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Ausgabe: | 1920 |
Spalte: | 135 |
Autor/Hrsg.: | Brummer, Emil |
Titel/Untertitel: | Denken und Erleben 1920 |
Rezensent: | Thimme, Wilhelm |
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135
Theologifche Literaturzeitung 1920 Nr. u/12.
liehen Bevveife darf dann aber nicht gefprochen werden.
Mit diefer Einfchränkung kann das Büchlein fehr wohl
Gutes ftiften.
Binsdorf (Württbg.). Wilhelm Koch.
Brummer, Pfr. Lic. Emil: Denken und Erleben. —
Barth, Dr. Heinrich: Gotteserkenntnis. (Beides in: Vorträge an der
Aarauer Studentenkonferenz 1919) (79 S.) 8°. Basel, Kober 1919.
M. 3.50
Der erfte Vortrag ficht gegen die Alleinherrfchaft des wiffenfehaft-
lichen Denkens, des Verftandes, der in begrifflichen Abftraktionen und
quantitativen Beziehungen das Ideal erblickt, fich trefflich zur Beherr-
fchung der Natur eignet, aber weder Wärme noch Tiefe kennt. Kants
Philosophie zeigt einen neuen Weg, auf dem der große Philosoph freilich
nur die erften Schritte tat. Auf den Grund der Dinge dringt intuitives
Erkennen, ihm allein erschließt fich das Qualitative, Organifche, Gei-
ftige. Nicht um den Subjektivismus romantifchen Erlebens handelt (ichs
hier, fondern um Eindringen in eine Welt objektiver Werte, und hier
ift nicht Erkennen und Leben zweierlei, fondern eins, wie am fchönften
die Perfon Jefu offenbart. Der zweite Vortrag, deffen Verf. fich als
Anhänger der Marburger Philofophenfchule verrät, lehnt nicht nur den
roaterialiftifchen Naturalismus, fondern auch die herkömmliche Meta-
phyfik ab, die über der finnlich gegebenen, eine fupranaturale wahre
Welt auffucht. Göttlichkeit — Verf. täte wohl am beften, das Wort
,Gott' zu vermeiden — erkennt er lediglich in dem ,Urfprung' und
zwar vor allem des felbftherrlichen (apriorifchen) Denkens und der autonomen
Moral. Darum ift der Religion keine abgefonderte Sphäre zuzu-
weifen, fondern fie ift Urquell aller geiftigen Betätigung.
Beide Vorträge find ein wenig wortreich, der zweite recht fchwer-
flüffig. Bei dem erften vermiffe ich hauptfächlich die Erörterung der
Frage, ob auf dem Gebiete intuitiven Erkennens objektive, allgemeingültige
Normen und Maßftäbe aufgewiefen werden können, das Ergebnis
des zweiten fcheint mir, wenn ich es nicht mißverftehe, religiös
(und philofophifch) nicht zu genügen.
Iburg. W. Thimme.
Wendebourg, Karl-. Auslegung des Dafeins. Auffätze. (VIII, 105 S)
8°. Selbftverlag. (Göttingen, Vandenhoek & Ruprecht 1919.)
M. 3 —
Die Weltanfchauung die fich hier, wohl noch nicht ganz ausgereift,
ausfpricht, ift kein gewöhnlicher Pantheismus, der aus dem. Einen das
All mit naiver Selbftverftändlichkeit fich entwickeln läßt. Wohl muß
man den Verf. zu den Pantheiften zählen, da er die Welt als Emanation
Gottes und im Grunde mit Gott eins faßt —. es ift, als ob er den
biblifchen Schöpfungsbegriff überhaupt nicht kennte — aber er fieht,
daß es vom Einen zum Vielen, von Gott zur Welt keinen begreiflichen
Übergang gibt. Es ift verdienftlich, wie er klar aufdeckt, daß der pan-
theiftifche Gottesbegriff mit feinem Nebeneinander von Infichbleiben
und Ausfichheraustreten, von Selbftbehauptung und Selbfthingabe
fchlechthin paradox ift, daß auch hier im Anfang das allem Menfchen-
witz fpottende Urrätfel fleht. Das gesamte Dafein Hellt fich dem Verf.
dar unter dem Bilde kreifenden Gefchehens: Gott fteigt fich entäußernd
zur Welt hinab und die Welt, gleichfalls fich entäußernd, zu Gott empor.
