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Ausgabe:

1920

Spalte:

79-80

Autor/Hrsg.:

Harnack, Adolf v.

Titel/Untertitel:

Über I. Kor. 14, 32 ff. u. Röm. 16, 25 ff. nach der ältesten Überlieferung und der Marcionitischen Bibel 1920

Rezensent:

Windisch, Hans

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79 Theologifche Literaturzeitung 1920 Nr. 7/8. 80

nende, pragmatifierende und pfychologiiierende Verfahren | haltbar; die Zufügung xal x. £xi<pavda? x. xvq. rju.'l.X.,
des Lk. in ein befonders helles Licht. j die Zahn unbegreiflicherweife in den Text einfetzt

(Komm. S. 587), offenkundige Verfchlimmbefferung; es find
zwei einander ausfchließende, wenn auch gleicherweife im
Urchriftentum bezeugte Antithefen kontaminiert: .bisher
unbekannt — jetzt offenbart' und .durch die Propheten
geweisfagt — jetzt erfüllt'; alfo ift die zweite Interpolation
H's. wohl anzunehmen (man müßte fich denn durch Um-
fetzung helfen wollen: yvconiö&EVXo? de dt« yg. xgo(p.,
cpavegcod-EVxo? re vvv xax ejcix. xrX.). Die d.V Interpolation
liefert allerdings einen unfchönen Pleonasmus;
aber bei Streichung der Worte x. x. xi]q. 1. X. folgt für
mein Gefühl das zweite xaxa zu dicht auf das erfte. Daß
der Ideengehalt des von Interpolationen gereinigten Urtextes
auch marzionitifch ift, wird niemand leugnen.
Aber H. rechnet zu wenig mit der Tatfache, daß nach
dem Zeugnis des Origenes Marcion auch die Doxologie
in feinem Text nicht hatte I Die Annahme marzionitifchen
Urfprungs (Zeit: zwifchen Marcion u. Origenes) ist m. E.
darnach wenig wahrfcheinlich. Sie ift auch unnötig, da
der Gedanke ja ganz ähnlich Eph. ß.pf. vorliegt; ein
Lefer des Eph. oder der Verf. des Eph. felbft könnte
die Worte fehr gut gefchrieben haben, fchließlich fo-
gar P. felbft vgl. L Kor. 2,8. Marcion hat die Doxologie
entweder noch nicht oder nur in der interpolierten
Faffung vorgefunden.

Leiden. H. Windifch.

Viele Vorzüge der lukanifchen Berichterftattung, die man zumeift
einer SonderqueUe zufchrieb und die Spitta bei feinem bekannten Um-
frarz der Synoptikerkritik verwertete, erfahren hier die Beurteilung, die
ich ZNW 1915 für einen Teil der Leidensgefchichte zu begründen vernichte
: fie find intereffant als Verfuche eines klug erwägenden Autors,
treffen darum auch zuweilen das Richtige oder Wahrfcheinliche (gegenüber
Mk.), find aber deswegen noch nicht einer älteren und befferen
Quelle zuzufchreiben, fondern gehören dem Evangeliften. So ift S. mit
dem alten Theologenfehler, das hiftorifche Urteil mit dem literarifchen
zu verwechfeln, ordentlich ins Gericht gegangen.

Was ich an dem Buche auszufetzen habe, ift vor allem das gelegentliche
Abirren des Verf. von feiner eigenen Methode. Man wundert
fich doch, in diefem Buch die Frage nach dem Haus, in dem Jefus
gerade war, überhaupt erwogen zu finden (S. 79. 197). Mit welchem
Recht die Ineinanderfchachtelung der Jairus- und der Frauengefchichte
Mk. 5 auf ,wirkliche Erinnerung' zurückgeführt wird, kann ich nicht
verftehen; gerade S., der S. 119 fogar die Annahme zweier verfchiedener
Salbungen Jefu ernfthaft erwägt, hätte hier mehrere Möglichkeiten der
Erklärung berückfichtigen müffen. Daß er vollends gewiffe Mk.-Erzäh-
lungen auch der Form nach (Umfetzung aus der 1. Ferfon in die 3.)
auf Petrus zurückführen will, kann ich nur als Verfündigung gegen
feine eigene Methode bezeichnen. Gerade an diefem Punkte pflegt ja
das Durcheinander von hiftorifchem und literarifchem Uiteil anzuheben.

Aber diefe Mängel vermögen den Eindruck, den
das Ganze macht, nicht abzufchwächen, daß hier ein
wefentlicher Fortfehritt unferer Erkenntnis der Evangelien
gefichert und daß durch dankenswerte mühevolle
Aufräumungsarbeit an veralteten Frageftellungen der
Weg zu den Hauptproblemen freigemacht ift.
Heidelberg. Martin Dibelius.

