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Ausgabe:

1920

Spalte:

101-102

Autor/Hrsg.:

Leisegang, Hans

Titel/Untertitel:

Der heilige Geist. Das Wesen und Werden der mystisch-intuitiven Erkenntnis in der Philosophie und Religion der Griechen 1920

Rezensent:

Goedeckemeyer, Albert

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Theologifche Literaturzeitung 1920 Nr. 9/10.

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fo gut unterrichten kann; fo erhält der Abfchnitt über die
Sprache des N. T. 19 Seiten, der darauf folgende über die
Textkritik 45, die Kanonsgefchichte 23, die Zeitgefchichte
59 Seiten, während der gefamten Speziellen Einleitung'
mit Einfchluß der apoftolifchen Väter, der apokryphen
Evangelien und der älteften Apologeten nur 75 Seiten
zugebilligt find — alfo kein Kriegserfatz für Jülicher und
Feine, meine Herren I Man wird von einem folchen Buch
ein allgemeines Bild des Standes der Forfchung verlangen,
nicht neue Erkenntniffe oder fpezielle Bemerkungen (diefe
fehlen übrigens nicht ganz, vgl. den hübfchen Hinweis zu
xixxmv S. 227 auf Act. Thom. 3). Die berechtigten Anforderungen
werden faft durchweg erfüllt; befonders zu rühmen
ift die leicht verftändliche Darftellung, die deutliche
Herausarbeitung der Probleme, (was für diefen Zweck
viel wichtiger ift als deren Entfcheidung) und die päda-
gogifch befonnene Heranführung an Quellen und Literatur
. Im einzelnen wird natürlich jeder von uns an
verfchiedenen Stellen Ausrufungs- oder Fragezeichen
fetzen.

So danke ich es dem Verf. z. B., daß er die Gleichung .Sünder'
Um Evangelium) =■ Am-ha-arez ohne weiteres ausfpricht, und daß er
auf der einen Seite, die den Efienern gewidmet ift, die Jofephus-Ab-
fchnitte von vornherein als .unglückliche Ausführungen' brandmarkt.
Andererfeits: in dem Abfchnitt über den Hellenismus — fälchiich ,das
Griechentum' betitelt — find Synkretismus und griechifche Ehilofophie
in zwei auseinanderliegenden §§ behandelt; dabei kommt die Phänomenologie
der Offenbarungsreligion und die Bedeutung der nicht-kultifchen
Myftik zu kurz; im Zeitalter der Pofeidonios-Differtationen dürfte man
übrigens den Syrer nicht mehr als ,von der zünftigen Philologie fo arg
vernachläffigt' (S. 222) bezeichnen. Und wo bleiben die Hermetica,
von denen der Student fortwährend hört, über die er aber faft in keinem
feiner Handbücher eine brauchbare Orientierung findet? Sie konnten,
auch wenn K. fie fpät anfetzt, als Zeugen des Synkretismus genannt
werden. Am meiften vermine ich eine Einführung in v. Sodens Methode
Im Rahmen des fonft fo anfchaulichen Kapitels über Textkritik. Ein
Buch, das der Blaßfchen Hypothefe dreiviertel Seiten widmet, darf
v. Sodens Leiftung — gleichviel wie man feine Refultate bewertet — nicht
mit ein paar Worten abtun, die nur über Äußerlichkeiten orientieren.

Am allermeiften habe ich mich bei der Lektüre des
Buches an der Tatfache gefreut, daß uns nun wirklich
eine Einführung in das Ganze des Urchriftentums ge-
fchenkt ift, in der weder die religionsgefchichtlichen Beziehungen
noch die außerkanonifchen Schriften vernachläffigt
find. Man kann den Studenten nicht genug dartun,
in Vorlefungsplänen, Seminaren, Handbüchern und
Examensfragen, daß fie ihr Studium des Urchriftentums
nicht auf das Neue Teftament zu befchränken haben.
Warum aber dann diefe irreführende Benennung des
Buches, die auch zwei Untertitel (Bibelkunde des N. T-
Gefch. u. Rel. des Urchriftentums) nicht richtigftellen?
Vielleicht fprachen Bedenken des Verlegers dafür; freilich
dürften gerade kaufmännifche Gründe es nicht empfehlen,
den befonderen Vorzug eines Buches auf dem Titelblatt
zu verleugnen.

Heidelberg. Martin Dibehus.

Diefe Anzeige war längft gefchrieben, als die Kunde vom Tode
Rudolf Knopii eintraf. Gerade die vorliegende Schrift zeigt, daß wir
in ihm nicht nur den Gelehrten, fondern auch einen wahrhaft begnadeten
Lehrer beklagen.

Ihm danken außer feinen Freunden und Schülern nun auch die
Vielen, denen er mit diefem Buch noch nach feinem Tode Führer und
Wegweifer wird.

