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Ausgabe:

1920

Spalte:

104-105

Autor/Hrsg.:

Schnürer, Gustav

Titel/Untertitel:

Eine Freiburger Handschrift der Papstchronik des Bernard Gui 1920

Rezensent:

Wenck, Karl

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Theologifche Literaturzeitung 1920 Nr. 9/10.

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Erörterungen, die auch mehrere gute Konjekturen enthalten
, feien Intereffenten nachdrücklich hingewiefen. In
derfelben Linie bewegt fich nach Anführungen auch
Waltzing, 'Etüde für le cod. Fuld. de 1' Apol. de 17
(Lüttich und Paris 1914, mir infolge des Krieges nicht
zugänglich). Raufchen hat in dem oben bezeichneten
Appendix zu feiner verbreiteten Sonderausgabe des Apo-
logeticum die Lefungen des Fuld. noch viel weitergehend
rezipiert, als dies fchon in der zweiten Auflage feiner
Ausgabe gegenüber ..der erften gefchehen war. Das
Heftchen enthält im Übrigen nicht wenige z. T. wichtige
andere Ergänzungen und Berichtigungen zu dem text-
kritifchen Apparat der Ausgabe. Während fo der Fuld.
im vollen Siegeszug begriffen erfchien, hat fich L. felbft
inzvvifchen genötigt gefehen, feine Stellung in einer nochmaligen
Unterfuchung, die unter dem oben angegebenen
Titel zur Befprechung vorliegt, zu verteidigen und teilweife
zu revidieren. Anlaß dazu gab ihm der Widerfpruch,
den einzelne feiner Ausführungen in einer im Ganzen
zuftimmenden Arbeit feines fchwedifchen Landsmanns
Göfta Thörnell, 'Kritifka Studier tili Tertullianus Apo-
logeticum, Upfala 1917, (mir nicht zugänglich) gefunden
haben, mehr aber die umfaffendere Kritik, die W oh leb
in der oben angeführten Reihe von Artikeln der Berliner
Philol. Wochenfchrift an der fich durchfetzenden Schätzung
des Fuld. geübt hat. W. ftützt feine neue Empfehlung
der Vulgata vor allem (Nr. 19/20) durch den Hinweis auf
Pfeudo-Cyprian ,Quod idola dii non fint' (Härtel, Cypr.
op. I, 17-31); der Autor dieses Schriftchen, der zwar
ficher nicht Cyprian, aber älter als das 4. Jahrhundert
ift, fchreibt Tertullian mehrfach aus und beftätigt dabei
zum Teil die Vulgata. W. macht weiter geltend (Nr.
26/27. 49), daß Tertullian an vielen Stellen unftreitig die
Faffung feiner älteren Apologie in den libri ad nationes
im Apol. abändere; daher dürfe aus einer Abweichung
der Vulgata von dem Paralleltext der LI. ad nat. nicht
gegen diefe argumentiert werden.

