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Ausgabe:

1920 Nr. 1

Spalte:

160

Titel/Untertitel:

Meister Guntram von Augsburg Schwermut zu heilen 1920

Rezensent:

Niebergall, Friedrich

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Seite 1

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159

Theologifche Literaturzeitung 1920 Nr. 13/14

160

Dörries, Bernhard: Der Glaube an die Welt. (198 S.) kl. 8°.
Königftein im Taunus, K. R. Langewiefche (1919).

M. 2.45

Beim Lefen diefes Buches kann man zum Vergleich
an Schleiermachers Reden denken. Schleiermacher er-
fchloß die Religion den äfthetifch-idealiftifchen Gebildeten
feiner Zeit; D. verkündet die Religion, wie fie der mit
praktifchen Aufgaben fich quälende, notleidende Deutfche
der Gegenwart braucht. Er redet von ihr nicht ganz
mit demfelben Geift und Bilderreichtum wie der junge
Romantiker, aber mit gleicher Begeifterung, Wärme und
Kraft und mit größerem männlichen Ernlt. D. rechnet
fich zur Ritfchlfchen Theologenfchule; fein Buch beweift,
welch tiefe Frömmigkeit fich mit ihrem Leitgedanken
verbinden kann, wie fromm diefer Leitgedanke felber ift.
Ritfehl fagte, der Glaube an Gottes väterliche Vorfehung
fei die chriftliche Weltanfchauung in verkürzter Geftalt.
D. fpricht ftatt deffen von Glauben an die Welt, fein
Motto ift: .Habt lieb die Welt und was in der Welt ift.
So jemand die Welt nicht lieb hat, in dem ift nicht die
Liebe des Vaters.' Daß er dabei die Welt, ,die nackte,
kahle, böfe Welt da draußen', nicht etwa zu befchönigen
fucht, fondern deutlich genug fpüren läßt, daß er ihre
Schrecken, Finfterniffe und Widerwärtigkeiten nicht nur
von Hörenfagen kennt, daß er trotz alledem nicht nach
äußeren Stützen des Glaubens fucht — wie das bei ihm
naheftehenden Theologen doch vielfach üblich ift, indem
fie fagen, der Glaube bedürfe des Haltes an der Ge-
fchichtstatfache der göttlichen Offenbarung, die ihrerfeits
freilich wieder durch das Werturteil des Glaubens verbürgt
werde — daß er den Glauben allein auf die Selbft-
gewißheit innern Erlebens ftellt, empfindet man doppelt
dankbar. Einzelne Abfchnitte, z. B. S. 23—25, 42—45,
87, 171, gehören in unfere Andachts- und Lebensbücher.
Dies blaue Buch wollen wir verbreiten! Es ift Speife für
hungernde Seelen, ein Arzneimittel für die tödliche Krankheit
der Zeit. Die Zahl der Taufende, die es erreicht —
einftweilen ift das 1.—32. Taufend erfchienen — kann
ein Gradmeffer für die Zukunftsausfichten unfers Volkes
werden.

Das Gefagte fchließt nicht aus, daß das Buch m. E.
nicht nur theologifch, fondern auch religiös betrachtet
recht einfeitig ift. Der teleologifche Gefichtspunkt darf
doch nicht der allbeherrfchende fein. Man mag hier das
Herz der chriftlichen Frömmigkeit finden; aber kein Herz
kann für fich allein exiftieren, es bedarf auch anderer
Organe. Wo bleibt das Schleiermacherfche fchlechthinnige
Abhängigkeitsgefühl, wo die Kantfche Andacht im Aufblick
zu der Majeftät des Sittengefetzes? Natürlich klingt
auch dies und andere weniger wichtige, begleitende reh-
giöfe Gefühle gelegentlich an, aber es will auch grund-
fätzlich gewürdigt fein. Kurz, alles was D. fagt, ift wahr,
warm, überaus eindringlich und erquickend, aber die
Particulae exclusivae, die Grenzftriche find falfch. Religion,
auch chriftliche, ift doch komplexer, tiefer und geheimnisvoller
, als man nach D.s Buche ahnt.

Iburg. W. Thimme.

Müller, Johannes: Neue Wegweifer. Auffätze u. Reden.
(V, 371 S.) 8°. München, C. H. Beck 1920.

Pappbd. M. 10 —

M. ift felber wie das Leben, das er verkündet, quellend
und immer neu, ob er auch derfelbe bleibt. In einer
Sammlung wie der vorliegenden tritt einmal wieder fein
Lebenswerk in feinem gefchloffenen Ernft kräftig zu Tage.
Alles geht auf das Leben hinaus ftatt auf die Lehren,
und dies Leben ift die pofitive Stellung zur Welt mit
ihren Aufgaben und Leiden, wie fie fich aus der Entfaltung
unferes innerften Wefens ergibt. Indem fich fo
das Objektive und Göttliche im Menfchen fchöpferifch
offenbart, geftaltet fich aus Gnade und Glaube, alfo auf
dem Weg des Werdens, das dritte Reich, das fich als
feelifche Weltordnung über der finnlichen und fittlichen

j erhebt. Mehr perfönlich gehaltene Auffätze: Ift das, was
I ich will, etwas für alle Menfchen? und: Warum geht es
j nicht vorwärts? — geben diefem Band noch eine be-
fondere Note. Freilich hat M. gar keinen Grund, mit
feinem Einfluß auf die fliehenden Menfchen der Gegenwart
unzufrieden zu fein.

Heidelberg. F. Niebergall.