Lei leg an g, Hans: Der heilige Geilt. Das Wefen und
Werden der myftifch-intuitiven Erkenntnis in der
Philofophie u. Religion der Griechen. I, 1: Die vor-
gefchichtl. Anfchauungen u. Lehren vom xvevfja u. der
myftifch-intuitiven Erkenntnis. (VI, 267 S.) gr. 8".
Leipzig, B. G. Teubner 1919. M. 12—; geb. M. 15 —
Das Buch gehört m. E. zu den beachtenswerteften
Erfcheinungen der letzten Zeit. Es ift nicht nur mit
gründlichfter Beherrfchung des ganzen Stoffes in einer
bei wiffenfehaftlichen Werken nicht oft anzutreffenden
feffelnden Form gefchrieben, fondern hat auch hohe Bedeutung
für Theologen und für Philofophen. Für die

wieder einmal aufflackernde Neigung zur Intuition ift es
eine ungemein wertvolle Lehre und — Kurl Es kann
nur jedem, der an diefer Krankheit leidet, dringend geraten
werden, fich recht gründlich in diefe Arbeit zu vertiefen
. Sie wird ihm allen wünfehenswerten Auffchluß
über das Wefen und die letzten Quellen des Intuitionismus
, ja felbft über feine Symptome geben, und ihn
jedenfalls an die Schwelle der Einficht führen, daß fein
Tun mit Wiffenfchaft nichts mehr gemein hat. ,Daß . .
die Geifter der Myftik, die getragen von der neuroman-
tifchen Kulturbewegung der Gegenwart allerorten ihr
Wefen treiben, angehalten und einmal vonfeiten der Wiffenfchaft
nach Paß und Ausweis ihrer Herkunft gefragt
i werden müßten, drängte fich dem Verfaffer ... als eine
j Notwendigkeit auf (Vorw.). Es ift erfreulich, daß er fich
durch keine Schwierigkeit hat hindern laffen.

Sein Werk ift auf zwei Bände berechnet. Der vorliegende
erfte enthält die umfaffende Einführung in das
Problem. Von Philo aus, der gewiffermaßen den Sammelplatz
aller Refte der früheren Zeit darftellt, gibt er die
vorchriftlichen Anfchauungen und Lehren einerfeits vom
Mvsvfia und andererfeits von der myftifch-intuitiven Erkenntnis
und verfolgt fie bis zu ihren Quellen. Er findet
fie, um das noch anzudeuten, nicht bei den Juden, fondern
im Geiftesleben der Griechen, vor allem in der
platonifch-ftoifchen Philofophie, wobei unter den Stoikern
Pofeidonios an erfter Stelle fleht, und zuletzt in den reli-
giöfen Gefühlen und Spekulationen, wie fie im Dionysoskult
und der Orphik fich bemerklich machen. Aber auf
weitere Einzelheiten, wie z. B. das, was er über Ekftafe,
deren Träger, Arten, Wefen, Vorgang ufw. fagt, möchte
ich nicht weiter eingehen. Ich wiederhole, es lohnt fich,
diefes Buch zu lefen. Von geringer Mühe hat man großen
Gewinn.

Königsberg i. Pr. Goedeckemeyer.

Löfltedt, Einar: Kritifche Bemerkungen zu Tertullians Apo-
logeticum. (Aus ,Feftskrift utgiven av Lunds Uni-
verfitet vid dess Tvähundrafemtioäxsjubileum 1918'.)
(119S.) gr. 8°. Lund 1918. Leipzig, O. Harraffowitz.

Kr. 3.75

Wohieb, Leo: Tertullians Apologeticum. Berliner Philo-

log, Wochenfchrift 1916, Nr. 17, 19, 20, 26/27, 49—52.

Leipzig, Reisland 1916.
Raulchen, Gerardus: Florilegium Patrifticum XII; Emen-

dationes et adnotationes ad Tertulliani Apologeticum.

Bonn, Hanftein 1919. M. 1.20

Das durch die verlorene Hs. von Tertullians Apologeticum
, den Codex Fuldenfis, geftellte textkritifche
Problem will nicht zur Ruhe kommen. Durch eine
forgfältige und eingehende Unterfuchung von Löffle dt,
,Tertullians Apologeticum textkritifch unterfucht' (Lund
und Leipzig 1915), die Jülicher in diefer Zeitung zuftim-
mend befprochen hat (1916, 488—490, vgl. auch Heinze
in der Deutfchen Lit. Zeit. 1917, 611—613), fchien es
endgiltig dahin gelöft zu fein, daß der Fuld. durchgängig
der recenfio zugrunde zu legen ift, wo nicht die Hs.
durch offenbare Fehler entftellt ift; daß fie freilich auch
nicht völlig von rezenfierenden Eingriffen der Überlieferung
bewahrt blieb, hatte L. felbft nicht verkannt, und
die Befprechungen feiner Arbeit hoben es noch ftärker
hervor. Jedenfalls aber war Schrörs' an fich und gar
in der von ihm gegebenen Begründung wenig einleuchtende
, meines Wiffens nirgends angenommene Thefe von
der Vorzüglichkeit der Vulgata als einer von Tertullian
felbft herrührenden Verbefferung der im Fuldenfis vorliegenden
erften Faffung (vgl. mein Referat über Schrörs
Schrift und Raufchens Gegenfchrift in diefer Zeitung 1912,
491—494) damit abgetan. Effer ift denn auch in feiner
Neubearbeitung der Kellnerfchen Tertullianüberfetzung
in der zweiten Auflage der Kemptener Bibliothek der
Kirchenväter dem Fuld. durchweg gefolgt; auf die von
ihm in zahlreichen Anmerkungen gebotenen textkritifchen