Bei dem letzteren weilt der Verf. Ethifche Betrachtung bildet den
Hauptinhalt des Buches. Sittlichkeit ift Entäußerung, Selbftvergeffen,
beglückende Hingabe. Wille, nicht Gedanke beftimmt die Lebensrichtung
. Der Wille foll in fich einheitlich, nach feften Grundfätzen, charaktervoll
, mehr und mehr fich der eiteln Selbftbefpiegelung entwindend
— ,der gute Menfch freut fich feiner Güte nur, infofern ihm noch Böfes
anhaftet' — alfo je höher je unbewußter, dem .Einzigen' zuftreben, daß
fich der ewige Kreislauf vollende. In dielen durchweg nur zu allgemein
gehaltenen Ausführungen fällt manche feine, nachdenkliche Bemerkung
. Das Buch ift im Felde entftanden und legt Zeugnis ab von
fchlichter, ehrlicher, selbftändiger und tiefgründiger deutfeher Art.
Iburg. W. Thimme.
Feiten, Jof.: Das naive Weltbild. Eine Urfrage der Gefchichte der
Kunft, des Kultes, der Kultur. (22 S.) 8°. Paderborn, Junfermann
I9IQ- M. 1 —
Verf. fucht einleuchtend zu machen, daß das ,naive Weltbild' —
Himmel droben, Erde drunten, der Menfch der niederziehenden Schwerkraft
zum Trotz aufgerichtet — bedeutfam hineinwirkt in Weltanschauung
und Kunft, und darin befteht für ihn alles Heil, daß der Einfluß
desfelben trotz der Kopernikanifchen Revolution ungebrochen bleibt,
bzw. wieder zur Geltung kommt. Er behauptet freilich nicht gradezu,
daß die grundlegenden religiöfen Vorftellungen diefem .Weltbild' entflammen
, fo wenig er die Kunft lediglich als feinen Niederfchlag betrachtet
, aber es gibt doch beiden einen eigentümlichen Halt, Kraft und
Leben. Die aphoriftifchen Ausführungen, die mir in der Tat eine der
Wurzeln des Dualismus der religiöfen Weltanfchauung aufzudecken
Rheinen, find teils anziehend und feffelnd — ,Der Barock ift die Reue
der Gotik über ihren Sündenfall in Renaiffance' S. 2t — teils willkürlich
feltfam, Verf. ift mehr auf dem Gebiete des Äfthetifchen als in
Weltanfchauungsfragen zu Haufe.
Iburg. W. Thimme.
Schrempf, Chriftoph: Aus der Zeit — für die Zeit. Sieben
Reden. (IV, 106 S.) 8°. Stuttgart, F. Frommann
1919. M. 3.20
,Tolle, lege!' Es wird niemand reuen, außer die
Fertigen, die .fertig' find. Vor vier Jahren hatte Schrempf
feine durch zwanzig Jahre geübte Vortragsarbeit unterbrochen
, fich mit Bewußtfein des Schweigens befliffen,
nach dem Grundfatz ,wer zweifeln will, der foll nicht
lehren'. Jetzt ift er aus dem Zweifelnden nicht ein Wif-
fender geworden, aber ein Glaubender. Eine gewiffe
Auffaffung des Lebens bewährt fich ihm: das Leben eine
Schule. Als Schule verdient das Leben uneingefchränk-
tes Lob und hat, fcheint es, nur einen Fehler: das Herausgenommenwerden
aus ihr im Tode. Aber daran eben
glaubt Schrempf nicht. Jeder wird fo oft in diefe Schule
gefchickt, bis er das Penfum des Lernens vollftändig
durchgearbeitet hat. In diefer Schule ift nicht das Verhältnis
zur Natur und Gefellfchaft, fondern zu fich felbft
die Hauptfache: die ftarke, in fich felbft gefchloffene
Perfönlichkeit. Gerade in diefer Selbftverftändigung und
in ihr allein wird der Einzelne für die Gemeinfchaft etwas
wert; nur für den Freien kann Dienen Lebensinhalt
fein. Die mehr grundfätzlichen Abfchnitte ,Freiheit'
.Autorität' .Revolution' folgen auf die mehr unmittelbar
an die Zeitereigniffe fich anfchließenden ,Was ich im
Krieg gelernt' ,Was uns in der Gegenwart vor allem
not tut' ,Wie wir für die Zukunft arbeiten können';
aber alles ift ,aus der Zeit — für die Zeit' und überzeitlich
.
