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Ausgabe:

1920

Spalte:

89

Autor/Hrsg.:

Walter, Johannes von

Titel/Untertitel:

Unser evangelischer Glauben im Geisteskampfe der Gegenwart 1920

Rezensent:

Thimme, Wilhelm

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89

Theologifche Literaturzeitung 1920 Nr. 7/8.

90

Walter, Prof. D. Johannes v.: Unfer evangelifcher Glauben im 1 am wenigften im Sinne des Reformators handeln würde

Geifteskampfe der Gegenwart (Zeit- u. Streitfragen des Glaubens Luther hat nicht i> ^ntfernteften daran tredacht für alle

ufw. XIII. Reihe, i. Heft. 116 S.) 8°. Berlin-Lichterf., E. Runge F•</•„_._ • D , UCr" jadran geuaciH, iuraue

IQ19_ t. . > j jj__5Q Linzeliragen eine endgültige Lofung zu geben. Jede Zeit

Im Geifteskampf der Gegenwart handelt (Ichs nach dem Verf.
nicht um Idealismus und Materialismus, fondern um Kapitalismus und
Sozialismus. W. fchildcrt den Gegenlatz diefer Richtungen, deren
erftere, rertreten von A. Smith, gipfelnd in Darwin und Nietzfche, nur
hei angeborener Güte der menfehlichen Natur zu befriedigenden Zu-
n führen könnte, während die letztere dem Weltelend aus dem
Grunde nicht zu Heuern vermag, weil es wohl möglich ift, den Befitz,
nicht aber auch die Arbeit zu kommunifieren (intereffanter Vergleich
mit dem Kommunismus der Klöfter, wo dank mönchifchen Gehorfams
auch diefes gelang). Im Streit der Weltanfchauungen entfeheidet im
letzten Grunde jedoch nicht der Erfolg, über den nie definitiv geurteilt
werden kann, fondern Glaube. In diefem Kampf aber kann und foll
— es liegt bei uns — das Evangelium fiegen, das Kapitalismus und
Sozialismus überbietend Verhöhnung predigt. Ein anfprechender Vortrag
mit knappen, fchlagendcn Charakteriftiken, der freilich die Probleme
, wie bei der Kürze nicht anders zu erwarten, nur andeuten kann.
Iburg. W. Thimme.

bringt ja neue Aufgaben für die Kirche. Es kann fich
nur darum handeln, bei ihm die großen Gefichtspunkte
fich zu erholen, die für die Löfung folcher Fragen ent-
fcheidend find. Diefe Bedeutung hat aber Luther, weil er
felbft am meiften mit dem Grundlatz der Reformation,
alles nach der heiligen Schrift zu richten und zu erörtern'
Ernft gemacht hat. Diefe Grundfätze hat Steinbeck bei
feinen Ausführungen in befonnener Weife durchgeführt.
Bei aller Wertfehätzung Luthers erkennt er doch an, daß
deffen Urteil in einzelnen Fragen kein abfeh ließen des fein
konnte, ja noch mehr, er erkennt an, daß fich Luther
wohl zu manchen Erkenntniffen durchrang, die eine neue
Auffaffung bedingten, aber dann doch im Drang der Zeiten
fie nicht praktifch zu verwerten wußte. So wird man denn
den Ausführungen, denen die innere Anteilnahme einen
warmen Unterton verleiht, vielfach beiftimmen können;
um lo mehr, da es fich ja vielfach nur um große Grundlinien
handelt. Wenn man jetzt diefe Erörterungen
lieft, haben fie eine ganz andere Bedeutung gewonnen
als zu der Zeit, da Steinbeck fie niederfchrieb.
Die Entwicklung ift in manchen Punkten rafch vor fich
gegangen. So manches hat nur noch hiftorifch.es Inte-
reffe; die Landeskirche, von der der letzte Abfchnitt eingehend
handelt, ift dahin gefunken; anderes, wie der Begriff
: Volkskirche hat eine ganz andere Bedeutung gewonnen
. Und wieder zeigt fich, daß fo manches, das
man für feft begründet hielt, deffen Befeitigung man in
Kürze für unmöglich hielt, in Bälde ftürzte. Gerade in
folchen Zeiten aber gilts auf allen Seiten mit dem Schlußwort
des Verfaffers Ernft zu machen: Jeder möge am
Andern das anerkennen, was ihm bei gründlicher Prüfung
feiner Stellung und Motive mit gutem Gewiffen anzuerkennen
möglich ift, damit möglichft viel Kraft zur
Erfüllung der doch allen Gliedern und Richtungen
der Kirche gleichmäßig obliegenden Aufgaben praktifcher
und theoretifcher Art vorhanden fei, und möglichft viel
gemeinfame Arbeit dabei geleiftet werde.'

Alfeld. Schornbaum.

Heisler, Pfarrer Herrn: Jefus Chriltus, geftern und heute.

Neun Predigten u. Andachten. Nebft e. Abhandig.
über Anthropofophie u. Chriftentum. Ein Verfuch zur
Verftändigg. (XIX, 236 S.) 8°. Konftanz, Wölfing-
Verlag 1919. M. 5 —

Müller, Paltor Lic. Konrad: Unier Glaube und unlere Not.
Zeitpredigten. (103 S.) 8°. Breslau, W. G. Korn 1919.

