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Ausgabe:

1920 Nr. 1

Spalte:

161-163

Kategorie:

Kirchenfragen der Gegenwart

Autor/Hrsg.:

Curtius, Friedrich

Titel/Untertitel:

Die Kirche als Genossenschaft der Gemeinden 1920

Rezensent:

Schian, Martin

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Theologifche Literaturzeitung 1920 Nr. 13/14.

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rungen zu veröffentlichen und in diefer Form feinem Ehrenvorfitzenden
O. Willmann zu feinem 80. Geburtstage (1. März 1919) zu widmen, da
der Verein in ihm den berufenden Vertreter der Herbart-Zillerfchen
Pädagogik erblickt, der diefe Pädagogik mit den Grundfätzen der
römifchen Kirche in Einklang zu bringen verrucht hat. Das Programm
wird in 12 Abhandlungen, die von verfchiedenen Autoren herrühren,
eingehend erläutert. Sie behandeln die Themen: .Allgemeine Forderungen
', Familienerziehung', .Kleinkindererziehung', .Anftaltserziehung',
.Volksfchule', .Fortbildungsfchule', Jugendpflege', Jugendfürsorge', .Mittleres
und höheres Schulwefen', .Mädchenbildung', .Lehrer- und Lehrerinnenbildung
' und endlich ,die Hochfchulen'. Programm und Kommentar
handeln mithin über das gefamte Erziehungs- und Schulwefen
der Gegenwart, jedoch unter Befchränkung auf die deutfehen Verhält-
niffe. Dabei werden überall die pädagogifchen Erwägungen und Vor-
fchläge berückfichtigt, welche feit etwa einem Jahrzehnt auf Konferenzen
und in der Literatur angeftellt und veröffentlicht find, und zu ihnen
ablehnend oder zuftimmend zielbewußte Stellung genommen. Maßgebend
für das Letztere find durchweg die pädagogifchen Anfchauungen
Willmanns und entfeheidend die Lehren der römifchen Kirche. Soweit
diefe es zulaffen, ♦eitreten die Verfaffer der das Programm kommentierenden
Abhandlungen einen wohltuend irenifchen Standpunkt, doch
befremdet folgende Bemerkung auf S. 95: Eine .Verletzung' der Kinder,
die nicht zur römifchen Kirche gehören, aber durch die Verhältniffe
gezwungen find, eine katholifche Schule zu befuchen, ,kann nicht ge-
fehen werden in der potitiven Auswertung der religiöfen Erziehungs-
mittel der konfeffiioncllen Mehrheit in ihrer Schule, z. B. in katholifchen
Schulen: Kreuzzeichen, Ave Maria, Miterleben der kirchlichen Zeiten',
lifo auch z. B. des Frohnleichnamfeftes, wie ich hinzufüge.

Der proteftantifche Pädagoge muß folche Auffaffung ;
grundfätzlich ablehnen. Im übrigen bietet das Buch viel
Anregendes, zumal in ihm die modernen pädagogifchen
Probleme erörtert werden, die mit den Schlagwörtern
wie Einheitsfchule, Befestigung der Vor- und der Mittel-
fchulen, Frankfurter Reformfchule, deutfehes Gymna-
fium ufw. bezeichnet werden. Daß andere Probleme, die
erft durch die infolge der Revolution entstandenen Bewegung
aufgetaucht find, noch keine Berückfichtigung
finden konnten, ift felbftverftändlich. Immerhin hat fich
die römifche Kirche in diefem Programm mit feinem erläuternden
Kommentar ein beachtenswertes Rüftzeug ge-
fchaffen, mit dem fie erfolgreich für ihre Sache in den
bevorftehenden Kampf um die Schule wird eintreten
können. Es ift zu bedauern, daß eine entfprechende
Arbeit für die Iiftereffen der evangelifchen Kirche nicht
nachzuweifen ift.
Göttingen. K. Knoke.

Schriften zur Kirchenfrage.

Vgl. zuletzt Nr 15/16, 1919.

1. Schriften allgemeinen Inhalts: Ph. Bachmann
nennt die Kirche eine ,pneumatifch-charismatifche
Lebensbewegung', deren Grundregel heiße: Von innen
nach außen. Aus der Anwendung diefer Grundregel
zieht er eine Reihe von Folgerungen für gegenwärtige
Fragen: Wahlrecht erft mit 25 Jahren; Frauenwahlrecht;
mittelbare Wahl; Entwicklung zur Laienkirche, aber ,die
Autorität des Wortes muß bleiben'; kein neues Bekenntnis
. Die Grundregel darf allgemeine Zuftimmung beanspruchen
; nicht ebenfo, was B. fonft an Grundfätzlichem
fagt. Der Wille zu einer Gemeinde, ja zur Kirche (Taufbefehl
) bei Jefus ift nicht fo einwandfrei feftftellbar, wie
es hier fcheint. Und ob aus der Grundregel genau diefe
praktifchen Folgerungen gezogen werden müffen, wäre
noch zu erörtern. Das Gebiet, auf dem rein praktifche
Erwägungen — unbefchadet der Prinzipien — den Aus-
fchlag geben, wird doch von B. etwas zu ftark einge-
fchränkt. Andrerfeits ift es zu begrüßen, daß nicht nach
zufälligen Augenblickskonftellationen, fondern nach tiefliegenden
Wefensbeftimmungen geurteilt wird. — Einen
beachtenswerten Verfuch, die grundfätzlichen Kirchenfragen
am Beilpiel einer einzelnen Landeskirche zu be-
fprechen, ftellt das Buch von Lehmann2) dar. Es bietet
ausführliche Rückblicke auf die neuere Gefchichte der
badifchen Kirche, die Verfaffung von 1861, die Ära
Helbing; es fucht die Eigenart diefer Kirche zu fchildern;
damit verbindet es weitgreifende Darlegungen über das
Gemeindeprinzip und feine Auswirkung, Jugenderziehung,

