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Ausgabe:

1920

Spalte:

43-44

Autor/Hrsg.:

Grundemann, Reinhold

Titel/Untertitel:

Unser heimatliches Missionswesen 1920

Rezensent:

Mirbt, Carl

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Theologilche Literaturzeitung 1920 Nr. 3/4.

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kirche fetzt fich nun im Unterfchiede vom Staate aus lauter Einzelgemeinden
zufammen. Diefe haben deswegen die Abgeordneten zur
Generalfynode, der oberften Behörde der Landeskirche, zu fenden, und
nicht, wie beim Staate, die einzelnen Wähler felbft. Liefe find aber
dann nur Vertreter der Gemeinden, wenn bei ihrer Wahl die Kräfte
wirkfam werden, welche eben in der Gemeinde leben. Davon kann
aber nur dann geredet werden, wenn nicht ein Bündel einzelner Antriebe
, fondern bereits geftaltete Energien tätig werden. So entlcheidet
fich der Verfaffer für mittelbare Wahl durch den Kirchenvorftand. Damit
ift aber nicht gefagt, daß jede Gemeinde ihren eigenen Vertreter
haben muffe. Der Gedanke der Repräfentation erlaubt, die Gemeinden
in Wahlkreife zu vereinigen, die nun eine bedeutend geringere Zahl von
Abgeordneten wählen können. Das Mittelglied zwifchen Gemeinde und
Generalfynode, die Diözefanfynode, muß die Verringerung ihrer Bedeutung
durch Ergreifen neuer Aufgaben auf dem gemeindlichen Gebiete
ausgleichen. Diefe konfervative Haltung gibt der Verfaffer auf beim
2. Punkt: beim Frauenwahlrecht. Die richtige Würdigung der Frau
durch Chriftus fpricht für das Frauenwahlrecht; nicht nur deswegen,
weil es der Kirche keinen Schaden bringt, fondern weil es diefelbe po-
fitiv fördert, hat man den bisherigen ablehnenden Standpunkt aufzugeben.
Die richtige Würdigung der Frau in der Ehe als Ergänzung des Mannes
gibt den Gefichtspunkt, nach dem die hier auftauchenden Fragen gelöft
werden können; ganz von felbft wird dann die kritiklofe Nivellierung
ausgefchloffen fein. Bei der Neuheit der ganzen Sache empfiehlt er aber
nur die Wählbarkeit zum örtlichen Kirchenvorftand und zur Diözefanfynode
; für eine Erweiterung diefer Rechte follen die Frauen erft erzogen
werden. Da die Landeskirche, abgefehen von Nürnberg, keine
Verfchiedenheit der Richtungen aufweift, ift vom Verhältniswahlrecht
abzufeilen, das nicht nur die Energien der Landeskirche erheblich ein-
fchränken würde, fondern auch gegen die rechte Idee der Kirche ift;
nicht ganz mit Unrecht habe man die Verhältniswahl ein Kind der
atomiftifch-materialiftilchen Weltanfchauung genannt; die Kirche ift die
Gemeinfchaft im Geilte; lediglich für Nürnberg will er Ausnahmen zu-
laffen. Auf Grund diefer prinzipiellen Ausführungen gibt er dann einen
Vorfchlag für eine neue Wahlordnung für den örtlichen Kirchenvorftand
und die allgemeine Synode; die Fragen der Zufammenlegung von Kirchenverwaltung
und Kirchenvorftand fowie von Steuer- und Generalfynode
werden kurz geftreift und auf ihre rechtliche Möglichkeit hin
kurz unterfucht.

Schon diefe kurze Klarlegung der Hauptgedanken zeigt, welche
Fülle von Problemen damit berührt ift; hier ift unmöglich darauf
einzugehen. Allem Anfchein nach aber werden die Pläne bald das
Feuer der ernfteften Kritik, der praktifchen Erprobung, erfahren. Die
im Juli und Auguft zu Ansbach tagende außerordentliche Generalfynode
hat (ich wefentliche Gefichtspunkte Oefcheys zu eigen gemacht.

Alfeld. Schornbaum.

Grundemann, Paft. a. D. Prof. h. c. D. Dr. Reinhold: Unfer
heimatliches Milfionswefen. Beiträge zu wiffenfchaftl.
Behandig. desfelben. Nebft e. Anhang: Der Krieg u.
die Miffion. (VIII, 110 S.) gr. 8». Leipzig, J. C. Hin-
richs 1916. M. 1.50

