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Ausgabe:

1921 Nr. 1

Spalte:

172

Autor/Hrsg.:

König, Eduard

Titel/Untertitel:

Friedrich Delitzsch‘s ‚Die große Täuschung‘ kritisch beleuchtet 1921

Rezensent:

Nowack, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung 1921 Nr. 15,16.

172

und vermehrter Auflage entgegen. Es find diesmal alle
Lieder des Pfalters aufgenommen, ohne ,Auswahl'. Die
textkritifchen Bemerkungen ,find bedeutend verkürzt',
mit Rückficht darauf, daß diefes Überfetzungswerk ,für
weitere Kreife beftimmt' ift. Im Zufammenhang hiermit
fleht eine andere Maßnahme, ,die den Lefer Hörende
Gepflogenheit, unleferliche Texte durch punktierte Linien
anzudeuten, ift möglichft ganz vermieden worden. An
folchen Stellen hat freie Wiedergabe des erkennbaren
Sinnes der Dichtung ihr gutes Recht, zumal in einem
Überfetzungswerke, das nicht ausfchließlich wiffenfchaft-
lichen Intereffen dient'. Man wird angefichts deffen mit
dem wiederholten Hinweis in ThLZ 1912 Sp. 103. ZATW
1916 S. 235 Ai betonen müffen, daß dem Lefer des Öfteren
recht fubjektive Auffaffungen dargeboten werden. St. ift
fich diefer Schwierigkeit wohl bewußt gewefen und hat
mit dem ihm eignen liteiaräfthetifchen und religiölen Feingefühl
ihrer Herr zu werden fich bemüht. ,Die religiöfen
Ewigkeitswerte aufzuzeigen, die in den Schächten der hl.
Schrift verborgen liegen', war fein oberfter Gefichtspunkt.
Unter voller Anerkennung diefer neuen Methoden wie
des neuen Zieles kann ich die Befürchtung nicht unterdrücken
, daß diefe (berechtigte) Reaktion gegen ,die alten
Fehler der einfeitigen literarkritifchen Betrachtungsweife'
in entgegengefetzte Fehler verfällt. Ich erlaube mir
nachftehend einige Details zur Erwägung vorzulegen, weit
entfernt, der Bedeutung des von St. Geleifteten damit
Eintrag tun zu wollen.

