
Literatur mit den Anfangsworten genannt wurde, ift m.
E. auch aus dem baldigen Tode Bertrands (1257) zu erklären
. Der Kurie, welche die Schrift dauernd hochfehätzte,
wurde fie durch die beachtenswerte Betonung des päpft-
lichen primatus jurisdictionis empfohlen. Nacheinander verficht
Bertrand, daß der Stand völliger Armut vollkommener
fei als jeder Stand, der Zeitliches für fich behält,
tritt er 2) für das Studium und für den Bettel im Gegenfatz
zur Handarbeit ein, endlich 3) für die Seelforge und
die Predigttätigkeit der Bettelbrüder auf Grund päpftlicher
Vollmachten. — Bertrands Traktat hat den Parifer Ma-
gifter der Theologie und Archidiakon von Amiens und
Ponthieu Gerhard von Abbeville, einen fruchtbaren
Schriftfteller, zu mehreren Gegenfchriften veranlaßt. Zwei
feiner Schriften, die .Exceptiones' und den ,Sermo', hat
B. zuerft mitgeteilt (S. 169—207 bzw. 208—19). Insbefondere
durch fein erftes noch ungedrucktes Werk .Gegen
den Widerfacher der chriftlichen Vollkommenheit' (vgl.
S. 48 Anm. 2), das um 1268 verfaßt ift, fpielte er eine
Hauptrolle unter den Mendikantenfeinden als Vorkämpfer
der Weltgeiftlichkeit und des Kirchengutes. — Ein leiden-
fchaftlicher Gegner der Mendikanten war auch Nikolaus
von Lifieux, deffen ,liber de ordine preeeptorum ad
confilia' (S. 220—34) von etwa 1270 den damals viel behandelten
Gedanken vertritt, daß die Beobachtung der
Gebote der Beobachtung der evangelifchen Räte voraus-