Eine genauere Inhaltsüberficht ift unmöglich — weil
der Ausdruck fo ganz dazu gehört, wenn der Inhalt den
Eindruck machen foll, den er verdient. Mit einer Kritik fei
das fokratifche Lächeln des Verf. nicht herausgefordert,
auch nicht mit der allgemeinen, für ihn zu allgemeinen Bemerkung
, daß der irrationaliftifche und voluntariftifche Zug
neuefter Philofophie auch diefen ganz Selbftändigen mit
fich verbindet. .Riskieren muß ich fo wie fo. Ich riskiere,
was ich riskieren will. Mit diefer Tat der Freiheit fchneide
ich die Erwägung ab, die ich ins Endlofe fortfetzen müßte,
wenn ich überhaupt kein Rifiko laufen wollte; und damit
bin ich frei. Allerdings muß ich, bei diefem refoluten
Vorgehen, meine Freiheit mit dem Ruf der Wiffenfchaft-
lichkeit bezahlen. Aber diefer Preis ift mir nicht zu
hoch.' Nur eine Frage: wie reimt fich das Bekenntnis
zur verantwortlichen Freiheit mit dem alten nachdrücklich
feftgehaltenen .agimur, non agimus'f Und noch der
befondere Hinweis auf die jetzige Stellung Schrempfs zu
Jefus (S. 86/89).
Tübingen. Th. Haering.
Werner, Otto: Der Hang zum Böten oder das Doppelgeretz im Weltgang
. Drei Auffätze m. e. Anh.: Der Weltkrieg u. das Doppelge-
fetz. (VI, 119 S.) 8». Gotha, F. A. Perthes A.-G. 1919. M. 4 —
W. fucht den chriftlichen Glauben mit einer auf ernften natur-
wiffenfchaftlichen Studien beruhenden naturphilofophifchen Spekulation
zu verbinden. Alles Leben (lammt nicht aus totem Stoff fondern aus
der Ewigkeit. Der tote Stoff ift ein fekundäres, vom Leben ausge-
fchiedenes Produkt. In Analogie zu diefem naturphilofophifchen Vorgang
fleht die geiftige Weltentwicklung, nach welcher die auf das Gute
hinzielende Entwicklungstendenz das Böfe, das fich der Aufwärtsbewegung
widerfetzt, ausfeheidet. — Der angehängte Auffatz über den Weltkrieg
und das Doppelgefetz fleht nur in lofer Verbindung mit dem
Ganzen. Er fucht in nicht fehr tiefgehender Weife zu zeigen, daß nur
ein Volk Träger der Weltgefchichte, das .Edelvolk' fei; obwohl er
gegen Schwäche in unferm Volk nicht blind ift, fucht er doch zu be-
weifen, dies eine Volk fei das deutfehe.
Bafel. Johannes Wendland.
Vietinghoff, Jeanne von: Die Wahrheit des Guten. (160 S.) kl. 8°.
Zürich, Rafcber & Cie 1919. Fr. 3—; geb. Fr. 4.50
Eine echte Frauennatur bietet in zwanglofen Betrachtungen erlebte
Weisheit. Sic weiß, daß das urfprüngliche Einsfein des Menfchen
mit der Natur im Kinderglück des Dafeins notwendig durch Schuld
und Leid verloren gehen muß, aber fie weiß auch aus eigener Erfahrung
, daß die urfprüngliche Harmonie durch alle Enttäufchungen hindurch
in der Hingabe der Liebe wiedergewonnen werden kann. S. 15
vertritt fie den Gedanken, daß unfre Seele in einer Reihe vergangener
Lebensläufe gewachfen ift, S. 33, daß vielleicht auch zukünftige Le-