Diefe Schrift bietet uns den Ertrag der reichen Lebenserfahrungen
eines Mannes, der Jahrzehnte hindurch
feine Kraft in den Dienft der Miffion geftellt hat und
unbeftritten zu den beften Kennern des neuzeitlichen
evangelifchen Miffionswefens gehört. Grundemann ift
kein Lobredner der Vergangenheit, noch weniger der
Gegenwart, fondern fteht den Dingen als freimütiger
Kritiker gegenüber. Mit großer Unbefangenheit unterzieht
er das heimatliche Milfionsleben einer eindringenden
Prüfung und ftellt unter Verzicht auf alle Schönfärberei
feft, wo er meint, daß falfche Wege eingefchlagen worden
find. Es handelt fich dabei nicht etwa um Nebendinge
, fondern um Fragen von grundlegender Bedeutung,
unter anderem um das Recht der pietiftifchen Formen
des Miffionsbetriebes. Die Unterfuchung der Stellung,
die der Miffion in der Predigt und im Konfirmandenunterricht
einzuräumen ift, verdient ernfte Beachtung, auch den
fcharf formulierten Ausführungen über die Miffionsfefte
wird jeder Pfarrer gutes entnehmen können. Die Forderung
, die veraltete Miffionsftunde durch Miffionsberichte
zu erfetzen, die an beftimmten Sonntagen der Predigt
angegliedert werden, zeigt einen neuen Weg, deffen Gangbarkeit
zu erproben fein wird. In dem Abfchnitt ,der
Kampf gegen die Miffionsanekdote' wird eine üble Un-
fitte behandelt, die übrigens, und zwar wefentlich durch
die unermüdlichen Bemühungen unsers Kritikers, in offenbarer
Abnahme begriffen ift. In den Ausführungen über
Miffionsliteratur werden Grundfätze aufgeftellt, deren allgemeine
Anerkennung durch die beteiligten Kreife dringend
zu wünfehen ift. Zu mancherlei Einwendungen
geben dagegen die Abfchnitte über das Vereinswefen
und das Finanzwefen Anlaß. Alles in allem ift die Schrift
Grundemanns als eine überaus anregende und dieMiffions-
fache fördernde Gabe mit großer Freude zu begrüßen.
Alle, die es angeht, werden gut tun, fich mit ihr ernftlich
auseinanderzufetzen.

Göttingen. Carl Mirbt.

Anton, Dr. Karl: Angewandte Liturgik. (VI, 207 S.) 8°.
Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht 1919.

M. 5 —; geb. M. 6 —
Ein felir lefenswertes, tüchtiges Buch, deffen Titel
bereits verrät, daß Anton nicht eine bloß gelehrte und
daher verkehrte, fondern eine dem Leben entfprungene
und diefem allein zugewendete Liturgik meint. Von pfy-
chologifchen Grundlagen (Wundt) aus, auf Schleiermachers
Bahn, durch Niebergall wefentlich beeinflußt, Pietät und
Wirklichkeitsfinn verbindend, will Anton Liturgen erziehen
helfen, die Seelenleiter und Künftler find. Der dem gelehrten
Kram der Zunft und ihren Theoremen gründlich
abgeneigte Mann erfreut durch Gedankenfchärfe, Mut und
Gefchmack, während die ungewöhnliche Belefenheit eine
Häufung von Zitaten aus hundert verfchiedenwertigen
Quellen herbeiführt, die dem Eindruck der Darftellung
hin und wieder Eintrag tut. Von den 7 Paragraphen,
in die das Werk fleh gliedert, nimmt der 6. den meiften
Raum (S. 72—168) und das lebendigfte Intereffe in An-
fpruch: Vom Geftalten des Kultus. Hier flößt man auf
eine Fülle wertvoller Gefichtspunkte und Anregungen,
die nicht nur zufammengelefen find, fondern eigenartig
und einheitlich wirken und uns in der Praxis des gottes-
dienftlichen Lebens fördern werden. Anton weiß und
überzeugt auch den Lefer davon, daß es fich hier um
die Lebensfrage des kirchlichen Proteftantismus handelt;
und dafür, daß er an ihre Löfung glaubt, werden ihm
Viele danken und den Dank in Verfolgung der gewiefenen
Bahnen erweifen. Für nicht ganz glucklich halte ich die
als Anhang beigegebene Beifpielfammlung (S. 181—201).
Zwar find die abfehreckenden Exempel fchlimm genug,
um den Wagemut Unberufener zu dämpfen. Aber die
als Mufter gedachten find nicht überall muftergiltig, vor
allem gibt fich Mangel an hymnologifcher Schulung und
Bildung zu erkennen. In rühmlicher Befcheidenheit rechnet
der Verf. (nach AI. Schweizer) fein Buch zu denen, die
.ihren Wert als Ermunterungsfchriften für den Geiftlichen
haben und auch der Wiffenfchaft nicht fchaden'. Wir
fchätzen feinen Wert doch erheblich höher ein.

Münfter i. W. J- Smend.

Linhof, Dipl.-Ing. Archit. R. A.: Die Kultur der Mü'nchener
Friedhofsanlagen Hans Gräffels. (S.-A. aus .Wasmuths
Monatshefte f. Baukunft'.) (68 S. m. Abbildgn.) gr. 40.
München 1918. Berlin, E. Wasmuth. M. 7.50

Als mit den 80er Jahren die deutfehe Kunft vornehmlich
im Kunstgewerbe und im Baufchaffen (oroteH.
Kirchenbau u. a.) fich auf fich felbft befann, erftand
auch dem während der zweiten Hälfte des 19. Jhdts. verelendeten
Friedhofswefen ein Retter: Hans Graeffels, des
genialenMünchenerBauamtmannes, geniales Werk erfchöpft
fich nicht in den Münchener Friedhöfen — er hat daneben
auch zahlreiche fonftige öffentliche und private
Gebäude erftellt, alle in höchfter technifcher und künft-
lerifcher Vollendung und in nicht erlahmender Kraft —
und befchränkt fich nicht auf das Weichbild von
München — die Wirkungen feiner Arbeit haben über
ganz Deutfchland gegriffen. Aber in den vier großen
Friedhöfen, die er 1891 —1907 in München fchuf, nachdem
er 1890, dreißigjährig, zum ftädtifchen Bauamtmann
berufen worden war, dem Oftfriedhof (Plan 1891 —1894),
dem Nordfriedhof (feit 1895), dem Weftfriedhof (feit
1897) und dem weltberühmten Süd- bzw. Waldfriedhof
(feit 1905, 1907 in Verwendung genommen), denen ein