Zu Pf. 2 heißt es S. 249: ,ein judäifcher Hofdichter macht in
fchrankenlofem Enthufiasmus von feinem Herrn und Könige beim Regierungsantritt
Ausfagen, wie fie eigentlich nur von den Großkönigen
des alten Orients im Hofftil möglich waren'. ,Diefe Königsrede ift im
Geifte der prophetifchen Religion vertieft zum Ausdruck der Idee der
Weltherrfchaft des davidifchen Königs'. ,Sie flammt aus der vorexi-
lifchen Zeit, wo das Königtum in Israel als Träger der großen prophetifchen
Zukunftshoffnung im Mittelpunkt des national-religiöien Lebens
ftand'. Demgegenüber beachte man folgende Tatfachen: Von David
und Juda fleht im ganzen Pfalm kein Wort. Der von Jahwe beftellte
Zionkönig ift mit dem Pfalmiften identifch, vgl. auch ZDMG 1904 S.
587 lt., ein perfönlicher König, ebenda 864 ff. Er tritt hinter Jahwe völlig
zurück, ift nur fein Werkzeug; beachte das Gegenüber 1. von Strophe
i=v. 1—3a und Str. 2, befonders v. 4 und 5 und 2. die Mahnung
Str. 4 = v. 10—12a, Jahwe zu huldigen, um feinem (Jahwes!) Zorngericht
zu entgehn. Der wefentliche Gedanke des Gedichtes ift m. E. der Gegen
fatz der gottfeindlichen Welt und Jahwes und die Gewißheit, wer
dabei obfiegt. Der Zionkönig kommt nur als der fichtbare Ausdruck
der göttlichen Herrlchaft auf Erden in Betracht; ein nachexilifcb.es escha-
tologifches Lehrgedicht über das Gottesreich, um feines programmatifchen
Inhaltes willen mit Pf. 1 als Einleitung zur ganzen Sammlung gewählt. Auf
Textkritik einzugehn, verbietet der Raum. Nur follte man ua'U nicht
mit ,Keule' wiedergeben, weder A, T. noch die Verfionen bieten dazu
eine Handhabe; aber bei uns droht diefe ,Überfetzung' fchon traditionell
zu werden. — Der Vf. v. Pf. 49 kommt fehr fchlecht weg. Der Text
diefes Liedes ift allerdings in üblem Zuftand, doch ift der Hauptgedanke
dentlich erkennbar und die Struktur des Ganzen noch völlig durchfichtig.
Nach der Einleitung v. 2 — 5 folgen 2 fich im einzelnen genau ent-
fprechende Strophen, vgl. auch Sitzungsber. d. K. Akad. d. Wiff. i.
Wien, phil. hift. Kl. 165. Bd. 4. Abb. 1910 S. 8f. Es entfprechen fich
vom Ende angefangen: v. 20. 21 u. v. 12a. 13; v. 18. 19 und v. 11a. 11b.
12b. Vor diefen ftehn v, 16. 17 u. v. 8. 10: Niemand kann fich durch
Geld vom Tode befreien und fich ein ewiges Leben erkaufen, mich aber,
den Frommen, befreit Gott und holt mich aus der Scheol heraus, beachte
, wie v. 8 und 16 korrespondieren. Jedenfalls befteht nicht .ernftlich
die Möglichkeit', daß ,v. 16 eine Korrektur von fpäterer Hand ift', fondern
v. 16 ift m. E. unentbehrlich. Des Raumes wegen nur noch folgendes:
Wie fchon die Unterfcheidung der Menfchen in Reiche und Arme volkstümlich
genannt werden darf, fo verrät das ganze Gedicht nach feiner
Form — man denke an den bombaftifchen Introitus — wie nach feiner
unbeholfenen Gedankenentwicklung den Mann aus den unliterarifchen
Schichten, dem fein religiöfes Grübeln die Feder in die Hand drückt.
Aber darin liegt der Wert des Pfalmes. In den Kreifen der einfachen
Leute ift der Auferftehungsgedanke als Poftulat göttlicher Vergeltung
für die Entbehrungen in diefem Däfern aufgekommen und heimifch geworden
. Der Pf. ,zur lehrhaften Gattung gehörig, erörtert wie Pf. 2 eine
Glaubensfrage und ift ein wertvolles Zeugnis für die Erkenntnis des
Werdens und Wachfens des Jenfeitsgedankens in der jüdifchen Gemeinde.
— Zu Pf. 119 .erübrigen fich bei dem fchlichten Inhalt befondere Erklärungen
', S. 268. Wie mögen lieh ,die weiteren Kreife' wohl den Gedanken
von v. 99. 100 und den Begriff .Lügenpfad' v. 104. 118 plaufibel
machen ? — Wäre es nicht ratlam gewefen, ihnen zu fagen, daß die
.Lehrer' und die .Alten' griechifche Weisheitslehrer und der ,Lügen-
pfad' die geiftige Kultur des Hellenismus fft? — Der ganze Pfalm ift
das Glaubensbekenntnis eines jüdifchen Frommen, enthaltend u. a. auch

eine bedingungslofe Abfage an den Hellenismus, aus der richtigen Erkenntnis
heraus, daß Judentum und Griechentum zwei unvereinbare
Welten find. Der Pfalm hat mit diefem Urteil neben Ekklefiaftes,
Philo und Paulus feine hiftorifche Bedeutung.

Königsberg, Pr. Max Lohr.

Sellin, Prof. Dr. E.; Einleitung in das Alte Testament. 3. Auft.
(Evang.-theol. Bibliothek). (XVI, 187 S.) 8«. Leipzig, Quelle &
Meyer 1920. M. 14 —; geb. M. 20 —

Nach 6 Jahren ift diesmal eine neue, dritte Auflage nötig geworden,
vgl. diese Zeitfchr. 1910 Sp. 737 f. 1915 Sp. 45. Auch diesmal ift die
Seitenzahl um mehr als einen Bogen gewachsen. Revidiert find vor
allem die Abschnitte über die kleinen Propheten, über das Deuterono-
mium, Deuterojefaja und das Buch Hiob. Aber auch fonft ift überall
nachgebeffert und nachgetragen, um das Buch auf dem gegenwärtigen
und neueften Stand der Forfchung zu erhalten.