Rhoden, Konf.-R. D. Dr. G. v.: Grundlagen der chriftlichen Sittlichkeit
. (V, 146 S.) 8°. Leipzig, Quelle & Meyer 1919.

M. 2.80; geb. M. 3.80

,Die Darlegungen, die ihren Kriegsurfprung nicht verleugnen wollen',
möchten derBefinnung ,auf die Unverrückbarkeit unterer ethifchen Ideale'
überall, namentlich auch ,in Lehrerkreifen und Volkshochschulen' dienen.
Der Verfaffer der .Sexualethik' ift dazu durch die lebendige und an-
fchauliche Art feines Vortrags wohl gerüftet. Das Buch erinnert an Kirns
.fittliche Lebensanfchauungen der Gegenwart', die dankbar erwähnt werden,
und nimmt auf die feither geführten Verhandlungen, wie auf die besonderen
Fragen und Nöte der Gegenwart Rückficht. Die Hauptabschnitte
behandeln Wohlfahrts-, Entwicklungs- und abfolute Ethik,
Pflicht und Neigung, Gewiffen und Willensfreiheit, Sittlichkeit und Religion
, Gefetz und Evangelium, Chriftentum u. Krieg. Für weitere dem
Buch zu wünfehende Auflagen darf wohl angemerkt werden, daß die
Erörterung über die Freiheit (.Verwerfung des äußeren, Anerkennung
des inneren Determinismus') dem Problem nicht völlig gerecht wird.
Tübingen. Th. Haering.

Schwarz, Geh. Reg.-R. Prof. D. Dr. Herrn.: Weltgewirren oder
Vaterlandsgewifren. (Vortrag, geh. am 20. Mai 1918.) (Beiträge
zur Philofophie des deutfehen Idealismus. 1. Heft.) (24 S.)
gr. 8". Erfurt, Kayfer 1919. M. 1.50

Der gefchätzte Greifswalder Philofoph ftellt hier dem auf
Kant fich berufenden Kosmopolitismus (dem .Weltgewiflen') den
deutfehen Patriotismus als Gewiffensrache gegenüber. In tiefgehenden
Ausführungen wird die Gefchichte als ,felbftichöpfe-
rifche Kette göttlicher Zeugungen', die fleh in jedem Volk
vermöge feines innerften geiftigen Erlebens geftalten, aus einer
,übergefchichtlichen Tiefe' in fortwährenden Selbftfetzungen hervorbrechen
', verftändlich gemacht (S. 18ff.). Aber ich vermag
nicht einzufehen, warum diefe Art von Patriotismus mit der
fittlichen Idee des ,ewigen Friedens' (etwa in Schleiermachers
Sinn), alfo mit der Anerkennung einer Völkergemeinfchaft als
Gewiffensfache (, Weltgewiflen') unvereinbar fein follte. Ebenfo
wenig kann ich für richtig halten, daß es fich im Chriftentum
,nur um die einzelnen Menfchen' (S. 10), nicht aber um eine alle
Völker umfpannende Gemeinfchaft handle.
Göttingen. Titius.

Deutrehe Trortbriefe. Hrsg. v. Dr. Rudolf Krauß. (220 S.) 8°.
Stuttgart, J. Hoffmann (1919). M. 7—; geb. M. 10 — ;

Vorzugsausgaben M. 16—; 35— u. 65 —
Diefes fchön ausgeftattete Buch bringt die ergreifende Sammlung
von mehreren hundert Troftbriefcn bedeutender Menfchen von Luther
an bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts, zugleich eine Gefchichte
der religiöfen und philofophifcheu Ideen über das Problem des Leides und
feine Überwindung wie auch eine Fundgrube für echte und erlebbare
Gedanken, wie fie dem Praktiker zur Erfüllung feiner fchwerften
Aufgabe von Wert find.

Heidelberg. F- Niebergall.

Meifter Guntram von Augsburg Schwermut zu heilen. Ein Genefungs-
buch. (70 S.) kl. 8». Leipzig, G. Schloeßmann 1918. M. 3.10
In herzhafter altertümelnder Sprache geht hier der bewährte Seelenführer
aus innerfter Seelenkenntnis heraus mit allen feelforgerlichen Mitteln
der Schwermut zu Leibe und gibt damit ein Mufter und eine Fundgrube
für den Kampf mit diefem alten böfen Feind aller ernften, tiefen Seelen.
Heidelberg. F. Niebergall.

Jahrbuch, 9. und TO., des Vereins für chriftliche Erziehungs-
wiffenfehaft. Unfer Erziehungs- und Schulprogramm.
Feftgabe, Dr. Otto v. Willmann zum 80. Geburtstag
gewidmet. Hrsg. im Auftrage des Vorftandes v. Prof.
Dr. Jof. Göttler. (VIII, 202 S. m. 1 Bildnis.) gr. 8°.
Kempten, J. Köfel 1919- M. 5.50

Das vorliegende Jahrbuch des Vereins für chriftliche
Erziehungswiffenfchaft ift mit einem ausdrucksvollen Bilde
von Otto Willmann gefchmückt und bringt an erfter Stelle
einen orientierenden Auffatz über deffen ,Lebensarbeit'.
Darauf folgt das .Erziehungs- und Schulprogramm' des
genannten Vereins.

Der Entwurf zu diefem ftammt von dem Pharus-Chefredakteur
Weber, feine endgültige Faffung erhielt es auf der Generalverfammlung
des Gefamtvereins 1918. Diefe befchloß, das Programm mit Erläute-