M. 4 —

Bafel*™ ' Johannes Wendland. Baumgarten, Prof. D. Otto: Predigten aus der Revolutionszeit
. (131 S.) 8°. Tübingen, J. C. B. Mohr 1919.

M. 3 — i geb. M. 5 —
In verfchiedenem Grad und in verfchiedener Weife
nehmen diefe Prediger auf die Zeit Bezug, in der fie ge-
fprochen haben.

Heisler drängt es, den Chriltus im Sinn der Anthropofophie
R. Steiners in den Nöten der Zeit als Heilmittel

Jeruralem. Wilhelm: Moralilche Richtlinien nach dem Kriege.

Ein Beitrag zur foziolog. Ethik. (VI, 57 S.) gr. 8°.
Wien, W. Braumüller 1918. M. 2.50

Jerusalem will nach ,foziologifcher Methode' d. h. auf
Grund einer empirifch hiltorifchen Betrachtung der in
den menfehlichen Gemeinfchaften auftretenden Entwicklungstendenzen
moralifche Richtlinien für die Aufgaben
nach dem Kriege gewinnen. Als folche leitet er in einer
der Kantifchen Ethik wie dem religiöfen Glauben freundlich
fich gegenüberftellenden Erörterung ab: Die im Krieg
fich fchroff abfchließenden Staaten müffen die Idee der
Humanität und Völkergemeinfchaft anftreben, im Innern
das Selbftbeftimmungsrecht der Völker vertreten und
die Staaten demokratifieren. — Das Buch will zugleich
einen Beitrag zur foziologifchen Begründung der Ethik
geben D. h. es vertritt die Anfchauung, daß die mora-
lifchen Normen Produkte des gefellfchaftlichen Zufammen-
lebens find, und wendet fich gegen die Seite der Kantifchen
Ethik, nach welcher die ethifchen Imperative me-
taphyfifch begründet find und überall gleiche Forderungen
aufftellen. — Mir fcheint daran nur fo viel richtig, ,daß
Religion und Philofophie erft nach der erfahrungsmäßigen
und foziologifch orientierten Unterfuchung das Wort zu
ergreifen haben' (S. 19), alfo die Empirie berückfichtigen
müffen. Die ethifchen Normen entftehen zwar in der
Gefchichte, laffen fich aber aus dem Zufammenleben
nicht begründen. Empirie und apriorifches Gegebenfein
muß verbunden werden. Gerade die Gefinnungsethik,
die J. fchön befchreibt, ift kein Produkt der GefeUfchaft.
Aus einer empirifch foziologifchen Betrachtung laffen
fich, je nach dem Standpunkt des Subjekts, fehr ver-
fchiedene Normen und Entwicklungstendenzen ableiten,

Steinbeck, Konfift.-R. Prof. D. J.: Luther, die Kirche und

wir. (Beiträge z. Förderg. chriftl. Theol. 22. Bd. 3. u.
4. Heft) (100 S.) 8°. Gütersloh, C. Bertelsmann 1918.

M. 3 —

Deutlicher noch als der Titel zeigen die fünf
Themata: ,Die Reformation und der Begriff der Kirche.
Die Autorität der heiligen Schrift und der Bekennt-
niffe — Die Reformation und der äußere Organismus der
Kirche — Die Reformation und die Volkskirche — Die
Reformation und das Verhältnis von Pfarramt und Laien
— Die Reformation und das Verhältnis von Staat und
Kirche', daß es fich hier um überaus wichtige Prägen der
Gegenwart handelt. Steinbeck läßt fich bei der Erörterung
der hier angedeuteten Probleme ganz und gar von
der reformatorifchen Grundlage der ev. Kirche leiten.
Vor allem orientiert er fich an der Geftalt Luthers; bei

»ihm klino-t ja alles originell, lebendig und frifch', alles dem Jefus von Nazaret her die Chriften hinzubringen ver

hat den .Stempel des unmittelbar Empfangenen, des ge

zu verkündigen. Diefer ift die Quelle der ftarken und
au ch harten Liebe, auf der unfere Zukunft beruht, wenn
fie auch nur die Offenbarung eines uralten Weltgefetzes
ift; er ift auch die Hoffnung für den großen Bruderbund
der Menfchheit im Sinn des barmherzigen Samariters;
in feinem Reiche macht die Wahrheit dem erniedrigenden
Zwang ein Ende, immer zu lügen und zu heucheln;
durch die Leiden der Zeit führt er die Menfchheit, als
ihr unfichtbarer geiftiger Führer von Anbeginn an, zu
der Höhe der Geiftigkeit empor. Zu diefem Chriftus von

fucht H. auch im Anfchluß an einfache fynoptifche Texte,

nial Gefchauten, des leidenfehaftlich Empfundenen'. Das j wenn er auch fonft natürlich johanneifche Worte bewill
aber Steinbeck nicht verftanden haben im Sinne | vorzugt.

einer fklavifchen Abhängigkeit'; er weiß, daß er damit I Ganz wundervoll läuten die Zeitpredigten Müllers