Königsberg, Pr. Max Lohr.

König, Prof. Dr. Eduard: Friedrich Delitzfch's ,Die große
Täufchung' kritifch beleuchtet. (112 S.) 8°. Gütersloh,
C. Bertelsmann 1920. M. 5 —

Als gegenwärtiger Senior unter den akademifchen
Vertretern der Wiffenfchaft vom Alten Teftament glaubte
fich Ed. König verpflichtet, die Behauptungen von Friedr.
Delitzfch zu prüfen und ihren Wahrheitsgehalt feftzuftellen.
Die Arbeit zerfällt in zwei Abfchnitte: im erften kennzeichnet
er die allgemeinen Grundlagen von Delitzfch's
Angriff auf das althebr. Schrifttum, er legt hier Delitzfch's
Anflehten über die Quellen der ifraelitifchen Kulturge-
fchichte dar, wendet fich gegen feine Vorausfetzung der
Originalität und Überlegenheit der babylon. Kultur gegenüber
der hebräifchen, bekämpft die Neigung zur Herab-
drückung der Gefichtspunkte und Motive Ifraels und fetzt
fich mit den gefchichtsphilofophifchen Vorausfetzungen
,der großen Täufchung' auseinander. Im zweiten Abfchnitt,
der eine Kritik der einzelnen Ausftellungen von Fr. Delitzfch
gibt, behandelt er Ifraels religionsgefchichtliches Anrecht
an Kanaan, die Gewißheit einer göttlich-prophetifchen Ge-
fetzgebung am Sinai und endlich die religionsgefchichtliche
Stellung und Bedeutung der Propheten.

Daß die Arbeit von Fr. Del. die Kritik in fcharfem
Maße herausforderte und diefe hervortreten mußte, ift unbe-
ftreitbar, und man konnte bei dem Anfehen, deffen fich Del.
als Gelehrter erfreut, nur wünfehen, daß von altteftament-
licher Seite ihm gezeigt würde, wie ftarke Blößen er fich
gegeben, indem er fich auf das Gebiet der Religions-
gefchichte und altteftamentlichen Kritik begab, für das
noch andere Qualifikationen als die des gefchulten Affyrio-
logen nötig find. Es war auch nötig, die Maßlofigkeit
und Unbilligkeit fo mancher Urteile von Del. in das rechte
Licht zu fetzen. Aber je fchärfer das gefchah, um fo mehr
mußte eine billige Beurteilung auch die Wahrheitsmomente
herausheben, welche in der Kritik von Del. fich finden.
Nach diefer Seite läßt Ed. Königs Arbeit recht viel zu
wünfehen übrig. Er fchreibt manch treffendes Wort,
weift auf die oft recht fchiefen Urteile, auf die Maßlofig-
keiten und Unrichtigkeiten hin, aber nirgends läßt er erkennen
, daß diefe leidenfehaftliche Bekämpfung durchD. nur
die Folge der bis in die Gegenwart fortgefetzten un-
gefchichtlichen Betrachtung des A.T s durch die Kirche,
der bis heute feftgehaltenen Kanonizität des A.T's ift,
durch die dasfelbe faft auf die gleiche Stufe wie das
N.T. erhoben wird, eine Anlchauung, die überall auch
bei König zum Durchbruch kommt. Hier liegt zu einem
großen Teil die Wurzel der Schwierigkeiten, unter denen
die Kirche leidet. Es wäre bei aller Verwirrung, die
Del. mit feinen Maßlofigkeiten angerichtet hat, doch als
Gewinn anzufehen, wenn der Angriff von Del. den deut-
fchen Proteftantismus an diele wohl oft erinnerte, aber
bisher vernachläffigte Aufgabe mahnte. Quieta non movere
ift nicht die höchfte Lebensweisheit.

Leipzig. W. Nowack.