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Ausgabe:

1920 Nr. 1

Spalte:

156

Autor/Hrsg.:

Müller, Gg. Hrm.

Titel/Untertitel:

Die Stellung des freien Protestantismus zur katholischen Kirche 1920

Rezensent:

Mulert, Hermann

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung 1920 Nr. 13/14.

156

Befprechung in einer Literaturzeitung unterziehen? Mißlich
genug wäre das Unternehmen . . . !

Nun ift K.s Buch ,die Stadien' auf dem Wege, lang-
fäm, fehr langfam, aber auch ficher, einen fetten Platz in
unferem geiftigen Erbe einzunehmen. So lange es dem
Menfchen hier auf Erden vergönnt fein wird, eine Wahl
treffen zu muffen zwifchen der äfthetifchen, der ethifchen
und der religiöfen Lebensauffaffung, fo lange der Menfch
vor die Frage geftellt fein wird, welche von diefen dreien
er zu verwirklichen fuchen will und muß, gerade fo lange
wird K.s Gedanke und Leben — beide find unzertrennlich
— mahnend daftehn. Es wird immer fchwerer fallen
ihn einfach zu ignorieren, obgleich auch, oder vielleicht
gerade weil auch fein Leben und fein Gedanke kein Vorbild
geben, das ohne weiteres nachgeahmt werden kann:
es regt eben um fo mehr an, die gleichen Probleme, die
ihn bewegten und marterten, felbftändig nachzuprüfen.

Über den Inhalt faffen wir uns darum kurz: wir erinnern
K'-freunde daran, daß die Stadien es find, welche
,in vino veritas', das bekannte Gaftmahl K.s, enthalten;
ferner kommen dort neue Betrachtungen des Affeffors
Wilhelm über die Ehe vor, und das Hauptftück, .Schuldig
— Nicht Schuldig', das wohl niemanden gleichgültig
laffen kann, auch wenn er noch fehr wenig von K. weiß.
,Frater Taciturnus' fchließt das Buch mit feinen ironifie-
renden Unterfuchungen ab. An das beachtenswerte Nachwort
Chr. Schrempfs werden fich manche Debatten anknüpfen
.

Was die Qualität der Überfettung angeht, fo genügt
es dankbar auf die Namen der Überfetzer hinzuweifen.

Auch die Ausftattung des Buches ift, was man von
dem Verlage Diederichs erwarten konnte.

Aber warum, können wir nicht umhin zu fragen,
mußte auf dem Umfchlage diefe irreführende, unerquickliche
Reklamenotiz ftehn? ,Ein Bekenntnisbuch. Die drei
Lebensftadien find das äfthetifche, das ethifche und das
religiöfe. Das Hauptproblem, das K. durch diefe Stadien
hindurchtreibt ift: hat ein Mann, der die fexuelle Un-
fchuld verloren hat, noch ein Recht auf Liebes- und Eheglück
?'

Von folcher Art Reklame follte doch wenigftens K.
verfchont bleiben.

Srinagar, Kafhmir. Raoul Hoffmann.

Arns, Oberlehr. Dr. Karl: Der religiöfe britifche Imperialismus
. (80 S.) 8°. Bochum, Weftdeut. Druck- u. Verlagshaus
(1919). M. 2.80
Ünter Heranziehung einer ftaunenswerten Fülle von
Material hat der Verfaffer auf verhältnismäßig knappem
Raum es unternommen, den aktenmäßigen Nachweis zu
liefern, wie Englands Religiofität nicht nur mit bewußter
Abfichtlichkeit von den leitenden Stellen in den Dienft
des imperialiftifchen Machtgedankens geftellt worden ift,
fondern wie diefe Religiofität ihrer ganzen gefchichtlich
gewordenen Eigenart nach von felbft zum politifchen
Machtftreben fich ausgewachfen hat. Mag das hochge-
fpannte englifche Nationalgefühl angelfächfifches oder
normannifches Erbgut fein, verftärkt durch die geographische
Lage des Landes, jedenfalls hat es fchon frühe
religiöfe Färbung angenommen und hat fich dadurch zu
einem geheiligten Glaubensfatz ausgebildet, der heute
mit der ganzen Leidenfchaftlichkeit religiöfer Intoleranz
und britifcher Zähigkeit verfochten wird. Und ftaunens-
wert bleibt es, welche ausdauernden Kräfte diefe Idee in
den Kriegsjahren im englifchen Volke entbunden hat.
Eines können wir jedenfalls daraus lernen, und das
dürfte neben allem hiftorifchen Gewinn der bleibende
Ertrag des vom Verfaffer geführten Nachweifes fein: daß
im letzten Grunde nicht eine materialiftifch orientierte,
mammoniftifche Diplomatie den Endfieg errungen hat,
fondern die Kraft diefer religiöfen Idee, die das englifche
Volk durchglühte und es auch aus den dunlcelften Stunden
immer wieder aufwärts führte auf die Höhen einer

nie verzagenden Hoftnungsfreudigkeit und einer unbeug-
famen Willenskraft, die nicht ruht, bis ihr Glaube die
Erfüllung fchaut. Wir danken dem Verfaffer für feine
| fleißige Arbeit.