Von diefen Beweifen ift der letztere nicht so triftig, wie es auf
den erften Blick erfcheinen möchte. Aufgegeben ift dem Kritiker, bei
zwiefpältiger Überlieferung die Übereinftimmung der einen Rezenfion
mit der älteren Schrift zu erklären. Wenn fie nicht original ift, dann
muß fie auf abfichtlicher Korrektur nach diefen beruhen; denn zufällig
kann fie (von fehr wenigen Stellen abgefehen) nicht fein. Nun ift die
(feinerzeit von Härtel vertretene) Annahme, daß ein Redaktor das Apol.
nach ad nat. korrigiert haben follte, von vornherein höchft unwahrfchein-
lich und fcheitert an den zahlreichen Stellen, wo die übereinftimmende
Lesart aus anderen Gründen vorzuziehen ift. Alfo ift im Streitfall nicht
die Abweichung von, fondern die Übereinftimmung mit ad nat. für
primär zu halten. Daß weiter die ältere indirekte Überlieferung — die
griechifche Überfetzung des Apol. in Eufebius Kirchengefchichte, die
zum Teil aus dem lateinifchen Original genommene Übertragung derfelben
durch Rufinus, die Altercatio Heracliani und Ifidor von Sevilla — den
Text des Fuld. ftützt, ift bekannt und ift wiederholt zu deffen Gunften
verwertet. Auch der Autor von Quod idola etc. beftätigt zwar an drei
Stellen die Vulgata, an drei anderen aber ebenfalls den Fuld.! Die
erfteren reichen nicht hin, um der gefamten Vulgatarezenfion ein höheres
Alter zu ficheru, fondern beweifen nur, was ohnehin feftfteht, daß fie
auch gute Traditionselemente bewahrt, wie der Fuld. andererfeits Korruptelen
erfahren hat. Von der Qual der Wahl befreit den Editor
auch die Beachtung der Klaufeitechnik nicht, auf welche L. mit Recht
befonderen Wert legt, denn die beffere Klaufel, die zuweilen auch in
der Vulg. geboten wird, braucht nicht original zu fein. Eine entfehei-
dende Bedeutung kann daher der Klaufel nicht zukommen, wenn ihre
Gefetze auch zweifellos von T. befolgt werden uud ebenfo zweifellos
die befferen Klaufein meift im Fuld. überliefert find.

Es bleibt alfo dabei, daß von Fall zu Fall bei jeder Variante das
Urfprüngliche durch Erörterung aller Momente gefucht werden muß,
wobei im Allgemeinen der Fuld. das Präjudiz der Echtheit hat. L.
hat in feinen beiden Schriften eine sehr große Zahl von Varianten be-
fprochen, fodaß fie fich faft zu einem textkritifchen Kommentar ergänzen
. Gern hätte ich u. a. fein Urteil über die ftark abweichende Überlieferung
in 48, 2 vernommen. Das Fragmentum Fuldenfe in c. 19,
das Wohleb einem Imitator zugewiefen hatte, reklamiert L. (S. 105—110,
ein Verweis darauf fehlt im Regifter) in Übereinftimmung mit den
meiden Kritikern für T., von deffen Konzept fich in ihm ein Stück erhalten
haben dürfte, weil es einige bei der Reinfchrift nicht verwertete
Daten darbot.

Die nach diefer Lage der Dinge in vielen Fällen
unvermeidliche Unficherheit der Entfcheidung könnte
nur dadurch weiter eingefchränkt werden, daß die Überlieferungsgrundlage
durch neue Hff. von felbftändiger
Bedeutung verbreitert würde. Einige Mitteilungen über
folche, die L. außer den retractationes zu feiner erften
Unteriuchung in der neuen Schrift bringt, find daher
höchft dankenswert. Ein vonSouter aufgefundenes und
im Journal of Theol. Studies 1907, 297—300, bekanntgegebenes
, aber unbeachtet gebliebenes Exzerpt aus dem
Apol. in einer Hs. von Rheinau faec. X (jetzt in Zürich)
umfaßt leider nur ein kleines Bruchftück der Schrift
(c. 38—40), vertritt aber die Rezenfion des Fuld. in einer
von der verlorenen Hs. unabhängigen Faffung; fie bietet
einige ganz neue, z. T. fehr erwägenswerte Lefungen
(L. S. 13 f. 75 ff.) und ermutigt fo, nach weiteren Zeugen
diefes Textes zu fuchen und in deren Ermangelung eine
auf gewiffenhafte Beobachtung des Tertullianifchen Sprachgebrauches
geftützte Konjektur nicht zu fcheuen. Ein
anderer bisher nicht benutzter Codex in Petersburg (früher
Sangermanenfis) ift durch fein hohes Alter — f. IX —
auf jeden Fall beachtenswert, fcheint aber fchon durchgängig
die Vulgata zu überliefern (L. S. 14 f.). — Nach
lolchen Vorarbeiten wird man der neuen Ausgabe des
Apol. im Wiener Corpus mit hohen Erwartungen entge-
genfehen dürfen.

Breslau. H. v. Soden.

Woldendorp, Pred. Johannes Jacob: De Incarnatione. Een Ge-

fchrift van Athanaftus. (Diff. Groningen.) (72 S.) gr. 8°. Groningen
, J. B. Wolters 1919.