Gemeindejugendpflege, Volkskirche, volkskirchliche Obrigkeit
, Bekenntnis in der Volkskirche. Der Standpunkt
L.s ift durch die Thefe von der ,zerfetzenden Wirkung
des einigenfollenden Bekenntniffes' (S. 203) nicht ausreichend
gekennzeichnet; hinzunehmen muß man die
ftarke Forderung der Uberwindung des kirchlichen Parteikreuzes
, die nur auf dem Boden der Gemeinde möglich
fei, die damit zufammenhängende Polemik gegen die
Urwahlen mit Verhältniswahl zur verfaffunggebenden Ge-
neralfynode, die (in Selbftkorrektur) geäußerten Bedenken
gegen,Pfarrerpolitik' und nicht zuletzt das unbedingte
Eintreten für die Volkskirche. Ganz befonders ift hervorzuheben
, daß das Buch eine große Reihe von Fragen
des Gemeindelebens in fehr fruchtbarer Weife durch-
fpricht. Faft ift es fchade, daß diefe Kapitel, die wohl
überall an badifche Verhältniffe anknüpfen, aber doch
von ganz allgemeinem Intereffe find, mit den nur Baden
betreffenden Teilen unlöslich verbunden find. Sie wären
es wert, von den für die Gemeindefragen Intereffierten
überall gelefen zu werden. Mancher Vorfchlag des Buchs
mag durch die Ende 1919 befchloffene badifche Verfaffung
überholt erfcheinen; aber das Buch behält doch dauernden
Wert. — Ganz volkstümlich und klar erörtert Jähkel3)
die Notwendigkeit der Kirche. Es ift dankenswert, daß
er einmal die Frage ftellt: Braucht die Kirche Organifa-
tion? Aber auch, was über die Aufgaben der Kirche
gefagt ift, ift gut, freilich noch ergänzungsfähig. Nützlich
ift auch der Abfchnitt .Angriffe und Vorwürfe gegen die
Kirche. Zu brauchen im Kampf mit der Austrittsbewegung
'. — Das ernfte Wort Dryanders4) verdient nicht
nur um des Verfaffers willen fondern auch durch feinen Inhalt
Beachtung. D. tritt für die Volkskirche ein, aber
,eine bekenntnislofe Kirche ift eine Schale ohne Inhalt'.
Schöne Worte findet er über das Bekenntnis zu Chriftus
als dem Herrn, aber er will es nicht als neue Bekenntnisformel
genommen wiffen. Weiter befpricht er kurz
die Träger des geiftlichen Amts und das Arbeitsprogramm
der Kirche. Hier werden, freilich nur in Andeutungen
, alle wichtigeren und einfehlägigen Fragen be-
fprochen. Intereffant ift, daß D. beftimmt die Verkirch-
lichungder Liebeswerke fordert; er bietet Gedankengänge,
die durchaus zur Gemeindebewegung ftimmen.

2. Verfaffungsfragen. Zur Trennung von Staat
und Kirche ift allmählich faft alles gefagt. Schmitts5)
Schrift will aber auch nicht das Problem theoretifch
behandeln; er befchränkt fich auf die Klärung der Eigen-
tumsverhältniffe zwifchen Staat und Kirche nach den
Säkularifationen, in Frankreich von 1789 ab, in Deutfch-
land feit 1803. Nachdem die Gefetzgebung dargelegt
und beurteilt ift, wird die Ausftattungspflicht des Fiskus
fehr eingehend befprochen; den letzten Abfchnitt bildet
eine Klärung des Verhältniffes der Ausftattungspflicht zur
Eigentumsfrage. Ein Anhang ftellt das feit 1803 fäku-
larifierte ehemalige Kirchenvermögen im Raum des Erzbistums
Freiburg zufammen. Die rechtliche Darlegung
beachtet nicht nur die Gefetzgebung, fondern auch eine
Fülle von Literatur aller Art (insbesondere von richterlichen
Urteilen) bis in die kleinften Einzelheiten hinein. Nicht
bloß die katholifche, fondern auch die evangelifche
Kirche Deutfchlands ift berückfichtigt. Sch. ftatuiert
nicht bloß eine Ablöfungspflicht, er ftellt auch Grund-
fätze für ihre Durchführung auf. So ift denn im Unterschied
von vielen anderen Schriften über Staat und Kirche
diefe Schrift nicht überholt; ihre Bedeutung liegt in
der nahen Zukunft, wenn die Ablöfungsverhandlungen
beginnen werden. Wollen die Staaten fich nachdrücklich
auf den Boden des Rechts ftellen, fo werden Sch.s Argumente
eine Waffe ihnen gegenüber bilden. Wer das Buch
studiert, bekommt einen lebhaften Eindruck davon, wie
unfagbar verwickelt die Verhandlungen fich gestalten
können. Auf dem Wege des Prozeffes find fie überhaupt
nicht durchführbar, fondern nur auf dem der Verständigung
. — Der kleine Auffatz Mirbts6) beurteilt die fo