Dortmund. PI. Goetz.

t Müller, Dr. Gg. Hrm.: Die Stellung des freien Proteltantismus
zur katholifchen Kirche. Nach einem Vortrage im Bunde f.
Gegenwartschriftentum zu Dresden am 22. März 1919. (28 S.)
8». Dresden, Buchdr. der v. Baenleh-Stiftung 1919. M. 1.50
M. fpricht nur kurz davon, wie fich der religiöfe Gegenfatz,
! der zwifchen dem alten Proteftantismus und der katholifchen
J Kirche beftand, für uns z. T. noch vertieft hat, und erörtert dann
i wefentlich die heutige kirchenpolitifche Lage. Um die Geifter
zu beherrfchen, habe fich der Katholizismus im neuen Kirchenrecht
ftraffer konzentriert; dies und die nunmehr ungehinderte
Tätigkeit der Jefuiten in Deutfchland werde den konfeffionellen
Gegenfatz verfchärfen. Im Unterfchied vom katholifchen (und
orthodox-proteftantifchen) Autoritätswefen muffe der freie Proteftantismus
den ftaatlichen und Wirtfchaftsformen gegenüber
neutral fein, dann werde er fich mit einem idealiftifchen Sozialismus
verftändigen können.

Man fleht, daß M. auf viele theologifche Fragen, an die man
bei dem Thema denkt, nicht eingehen wollte. S. 5 ift der Dresdner
Superintendent irrig zum Oberfuperintendenten befördert.
Kiel. Mulert.

Klatzkin, Jakob: Hermann Cohen. (100 S. m. 1 Bildnis.)
8°. Berlin, Jüd. Verlag 1919. M. 6—;

Vorzugsausgabe M. 12.50
Perfönlichkeit und Methode — Philofophie des Judentums
— Deutfchtum und Judentum — Hermann Cohen
— Bibliographie, — aus diefen vier Stücken fetzt fich
das Buch zufammen. Befonders dankbar wird die zahlreiche
Cohen-Gemeinde dem Verfaffer für die forgfältige
Bibliographie fein, die vollftändig zu fein fcheint. Der
dritte Abfchnitt druckt die Auseinanderl'etzung des Ver-
faffers über die 1916 erfchienene Brofchüre Cohens
(Deutfchtum und Judentum) nochmals ab. Weder die
Bedeutung der Cohenfchen Schrift noch die Argumente
des Verfaffers vermögen das eigentlich zu rechtfertigen.
Auch der Abfchnitt Nr. 1 bietet dem Cohen-Kenner eine
j Enttäufchung. Cohen wird hier (als Rationalift) der
größte Sohn der jüdifchen Aufklärungsepoche im Weiten
genannt und als führender Geift gepriefen, als Vertreter
des Afflmilationsgedankens abgelehnt. Der Verfaffer, ein
ehrlich überzeugter jüdifcher Nationalift, hat als folcher
ein einfeitiges Intereffe für die ethifchen und religions-
philofophifchen Probleme bei Cohen. Man kann aber
diefen Denker nicht richtig werten, wenn man nicht in
den Kern feiner Erkenntniskritik eingedrungen ift, die
zwar von den alten rationaliftifchen Thefen ausgeht, aber
zu einem methodifchen Idealismus hinaufführt, der als
Syftem der Philofophie auch die berechtigten Seiten der
Myftik und Gefühlsphilofophie anerkennt. So erfcheint
denn auch der zweite Teil in der vorliegenden Form
nicht genügend ausgereift, wenngleich anzuerkennen ift,
daß die Hauptgedanken Cohens gut und knapp darge-
ftellt find. Im ganzen alfo das Buch eines tüchtigen
Schülers, der aber der Genialität des Meifters nicht voll
gerecht geworden ift.

Charlottenburg. Artur Buchenau.

Henkler, Paul: Ein Sucher im Kampfe um eine Weltan-
Ichauung. (V, 217 S.) 8°. Ofterwieck, A. W. Zickfeld
1919. M. 4 — ; geb. M. 5.20

An diefem Buche habe ich meine Freude gehabt.
Halb Roman, halb Weltanfchauungsbuch, fchildert es
den Werdegang eines Lehrers auf Seminar, Univerfität
und erfter ländlicher Schulftelle, der raftlos ftrebend zu-
nächftbei der Wiffenfchaft Antwort auf die letzten Prägen
fucht, darauf enttäufcht, an allem zweifelnd fich an das
Leben felber wendet, deffen Brutalität ihn vollends in
Verzweiflung ftürzt. Da rettet ihn das Erleben ,des Unmittelbaren
', das in der Mufik ihm längft nahe war, nun
in aufopfernder Liebe fich offenbart und fpäter bei feiner