In einer von v. Wilamowitz- Moellendorff und von Norden
begutachteten Differtation hatte Tr. Kehrhahn 1913 nachzuweifen
gefucht, daß in der Jugendfchrift des Athanaßus (Ar. gentes und
de incarn.) Eufebs Theophanie benutzt fei, und darauf hin die
Echtheit von neuem in Zweifel gezogen. Woldendorp tritt fowohl
den alten Draefekefchen Argumenten wie diefem neuen entgegen.
Benutzung der Theophanie vermag er nicht zu entdecken. Auch
dem Referenten ift das nicht gelungen. Gegen Draefeke hielt
Kehrhahn an dem ägyptifchen Urfprung der Schrift feit. So
auch Woldendorp, der nun feinerfeits die für Athanaftus fprechen-
den Momente durch einen genauen Vergleich der Theologie von
de inc. mit der der fpäteren Schriften ergänzt. Den mittleren
Teil der Arbeit bildet eine eingehende Analyfe der Schrift. Das
Druckfehlerverzeichnis ift trotz feiner Länge nicht vollftändig.
Gießen. G. Krüger.

Brentano, Lujo: Die byzantinirche Volkswirtfchaft. Ein Kapitel
aus Vorlefgn. über Wirtfchaftsgefchichte. (Sonderabdr. aus
Schmollers Jahrb., 41. Jahrg. 2. Heft.) (50 S.) gr. 8°. München
, Duncker & Humblot 1917. M. 1.20
Von Italien, dem Stammland der RenaifTance, ift der Kapitalismus
im Abendlande wiederbelebt. Und Byzanz hat die Vermittlung
zwifchen Italien und dem Altertum geftellt. So ift die
byzantinifche Volkswirtfchaft von größter Bedeutung. Sie ift
durchweg kapitaliftifch, der Reichtum der Länder am Oftbecken
des Mittelmeers, der Hauptländer des byz. Reichs beruhte von
der Römer Zeiten her auf Gewerbe und Handel. So auch fpä-
ter. Ihr Aufblühen im 6. Jahrhundert erneuert durch die Einführung
der Seidenzucht. Reiche Städte mit koftbarer Induftrie
und weitreichendem Handel. Alle überragend Konftantinopel,
der Traum der ganzen Welt. Der Kapitalismus herrfchte auch
im Bankwefen, der Reederei und im Kriegsheer des Reichs.
Ausgedehnte Monopole halfen den Reichtum an einzelnen Stellen
aufhäufen. Dagegen waren die landwirtfehaftlichen Verhältniffe
Urfache des Verfalls im Reich. Auch hier wie im Altertum
ungeheures Anwachfen des Großgrundbefitzes, das die Schutz-
gefetzgebung des Reiches nicht hindern konnte, die Stellung
der ,Mächtigen' war zuweilen fo groß, daß fie fleh eigene Heere
halten konnten. Im Unterfchied vom Abendland band diefe
Grundherren aber kein Band der Treue an den König. Während
alfo durch die Ordnung des ländlichen Grundbefttzes das byzantinifche
Reich gefährdet wurde, trugen es die riefigen Geldeinnahmen
aus Wirtfchaften, die auf kapitaliftifcher Grundlage
aufgebaut waren.
Hannover. Ph. Meyer.

Schniirer, Guftav: Eine Freiburger Handfchrift der PapTtchronik
des Bernard Gui. (S.-A. aus Freiburger Gefchichtsblätter, 24. Jahrg.
1917.) Freiburg (Schweiz), Druckerei Gebr. Fragnicre 1918. (23 S.)
gr. 8U.

MS. 27 in 40 im Franziskancrklofter zu Freiburg (Schweiz) enthält
die 2. Ausgabe der noch nie vollftändig gedruckten Papftcluonik
des bekannten Dominikaners von 1320. In fehr reizvoller Weile Hellt
Vf. die Entftehung der Hs. feft, nach Vorlage, nach Zeit und Ort