Bauer, Franz Xaver: Proklos von Konftantinopel. Ein Bei-
Harnack, Adolf v.: über I. Kor. 14, 32ff. u. Rom. 16, 25ff. trag zur Kirchen- u. Dogmengefchichte des 5. Jahrh.
nach der älteften Überlieferung und der Marcionitifchen : (XII, 148 S.) 8°. München, J.J. Lentner 1919. M. 5.50
Bibel. (Sitzgsber. d. preuß. Akad. d. Wiff. Phil.-hift. | Der Kirchenhiftoriker wird dankbar fein für diefe zu-

Kl. 1919, XXXII.) (S. 527—536). Lex. 8°. Berlin,
Verein igg. wiff. Verleger 1919. M. 1 —

Die erfte diefer zwei anregenden textkritifchen
Studien befaßt fich mit den Schwierigkeiten, die die
Textfolge I. Korr. 14 V. 32—34 enthält: 1) dem Fehlen
des nach H. unentbehrlichen Mittelgliedes zwifchen V. 32
(. . die Geifter der Propheten . .) und V. 33 a (Gott ift
nicht .. .), etwa: diefe Geifter= Gott, und 2) der Zugehörigkeit
von V. 33 b coglv jcäöaiq xal? hxxXnolai? xcöv aylcov,
das weder zu V. 33a noch zu 34a recht paffen will, und
fucht den Ausweg in der Streichung von 6 &e6? (V. 33 b
dann zu 33a zu ziehen), wofür Tertullian (adv. Marc. IV 4)
und Ambrofiafter Zeugen find. Ich halte die Streichung
von 6 ffeoc und die Beziehung des Satzes auf die
jcv£v/iaxa für fehr erwägenswert, finde aber auch dann
die Verbindung von V. 33b mit 33a unerträglich: 33a ift
auch ohne &£o? eine Gnome, zu der ein Hinweis auf alle
Gemeinden unmöglich hinzutreten kann, man denke fich
etwa zu Gal. 5,22 f. diefen Zufatz hinzu. Auch fcheint
mir der Gedankenfprung von 32 zu 33a erträglich; er ift
ficher nicht unpaulinifch. Die Verderbnis wird daher
anderswo liegen. Mit fehr beachtenswerten Gründen
haben zuletzt Schmiedel und J. Weiß in ihren Komm, die
Unechtheit der Verfe 33b—36 zu erweifen verfucht;
jedenfalls zeigt der W-text (auch Ambrofiafter), daß hier
eine Unordnung vorliegt. Sicher fcheint mir, daß, mag
nun eine Gloffe vorliegen oder nicht, fehr früh hinter
33 b eine Uym oder öiaxäoaouai ausgefallen ift (die in
den Handfchriften fich findende Ergänzung ift indes
wohl Wiederherftellung des Ausgefallenen, nicht das
Urfprüngliche). —

Die zweite Arbeit fucht das Problem der Doxologie
Rom. 16,25—27 (vgl. darüber zuletzt Lietzmann in
der trefflichen Neubearbeitung feiner Auslegung des
Rom.) zu löfen durch die Annahme von Interpolationen
{xal xb xr/g. 'I. X., öia x£ ygaep. xgoep. und yvmgi-
ölXivxo?) und die Erklärung, daß die Doxologie in ihrer
urfprünglichen Form marzionitifchen Urfprungs fei
(letzteres fchon von Lietzmann vermutet). Die neue Erklärung
hat viel Einleuchtendes: Der gewöhnliche Text,
namentlich tpavEgcod-. de jwv 6tä xe yga<p. xgoep. ift un-

verläffige, umfichtige und bequem zu verwendende Sammlung
des gefamten bisher veröffentlichten Materials zur
Lebensgefchichte des Proklus, der von 434—446 alsBifchof
der Reichshauptftadt einen großen Einfluß auf die Kirche
des Oftens hat üben können. Für die Dogmengefchichte,
Chriftologie und Mariologie kommt etwas Neues nicht
heraus. Aber das war auch nur zu erwarten, wenn
energifch wie von Ed. Schwartz die Kritik an der Überlieferung
angegriffen wurde. Bauer, der diefem Vorgänger
trotz ,feines anticyrillifchen Standpunktes' gerecht werden
möchte, wagt fich an diefe wichtigfte Aufgabe nicht heran.
— Auf einem Gebiet, dem der kirchlichen Geographie,
verfagt die fonft anerkennenswerte Gelehrfamkeit des Verf.
S. 66 rechnet er Hierapolis und Samosata zur Provinz
Osrhoene ftatt zur Euphratenfis; fchlimmer ift, daß er
S. 6, 62, 112 den berühmten Theodoret von Cyrrhus als
eilieifchen Bifchof anfleht, was an der letzten Stelle einen
ganz unbegründeten Zweifel zur Folge hat. — In einer
wichtigen Frage wie der, ob bei Theodoret ep. 83 xoi?
jkxq' vpilv yEyEvrmivoi? övvoöixol? . . . OvvEd-EftEira bedeuten
kann, Theodoret fei bei einer konftantinopler
Synode 445 anwefend gewefen, habe wenigftens den den
Vorrang des dortigen Patriarchen feftftellenden Synodalakt
unterzeichnet (S. 113 f.), vermißt man genaues Eingehen
auf den Sprachgebrauch.

Marburg. Ad. Jülicher.

Peters, Prof. D. Franz Jofeph: Petrus Chryfologus als

Homilet. Ein Beitrag zur Gefchichte der Predigt im
Abendland. (XII, 168S.) gr.8°. Köln,J.P.Bachem 1919.

M. 4 —

Wer fich an die dankbare Aufgabe wagt, ein Buch
über Chryfologus zu fchreiben, kann entweder dem Lefer
zumuten, nachprüfend an eine Fülle von Einzelunter-
fuchungen heranzutreten, oder er muß das klar zu Tage
Liegende mit vorfichtig abwägendem Urteil fammeln und
fyftematifch ordnen. Die vorliegende theologifche Doktor-
differtation befchreitet mit Glück diefen zweiten Weg.
Sie fchildert die Zeitlage, orientiert über die Quellen,
Darftellungen und Echtheitsfragen, weift in einer Skizze
des patriftifchen Predigtwefens dem Chryfologus feine.